Der schwierige Weg zur deutschen Einheit. Ein Zeitzeuge berichtet
E-Book, Deutsch, 520 Seiten
ISBN: 978-3-374-04394-1
Verlag: Evangelische Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Weigts Darstellung liegen zwölf Jahre akribische Recherchearbeit zugrunde. Entstanden ist ein aufschlussreiches und höchst fesselndes Geschichtsbild.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Politikwissenschaft Politikwissenschaft Allgemein Politische Geschichte
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Geschichtliche Themen Oral History (Zeitzeugen)
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Weltgeschichte & Geschichte einzelner Länder und Gebietsräume Deutsche Geschichte
- Sozialwissenschaften Politikwissenschaft Politische Systeme Transformationsprozesse (Politikwiss.)
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2 Betrachtungen zum geschichtlichen Umfeld
2.1 Spurensuche nach den Ursachen für das Ende des Sozialismus sowjetischer Prägung
Geschichte detailliert nach Ursache und Wirkung bewerten zu wollen, ist sicher ein unlösbares Unterfangen. Deshalb konnte von den Sozialwissenschaften auch nicht erwartet werden, dass sie die komplexen, sich selbst dynamisierenden Gesellschaftsprozesse des Jahres 1989 konkret hätten vorhersagen können. Es verwundert aber, dass nicht einmal seitens der Osteuropa-Institute, die sich mit der Analyse der realsozialistischen Länder befassten, diesbezügliche Vermutungen bekannt sind. Selbst Jürgen Habermas1 traf mit seinem Begriff der „nachholenden Revolution“ auch im Nachhinein nicht den Kern der Dinge, obwohl er als Repräsentant der „Frankfurter Schule“2 gilt, die mit der Grundaussage ihrer „Kritischen Theorie“ für sich in Anspruch nahm, mit der „Kritik gesellschaftlicher Zusammenhänge“ zugleich auch „die Totalität gesellschaftlicher Verhältnisse und die Notwendigkeit ihrer Veränderung begrifflich zu durchdringen“. Vom Geschehen überrascht waren sie dann alle. Allein deshalb sollte das über die Opposition der DDR so leicht gefällte Urteil milder ausfallen, sie sei auf den Niedergang des sowjetischen Systems nicht hinreichend vorbereitet gewesen, habe weder für den Umbruch noch für ihr politisches Wirken danach detaillierte Programme vorweisen können und eigentlich nur eine bessere DDR gewollt. Unbestreitbar bleibt, dass sie zur rechten Zeit gehandelt hat und unzählig viele Menschen zu revolutionärem Tun motivierte. Und das tat sie durchaus bewusst, und sie versuchte in ihrer nur kurz bemessenen Aktionszeit, der dramatisch sich ändernden politischen Situation entsprechend, auch zielorientiert zu handeln. Hier mag daran erinnert sein, dass die Französische Revolution seinerzeit ein volles Jahrzehnt gebraucht hat, um das epochale Ereignis zu werden, als das sie noch heute gefeiert wird. „Wenn die Arbeiter- und Bauernmacht […] vor konterrevolutionären Kräften geschützt werden muß, die entschlossen sind, aufs Ganze zu gehen, dann bleibt keine andere Wahl als der Einsatz der Machtorgane des Arbeiter- und Bauern-Staates. Das sind unsere Erfahrungen aus dem Jahre 1953. Das zeigen die Ereignisse von 1956 in Ungarn […] und von 1968 in der CSSR.“ In seinem Redeentwurf leistete Honecker gar einen Offenbarungseid: „Blutvergießen ist für uns nicht das erste, sondern das letzte Mittel“. Zynischer konnte die realsozialistische Lebenswirklichkeit gar nicht beschrieben werden, aber auch nicht kompetenter. Honecker hielt diese „Wende“ in Polen kaum mehr für möglich. Er sah die Polnische Vereinigte Arbeiterpartei (PVAP) bereits im „Würgegriff der Konterrevolution“,[10] denn ihr Statut ließ horizontale Strukturen zu,13 also die Verletzung der Leninschen Normen des Demokratischen Zentralismus und damit die Gefährdung der führenden Rolle der Partei. Das war für Honecker ein Sakrileg, und er warnte Breshnew am 3. August 1981 bei einer Besprechung auf der Krim:[11] „Wir dürfen die Möglichkeit, daß die polnische Krankheit sich ausbreitet, nicht unterschätzen.“ Gegenüber dem Minister für Gewerkschaftsfragen Polens, Stanislaw Ciosek,14 äußerte er sich am 16. September desselben Jahres gesprächsweise noch deutlicher, geradezu visionär:[12] „In ferner Zukunft hofft die Konterrevolution, das polnische Problem im Rahmen einer globalen Veränderung des internationalen Kräfteverhältnisses zugunsten der imperialistischen Staaten zu lösen.