Schubert | Christus (m/w/d) | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 398 Seiten

Schubert Christus (m/w/d)

Eine Geschlechtergeschichte
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-406-82238-4
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Eine Geschlechtergeschichte

E-Book, Deutsch, 398 Seiten

ISBN: 978-3-406-82238-4
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Gott ist in Jesus Christus Mensch geworden. Aber warum als Mann? Anselm Schubert zeigt in seiner faszinierenden Darstellung, dass von der Antike bis zur Gegenwart immer auch andere – weibliche oder androgyne – Christusbilder wirkmächtig waren, und führt uns so ein unbekanntes, erstaunlich diverses Christentum vor Augen.

In der Antike war vollkommenes Menschsein gleichbedeutend mit vollkommener Männlichkeit: Christus musste daher ein Mann sein – und keusch bis hin zur Asexualität. Im Mittelalter waren die Geschlechterordnungen weniger starr: Theologen diskutierten, ob Christus auch als Frau hätte Mensch werden können. Die Mystik feierte Christus als männlichen Bräutigam oder weibliche Inkarnation Gottes. Kabbalisten, Alchemisten und Prophetinnen der Frühen Neuzeit erhofften sich von einem androgynen Christus die Vollendung beider Geschlechter. Erst im 19. Jahrhundert rückte die Frage in den Vordergrund, wie man sich Jesus als „echten“, virilen Mann vorstellen kann. Gegen das betont männliche Bild vom Vater-Gott und seinem Sohn protestierte die feministische Theologie im 20. Jahrhundert mit einem weiblichen Christus. Queere Theolog:innen verkünden einen schwulen, bisexuellen, transsexuellen, intersexuellen oder polyamoren Jesus. Die selbstverständliche Männlichkeit Christi gilt als der letzte blinde Fleck der Christentumsgeschichte. Anselm Schubert bringt in seinem längst überfälligen, meisterhaft geschriebenen Buch Licht ins Dunkel der patriarchalisch geprägten Erzählungen.

