Weidtmann | Interkulturelle Philosophie | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 220 Seiten

Weidtmann Interkulturelle Philosophie

Aufgaben - Dimensionen - Wege
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-8463-3666-3
Verlag: UTB
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Aufgaben - Dimensionen - Wege

E-Book, Deutsch, 220 Seiten

ISBN: 978-3-8463-3666-3
Verlag: UTB
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Heute wird die europäisch-westliche Philosophie endlich auf die Pluralität der Kulturen und auf deren Philosophien aufmerksam. Reflexartig werden diese Philosophien jedoch als bloße Varianten europäisch-westlichen Denkens aufgefasst. Das aber greift zu kurz. Die eigentliche Herausforderung liegt darin, die anderen Erfahrungen, die den außer-europäischen Philosophien zugrunde liegen, ernst zu nehmen und von neuem zu erkennen, dass auch die europäisch-westliche Philosophie ursprünglich auf einer Erfahrung aufruht. In der Begegnung mit anderen Philosophien liegt heute die Chance, diese Erfahrung zu erneuern. Interkulturelle Philosophie ist deshalb mehr als nur eine neue Disziplin der Philosophie. Es geht ihr um eine Selbstbestimmung der Philosophie angesichts der interkulturellen Situation, in der wir heute leben. Der vorliegende Band bietet eine umfassende Einführung in die interkulturelle Philosophie, stellt ihre zentralen Ansätze und Aspekte vor und ordnet diese in den Gang des Denkens durch die Jahrhunderte ein.

Dr. Niels Weidtmann ist Wissenschaftlicher Leiter des Forum Scientiarum und ständiger Lehrbeauftragter des Philosophischen Seminars der Eberhard Karls Universität in Tübingen.
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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Einleitung 7
1. Philosophische Begriffsklärung 23
1.1 Multikulturalität 24
1.2 Transkulturalität 31
1.3 Interkulturalität 39
1.3.1 Ein spielerisches Verständnis von Kultur 43
2. Ansätze und Methoden interkultureller Philosophie
2.1 Einheitstheoretische Ansätze: 52
2.1.1 Universalismus 52
2.1.2 Komparative Philosophie 67
2.1.3 Polylog 72
2.2 Differenztheoretische Ansätze 76
2.2.1 Heimwelt und Fremdwelt 76
2.2.2 Interkulturelle Hermeneutik 82
2.2.3 Dialogphilosophie 87
2.2.4 Differenzdenken 90
2.3 Philosophie der Erfahrung 98
3. Interkulturalität als Stand gegenwärtiger Philosophie 112
3.1 Die europäischen Anfänge der Philosophie: Einheit und Vielheit 122
3.2 Philosophie als Selbstklärung von Mensch und Welt (Neuzeit) 133
3.3 Das Phänomen des Fremden (20. Jahrhundert) 145
3.4 Interkulturalität als Dimension (Gegenwart) 157
4. Aspekte interkultureller Philosophie 169
4.1 Das kulturelle Wesen des Menschen 169
4.2 Das Zwischen 176
4.3 Dimensionalität 182
4.4 Grundphilosophien 191
4.5 Welt und Welten 197
4.6 Kritik und Kritikfähigkeit 206
4.7 Menschlichkeit und Menschenrechte 211
5. Philosophische Begegnung der Kulturen 220
5.1. Ostasien 224
5.2. Arabisch-Islamische Welt 236
5.3. Sub-Sahara Afrika 254
Literatur 270
Personenregister 281


