E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Zapperi Alle Wege führen nach Rom
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-406-64452-8
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die ewige Stadt und ihre Besucher
E-Book, Deutsch, 256 Seiten
ISBN: 978-3-406-64452-8
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Erasmus von Rotterdam, François Rabelais, Michel de Montaigne, Thomas Hobbes, Diego Velázquez, Christine von Schweden, Marquis de Sade, August von Goethe, Nicolai Gogol, Aby Warburg u. a. Wer heute nach Rom kommt, steht in einer langen Tradition berühmter Besucher, von denen manche ihr Leben lang dort blieben. Ihre Erinnerungen und Zeugnisse übermitteln ein lebendiges Bild der Stadt im Laufe der Jahrhunderte. Rom war die Stadt der Päpste, mit ihrem spirituellen Anspruch und ihrer weltlichen Macht, und ein Sehnsuchtsort der Europäer, wo sich die Spuren der Antike und die moderne Pracht auf einzigartige Weise mischten. Doch zeigte Rom dem aufmerksamen Besucher auch andere Seiten: das bunte Leben von Volk und Klerus, von Künstlern, Frauen und Juden, Kurtisanen und Verbrechern. Achtzehn Begegnungen mit Rom hat Roberto Zapperi aufgegriffen, um uns ein weites Panorama der Wahrnehmung der Stadt zu präsentieren. Ein großes Rombuch von einem der besten Kenner der Geschichte Roms.
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1.
Erasmus von Rotterdam und Papst Julius II. Roms innerer Widerspruch
Seit dem Niedergang des Römischen Reichs war Rom Mittelpunkt und Antriebskraft der katholischen Christenheit. Mit der Zeit wurde es aber auch die Hauptstadt eines Staates, nämlich des Kirchenstaats, den der Papst wie ein weltlicher Souverän regierte. Dieser Kontrast bedingte und prägte die Geschichte der ewigen Stadt zutiefst. Der niederländische Geistliche und Humanist Erasmus von Rotterdam war am Anfang des 16. Jahrhunderts der Erste, der diesen inneren Widerspruch erkannte und aufs Schärfste kritisierte. Als Erasmus im März des Jahres 1509 nach Rom kam, war er wenig mehr als vierzig Jahre alt. Er befand sich im Gefolge des schottischen Prinzen Alexander Stuart, dessen Präzeptor er war. Sein Italienisch war passabel – er sprach es mit einem starken nördlichen Akzent –, umso besser aber beherrschte er Latein und Griechisch. 1466 in Rotterdam als Sohn eines Geistlichen, der im Konkubinat lebte, geboren, war er auf den Namen Erasmus getauft worden und hatte ebenfalls früh die geistliche Laufbahn eingeschlagen. In Rom ging ihm der Ruf voraus, ein großer Humanist zu sein. Dieser gründete sich auf seine Sammlung antiker Sprichwörter mit dem Titel Adagia, die er kurz vorher beim venezianischen Verleger Aldo Manuzio, dem Fürsten aller Drucker, veröffentlicht hatte. Erasmus wurde deshalb in Rom von den prominentesten Humanisten der Stadt herzlich willkommen geheißen und gefeiert. Tommaso Inghirami, der Präfekt der Vatikanischen Bibliothek, stellte ihm sofort deren reichen Bestand an alten Handschriften zur Verfügung. Die Nachricht von der Ankunft des großen Gelehrten aus dem Norden erreichte auch die römische Kurie, so dass verschiedene Kardinäle seine Bekanntschaft machen und ihn ehren wollten; darunter vor allem Kardinal Raffaele Riario, ein Verwandter des herrschenden Papstes Julius II., aber auch Kardinal Giovanni de’ Medici, der künftige Papst Leo X., sowie der venezianische Kardinal Domenico Grimani. Der durchaus herzliche Empfang genügte indessen nicht, um Erasmus den Aufenthalt in Rom angenehm zu machen, und dies aus