E-Book, Deutsch, 268 Seiten
Vollmann Patientenselbstbestimmung und Selbstbestimmungsfähigkeit
1. Auflage 2008
ISBN: 978-3-17-026664-3
Verlag: Kohlhammer
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Beiträge zur Klinischen Ethik
E-Book, Deutsch, 268 Seiten
ISBN: 978-3-17-026664-3
Verlag: Kohlhammer
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Der selbstbestimmte Wille des Patienten hat in der modernen Medizin eine zentrale ethische Bedeutung. Erkrankungen im Bereich der Psychiatrie, Neurologie, Geriatrie, aber auch der Kinderheilkunde sowie der Notfall- und Intensivmedizin können jedoch die Selbstbestimmungsfähigkeit des Kranken beeinträchtigen. In diesen Situationen besteht in der klinischen Praxis oft Unsicherheit über die Gültigkeit des Patientenwillens. Die versammelten Beiträge geben eine Einführung in die medizinethische Problematik und eine praktische Hilfe bei der Feststellung der Selbstbestimmungsfähigkeit von Patienten.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1;Deckblatt;1
2;Titelseite;4
3;Impressum;5
4;Inhalt;6
5;Einleitung ;8
6;Patientenselbstbestimmung in der Medizin;14
6.1;1. Aufklärung und Einwilligung von Patienten in der Medizin: Klinische Praxis – Medizinethik – Gesundheitsökonomie ;14
6.2;2. Das Informed Consent-Konzept als Politikum in der Medizin. Patientenaufklärung und Einwilligung aus historischer und medizinethischer Perspektive ;24
6.3;3. Aufklärung und Einwilligung (Informed Consent) in der klinischen Praxis ;45
7;Modelle und Konzeptionen;55
7.1;4. Die Selbstbestimmung von Patienten in der psychiatrischen Praxis. Ein medizinethisches Modell und seine praktische Umsetzung;55
7.2;5. Selbstbestimmungsfähigkeit als relationales Modell? Klinische Praxis und medizinethische Analyse ;63
7.3;6. Ein kognitionsbasierter Ansatz zur Feststellung der Selbstbestimmungsfähigkeit in der Psychiatrie. Eine medizinethische Kritik des MacCAT-T;74
7.4;7. Konzeptionelle und methodische Fragen bei der Feststellung der Selbstbestimmungsfähigkeit von Kindern;85
8;Empirische Untersuchungen;95
8.1;8. Aufklärung und Einwilligung zur Psychopharmakotherapie aus der Sicht schizophrener und depressiver Patienten. Eine empirische Untersuchung aus der klinischen Medizinethik;95
8.2;9. Selbstbestimmungsfähigkeit bei psychisch Kranken. Eine Übersicht empirischer Untersuchungen ;106
8.3;10. Die Selbstbestimmungsfähigkeit von Patienten mit Demenz, Depression und Schizophrenie bei Therapieentscheidungen. Empirische Daten einer formalen und klinischen Untersuchung;123
8.4;11. Selbstbestimmungsfähigkeit und neuropsychologische Einschränkungen bei dementen Patienten ;135
9;Selbstbestimmungsfähigkeit am Lebensende;146
9.1;12. Ärztliche Lebensbeendigung und Patientenselbstbestimmung ;146
9.2;13. Chancen und Risiken von Patientenverfügungen bei dementiellen Störungen ;155
9.3;14. Patientenselbstbestimmung und »aktive Sterbehilfe« – klinische und ethische Probleme ;172
9.4;15. Ärztliche Assistenz zur Selbsttötung. Ethische, rechtliche und klinische Aspekte ;183
9.5;16. Ärztliche Beihilfe zum Suizid bei AIDS-Patienten in den USA. Eine qualitative Interview-Studie über professionelle Ethik und Praxis im Wandel ;192
9.6;17. Einstellungen von Psychiatern zur ärztlichen Beihilfe zum Suizid. Eine Übersicht empirischer Studien ;210
10;Ausblick: Klinische Ethik ;226
11;Anhang;236
12;Deutsche Fassungen der Test-Instrumente:;238