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EINLEITUNG
Die Hirten waren vom nächtlichen Feld aufgebrochen und schließlich zur Krippe des neugeborenen Christuskindes gekommen. Doch bevor sie sich anbetend auf die Knie niederließen, fragten sie misstrauisch, ob das Kind denn auch ein Junge sei und nicht etwa ein Mädchen? Die Engel hätten ihnen verkündigt, dass der Erlöser der Welt geboren sei, nicht eine Erlöserin! Da zeigte ihnen die jungfräuliche Mutter das männliche Geschlecht des Kindes, und sofort verehrten sie den Jungen mit großer Ehrfurcht und Freude und lobten und verherrlichten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten.[1] Fast zweitausend Jahre lebten, arbeiteten, liebten, sündigten und starben die allermeisten Christinnen und Christen im festen Glauben, Gott sei auf eine vielleicht etwas unkörperliche Weise, sein Sohn aber umso eindeutiger männlichen Geschlechts. Doch die Vision, die der Mystikerin Birgitta von Schweden im August 1372 in der Geburtskirche zu Bethlehem widerfuhr, zeigt, dass die Männlichkeit der Gottheit offenbar niemals völlig selbstverständlich war. Zu einem theologischen Problem wurde die Frage, ob Gott und sein Sohn männlichen Geschlechtes seien, freilich erst durch die Frauenbewegung des 20. Jahrhunderts, die die Befreiung der Frauen vom Patriarchat und die Gleichberechtigung der Geschlechter forderte. Einige feministische Theologinnen lehnten den patriarchalen Gott der christlichen Kirchen rundweg ab: Wenn Gott ein Mann sei, sei das Männliche offenbar Gott! Andere fragten sich, ob ein männlicher Erlöser überhaupt Frauen erlösen könne?! Und so machte sich die feministische Theologie auf die Suche nach anderen Bildern von Gott und nach alternativen Christusfiguren, mit denen sich Frauen eher identifizieren können sollten. Theologinnen rekonstruierten vergessene Traditionen von weiblichen Gefährtinnen Jahwes und von der Verehrung der göttlichen «Weisheit». Historikerinnen entdeckten, dass Christus im Mittelalter auch als Frau oder gar als Mutter verehrt worden war und dass es in der Frühen Neuzeit weibliche Inkarnationen Christi gegeben hatte. Die Vormoderne schien progressiver gewesen zu sein als die Gegenwart. Doch welches Geschlecht hatten Gott und Christus denn nun? Eines, keines oder beide? 1990 wies die Philosophin Judith Butler darauf hin, dass die Frage, welches Geschlecht eine Person hat, falsch gestellt sei. In ihrer radikalen Kritik des Feminismus bestritt sie, dass die Zuordnung eines biologischen Befundes zu einem sozialen Geschlecht zwangsläufig oder gar natürlich sei, und bald wiesen Historiker darauf hin, dass sich in der Geschichte die Vorstellung davon, was ein «Geschlecht» sei und wie es funktioniert, immer wieder grundlegend geändert habe. Wenn man in der Antike oder im Mittelalter von männlichem oder weiblichem Geschlecht sprach, meinte man unter Umständen etwas ganz anderes als heute. Und die moderne Medizin geht inzwischen davon aus, dass es auch biologisch keineswegs nur zwei Geschlechter, sondern ein ganzes Spektrum anatomischer, genetischer und gonodaler Geschlechtervarianten gibt. Wenn es aber immer eine Vielfalt von biologischen Geschlechtern und kulturellen Geschlechtsidentitäten gab, können Fragen wie «Ist Christus ein Mann?» oder «Können Frauen von einem Mann erlöst werden?» nicht aus sich selbst heraus beantwortet werden. Sie sind nur in ihren jeweiligen historischen Kontexten sinnvoll. Die Vorstellung männlicher, weiblicher, androgyner oder queerer Christusfiguren taucht in der Geschichte des Christentums immer wieder auf. Dieses Buch versucht nicht, die Frage, welches Geschlecht Jesus Christus im Christentum hat, dogmatisch «richtig» zu beantworten, sondern will sie vor dem Hintergrund der sich langsam, aber stetig wandelnden Geschlechterordnungen in der Geschichte darstellen. Geschlechterordnungen
In der Antike nahm man an, es gebe nur ein menschliches Geschlecht, als dessen unvollkommene, unreife Ausprägung Frauen, als dessen ausgereifte und vollendete Verkörperung Männer galten. Vollkommenes Menschsein war gleichbedeutend mit vollkommener Männlichkeit, und diese zeigte sich in der völligen Beherrschung des Körpers und seiner Affekte. Von daher war es selbstverständlich, dass Jesus Christus in der Alten Kirche als Mann gesehen wurde, der aufgrund seiner göttlichen Natur seinen Körper und seine Geschlechtlichkeit völlig beherrscht und keusch gelebt habe. Um seine übernatürliche Keuschheit hervorzuheben, gingen einige Theologen schließlich gar so weit zu behaupten, Christus habe gar kein Geschlecht oder, was in ihren Augen dasselbe war, beide Geschlechter zugleich besessen und sei androgyn gewesen. Im Mittelalter galt weitgehend noch die antike Geschlechtertheorie mit ihrer Überordnung des männlichen Geschlechts. Daneben trat aber zunehmend die Vorstellung, dass Gott beide Geschlechter zu seinem Ebenbild geschaffen und damit auch dem weiblichen Geschlecht bestimmte Eigenschaften verliehen habe. Die scholastische Theologie diskutierte daher, ob Christus sich auch als Frau hätte inkarnieren können; in der mystischen Theologie wurde Christus als männlicher Bräutigam gefeiert, oder aber es wurden ihm weibliche Eigenschaften beigelegt, seine Seitenwunde gar als Vagina und Uterus verehrt. Solche Männlichkeit und Weiblichkeit Christi wurde freilich nicht als dogmatische Aussage über den Körper Christi verstanden, sondern als metaphorische Aussage über sein Heilswirken. In der Frühen Neuzeit geriet die aristotelische Vorstellung von nur einem Geschlecht in zwei Ausprägungen zunehmend in die Kritik, und die mittelalterliche Tradition, beide Geschlechter seien von Gott geschaffen, verfestigte sich zur Vorstellung zweier eigenständiger und eigenwertiger Geschlechter mit unterschiedlichen Eigenschaften. Radikale Bewegungen begannen seit dem 16. Jahrhundert, lebende Frauen als Inkarnationen Christi zu verehren oder Christus eine weibliche Erlöserfigur zur Seite zu stellen. Andere dachten sich Christus als androgyne Einheit von Mann und Frau, die sich in ihrem Heilswirken je unterschiedlich an die beiden Geschlechter wenden würde. Im Laufe des 19. Jahrhunderts setzte sich die Vorstellung durch, die Unterschiede zwischen dem männlichen und dem weiblichen Geschlecht seien physiologisch bedingt und naturgegeben: Männer seien von Natur aus aktiv, kulturschaffend, stark, vernünftig und erobernd, Frauen passiv, weich, emotional und fürsorglich. In der Ehe, der Keimzelle bürgerlicher und staatlicher Ordnung, würden sich die natürlichen Unterschiede der Geschlechter vereinigen und gegenseitig ergänzen. Aber wenn wahre Männer stark und kämpferisch waren, war der stets liebende, leidende und milde Christus der Evangelien dann nicht eigentlich eine Art Frau? Das 19. Jahrhundert begann intensiv darüber nachzudenken, wie man sich Christus als «echten», virilen Mann vorstellen konnte. Angesichts der vermeintlich naturgegebenen Geschlechterordnung erschienen Vorstellungen von einem weiblichen oder androgynen Christus nur noch als pathologische Verirrung. Gegen dieses wie selbstverständlich männliche Bild vom Vater-Gott und seinem Sohn protestierte die feministische Theologie im 20. Jahrhundert. Heute stellt sich vor allem die Frage: Wie verändert sich das Bild von Jesus Christus, wenn feministische Theologinnen einen weiblichen Christus oder gar viele weibliche Inkarnationen Christi postulieren und queere Theolog*innen einen schwulen, bisexuellen, transsexuellen, intersexuellen oder polyamoren Christus entwerfen?! Zwischen Geschlechtergeschichte und Theologie
Wenn uns die Geschlechtergeschichte eines gelehrt hat, dann, dass jede Geschlechtergeschichte immer perspektivisch ist. Wer die Geschichte des Geschlechts Jesu Christi im Christentum untersucht, tut also gut daran, seine eigene Perspektive mitzubedenken. Die neuere Geschlechtertheorie hat die essentialistischen Geschlechtervorstellungen des 19. Jahrhunderts hinter sich gelassen und unterscheidet zwischen dem biologischen Geschlecht (sex) und dem kulturellen oder sozialen Geschlecht (gender). Das biologische...


Anselm Schubert ist Professor für Neuere Kirchengeschichte an der Universität Erlangen-Nürnberg. Bei C.H.Beck erschien von ihm zuletzt "Gott essen. Eine kulinarische Geschichte des Abendmahls" (2018).



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