verschiedenen Gründen. Die ganze Stadt war eine einzige Baustelle. Papst Julius II. hatte umfassende Bauarbeiten im Vatikan begonnen, angefangen vom Neubau von Sankt Peter, mit dem er den Architekten Donato Bramante beauftragt hatte. Dazu kamen der Umbau der vatikanischen Paläste und die Neugestaltung des Belvederehofs mit einem höherliegenden, neuen Garten, wo die antiken Statuen aufgestellt werden sollten, darunter der Laokoon, der 1506 ausgegraben worden war. Die architektonischen Eingriffe betrafen darüber hinaus die Kirchen SS. Apostoli, S. Pietro in Montorio und S. Maria del Popolo. Der Bau eines großen Palastes, der die Gerichte aufnehmen sollte, wurde begonnen, aber nicht zu Ende geführt. Große städtebauliche Projekte wie die neue Via Giulia waren ebenfalls dabei, verwirklicht zu werden. Nicht minder ehrgeizig waren die Ausschmückungsarbeiten, die Julius II. im Vatikan veranlasste, darunter die Freskierung des Deckengewölbes der Sixtinischen Kapelle, mit der er Michelangelo beauftragte, und die Ausmalung der neuen päpstlichen Gemächer im Vatikan durch Raffael. Doch nicht nur der betäubende Baulärm störte Erasmus, noch mehr irritierte ihn die Kriegsstimmung, die in Rom herrschte. Am 23. März 1509 schloss Julius II. mit König Ludwig XII. von Frankreich, Kaiser Maximilian I. und dem König von Aragon, Ferdinand dem Katholischen, ein Bündnis, die Liga von Cambrai. Sein Ziel war, die von Venedig besetzten Städte und Territorien in der Romagna, die zum Kirchenstaat gehörten, zurückzugewinnen. Am 26. April belegte Julius II. Venedig deshalb mit dem Bann. Im Zusammenhang mit diesen Kriegsvorbereitungen bat Kardinal Riario Erasmus um ein Gutachten über die päpstlichen Ansprüche gegenüber Venedig. Ein solches Gutachten ist nicht erhalten, und man muss sich auch fragen, was Erasmus wohl hätte schreiben können, war er doch im Jahr zuvor in Venedig sehr herzlich aufgenommen worden. Ihm war jeder Krieg zuwider, und dies umso mehr, wenn ihn das Oberhaupt der Kirche führte. Leider ist kein Brief aus Rom von Erasmus erhalten, doch lässt sich Briefen aus späterer Zeit entnehmen, dass er hier zu der Erkenntnis kam, wie heidnisch und wenig christlich die Stadt geworden war. Beispielhaft dafür schien ihm eine Predigt, die er am Gründonnerstag in der Sixtinischen Kapelle hörte. Der Prediger begann mit einem Lobpreis auf den Papst, der der Zeremonie beiwohnte, und wandte sich dann nach ein paar kurzen Bemerkungen über den Kreuzestod Christi ausführlich dem Opfertod des Sokrates und anderer Persönlichkeiten zu, um am Ende den Triumph des Kreuzes mit dem Triumph Scipios und Cäsars zu vergleichen. Diese Predigt muss Erasmus an den triumphalen Einzug Julius’ II. in das zurückeroberte Bologna erinnert haben. Er war 1506 dabei gewesen, als der Papst in die besiegte Stadt einzog, und schrieb darüber mit flammenden Worten: «Ich habe mit meinen eigenen Augen in Bologna gesehen, wie Julius, der römische Pontifex, Zweiter dieses Namens, herrliche Triumphe feierte, die sich ganz und gar mit den Triumphen von Pompeius und Cäsar vergleichen lassen. Aber was haben die Triumphe eines Pompeius und eines Cäsar mit der Autorität Petri zu tun?» Es ist zwar wahr, dass Julius II. selbst den Vergleich seiner Person mit Cäsar nicht förderte, aber er blieb ein gern gebrauchter Topos in den Lobreden seiner Höflinge, die ihre Schmeicheleien mit dem hochtönenden Hinweis auf antike Ähnlichkeiten würzten. Erasmus’ Kritik traf aber dennoch einen entscheidenden Punkt, die Tatsache, dass der