12.1;1. MacArthur Competence Assessment Tool – Treatment (MacCAT-T);238
12.1.1;1.1 Formular allgemein ;238
12.1.2;1.2 Formular Alzheimer Demenz (A) ;244
12.1.3;1.3 Formular Depression (D);250
12.1.4;1.4 Formular Schizophrenie (S) ;256
12.1.5;2.1 Informationsblatt für Patient ;262
12.1.6;2.2 Fragebogen: Hopkins Competency Assessment Test (HCAT) ;263
12.2;3. Fragebogen: Subjektive Wahrnehmung des Informed Consent-Prozesses durch den Patienten ;264
12.3;4. Dokumentationsblatt/Gesamtauswertungsbogen ;267
13;Textnachweise ;268
Einleitung
Bei Entscheidungen in der modernen Medizin hat der selbstbestimmte Wille des Patienten1 an Bedeutung gewonnen. Das traditionelle paternalistische Arzt-Patient-Verhältnis wird zunehmend von einem Prozess der gemeinsamen Entscheidungsfindung von Arzt und Patient (shared decision making) abgelöst. Eine selbstbestimmte Patientenentscheidung setzt jedoch voraus, dass der Patient in der Lage ist, eine autonome Entscheidung zu treffen. Diese Voraussetzung für eine autonome Patientenentscheidung wird Selbstbestimmungsfähigkeit oder auch Einwilligungsfähigkeit genannt. Der Begriff Einwilligungsfähigkeit stammt aus der juristischen Literatur, während der neuere Begriff Selbstbestimmungsfähigkeit häufig in der medizinethischen Literatur verwendet wird. Im englischsprachigen Raum werden die Termini mental competence und mental capacity benutzt. In diesem Buch werden die Begriffe Selbstbestimmungsfähigkeit und Einwilligungsfähigkeit synonym verwendet. In der medizinischen Praxis wird grundsätzlich von der Selbstbestimmungsfähigkeit eines Patienten ausgegangen, es sei denn, es ergeben sich aufgrund des Verhaltens des Patienten begründete Zweifel, ob er seinen Willen selbst bestimmen kann. Diese Fragestellung tritt in allen Gebieten der Medizin, besonders jedoch bei Patienten in der Psychiatrie, Neurologie und Geriatrie, aber auch in der Kinderheilkunde, Notfallmedizin und Intensivmedizin auf. Zunehmend häufig stellt sich die Frage der Selbstbestimmungsfähigkeit bei Patienten mit dementiellen Erkrankungen. In diesen Situationen muss geprüft werden, ob der individuelle Patient zu einem konkreten Zeitpunkt bezüglich einer konkreten Entscheidung in der Lage ist, seinen Willen autonom zu bestimmen, denn dies ist Voraussetzung dafür, dass Ärzte, Pflegende, Angehörige etc. die Willensäußerung des Patienten als selbstbestimmt und deshalb ethisch wie rechtlich beachtlich zu respektieren haben. Dagegen kann z. B. ein Patient, der unter Wahnvorstellungen und akustischen Halluzinationen leidet, seine Selbstbestimmungsfähigkeit bezüglich einer psychopharmakologischen Behandlungsentscheidungen verloren haben, so dass er nicht in der Lage ist, eine selbstbestimmte Entscheidung zu treffen. Im Gegensatz zum ethisch wie rechtlich zu respektierenden selbstbestimmten Patientenwillen können sog. »natürliche« Willensäußerungen eines nicht einwilligungsfähigen Patienten vom Arzt übergangen werden, insbesondere wenn Leben und Gesundheit des Patienten in Gefahr sind und der Kranke sich durch sein nicht selbstbestimmtes Verhalten schadet. In diesen Spannungs- und Konfliktsituationen der ärztlichen Praxis stellt sich die ethische Frage nach dem angemessenen Umgang mit dem Patientenwillen. Daher kommt der Definition, Konzeptionalisierung und verlässlichen Feststellung der Selbstbestimmungsfähigkeit von Patienten sowohl eine wichtige