E-Book, Deutsch, 201 Seiten
Sulz / Gräff-Rudolph / Hamburger Supervision in der Verhaltenstherapie
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-17-034236-1
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 201 Seiten
ISBN: 978-3-17-034236-1
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Prof. Dr. phil. Dr. med. Serge Sulz ist als Psychiater, Psychologe und Psychotherapeut in eigener Praxis in München niedergelassen. Er ist Gründer und Geschäftsführer eines Europäischen Forschungsinstitutes für Psychotherapie, Erziehung und Humanwissenschaften (EUPEHS) und seit 2008 Honorarprofessor für Verhaltensmedizin und Grundlagen der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Dr. med. Ute Gräff-Rudolph ist Fachärztin für Psychosomatische Medizin, Supervisorin und Selbsterfahrungsleiterin Verhaltenstherapie.
Autoren/Hrsg.
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3 Praxis der Supervision
Zunächst konzentrieren wir uns auf den Aspekt des Prozesses der Supervision (Interaktion Supervisor – Supervisand). In Kapitel 6 steht dann der Aspekt des Inhalts der Supervision (Interaktion Therapeut – Patient) im Vordergrund.
Wir betrachten das Erstgespräch zwischen Supervisor und Supervisand, ihren Kontrakt, die Supervisionssitzung, die Beziehung zwischen beiden sowie Videoeinsatz, Dokumentation, Evaluation und das Zeugnis.
3.1 Erstgespräch des Supervisors mit dem Therapeuten
Wie in der Psychotherapie kann es auch in der Supervision ein Erstgespräch geben, das einen ganz besonderen Stellenwert hat. Obwohl es Supervisanden als Zumutung erscheinen mag, eine ganze Sitzung lang nur zu reden, ohne auch nur einen einzigen Blick in die gerade anlaufende Ausbildungstherapie zu werfen (und dafür auch noch zahlen zu müssen), wäre es ein Versäumnis, wenn dieser Auftakt weggelassen werden würde.
Die Themen sind reichlich: Informationen über die Person des Supervisors – Informationen über die Person und den Ausbildungsstand des Supervisanden – Aufklärung über die Aufgabe und das Wesen der Supervision – Besprechung des Vorgehens in den Supervisionssitzungen – Vor- und Nachbereitung des Supervisanden auf die Supervisionssitzung – Dokumentation der Supervision – regelmäßiger Videoeinsatz.
Vielleicht kann schon so viel Vertrauen entstehen, dass der Supervisand auch über sich als Mensch sprechen kann. Auf alle Fälle sollte vereinbart werden, dass dieses Thema unvermeidlich auftaucht, wenn die ersten Schwierigkeiten in einer Therapie entstehen, und dass dann Selbstöffnung des Therapeuten wichtig ist. Gelingt es schon im Erstgespräch, dann ist der Bann gebrochen, der verhindern soll, dass der Supervisor ein weniger gutes Bild des Supervisanden bekommt.
Zu Beginn der Sitzung erhält der Supervisand Raum für seine Art, sich vorzustellen und zu zeigen. Erst später wird die Sitzung strukturierter.
Der Supervisor fragt auch, wie der Supervisand seine Ausbildungsstätte und seine Ausbildung erlebt.
Sehr wertvoll und ein Zeichen großen Vertrauens ist, wenn der Supervisand dem Supervisor einen »Er-Lebenslauf«2 schreibt oder ihm einen vorhandenen gibt, wie er für die Selbsterfahrung geschrieben wird. Er beherbergt vieles, was in den schwierigen Passagen der Supervision weiterhelfen kann. Eigene Beziehungserfahrungen im bisherigen Leben und Beziehungsgestaltung im jetzigen Leben färben die Patient-Therapeut-Beziehung sehr ein. Auf diese Weise erfährt der Supervisor auch etwas über die Introspektionsfähigkeit und die Empathiefähigkeit des Therapeuten bzw. über den Grad der Elaborierung seiner Theory of Mind, also über ihre metakognitiven Fähigkeiten.
Da Aufgabe des Supervisors auch ist, den Supervisanden in der Entwicklung seiner Therapeutenpersönlichkeit zu begleiten, ist mit der Entwicklung der Supervisand-Supervisor-Beziehung zunehmende Offenheit und Vertrauen notwendig. Dies sollte von Anfang an Konsens sein.
Zum bisherigen Ausbildungsgang gehört auch die Selbsterfahrung. In der Supervision sollte es kein Tabu sein, über die Themen und persönlichen Ziele der Selbsterfahrung zu berichten. Es geht ja in der Supervision vorrangig um die Entwicklung der Therapeutenpersönlichkeit, deren Bestandteil das Selbstmodifikationsprojekt ist. Dazu gehören auch die Rückmeldungen der Gruppe und des Selbsterfahrungsleiters.
Ein zweiter Schritt kann eine Selbstdiagnostik sein, durchaus auch mit Fragebögen. Hier bieten sich die Skalen des Verhaltensdiagnostiksystems VDS an, die kostenlos von der Verlags-Webseite heruntergeladen werden können.
Da ist z. B. der Persönlichkeitsfragebogen VDS30, der mögliche selbstunsichere, dependente, zwanghafte, passiv-aggressive, histrionische, schizoide, emotional instabile oder paranoide Reaktionstendenzen des Therapeuten erfassen und abbilden kann. Die Auswirkung dieser Persönlichkeitszüge auf die Therapie und die therapeutische Beziehung sind von großer Bedeutung.
