E-Book, Deutsch, 472 Seiten
Reihe: wbg Paperback
Urbach Hitlers heimliche Helfer
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-534-74741-2
Verlag: wbg Edition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Adel im Dienst der Macht
E-Book, Deutsch, 472 Seiten
Reihe: wbg Paperback
ISBN: 978-3-534-74741-2
Verlag: wbg Edition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Karina Urbach forscht am Institute for Advanced Study, Princeton. Sie wurde mit dem bayerischen Habilitationsförderpreis ausgezeichnet und für ihre Biographie über Queen Viktorias hochgelobt. Ihr neues Buch über den europäischen Adel unter Hitler ist nicht nur originell, sondern zugleich wegweisend für die Analyse informeller diplomatischer Netzwerke.
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KAPITEL 1
Go-Betweens oder was sind heimliche Helfer?
In L. P. Hartleys Roman Der Go-Between benutzt ein Liebespaar einen 12-jährigen Jungen als geheimen Briefboten. Die Affäre wird aufgedeckt und endet für alle Beteiligten tragisch.
Im Laufe unseres Lebens sind wir alle auf die eine oder andere Weise einmal Go-Betweens gewesen. Vielleicht haben wir nach einem Streit oder Missverständnis Nachrichten für unsere Eltern oder Freunde überbracht. Doch Go-Betweens existieren nicht nur im privaten Bereich, sie werden – gut versteckt vor der Öffentlichkeit – auch in der Politik eingesetzt. Sie arbeiten an Orten, an denen offizielle Kanäle versagt haben.
Der Begriff „Go-Between“ ist erklärungsbedürftig. Außerhalb der Belletristik spielt er bisher nur in der sozialwissenschaftlichen Netzwerkanalyse eine Rolle: „Wer es schafft, sich innerhalb einer Organisation mit seinen Netzverbindungen als Mittler zwischen ansonsten nicht vernetzten Individuen und Gruppen zu betätigen, kann davon durchaus profitieren.“1 Genau diese Vorteile sind es natürlich, die die Go-Betweens motivieren.
Historiker und Politikwissenschaftler wissen sehr viel über die offizielle Seite der Diplomatie, mit der inoffiziellen Seite beschäftigen sie sich dagegen weniger. Das ist ein Versäumnis, denn es gibt viele Dinge, die Politiker nicht schriftlich niederlegen wollen. Entsprechend lückenhaft ist das Gesamtbild für Historiker. Fernab von den Augen der Öffentlichkeit wollen Politiker häufig Botschaften an ihre Verhandlungspartner schicken, die geheim bleiben sollen und die sich von ihren öffentlichen Äußerungen unterscheiden; im Extremfall sogar das genaue Gegenteil darstellen. Es ist ein Balanceakt, und genau für diesen benötigen Politiker Go-Betweens, die heimlichen Helfer. Doch bis heute gibt es für diese Methode der inoffiziellen Kanäle keine einheitliche Terminologie. In Deutschland nennt man es „Substitutionsdiplomatie“, „persönliche Diplomatie“ oder „Geheimdiplomatie“. Die Briten bezeichnen diese Arbeit als „backroom diplomacy“ oder „unofficial contacts“ und die Amerikaner nennen es „track II“ oder „back channels“.2
Im Folgenden wird für diese Arbeit sowohl der englische Begriff „Go-Between“ als auch die deutsche Übersetzung „heimliche Helfer“ benutzt werden.
Da diese heimlichen Helfer weder eine genau definierte Berufsbezeichnung noch einen offiziellen Status innehaben, könnte man sie leicht als irrelevant abtun. Es ist verständlich, dass sie bislang übersehen wurden. Bei Gipfelgesprächen und wichtigen Vertragsabschlüssen sind Politiker und Diplomaten auf dem Abschlussfoto zu sehen und sie sind es auch, die später die meiste Aufmerksamkeit der Historiker erhalten. Doch wenn man die Blende erweitert, finden sich abseits des Rampenlichts andere Gestalten. Es sind diese Gestalten, die kamerascheuen Männer und Frauen, die im Mittelpunkt dieses Buches stehen werden.
Heimliche Helfer arbeiten in den Vorzimmern der Macht. Sie sind nicht Teil der Regierung oder des Parlaments, d. h. sie haben kein offizielles Amt inne, unterstehen keiner Hierarchie und sind demzufolge keiner Kontrolle ausgesetzt. Sie arbeiten „schwarz“ und alles, was sie sagen, ist „off the record“, d. h. nicht zitierbar und nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Rechenschaft müssen sie nur ihrem Auftraggeber ablegen. In der Regel handelt es sich bei diesem Auftraggeber um das Regierungsoberhaupt, das unter Umgehung anderer Mitglieder der Regierung handelt.