ethisch-rechtliche als auch klinisch-praktische Bedeutung zu. Der vorliegende Band versammelt wissenschaftliche Publikationen zum Themenbereich Patientenselbstbestimmung und Selbstbestimmungsfähigkeit. Die Beiträge aus den vergangenen zehn Jahren wurden erstmals in deutsch- und englischsprachigen Zeitschriften und Sammelbänden in den Bereichen Medizinethik, angewandte Ethik, medizinische Psychologie, Psychiatrie und Neurologie publiziert. Im Rahmen meiner wissenschaftlichen Vortragstätigkeit sowie auf Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen bin ich wiederholt von ärztlichen Kollegen und anderen Gesundheitsberufen auf eine wissenschaftlich fundierte und praxisrelevante deutschsprachige Publikation zum Themenfeld Patientenselbstbestimmung und Selbstbestimmungsfähigkeit angesprochen worden. Im vorliegenden Band sind die an unterschiedlichen Orten publizierten Beiträge zusammengefasst und bei Bedarf aktualisiert, erweitert und ggf. übersetzt worden. Jeder Beitrag kann auch für sich allein gelesen werden. Die Einzelbeiträge sind in vier Themenbereiche gegliedert und werden durch einen Ausblick und einen Anhang mit den verwendeten und ins deutsche übersetzten Untersuchungsinstrumenten ergänzt. Im ersten Themenbereich »Patientenselbstbestimmung in der Medizin« wird eine Einführung in die Problematik Aufklärung und Einwilligung von Patienten in der Medizin aus historischer, ethischer, rechtlicher, klinischer und gesundheitsökonomischer Perspektive gegeben. Dabei wird deutlich, dass das Konzept von Aufklärung und Einwilligung (Informed Consent) in der Geschichte der Medizin ein relativ neues Konzept darstellt, das gesellschaftlich häufig gegen den Widerstand der Medizin durchgesetzt werden musste. Eine übersichtartige Darstellung des historischen Entwicklungsprozesses und der damit einhergehenden ethischen Argumentation machen die komplexe und vielfältige Entwicklungsgeschichte des Informed Consent deutlich. Hierbei haben stets rechtliche und zunehmend auch gesundheitsökonomische Faktoren eine wichtige Rolle gespielt. Heute ist in den westlichen Ländern weitgehend akzeptiert, dass Aufklärung und Einwilligung des Patienten aus ethischer wie rechtlicher Sicht Voraussetzung für ärztliches Handeln in Therapie und Forschung darstellen. Zum Informed Consent gehören Informationsvermittlung sowie Informationsverständnis des Patienten, seine Selbstbestimmungsfähigkeit und eine freie Entscheidungsmöglichkeit. Im zweiten Themenbereich werden Modelle und Konzeptionen von Selbstbestimmungs- bzw. Einwilligungsfähigkeit dargestellt. Das erste Kapitel beschreibt ein medizinethisches Modell, mit dem das Konzept von Selbstbestimmungsfähigkeit in der psychiatrischen Praxis umgesetzt werden kann. Anschließend wird Einwilligungsfähigkeit als relationales Modell aufgefasst und die Vor- und Nachteile dieser Konzeption diskutiert. Verschiedene Modelle und empirische Testmöglichkeiten von Selbstbestimmungsfähigkeit sind in den letzten Jahren entwickelt worden, worunter der MacArthur Competence Assessment Test (MacCAT) besondere Aufmerksamkeit und Anerkennung gefunden hat und international als Goldstandard für die formale Feststellung von Einwilligungsfähigkeit gilt. Der MacCAT überprüft insbesondere kognitive Fähigkeiten bei der Feststellung von Selbstbestimmungsfähigkeit in der Medizin, wobei voluntative, narrative, phänomenologische und andere