Tadday | Chaya Czernowin | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 194, 119 Seiten

Reihe: MUSIK-KONZEPTE

Tadday Chaya Czernowin

E-Book, Deutsch, Band 194, 119 Seiten

Reihe: MUSIK-KONZEPTE

ISBN: 978-3-96707-395-9
Verlag: edition text+kritik
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die israelische Komponistin Chaya Czernowin (*1957) genießt international ein hohes Renommee. Auch als Lehrerin ist sie seit vielen Jahren sehr gefragt – sei es als Professorin für Komposition an der Harvard University oder als Dozentin bei den Internationalen Ferienkursen für Neue Musik in Darmstadt.
Chaya Czernowins kompositorisches Œuvre umfasst Opern, Orchester- und Kammermusik, Musik für Tasteninstrumente und Vokalmusik, soweit man diese Gattungsbegriffe weit genug fasst. Czernowin ist eine Suchende, eine Grenzgängerin, durch deren Kompositionen wir neue Klangerfahrungen machen, deren Musik uns innere und äußere Welten erschließt.
Tadday Chaya Czernowin jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


[25|26] LUDGER ENGELS Über Komposition und Regie
Im Gespräch mit Chaya Czernowin Der Ausgangspunkt für dieses Gespräch ist meine Arbeit mit Chaya Czernowin an der Neufassung von Zaide/Adama von Wolfgang Amadeus Mozart und Chaya Czernowin für das Theater Freiburg im Juni 2017.1 Zaide/Adama wurde als Auftragswerk für die Salzburger Festspiele 2006 uraufgeführt. Mozarts im Orient verortetes Singspiel-Fragment steht im Dialog mit Chaya Czernowins zeitgenössischem Opernfragment um die Annäherung eines palästinensisch-israelischen Liebespaares. Beide Stücke sind für Solisten und Orchester, ohne Chöre geschrieben. Chaya Czernowin hat ihr Fragment Adama in Mozarts Zaide-Fragment montiert. An den Nahtstellen überlappen sich die Fragmente, und beide Klangwelten schieben sich ineinander. Diese Momente haben mich beim ersten Lesen besonders interessiert. Die Gleichzeitigkeit von zwei Kompositionen aus zwei verschiedenen Jahrhunderten, von einem Mann und einer Frau mit sehr unterschiedlichen historischen und sozialen Hintergründen. Das beschreibt den Inhalt beider Stücke: Das Aufeinandertreffen zweier sich fremder, verfeindeter Kulturen, in dem sich Menschen der jeweiligen Kultur unter sehr unterschiedlichen Umständen, freiwillig oder mit Zwang und Gewalt, begegnen. Jeder Versuch der Annäherung scheitert an den Konventionen und Vorurteilen. Beide Fragmente sind nach wie vor aktuell und spiegeln in vielerlei Hinsicht gesellschaftliche Dynamiken von Gewalt gegen das vermeintlich Fremde und Andersartige. Im Verlauf der Beschäftigung mit der Partitur wurde die nicht vorhandene Öffentlichkeit, die Gesellschaft, die Stimme der Straße für mich immer notwendiger, um die im Stück verhandelten Konflikte und die daraus entstehende Gewalt, die ausschließlich in inneren Dialogen und Monologen verhandelt werden, zu veräußerlichen. Mich interessierte die Frage, wie sieht die Gesellschaft aus, auf die die Figuren beider Stücke treffen würden? Wie reagiert diese Gesellschaft, wenn die bisher inneren Schreie der beiden Hauptcharaktere Mann und Frau in Adama für sie hörbar werden? Die Fragen rückten in das Zentrum meines Interesses und damit die Idee, beiden Fragmenten eine öffentliche Stimme in Form des Chores gegenüberzusetzen. [26|27]   Abbildung 1: Wolfgang Amadeus Mozart/Chaya Czernowin, Zaide/Adama, Theater Freiburg 2017, Foto: © 2021 Ric Schachtebeck Das hier abgedruckte Gespräch fand im Lockdown 2020 online zwischen Boston und Berlin auf Englisch und Deutsch statt. Chaya Czernowin arbeitete zu dem Zeitpunkt an »The Fabrication