E-Book, Deutsch, 228 Seiten
ISBN: 978-3-17-039756-9
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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Epidemiologie
3.1 Persönlichkeitsstörungen
Epidemiologische Studien gehen in der Allgemeinbevölkerung von einer Prävalenzrate von ca. 10 % für das Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung aus. Die Daten schwanken je nach Studie zwischen 4 % und 20 % (Trull et al. 2010). In Adoleszentenpopulationen werden höhere Prävalenzen berichtet (Johnson et al. 2000). Bei psychiatrischen Patienten sind die Zahlen deutlich höher. Studien (Fydrich et al. 1996; Loranger 1994) berichten hier von einer Prävalenz von 30–50 % bei Erwachsenen und bei Jugendlichen 50–60 % (Becker et al. 1999). Von den spezifischen Persönlichkeitsstörungen treten in der Klinik die (ängstlich-)vermeidende Persönlichkeitsstörung, die zwanghafte Persönlichkeitsstörung und die Borderline-Persönlichkeitsstörung besonders häufig auf (Zimmermann et al. 2005; Walter und Bilke-Hentsch 2020; Benoy und Walter 2022). Die Borderline-Persönlichkeitsstörung wird mit einer Prävalenz von 10 % in der ambulanten und 15–25 % (Gunderson 2009; Kernberg und Michels 2009) in der institutionellen Versorgung auch als häufigste Persönlichkeitsstörung in klinischen Populationen angegeben. Für die Borderline-Persönlichkeitsstörung wird eine Prävalenz von 3 % (Trull et al. 2010) bis 4 % (Kernberg und Michels 2009) in der Allgemeinbevölkerung berichtet. In klinischen Populationen finden sich überwiegend Frauen mit einer Borderline-Störung, nicht aber in Bevölkerungsstudien, in denen Männer und Frauen etwa gleich häufig betroffen sind, was einen Hinweis darauf gibt, dass Frauen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung sich häufiger in Behandlung begeben (Paris et al. 2013). Die Borderline-Persönlichkeitsstörung findet sich seltener in traditionellen Kulturen, aber zunehmend in städtischen Populationen (Paris und Lis 2013). Suchterkrankungen treten bei Männern mit Borderline-Persönlichkeitsstörung häufiger auf (Johnson et al. 2003). Für die narzisstische Persönlichkeitsstörung wird im deutschsprachigen Raum eine Prävalenz von etwa 1 % (Ritter und Lammers 2007; Vater 2013) angegeben. Neuere Studien zeigten eine Lebenszeitprävalenz von 6 % (Walter und Bilke-Hentsch 2020). Dabei sind die Raten für Männer mit 7,7 % etwas höher als für Frauen mit 4,8 % (Stinson et al. 2008). Auch in den meisten klinischen Stichproben ist die Prävalenz der narzisstischen Persönlichkeitsstörung bei Männern größer als bei Frauen (Karterud et al. 2011). Die Studien sprechen dafür, dass dieser Unterschied zwischen Männern und Frauen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung in der Allgemeinbevölkerung und in klinischen Stichproben vorhanden ist, und nicht auf einen (Geschlechts)-Bias zurückzuführen ist (Grijalva et al. 2015). Für die antisoziale Persönlichkeitsstörung reichen die Prävalenzraten je nach Studie von 1–3 % (Gibbon et al. 2010; Torgensen et al. 2001; Coid et al. 2006), die antisoziale Persönlichkeitsstörung ist etwa fünfmal häufiger bei Männern (Paris 2013). 3.2 Suchterkrankungen
Hinsichtlich der Prävalenzraten zeigten Studien, dass ungefähr 48 % der weltweiten Bevölkerung Alkohol konsumieren und 4.5 % illegale Drogen (Walter und Wiesbeck 2009). Die Tabakabhängigkeit und die Alkoholabhängigkeit gelten als die häufigsten Substanzabhängigkeiten mit ungefähr 8 % für die Tabakabhängigkeit bzw. 5 % 12-Monats-Prävalenz für die Alkoholabhängigkeit. In den westlichen Ländern wird von einer Lebenszeitprävalenz für Alkoholabhängigkeit zwischen 7 und 12 % ausgegangen. Für die Drogenabhängigkeit beträgt die Lebenszeitprävalenz 3 %. Die Cannabisabhängigkeit wird mit einer 12-Monats-Prävalenzrate zwischen 1,5 und 2 % angegeben, die Abhängigkeit von Stimulanzien und Opiaten liegt bei 0,3 bis 0,5 % in der Allgemeinbevölkerung (Kessler et al. 2005; McBride et al. 2008). Für die Glücksspielsucht werden ähnlich hohe Prävalenzen erreicht. Deutschlandweit und in internationalen Studien wurden 0,2 bis 0,5 % in Repräsentativumfragen für das pathologische Glücksspiel gefunden (Wölfling et al. 2009). Die Prävalenz für die Internetsucht liegt bei ca. 1 % in der Allgemeinbevölkerung (Rumpf et al. 2014). Studienergebnisse zeigen, dass ca. 2 bis 7 % der regelmäßigen Internetnutzer einen problematischen Umgang bis zu internetsüchtigem Verhalten aufweisen (Wölfling et al. 2009). Bei Studenten steigen die Prävalenzzahlen gegenüber der Allgemeinbevölkerung auf 13 bis 18 % für die Internetsucht (Young und Nabuco de Abreu 2011). 3.3 Komorbidität