Aufgaben


Zugespitzt formuliert ließe sich behaupten, dass mit dem 21. Jahrhundert ein interkulturelles Zeitalter begonnen hat. War das 20. Jahrhundert noch ganz vom Ende des Weltmachtanspruchs europäischer Staaten und dem Erstarken der USA auf der einen und der Sowjetunion auf der anderen Seite geprägt, so ist diese Zweiteilung seit den 1990er Jahren einer zunehmend multipolar werdenden Welt gewichen. Die weltweite politische Situation ist heute durch die gegenläufigen, aber miteinander zusammenhängenden Entwicklungen einer fortschreitenden Globalisierung auf der einen und zunehmender Regionalisierung auf der anderen Seite geprägt. Zum einen werden jegliche bestehenden Grenzen sowohl durch die immer globaler agierende Wirtschaft als auch durch die modernen Kommunikationsmedien und die dadurch beförderte rasante Internationalisierung nahezu aller Lebensbereiche überschritten. Zum anderen hat der Wegfall der beiden großen Machtblöcke aber auch dazu geführt, dass viele Staaten und Gesellschaften, die bislang an einen der Blöcke gebunden waren, nun ihr Recht auf freie Gestaltung ihrer eigenen Politik und auf Berücksichtigung ihrer eigenen Erfahrungstraditionen eingefordert haben. Besonders deutlich ist das mit Blick auf die Staaten des früheren Ostblocks, aber der Wegfall des Ost-West-Antagonismus hat auch zu einer deutlicheren Wahrnehmung der aufstrebenden asiatischen Mächte, allen voran China und Indien, geführt. Auch die afrikanischen Staaten, von denen die meisten zwar bereits um 1960 die Unabhängigkeit erlangt hatten, haben in den 1990er Jahren eine Renaissance erlebt. Die Globalisierung führt also keinesfalls geradewegs in einen einheitlichen Weltstaat. Vielmehr scheint es fast so zu sein, dass die Aufweichung der bisherigen machtpolitischen Grenzen die Vielfalt gefördert hat. Jedenfalls scheinen die Globalisierung von Wirtschaft und Kommunikation sowie der größer werdende Druck, sich auch im politischen Bereich international zu verständigen, nicht zur Nivellierung von Differenzen zu führen, sondern umgekehrt gerade die Besinnung auf eigene Traditionen, auf eigene Erfahrungen und auf eigene Weltverständnisse von neuem zu ermöglichen (und zu erfordern).

In der Philosophie gilt etwas Ähnliches. Die modernen Kommunikationstechniken haben es zweifellos einfacher gemacht, sich von überall auf der Welt am internationalen Diskurs der Philosophie zu beteiligen und Kenntnisse und Ideen untereinander auszutauschen. Das hat aber nicht einseitig dazu geführt, dass nun überall auf der Welt an den gleichen Konzepten gearbeitet und über die gleichen philosophischen Probleme nachgedacht wird. Vielmehr melden sich zunehmend viele eigenständige Stimmen zu Wort, die sich auf nicht-europäische und nicht-westliche Erfahrungstraditionen berufen und Philosophien entwerfen, die sich nicht in den Bedeutungsrahmen der europäisch-westlichen Philosophietradition einfügen. Will man diese Stimmen nicht einfach ignorieren und sich auf eine Position zurückziehen, die sagt, dass alles, was sich nicht in den Rahmen der europäisch-westlichen Philosophie (einschließlich ihres fortlaufenden, die eigene Tradition darin aber fortsetzenden Wandels) einfügt, eben keine Philosophie sei, dann muss die Philosophie selbst interkulturell werden.

Freilich melden sich hier entschiedene, und das heißt in diesem Zusammenhang philosophische Bedenken. Philosophie ist nicht einfach mit einer bestimmten Tradition des Denkens gleichzusetzen. Dann wäre die Existenz weiterer Philosophien selbstverständlich und ihre Wahrnehmung vergleichsweise unproblematisch. Was wir heute Philosophie nennen, meint aber nicht einfach die intellektuelle Tradition des Abendlandes, sondern die immer wieder neue Erfahrung und Ausarbeitung dessen, was Heraklit als einer der Ersten als die Zusammengehörigkeit des Verschiedenen bezeichnet hat. Die Philosophie hebt im antiken Griechenland um 600 v. Chr. mit der Entdeckung an, dass die Vielfalt dessen, was uns in der Welt begegnet, auf seine Zusammengehörigkeit hin befragt werden kann und dass die Menschen lernen können, diese Zusammengehörigkeit zu sehen. Heraklit ist es auch, der diese Zusammengehörigkeit erstmals als ›Kosmos‹ in dem uns heute so geläufigen Sinn von ›Welt‹ bezeichnet. Held, der diesen Zusammenhang herausgestellt hat, spricht darum im Anschluss an Husserl von einer »Europäisierung der Menschheit«, die nicht darin liegt, dass die ›eine Welt‹ mit Europa gleichgesetzt wird, sondern darin, dass die Griechen die Welt als Einheit von Vielheit erkannt haben. Die von den Griechen entdeckte Welt ist gerade keine spezifisch griechische Welt, sondern meint das Zusammengehören all der verschiedenen kulturellen Lebenswelten, denen die Griechen damals begegnet sind. Die ›eine Welt‹ kann darum, griechisch gesehen, auch nur eine Idee sein. Die Philosophie übersteigt also gerade die bestehenden kulturellen Differenzen und zielt auf eine Zusammengehörigkeit, die die Differenzen nicht nivelliert und den verschiedenen kulturellen Lebenswelten ihr jeweiliges Recht belässt. Wenn die Philosophie den Schritt von den konkreten geschichtlichen Lebenswelten, in denen uns die verschiedenen Kulturen begegnen, zur einen universalen Welt geht, die nicht selber wieder geschichtlich konkret und damit auch nicht selber wieder kulturelle Lebenswelt ist, dann scheint es keinen Sinn zu machen, von einer interkulturellen Vielfalt von Philosophien zu sprechen. Diese Überlegungen müssen ernst genommen werden und dürfen keinesfalls vom Tisch gewischt werden, nur weil es aus anderen, zumeist politisch motivierten Gründen opportun erscheinen mag, jeder Kultur ihre eigene Philosophie zuzuerkennen. Die Philosophie macht ja gerade den Schritt über das Eigene hinaus zum Universalen oder schlicht zum ›Einen‹. Interkulturell wird die Philosophie deshalb nur – und muss es nur werden, wenn sie den Universalitätsanspruch der ursprünglich griechischen und seither europäisch-westlichen Philosophie aufrechterhalten und dennoch die Pluralität von ›Philosophien‹ zeigen kann, die ganz andere Erfahrungen thematisieren, aber ebenso Universalität und Weltcharakter beanspruchen können.

