Thorbecke | Eine rekonstruktive Annäherung an Critical Literacy | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 264 Seiten

Reihe: Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik

Thorbecke Eine rekonstruktive Annäherung an Critical Literacy

Dokumentarische Analyse von Kleingruppengesprächen im Englischunterricht einer zehnten Klasse
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-381-14113-5
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Dokumentarische Analyse von Kleingruppengesprächen im Englischunterricht einer zehnten Klasse

E-Book, Deutsch, 264 Seiten

Reihe: Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik

ISBN: 978-3-381-14113-5
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Sprache ist Macht - und der Schlüssel zu gesellschaftlicher Teilhabe. Genau hier setzt Critical Literacy an: Schüler:innen sollen lernen, sprachliche Machtstrukturen kritisch zu hinterfragen und so gesellschaftliche Zusammenhänge zu verstehen und zu verändern. Dieses Buch untersucht erstmals, wie dieses Bildungsversprechen im Unterricht eingelöst werden kann. Die Autorin analysiert dokumentarisch, wie Schüler:innen mit Aufgaben zur Konsumkritik umgehen und inwiefern dabei Irritationen entstehen als mögliche Auslöser von Bildung. Dabei zeigt sich: Gleichberechtigte Interaktion und kreative Zugänge fördern Critical Literacy, während andere in der Theorie wichtige Elemente weniger relevant sind. Aus diesen praxisnahen Einblicken zieht die Autorin wertvolle Implikationen für Forschung und Lehrer:innenbildung. Das Buch richtet sich an alle, die an der Gestaltung eines emanzipativen Fremdsprachenunterrichts interessiert sind.

Dr. Karoline Thorbecke ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Arbeitsbereich Englischdidaktik an der Universität Bremen.
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I Einleitung


Englischunterricht ist kein Sprachkurs – Englischunterricht ist ein Fach mit Bildungsauftrag, welches Schüler*innen1 zur gesellschaftlichen Teilhabe befähigen soll (KMK, 2023, S. 6). Aber was meint dieser Bildungsauftrag? Diese Frage bewegte mich nach Ende meines Vorbereitungsdienstes als Englischlehrerin an einer Hamburger Stadtteilschule. Entlastet vom Prüfungsdruck des Referendariats begann ich mich zu fragen, welchen gesellschaftlichen Beitrag ich mit meinem Englischunterricht leisten könnte, jenseits der Vermittlung funktional-fremdsprachlicher Kompetenzen. Inwiefern kann Englischunterricht junge Menschen dabei unterstützen, sich in der Vielstimmigkeit, Multimodalität und Informationsflut unserer digitalisierten Weltgesellschaft zurecht zu finden, sie vor Täuschung und Manipulation bewahren? Wie kann Englischunterricht Schüler*innen dabei helfen, ein Interesse an und eine begründete Haltung zu den komplexen Problemlagen unserer Gegenwart zu entwickeln und dabei selbstbewusst auf die eigene Handlungsfähigkeit zu vertrauen? Was brauchen Jugendliche, um zu emanzipierten Bürger*innen in der globalisierten Welt heranwachsen zu können?

Dieser an mich als Lehrperson gerichtete Bildungsauftrag erschien mir überfordernd und reizvoll, „unverfügbar“ (Rosa, 2018) und lockend zugleich – ich war „disorientiert“ (Mezirow, 1991), wenn nicht gar „irritiert“ (Bähr et al., 2019a) in den Begrifflichkeiten der transformatorischen Bildungsforschung sprechend: Ich befand mich also am Beginn eines Bildungsprozesses, in welchem sich meine Sicht auf Englischunterricht transformieren würde – auch wenn ich das zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnte.