Aspekte nicht berücksichtigt werden. Die darüber entstandene Diskussion wird nachgezeichnet und eine philosophische Kritik des MacCAT-T gegeben. Abschließend werden konzeptionelle und methodische Fragen bei der Feststellung von Einwilligungsfähigkeit bei Kindern diskutiert. Der Abschnitt »Empirische Untersuchungen« besteht aus vier Studien zur Aufklärung und Einwilligung sowie zur Einwilligungsfähigkeit, die in den vergangenen Jahren von meiner Arbeitsgruppe mit psychisch Kranken durchgeführt wurden. In der ersten empirischen Untersuchung wurden Patienten, die an einer schizophrenen Psychose beziehungsweise an einer Depression litten, nach ihrer Wahrnehmung der Aufklärung und Einwilligung zu ihrer Psychopharmakotherapie befragt. Die folgenden drei Beiträge beschäftigen sich mit der Selbstbestimmungsfähigkeit von psychisch Kranken. Nach einer Übersicht über empirische Untersuchungen zur Einwilligungsfähigkeit werden zwei empirische Studien vorgestellt. In der ersten Arbeit wurde die Selbstbestimmungsfähigkeit zur Einwilligung in eine psychopharmakologische Behandlung bei Patienten mit Schizophrenie, Depression und Demenz untersucht. Dabei erfolgte die formale Prüfung der Einwilligungsfähigkeit mit dem MacCAT-T und parallel mittels einer klinischen Prüfung anhand der Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit durch die behandelnden Ärzte. In dieser vergleichenden Untersuchung werden sowohl die drei Diagnosegruppen als auch die Ergebnisse der formalen und der klinischen Prüfung gegenübergestellt. In der zweiten Studie zur Einwilligungsfähigkeit bei dementen Patienten werden die mit dem MacCAT-T ermittelten Ergebnisse der formalen Einwilligungsfähigkeitstestung mit den Ergebnissen der neuropsychologischen Testung verglichen und diskutiert. Im Rahmen der kontroversen gesellschaftlichen Debatte zur Selbstbestimmung am Lebensende hat die Frage der Selbstbestimmungsfähigkeit von Patienten in dieser Lebenssituation an Bedeutung gewonnen. Während zahlreiche Untersuchungen zur Selbstbestimmungsfähigkeit in den oben genannten Bereichen der Psychiatrie und Geriatrie vorliegen, wurde die Selbstbestimmungsfähigkeit von Patienten am Lebensende bisher kaum untersucht. Dabei stellt sich die Problematik der Selbstbestimmungsfähigkeit bei Therapieentscheidungen am Lebensende als immer drängender Problembereich in der ethischen Diskussion und klinischen Praxis dar. Besonders von in der Onkologie und Palliativmedizin erfahrenen Konsiliarpsychiatern wird auf die Problematik der Selbstbestimmungsunfähigkeit bei schwer körperlich Kranken am Lebensende hingewiesen. Nach einer einführenden Stellungnahme zum Spannungsfeld von ärztlicher Lebensbeendigung und Patientenselbstbestimmung werden die Chancen und Risiken von Patientenverfügungen bei dementen Patienten untersucht. Die Problematik der eingeschränkten Selbstbestimmungsfähigkeit bei körperlich schwer kranken Patienten im Kontext der sog. aktiven Sterbehilfe wird auf der Grundlage von empirischen Daten aus den Niederlanden und aus psychiatrischen Untersuchungen kritisch diskutiert. Die abschließenden drei Kapitel untersuchen die neuerdings auch in Deutschland verstärkt diskutierte ärztliche Assistenz zur Selbsttötung des Patienten. Nach einer aktuellen Darstellung der ethischen, rechtlichen und klinischen Aspekte wird die Praxis der ärztlichen Beihilfe zum Suizid bei AIDS-Patienten...