of Light«, einer Auftragskomposition für die Musikfabrik NRW und das Festival Acht Brücken, die im Oktober 2020 in Köln uraufgeführt wurde. Ludger Engels: Wenn ich mich an den Beginn unserer gemeinsamen Arbeit erinnere, dann fällt mir unser erstes Gespräch im Theater Freiburg ein. Ich erzählte dir, dass für mich besonders die Momente interessant sind, wo Mozarts Musik und deine Musik sich überlappen. Zugleich aber vermisste ich die öffentliche Stimme, die Stimme der Gesellschaft. Vielleicht zu schnell habe ich dich gefragt, ob es denkbar ist, für den Chor etwas hinzuzukomponieren. Du hast erklärt, dass die Komposition Vergangenheit ist, lange abgeschlossen, und das Werk seine eigene Aufführungsgeschichte hat. Aber ich könnte damit machen, was ich möchte, »mach deine eigene Interpretation«. Am darauffolgenden Tag kam dein Anruf, als du wissen wolltest, was genau ich unter »Stimme der Gesellschaft« verstehe. Für mich war das der Moment, wo mir klar wurde, dass Adama wie ein innerer Schrei in dem Stück ist. Ein Schrei gegen die Gesellschaft, die Arroganz und Ignoranz, gegen eine nicht zu begreifende Aggression. Chaya Czernowin: Ich ging nach Hause und dachte nach, und es kam wie eine Offenbarung. Und die Offenbarung war, dass das Stück tatsächlich den Chor braucht. Und zwar genau an den überlappenden Momenten. Der [27|28]Grund liegt in Zaide/Adama selbst und ist gleichzeitig die Hauptsache meiner Musik: die Besonderheit, die Kraft und der Mut des Einzelnen gegen eine Gruppe. Es hat etwas mit meiner eigenen Psychologie zu tun, dass ich keine Gruppen von Menschen mag, und nur selten in meinem Leben gab es eine Begegnung mit einer Gruppe, die schön war. Es passierte ein oder zwei Mal, das war erstaunlich. Ich weiß, dass die Zeit, in der Menschen in einer Gruppe zusammenarbeiten und daraus etwas Positives entsteht, sehr begrenzt ist. Meiner Meinung nach entwickelt sich bald eine Dynamik, die in etwas Negatives ausarten wird. Was man zwischen zwei Menschen erreichen kann, ist meines Erachtens viel nachhaltiger als innerhalb einer Gruppe. Ganz zu schweigen von einer Nation, ganz zu schweigen von Nationen usw. Und nach dem, was du gesagt hattest, war mir klar, das da etwas herauskommt, was in Zaide/Adama versteckt war. Und das ist der Hauptgegenstand: zwei junge Menschen gegen diese Gruppe, gegen diesen Mob. Das ist exakt das, worum es geht. Genau darum. Und plötzlich konnte ich es sehen, konnte ich es sichtbar machen, es war nicht mehr versteckt. Du hast sofort verstanden, worum es ging. Du hast einen Großteil des neuen Textes geschrieben, und wir haben gemeinsam herausgefunden, wie es weitergehen wird, und dann gemeinsam die Transformation geschrieben. LE: Wir hatten lange Diskussionen darüber, was passiert, wenn ein Mob wütend und aggressiv wird. Manchmal bemerkt man es nur an einem Geräusch, ein genuscheltes Wort, das übergeht in eine Art Summen, aggressives Brabbeln. CC: Es ist eine Studie über Aggression. Und wir haben untersucht, wie Aggression eine Energie wird, und wie sie wächst. Es gibt eindeutig einen einfachen Intensivierungsprozess. Es ist sehr mysteriös, oder? Eine Person spricht mit der anderen, die mit der nächsten, und plötzlich entsteht eine Gruppe von zehn. Es ist wie eine Infektionskette. (Lachen) LE: Ja, das entscheidende an der Arbeit war es, die öffentlichen Stimmen auszuformulieren. Am bedeutungsvollsten ist für mich das Experiment im Umgang mit dem Opernchor. Wir haben nicht wie gewohnt eine komplett auskomponierte Chorstimme geschrieben, in der jeder Ton und jede Silbe festgelegt ist, sondern mit