Die entscheidende Aufgabe interkultureller Philosophie lässt sich deshalb mit Waldenfels als das Paradox einer »Universalisierung im Plural« bezeichnen.

Wenn es gelingt, für die interkulturelle Dimension so etwas wie eine »Universalisierung im Plural« zu zeigen, dann gibt es in dieser Dimension gar keine Vielfalt mehr, die in einer Einheit zusammengehören könnte. Die Universalisierung lässt sich nicht nochmals auf eine weitere Universalisierung hin transzendieren. Interkulturell kann es dann also auch nicht um das Zusammenspiel von Einheit und Vielheit gehen. Das kann nur der europäisch-westliche Beitrag zum interkulturellen Gespräch sein. Stattdessen geht es in der interkulturellen Dimension um ein Gespräch zwischen verschiedenen ›Universalisierungen‹ oder, in der griechischen Tradition gesprochen, um ein Gespräch zwischen ›Welten‹. Es kann also nur dann gelingen, eine »Universalisierung im Plural« zu zeigen, wenn es gelingt, ›Welt‹ im Plural zu denken. Oder anders betont: Eine interkulturelle Philosophie brauchen wir nur dann, wenn ›Welt‹ grundsätzlich plural gedacht werden muss. Dann freilich muss die Philosophie um ihrer selbst willen interkulturell werden.

Wir werden das Phänomen der Welt, das die Griechen entdeckt haben, also neu bedenken müssen. Tatsächlich meint die griechische Entdeckung, die eigentlich selbst mehr eine Erfahrung denn eine Entdeckung ist (deshalb sprechen Platon und Aristoteles vom ›Staunen‹ als dem Anfang aller Philosophie), zunächst schlicht die Entdeckung der Zusammengehörigkeit des Vielen. Diese Zusammengehörigkeit können wir als Welt bezeichnen, wenn wir nicht den Fehler machen, darunter etwas zu verstehen, dem das Viele zusammengehört. Welt ist die Zusammengehörigkeit selbst; nichts davon Getrenntes. Gerade weil die Welt nicht ein umfassendes Seiendes ist, das alles andere in sich aufnimmt, sondern die tatsächliche Zusammengehörigkeit des konkret vorfindbaren Vielen, gerade deshalb ist sie ja universalisierbar. Immer gibt es ein Zusammengehören. Darin liegt noch nicht, dass dieses Zusammengehören immer dasselbe ist. Die Griechen entdecken gerade nicht ein spezifisches Zusammengehören (dann läge es in der Logik der griechischen Entdeckung, dass andere Kulturen andere Formen solchen Zusammengehörens entdecken und eigene Philosophien entwickeln), sondern sie entdecken, dass sich immer ein Zusammengehören finden lässt. Das Zusammengehören ist ein universales Prinzip, kein umfassendes Seiendes.

In diesem Sinne hat Rombach gezeigt, dass unsere Erfahrung von Welt davon abhängt, in welcher Zusammengehörigkeit uns die Dinge und Umstände begegnen, mit denen wir zu tun haben und die uns betreffen. Die Welt, die in der Erfahrung aufgeht, ist grundsätzlich situationsabhängig. Das aber nicht deswegen, weil die konkrete Situation eine bestimmte Perspektive auf die Welt bedingen würde, sondern weil Welt nichts von der Erfahrung der Zusammengehörigkeit Unterschiedenes ist. Sie geht an dieser Erfahrung und als diese Erfahrung auf. Stenger hat diese Überlegungen für die...


Weidtmann, Niels
Dr. Niels Weidtmann ist Wissenschaftlicher Leiter des Forum Scientiarum und ständiger Lehrbeauftragter des Philosophischen Seminars der Eberhard Karls Universität in Tübingen.



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