Das Risiko, bei bestehender Persönlichkeitsstörung auch an einer zusätzlichen, also komorbiden Suchterkrankung zu leiden, ist um den Faktor fünf für alkoholbezogene Störungen und um den Faktor zwölf für die drogenbezogenen Störungen erhöht (Trull et al. 2010). In einer Übersichtsarbeit zur Komorbidität von Persönlichkeitsstörungen bei Patienten mit Suchterkrankungen zeigten die Studien eine Prävalenzrate zwischen 34 und 73 % (Verheul 2001). Es kann mittlerweile davon ausgegangen werden, dass je nach untersuchter Stichprobe und zugrundeliegender Suchterkrankung ungefähr jeder zweite Patient neben der Diagnose einer Suchterkrankung auch die einer oder mehrerer Persönlichkeitsstörungen hat. In einer Stichprobe mit Borderline-Persönlichkeitsstörung hatten die Hälfte der Patienten auch eine alkohol- und/oder eine drogenbezogene Störung (McGlashan et al. 2000). Tatsächlich wurde das gemeinsame Auftreten von Suchterkrankungen und Cluster-B-Persönlichkeitsstörungen besonders häufig berichtet (Skodol et al. 1999; Walter et al. 2009a; Köck und Walter 2018). Bei Patienten mit Alkoholabhängigkeit wurden verschiedene spezifische Persönlichkeitsstörungen festgestellt, darunter neben der Borderline-Persönlichkeitsstörung auch die narzisstische, die zwanghafte und die paranoide Persönlichkeitsstörung. Das Auftreten einer oder mehrerer Persönlichkeitsstörungen hatte einen positiven Zusammenhang mit der Schwere der Suchtproblematik (Preuss et al. 2009). Bei Patienten mit Alkoholabhängigkeit und Cannabis-bezogenen Störungen wurden neben der schizotypischen Persönlichkeitsstörung die Borderline-Persönlichkeitsstörung und die antisoziale Persönlichkeitsstörung häufig diagnostiziert (Hasin et al. 2011). Es bleibt festzuhalten, dass die Komorbidität zwischen Suchterkrankung und Persönlichkeitsstörung häufig ist, insbesondere und je nach Stichprobe die Borderline-Persönlichkeitsstörung und die antisoziale Persönlichkeitsstörung betrifft und häufig mit einer schweren Suchtproblematik verbunden ist. Zusätzlich gibt es derzeit auch deutliche Hinweise dafür, dass, auch wenn sich die Art der Persönlichkeitsstörung zwischen Alkohol- und Drogenabhängigkeit nicht wesentlich unterscheidet, bei drogenabhängigen Patienten die Prävalenz für eine spezifische komorbide Persönlichkeitsstörung aber möglicherweise noch etwas höher ist als bei alkoholabhängigen Patienten (Colpaert et al. 2012). So haben in einer brasilianischen Studie auch 25 % der Crack-Kokain-Konsumenten, aber nur 9 % der Alkohol- und Cannabis-Konsumenten eine zusätzliche antisoziale Persönlichkeitsstörung (Paim Kessler et al. 2012). In einer Studie mit heroinsubstituierten Patienten hatten 27 % eine komorbide antisoziale Persönlichkeitsstörung (Dammann et al. 2017). Kritisch bleibt jedoch anzumerken, dass die standardisierten Interviews zur Diagnostik der Persönlichkeitsstörungen ein delinquentes Verhalten erfassen, das bei der Abhängigkeit von Heroin oder Kokain beinahe regelhaft zu finden ist und als sog. »Beschaffungskriminalität« im Rahmen der Suchterkrankung zu werten ist und kein antisoziales/psychopathisches Verhalten im engeren Sinn darstellt, welches typischerweise mit Aggressivität, fehlender Empathie und Rücksichtslosigkeit verbunden ist (Walter et al. 2011). Wie bei den Suchterkrankungen scheint auch die Komorbidität von Persönlichkeitsstörung und pathologischem Glücksspiel besonders häufig aufzutreten. Es wurden erhöhte Prävalenzen für narzisstische Persönlichkeitsstörung und Borderline-Persönlichkeitsstörung festgestellt (Saez-Abad et al. 2008). Bagby et al. (2008) fanden auch nach Kontrolle für zusätzliche psychische...