“ Honecker verknüpfte in diesem Gespräch die „Verschärfung der inneren Probleme der Sowjetunion“ sogar mit der „Wiedervereinigung Deutschlands“. Eine solche Entwicklung sollte notfalls mit Gewalt verhindert werden. Schon lange vor diesem aufschlussreichen Gespräch meldete Honecker den Ersten Sekretären der Bezirksleitungen der SED, dass[13] „ab heute [dem 6. Juni 1981] eine gemeinsame Stabsübung auf dem Gebiet Volkspolens, der UdSSR, der CSSR und der DDR begonnen hat“. Nach Protokoll 7/?81 des Politbüros erhielt Honecker sogar die Blanko-Vollmacht,[14] „je nach Entwicklung der Situation die erforderlichen Entscheidungen herbeizuführen“. Darüber hinaus wurde gemäß Befehl Nr. 50/?81 des Ministers für Nationale Verteidigung vom 10. Juni 1981 zur „Sicherung der Staatsgrenze“ das Grenzregime zu Polen verschärft, um den ungehinderten Gedankenaustausch zwischen den beiden benachbarten „Brudervölkern“ kontrollieren und diesen auch unterbinden zu können. „Mit der heutigen Tagung werden wir eine Wende einleiten, werden wir vor allem die politische und ideologische Offensive wiedererlangen.“ Doch das bewegte die Menschen nicht zur Umkehr, denn sie spürten jetzt ihre eigene Kraft. 2.2 SED-Herrschaft als Folge früher strategischer Planungen der Moskauer KPD-Führung
Die Abriegelung Westberlins am 13. August 1961 war nur ein letzter Offenbarungseid der SED, den ihr von Moskau verordneten Sozialismus nicht mehr auf eine gesamtdeutsche, plurale und demokratische Ordnung gründen zu wollen, wie es in der Verfassung der DDR von 1949 aus taktischen Gründen festgeschrieben war. Damit hat sie nicht nur Stalins anfänglich gesamtdeutsche Ambitionen aufgegeben. Wichtiger war es, das Aufbegehren der Menschen gegen ihre rigide Machtpolitik beherrschen zu können. Hatte sie schon den Aufstand vom 17. Juni 1953 als den Versuch einer von außen gesteuerten Konterrevolution diffamiert, so nannte sie die millionenfache „Republikflucht“ gesetzeswidrig. Mit dem gegen die eigene Verfassung gerichteten Mauerbau, der nichts anderes als ein Staatsstreich war, hatte die SED die noch bis 1968 in der Verfassung stehenden Rechte wie Freizügigkeit der Person, Meinungs- und Versammlungsfreiheit, das Recht auf Streik, Vereinigung oder auf Auswanderung, zur Sicherung ihrer Herrschaft kategorisch außer Kraft gesetzt. Gegen Maßnahmen, die der Verfassungsmäßigkeit widersprachen, hatte eigentlich „jedermann das Recht und die Pflicht zum Widerstand“. Nur wer von diesen Rechten Gebrauch machen wollte, brachte sein Leben in Gefahr, und allzuviele haben mit dieser Münze auch bezahlt. Den alleinigen Führungsanspruch hat sich die SED erst im Jahre 1968 mit Artikel 1 einer neuen Verfassung gesichert. Praktisch war das allerdings schon eher geschehen. Am 17. Oktober 1949 hatte sie verfügt, dass alle „Erlasse, Gesetze, Verordnungen oder Beschlüsse“[18] von ihrem Politbüro oder seinem Sekretariat bestätigt werden müssen, noch bevor diese von der Volkskammer oder der Regierung in Kraft gesetzt werden sollten. Der eigentlich „mitregierende“ Block der Parteien blieb dabei ungefragt. 2.2.1 Die Babylonische Gefangenschaft der KPD in der Komintern
Die KPD hatte sich am 1. Januar 1919 aus dem Spartakusbund gegründet. Dieser gehörte zunächst dem linken Flügel der SPD an, bevor er sich im April 1917 der von der SPD abgespaltenen „Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands“, der USPD, angeschlossen hatte. Als Parteiprogramm der KPD galt zunächst ein noch für den Spartakusbund verfasster und in der „Roten Fahne“ am 14. Dezember 1918 veröffentlichter programmatischer Artikel von Rosa Luxemburg1. Obwohl Rosa Luxemburg mit der Oktoberrevolution durchaus sympathisierte und sich auch in ihrer praktischen Parteipolitik von einem separatistisch räterepublikanischen Demokratieverständnis leiten ließ, bestand sie, im Widerstreit zu Lenin, jedoch auf einer Gleichwertigkeit von Demokratie und Sozialismus. Und sie verstand eine sozialistische Partei auch nicht als „Avantgarde der Arbeiterklasse“ in „historischer Mission“, die einen Anspruch auf eine „führende Rolle“ in der Gesellschaft hätte, wie Lenin das tat.2 Sie sah gar ein Scheitern solcher Parteien voraus, die den Kontakt zur proletarischen Basis verlören. Geradezu prophetisch war damals ihre Kritik am bolschewistischen Machtverständnis der Diktatur des Proletariats: „Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei – mögen sie noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit. Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden. Nicht wegen des Fanatismus der ‚Gerechtigkeit‘, sondern weil all das Belebende, Heilsame und Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen hängt und seine Wirkung versagt, wenn die ‚Freiheit‘ zum Privilegium wird.“ Nach Rosa Luxemburgs Warnung wäre dann „die Bürokratie allein das tätige Element, […] im Grunde eine Cliquenwirtschaft, eine Diktatur allerdings, aber nicht die Diktatur des Proletariats, sondern die...