improvisierten Sprachmodulen gearbeitet. Die haben wir über die Partitur von Zaide/Adama an den Schnittstellen der beiden Musiken, den Überlappungen, als eine dritte Fragment-Ebene darübergelegt. Damit haben wir beide Kompositionen stärker miteinander verdichtet und sie um chorische, teils improvisiert eingesetzte Sprachmodule erweitert. Es gibt Angaben, welche Worte in welcher Dynamik und Dauer jede Sängerin und jeder Sänger verwenden kann. Hinzu kommen Angaben über Bewegungen und Positionen – anfangs sitzt der Chor in Gruppen verteilt unter den Zuschauern, später Auftritte (z. B. »leise, unbemerkt hinter den Zuschauern« oder »Türenschlagend und schreiend«). Und wir haben dem Chor Trillerpfeifen und Stöcke gegeben, die eine eigene rhythmische [28|29]Notation haben. Also ein großer improvisatorischer Anteil mit vielen Informationen. Damit haben wir eine große Verantwortung an jeden Sänger, an jede Sängerin übergegeben. Für mich war das ein spannender Prozess, wie der Chor damit umgegangen ist. CC: Ja, das war deine Arbeitserfahrung, ich bin ja erst später dazu gekommen. Es war eine ganz begrenzte Freiheit. Methodisch war alles in einem eingegebenen Feld, es war nicht ganz frei. Es gab Widerstand. Aber ich glaube, es war das Thema, das sehr schwierig war. LE: Das hatte viel mit Ängsten zu tun. Die Sängerinnen und Sänger des Chores waren nicht gewohnt, mit einer solchen kompositorischen Fläche umzugehen. Anfangs fühlten sie sich nicht wirklich kompetent. Die Mittel, mit denen sie Klänge und Geräusche erzeugen sollten, waren für sie fremd. Als Opernchor gab es bisher nicht die Aufgabe, perkussive Klänge auf der Szene zu erzeugen. Dies wird sonst vom Schlagzeug aus dem Orchestergraben übernommen. Daraus erwuchs eine große Befremdung, woraus in einigen Proben Widerstand entstand, den ich verstehen konnte. Oft erzeugt das Verlassen der gewohnten Sprache eine Unsicherheit. Aus dieser Situation versuchen einige sich zurückzuziehen, andere kämpfen gegen sie an. Durch Nichtverstehen und Inakzeptanz entsteht Gewalt. Die Erzählebene und Funktion des Chores in Zaide/Adama spiegelte sich in der Arbeitsweise wider. Das hat der Chor im Verlauf der Proben sehr gut erkannt und hat diesen Entstehungsprozess von Gewalt überzeugend und eindrücklich dargestellt. CC: Ja das stimmt. Diese Choredition war sehr wichtig. Sie hat Zaide/Adama zu etwas anderem gemacht. Und obwohl du sagst, es gab mehr Autonomie und Improvisation, so hat die Neufassung die Gesamtstruktur der Oper konkretisiert, und das Narrativ ist deutlicher zutage getreten. Die ursprüngliche Fassung war viel abstrakter. LE: Beim ersten Lesen waren es abstrakte Zustände, eher philosophische Themen, die verhandelt wurden, die mit den Seelenzuständen der Protagonisten zu tun haben. Durch den Chor kommt eine soziale Wirklichkeit hinein. CC: Es ist politisch geworden. LE: Genau, es ist politisch geworden, ohne auf eine tiefere, reflexive Ebene zu gehen. Es bildet die soziale Wirklichkeit nach, das, was draußen auf der Straße passiert, wo immer wieder auf das Fremde mit Gewalt reagiert wird. CC: Ja, Und ich muss sagen das ist sehr interessant für mich. Eigentlich tendiere ich zu den...


Tadday, Ulrich
Ulrich Tadday, geb. 1963, Studium der Musikpädagogik und Musikwissenschaft, Germanistik und Philosophie an den Universitäten Dortmund und Bochum; Staatsexamina, Promotion und Habilitation; seit 2002 Professor für Historische Musikwissenschaft an der Universität Bremen; seit 2004 Herausgeber der Neuen Folge der "Musik-Konzepte".


Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.