Papst oft und gerne Kriege führte. Erasmus verließ Rom schon im Juli 1509 wieder und kehrte nie mehr in die ewige Stadt zurück. Aber die vier Monate, die er hier verbrachte, genügten ihm, um sich ein zutreffendes, genaues Bild von der Persönlichkeit des herrschenden Papstes zu machen. Er informierte sich auch später noch über ihn, wie einige Briefe aus England zeigen, wohin er kurz darauf zurückkehrte. In einem bat er einen Freund um Nachrichten vom Papst, er wollte wissen, ob Julius II. immer noch die Rolle des Julius Cäsar spiele. Neben seinen Korrespondenten auf dem Kontinent versorgten ihn auch zwei in England weilende Italiener mit Nachrichten, der aus Lucca stammende Andrea Ammonio, Sekretär am königlichen Hof, und der Agent der Republik Venedig, Pietro Carmeliano, die beide über die politischen und militärischen Ereignisse in Italien bestens unterrichtet waren. Auf der Basis seiner eigenen römischen Erfahrungen und der später gesammelten Nachrichten verfasste Erasmus zwei Schriften über Papst Julius II., und zwar in Latein, der Sprache, die er wie kein anderer beherrschte. Es handelt sich um den Dialog Julius exclusus e coelis, geschrieben 1513 in Cambridge und anonym 1517 publiziert, und die kurz darauf entstandene, mit dem Dialog eng verbundene Schrift Sileni Alcibiadis. Ausgehend von einem antiken Sprichwort, entwickelt sich diese zu einer kleinen politischen Abhandlung. Sie wurde 1515 in Basel von Johannes Froben in einer neuen Ausgabe der Adagia veröffentlicht. Julius II. starb am 20. Februar 1513, im selben Jahr, in dem Erasmus seinen Dialog schrieb. Hierin stellt er sich vor, wie die Seele des verstorbenen Papstes vor den Pforten des Paradieses erscheint. Diese aber sind versperrt und werden vom Pförtner, dem heiligen Petrus, bewacht, der die Seele einem strikten Verhör unterzieht. Julius II. tritt hier im glänzenden päpstlichen Ornat auf, angetan mit der Tiara und in reich mit Gemmen, Edelsteinen und dem goldenen Eichenwappen der Della Rovere verzierte Gewänder gehüllt, im gleichen Prunk also, in dem er 1506 in das unterworfene Bologna eingezogen war, was Erasmus nie vergessen hatte. Der Dialog hebt mit einer Reihe von heftigen Vorwürfen an, aufgrund derer Sankt Peter der Seele den Eingang ins Paradies verwehrt. Diese Vorhaltungen enthalten all das, was dem Papst bereits zu Lebzeiten in den zehn Jahren seines Pontifikats von seinen Gegnern vorgeworfen worden war: Plebejische Herkunft, Korruption, schamlose Simonie, seine sexuellen Praktiken, die Konkubine samt seiner Tochter, Sodomie, Trunkenheit, die sich im Verkehr mit den Kurtisanen zugezogene Syphilis, der völlige Mangel an Glauben. Das meiste davon ist auch hinreichend bewiesen, Zweifel sind nur bezüglich der Sodomie, d.h. der Homosexualität, angebracht, die er, wenn überhaupt, nur während der Kardinalszeit praktiziert haben mag. Der heilige Petrus nimmt jedoch keine Entschuldigung entgegen, sondern schleudert unerbittlich Julius seine Laster ins Gesicht: Er sei «notorisch niederträchtig, ein Trinker, Mörder, Simonist, Giftmischer, Eidbrecher, Dieb, von Kopf bis Fuß verseucht mit monströsen Lastern, ohne auch nur die geringste Scham zu empfinden». Doch der heikelste Aspekt dieser Verderbtheit war für Erasmus politischer Art: Der Stellvertreter Christi auf Erden musste seiner Vorstellung nach mit der Heiligen Schrift in der Hand ein fester, zuverlässiger Führer der Gläubigen sein und sich nicht um die Aufgaben eines Staatsoberhauptes kümmern. Es ist ein Urteil, gegen das kein...