Mich der Herausforderung der Erforschung des an mich gerichteten Bildungsauftrages zu stellen, erschien mir damals um so dringlicher geboten, als dass die Jugendbewegung gegründet wurde, in der sich die Verzweiflung über die zahlreichen globalen Umweltprobleme der jungen Generation entlud. Jedoch wurde mir schnell bewusst, dass offizielle Dokumente wie der Orientierungsrahmen für nachhaltige Entwicklung (KMK & BMZ, 2016) zwar allgemeine pädagogische Leitlinien für die Integration von umweltbezogenen Themen in den verschiedenen Fächern boten, es jedoch an konkreten Konzepten fehlte, wie Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) im Fremdsprachenunterricht umgesetzt werden könnte (Bartosch (2018); Rosenau (2018)). Auch wenn die Art und Weise, wie ökologische Themen erzählt werden, beeinflussen kann, inwiefern wir wissenschaftlichen Fakten und politischen Maßnahmen Vertrauen schenken, werden in Materialien und Rahmenplänen literarisches, sprachliches und kulturelles Lernen oft als etwas betrachtet „that occurs additionally, after the basic scientific facts have been established”, wie Bartosch und Ludwig (2022, S. 6) kritisieren. Dabei fungiert Sprache zumeist lediglich als Instrument zur Informationsbeschaffung und -weitergabe, ohne dass die Schüler*innen zur Reflexion über die englische Sprache angeregt würden, z. B. im praktischen Unterrichtsvorschlag für den modernen Fremdsprachenunterricht des Orientierungsrahmens für nachhaltige Entwicklung (KMK & BMZ, 2016, S. 165–175).

Auf meiner Suche nach einem sprachbewussten didaktischen Ansatz mit sozial-emanzipativen Anspruch erweckte mein Interesse, denn will Lernende befähigen, diskursive Machtstrukturen zu reflektieren, zu kritisieren und zu verändern (Gee, 2012). Obwohl erst in den letzten 15 Jahren Eingang in die verschiedenen Fremdsprachendidaktiken gefunden hat (Abednia & Crookes, 2018, S. 11) und jüngst eine neue Blüte in der deutschsprachigen Fremdsprachendidaktik erlebt (Leonhardt und Viebrock (2020b); Gerlach (2020a)), blickt das Konzept bereits auf eine lange Geschichte im muttersprachlichen Englischunterricht zurück, die eine Vielzahl an verschiedenen Definitionen hervorgebracht hat. Laut Ávila und Zacher Pandya (2013b, S. 2) herrscht jedoch weitgehend Konsens über die zwei Hauptziele des Ansatzes:

the main, underlying goal of critical literacies praxis is twofold: to investigate manifestations of power relations in texts, and to design, and in some cases redesign, texts in ways that serve other, less powerful interests. (Ávila & Pandya, 2013b, S. 2)

Kritische Diskursanalyse – oder im schulische Kontext „Critical Language Awareness“ (Fehling, 2008) – soll Rezipient*innen befähigen, implizite Perspektivierungen, Machtstrukturen, Normalitätsvorstellungen und Ideologien in Texten auf einer Meta-Ebene zu explizieren (Jones, 2019, S. 11). Diese Kritik und Dekonstruktion von sprachlichen Machtstrukturen solle „real-world impact” (Vasquez, 2017, S. 9) haben und so „socially transformative” wirken (Vasquez et al., 2019, S. 303). Auf Grund dieses Anspruchs, nicht nur die Rezeptionsweisen von Schüler*innen zu verändern, sondern auch auf gesellschaftlicher Ebene Einfluss zu nehmen, versteht sich als „pedagogy of individual and social transformation” (Morrell, 2008, S. 53).