Im Zentrum können zunächst die generalisierten Vermeidungstendenzen des Therapeuten stehen. Anfangs hat er große Angst, als Therapeut insuffizient zu sein oder einen großen Fehler zu machen, der dem Patienten sehr schadet, und muss diesen unter allen Umständen verhindern – wodurch er aber den Therapieprozess stört. Statt auf seine Zwanghaftigkeit zurückzugreifen, kann er gemeinsam mit dem Supervisor alternative Strategien finden, z. B. kognitiv die Wahrscheinlichkeit der Schädigung des Patienten durch einen Fehler realistisch als sehr klein definieren oder sich emotional dem Gefühl der subjektiven Unvorhersehbarkeit einzelner Interventionen stellen. Statt die Situation zwanghaft zu kontrollieren, kann er von der übertriebenen Selbstaufmerksamkeit weggehen und sich auf den Patienten und dessen emotionale und motivationale Prozesse konzentrieren und auf ihn eingehen.
Ich gebe meinen Supervisanden den VDS28-Fragebogen zur Erfassung der Beziehungsängste zum Ausfüllen, mit dem sie ihre zentralen Vermeidungstendenzen explorieren und den sie mit mir bezogen auf die Arbeit mit ihrem Patienten besprechen können.
Der Therapeut versucht, eigene Bedürfnisse (z. B. gemocht werden) in der therapeutischen Beziehung zu befriedigen, ohne dass er es merkt. Das ist aber am falschen Ort, zur falschen Zeit und vor allem in der falschen Beziehung.
Die Beziehungsbedürfnisse des Therapeuten können mit dem sehr kurzen VDS27-Fragebogen erfasst werden.
Ein letzter Schritt ist die Formulierung der dysfunktionalen Überlebensregel des Therapeuten (VDS35), die ihn eventuell dysfunktionales Verhalten in schwierigen Therapiesituationen verstehen lässt. Ein Beispiel ist:
• Nur wenn ich immer zurückhaltend und taktvoll bin
• und wenn ich niemals anderen zu nahe trete,
• bewahre ich mir die Zuneigung meines Gegenübers
• und verhindere, dass er von mir weggeht.
Nur selten hat sich ein Therapeut nach Besuch der Selbsterfahrungsgruppe völlig vom Diktat seiner dysfunktionalen Überlebensstrategien befreit (»Ja, das kenne ich, aber es passiert mir halt leider immer noch.«). Da dies laufend während der Therapie geschieht, kann der Supervisor das Thema nicht der ohnehin bald endenden Selbsterfahrungsgruppe überlassen.
Ein gelegentliches Monitoring der Wechselwirkung der beiden Persönlichkeiten von Patient und Therapeut kann durch ein Rating der Therapiebeziehung erfolgen (Sulz, 2007a, S. 324).
Kommentar von Ute Gräff-Rudolph
Hier werden sehr diffizile Themen angesprochen, deren Einschätzung sicher voller Kontroversen sein kann. Sie sollten tatsächlich Bestandteil der Supervision sein. Mir persönlich ist diese Persönlichkeitsdiagnostik und Selbsterfahrung am Beginn der supervisorischen Beziehung zu viel. Ich verteile das auf die ersten fünf Supervisionssitzungen bzw. greife ein Thema erst angesichts eines auftretenden Problems auf. Um so vorzugehen, müsste m. E. dem Supervisanden zuvor ein Informationsblatt zugesandt werden, das ihm die Möglichkeit gibt, seine Erwartungen auf das bevorstehende Erstgespräch einzustellen. Dagegen halte ich die scheinbare Vermischung von Selbsterfahrung und Supervision für richtig und wichtig. Supervisorische Probleme sind häufig durch den persönlichen Anteil des Supervisanden entstanden oder der gemeinsame Blick auf die Therapeutenpersönlichkeit und die therapeutische Beziehung eröffnen eine Lösung des Problems. Insgesamt kann aber ein offenes Gesprächsklima ohne Strukturierung durch den Supervisor eine ausreichende und ganz natürliche, ungezwungene Selbstöffnung des Supervisanden ergeben. Vielleicht gilt auch hier, dass es vom Supervisanden abhängt, welche der beiden Vorgehensweisen hilfreicher ist. Es bleibt aber auch hier die Frage, ob eine Konfrontation mit z. B. interaktionsblockierender Zurückhaltung angebracht und dem Supervisanden zumutbar ist, oder ob geduldiges Wahrnehmen und Abwarten diesem Menschen gemäß ist, weil er erst nach den ersten Treffen seine Beziehungsangst allmählich ablegen kann.
Kommentar von Serge Sulz
Vielleicht müsste einer Supervision, die so viel Selbsterfahrung enthält, eine grundsätzliche Neudefinition der Supervision und ihrer Grenzen vorausgehen, und dies dem Supervisanden vermittelt werden. Er kann sich dann gleich zu Beginn entscheiden, ob dieses Vorgehen ihm entspricht und er wird nicht mit falschen Erwartungen in den Supervisionsprozess gehen.
3.2 Der Kontrakt – Supervisionsvertrag
Wir müssen bei quasi-vertraglichen...