Auch wenn es einige Gemeinsamkeiten gibt, sind die heimlichen Helfer keine Lobbyisten oder Mediatoren. Mediatoren müssen unparteiisch sein, heimliche Helfer hingegen werden von einer Person eingesetzt und vertreten daher allein die Interessen dieser Person. Sie sind auch keine Lobbyisten. Lobbyisten arbeiten für eine Gruppe von Leuten und versuchen eine zweckgerichtete Beziehung zu ihrer „Zielperson“ aufzubauen, um ihr Anliegen voranzubringen. Die heimlichen Helfer hingegen kennen ihre „Zielperson“ bereits aus einem ganz anderen Kontext. Beide verbindet eine gemeinsame Geschichte. Ein aktueller Go-Between erklärte dies folgendermaßen: „Ich kannte XY bereits gut. Als ich ihn ansprach, zeigte er sich sofort aufgeschlossen, denn wir kannten einander aus einem anderen Zusammenhang.“
In gewisser Weise sind adelige Go-Betweens ein Rückgriff auf die Ad-hoc-Diplomatie, die erst 1626 mit der Institutionalisierung des diplomatischen Dienstes durch Kardinal Richelieu beendet wurde. Bis dahin waren Botschafter oft Blutsverwandte der Herrscher gewesen (oder diese Verbindung wurde künstlich geschaffen, was zu dem Ausdruck ambassador de sang führte). Mit Richelieu setzte eine Professionalisierung ein und das neue Konzept brachte es mit sich, dass man nicht nur Diplomaten zu besonderen Anlässen aussandte, sondern in anderen Ländern ständige Vertreter unterhielt, die für eine Kontinuität in den diplomatischen Beziehungen sorgten.3
Sind Go-Betweens also nur eine überflüssige Retro-Erscheinung, ein atavistisches Abbild der Zustände vor Richelieu? So wollen es uns zumindest einige glauben machen. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz des Jahres 2007 vertrat Vladimir Putin die Ansicht, dass „das System der Internationalen Beziehungen der Mathematik gleicht. Es gibt keine persönlichen Dimensionen.“4
Tatsächlich unterscheiden sich Internationale Beziehungen stark von persönlichen Beziehungen, wie jeder Politiker, der sich über diesem Punkt im Unklaren ist, auf eigene Gefahr herausfinden wird. Nationale oder ideologische Interessen wiegen nach wie vor schwerer als die treueste Partnerschaft. Aber das bedeutet mitnichten, dass persönliche Elemente keine Rolle spielen. Go-Betweens stehen für eben diese persönlichen Elemente und machen sie sich zunutze. Die internationalen Beziehungen sind für sie ganz buchstäblich ihre eigenen persönlichen Beziehungen.
Ihre Arbeit basiert auf der Annahme, dass der Mensch nur in einer idealen Welt ständig rational handelt. Kultureller und sozialer Hintergrund, Gruppenzwang und Emotionen – all das beeinflusst politische Entscheidungsprozesse. Und es sind genau diese Faktoren, die die heimlichen Helfer ansprechen können.
Ausgewählt wurden für solche Missionen bis 1939 europäisch vernetzte Hochadelige (später kamen internationale Geschäftsleute und Journalisten hinzu). Hochadelige waren für diese Aufgabe vor allem deshalb ideal, weil sie mit anderen europäischen Eliten verwandt oder befreundet waren.
Lange Zeit wurde angenommen, dass mit dem Aufstieg des Bürgertums im 19. Jahrhundert die Handlungsspieläume des Adels sukzessive verschwanden. Was man heute als Schicksal für die Globalisierungsverlierer voraussieht, diagnostizierten Literaten im 19. Jahrhundert für den Adel. Er galt als der große Modernisierungsverlierer, und sein Zustand wurde mit zahlreichen Verfallsmotiven umschrieben. Doch eine vormals so mächtige Gruppe hört nicht über Nacht auf, zu existieren. Sie sucht sich neue Nischen – und eine dieser Nischen war die Geheimdiplomatie. Ihr internationales Netzwerk war dafür die ideale Voraussetzung. Es war organisch über mehrere Generationen gewachsen und hatte ihr immer viele Vorteile eingebracht. In der Frühen Neuzeit war es nicht unüblich gewesen, dass Adlige in verschiedenen Lebensstadien unterschiedliche Heimaten hatten. Prinz Karl Heinrich von Nassau-Siegen beispielsweise war als Sohn einer deutsch-niederländischen Familie in Frankreich geboren worden, wurde ein Grande von Spanien, heiratete eine polnische Gräfin und war bis 1794 als Admiral in russischen Diensten.5
Adlige Familien verhielten sich seit Jahrhunderten wie Fondsmanager, die ihre Investitionen gut streuten: Sie verheirateten ihre Kinder in andere Länder oder schickten sie dorthin in den Militärdienst, um dadurch der Familie neue (internationale) Zweige hinzuzufügen. Folglich wurden viele Adelige zu Experten für Länder, die damals eher als „obskur“ galten. Der Bruder des deutschen Fürsten Wilhelm von Hohenzollern-Sigmaringen (1864–1927) beispielsweise war König von Rumänien und Fürst Wilhelm kannte sich dadurch in der rumänischen Gesellschaft bestens aus. Wie wir sehen werden, wurde er aus diesem Grund im Ersten Weltkrieg als heimlicher Helfer eingesetzt. Gleiches galt für den Go-Between Prinz Max zu Hohenlohe zwanzig Jahre später. Hohenlohe arbeitete für die Nazis als Geheimkanal in der Tschechoslowakei. Er sah seine Familie als durch und durch international, schließlich waren aus ihr hervorgegangen: „ein deutscher Kanzler, ein französischer Hofmarschall, ein römischkatholischer Kardinal, diverse österreichisch-ungarische Feldmarschälle, mehrere Generäle von Preußen und Baden sowie Marschälle von Württemberg und ein...