Forschungsziel

Auch wenn ich mit Leonhardt und Viebrock (2020a, S. 43) in der grundsätzlichen Befürwortung dieser „Hoffnungsbezogenheit“ von übereinstimme, stellte ich bei Sichtung des Forschungsstandes fest, dass das Versprechen persönlicher wie gesellschaftlicher Transformation zwar eine große Zahl an unterrichtspraktischen Vorschlägen inspiriert hat, jedoch ein Mangel besteht an empirischen Studien, welche eine methodisch valide Überprüfung dieses Bildungsanspruchs anstreben: So kritisiert Wolfe (2010), dass der Diskurs um sich nicht für die Effekte der vorgeschlagenen Unterrichtssettings auf die Schüler*innen interessiere und auch Behrman (2006, S. 492) schließt sein Review über auf abzielende Lehrpraktiken mit der Feststellung: „most classroom practices have not been formally evaluated by the contributing authors, nor is there any attempt here to evaluate the effectiveness of each practice”.

Dies entspricht auch Lükes (2024) Einschätzung des deutschsprachigen Diskurses, in welchem es ihr zufolge vor allem an Arbeiten zur theoretischen Ausschärfung sowie der empirischen Untersuchung von mangele (siehe Granger & Gerlach, 2024 für eines der wenigen Beispiele empirischer Forschung im deutschen Schulsystem). Dazu sei ergänzt, dass es zum jetzigen Zeitpunkt meines Wissens keine Studien gibt, die sich der Entwicklung von im Unterrichtsgeschehen mittels rekonstruktiver Methoden nähern. Für die Erforschung von Bildungsprozessen sind rekonstruktive Verfahren jedoch in besonderer Weise geeignet, wie auch Koller (2018, S. 16), Plikat (2020) und Gerlach (2022) argumentieren, da diese der prozesshaften sowie implizite Tiefenstrukturen betreffenden Natur von Bildungsprozessen gerecht zu werden vermögen.

Eine kritische empirische Prüfung des Bildungsversprechens der mittels des Einsatzes rekonstruktiver Verfahren ist somit dringend erforderlich, um den erwartungsgeladenen Diskurs empirisch zu bereichern und Möglichkeitsräume für kritische Bildung im Fremdsprachenunterricht auszuleuchten. Ziel meiner Arbeit ist daher, Chancen für die Entwicklung von zu identifizieren und zu beschreiben, die sich im fremdsprachlichen Unterrichtsgeschehen ereignen, um aus diesen Beobachtungen Rückschlüsse über förderliche wie hinderliche Gegebenheiten für die Anbahnung von zu ziehen.

Bildungstheoretischer Rahmen

Um sich dem Bildungsanspruch von empirisch zu nähern, stellt sich zunächst die Frage, wie sich Bildung empirisch untersuchen lässt. Kollers (2018) transformatorische Bildungstheorie liefert eine theoretische Fundierung für dieses Vorhaben, in welcher das Krisenmoment eine zentrale Rolle spielt, wobei er Krise als ein „Infragestellen der Normalität einer Routine, einer Erwartung, einer eingespielten Wahrnehmungs-, Denkoder Handlungsweise (2018, S. 215) definiert. Diese sei „Voraussetzung und Bedingung von Bildungsprozessen“ (Bähr et al., 2019b, S. 3). Da solche die ganze Person betreffenden Krisen allerdings im unterrichtlichen Kontext nur äußerst selten vorkommen, stellt die Untersuchung von fachlich gerahmten Irritationsmomenten, als kleinere „didaktisch-methodisch domestizierte Krise[n]“ (Bonnet & Hericks, 2013, S. 46) einen niedrigschwelligen Zugang zu etwaigen Bildungschancen im Unterrichtsgeschehen dar.

Methodologische Prämissen

Wie bereits erwähnt, ist die Eignung rekonstruktiv-interpretativer Verfahren für die Erforschung von Bildungsprozessen wiederholt betont worden (Gerlach, 2022; Koller, 2018, S. 16; Plikat, 2020). In Einklang mit diesen Überlegungen nutze ich für die Auswertung meiner Studie die dokumentarische Methode, da sie die Rekonstruktion von Hinweisen auf sich anbahnende Bildungsprozesse ermöglicht. In der praxeologischen Wissenssoziologie, der Grundlagentheorie der dokumentarischen Methode, wird...



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