E-Book, Deutsch, 280 Seiten
Steinbach Eine Mark für Espenhain
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-374-05745-0
Verlag: Evangelische Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: PC/MAC/eReader/Tablet/DL/kein Kopierschutz
Vom Christlichen Umweltseminar Rötha zum Leipziger Neuseenland
E-Book, Deutsch, 280 Seiten
ISBN: 978-3-374-05745-0
Verlag: Evangelische Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: PC/MAC/eReader/Tablet/DL/kein Kopierschutz
EINE MARK FÜR ESPENHAIN war mit 100.000 Unterschriften und ebenso vielen Markstücken die größte, nicht genehmigte Unterschriftensammlung in der DDR. Diese Protestaktion, deren Beginn sich im Juni 2018 zum 30. Mal jährt, richtete sich gegen die unglaubliche Umweltverschmutzung durch den Abbau von Braunkohle und deren Verarbeitung im Leipziger Umland. Die Leser dieses wichtigen und spannenden Stücks Zeitgeschichte erleben aus der Sicht eines Zeitzeugen und Akteurs der DDR-Opposition die letzten Jahre der DDR bis zu ihrem glücklichen Ende. Unterhaltsam, aber präzise werden Alltägliches aus dem Überwachungsstaat, Kuriosa der Stasigeschichte und frühe Anzeichen für das nahende Ende der DDR beschrieben. Reflektiert wird aber auch die Frage: Warum haben wir uns das so lange bieten lassen?
Nach der Wiedervereinigung führte der Autor des Buches, von 1991 bis 2010 Regierungspräsident von Leipzig, sein Engagement für Mensch und Natur im geschundenen Leipziger Südraum fort. Die LVZ betitelte Walter Christian Steinbach einmal als den 'Vater des Leipziger Neuseenlands'. Steinbach dagegen ist der Überzeugung, dass dieses unglaubliche Renaturierungsprojekt – die größte Landschaftsbaustelle Europas – nur gelingen konnte, weil unendlich viele Akteure diesen Prozess mit ihren Ideen begeistert begleitet haben.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Weltgeschichte & Geschichte einzelner Länder und Gebietsräume Deutsche Geschichte Deutsche Geschichte: Regional- & Stadtgeschichte
- Geisteswissenschaften Christentum, Christliche Theologie Christentum/Christliche Theologie Allgemein Kirchliche Bildungseinrichtungen, Diakonie, Caritas
Weitere Infos & Material
EIN ANFANG VOM ENDE DER DDR –
DIE SPRENGUNG DER UNIVERSITÄTSKIRCHE ZU LEIPZIG
Die großen politischen Ereignisse der ehemaligen DDR spiegeln sich auf unterschiedliche Weise in unseren Biografien, in unseren Erinnerungen, aber auch in der Art und Weise wie wir heute unser Leben im Osten unseres neugewonnenen Vaterlandes empfinden: der Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953, die Berliner Mauer am 13. August 1961, die Sprengung der Leipziger Universitätskirche am 30. Mai 1968 und schließlich die Friedliche Revolution 1989, die unser aller Leben noch einmal gründlich veränderte. 1953 – Bleiben oder Gehen 1953 war ich neun Jahre alt, also eher Zuschauer, manchmal aber auch Zuhörer dramatischer Gespräche meiner Eltern und ihrer Freunde. »Bleiben oder Gehen« war für mich noch nicht zu überschauen, aber für manchen Leipziger Unternehmer während dieser Enteignungswelle des unternehmerischen Mittelstandes eine höchst existenzielle Frage. Nach dem 17. Juni 1953 bekam mein Vater seinen enteigneten Betrieb wieder zurück und die gen Westen gepackten Koffer kamen wieder auf den Boden. Wir blieben fortan in der DDR. Der Betrieb war in den sechs Wochen unter der Leitung eines vom DDR-Staat eingesetzten Treuhänders selbst für damalige Verhältnisse heruntergewirtschaftet, die Mitarbeiter vollkommen durcheinander und die Kunden ziemlich verwirrt. Nachdem man bei der Enteignung meinen Vater einfach an die frische Luft gesetzt hatte, gab es jetzt bei der Rückgabe so etwas Ähnliches wie eine Übergabe. So sprach der »Treuhänder« zu meinem Vater, er möge nicht ärgerlich sein, er verstünde leider nichts von Bilanzen und solchen Sachen … 1961 – Ulbrichts Mauer 1961 begannen die Überlegungen, welchen beruflichen Weg ich einschlagen könnte. Eigentlich hätte ich gern Kunstgeschichte in Leipzig studiert. Der Leipziger Kunsthistoriker Johannes Jahn hielt gelegentlich im Hörsaal 40 des im Krieg beschädigten Augusteums Vorlesungen für Hörer aller Fakultäten, die eine starke Anziehungskraft auf mich ausübten. Unser Kunstgeschichtslehrer Hollmann war eine der Lichtgestalten humanistischer Bildung an der Rudolf-Hildebrand-Oberschule, die ansonsten von einem Direktor geleitet wurde, der der Überlieferung nach Irland auch nach mehreren Lachsalven tapfer Klasse für Klasse weiter mit Doppel-R schrieb. Herr Hollmann hatte meine Wunschkombination, Kunstgeschichte und Malerei angeregt. Diese Kombination hätte ich aber nur in der Bundesrepublik verwirklichen können. Im August 1968 war ich »drüben«, um diese Dinge mit meinen Brüdern zu besprechen. Auf dringende Bitten meines Vaters kam ich am 11. August 1961 nach Leipzig zurück. Zwei Tage später, es war Sonntag, der 13. August, errichtete Walter Ulbricht die Mauer. Mir blieb nur noch Kunstgeschichte in Leipzig. Eine Mitarbeiterin des Leipziger Bildermuseums riet mir ab. Sie meinte, wer niemals in seinem Leben die französischen Dome sehen dürfe, würde als Kunsthistoriker sehr unzufrieden. Meine beruflichen Wünsche und die tatsächlichen Möglichkeiten in der DDR – wie bei so vielen klafften sie weit auseinander. Ich studierte schließlich Mathematik und Physik für das Höhere Lehramt – und schloss das Studium 1966 mit dem Staatsexamen und einer Zusatzqualifizierung für einen Einsatz in Ghana ab. Wir hatten in Leipzig eine Reihe ghanaischer Gaststudenten, die aber nach dem dortigen Militärputsch und der anschließenden Westorientierung ihr Studium in westeuropäischen Städten fortsetzten. Die DDR verlor natürlich ebenfalls die Lust an ghanaischer Entwicklungshilfe. 1968 – Die Sprengung Die Sprengung der Universitätskirche in Leipzig im Jahre 1968 und die Ereignisse einer sich zunächst unmerklich verändernden Welt trafen uns junge Intellektuelle natürlich in einer ganz anderen Situation. Wir befanden uns im beruflichen und familiären Aufbau. Wir spürten das veränderte Klima. Viele Jugendliche standen kritisch zur SED. Die »Butlers« und viele der neu gegründeten Bands wurden verboten, ihre Anhänger nach dem Beataufstand am 31. Oktober 1965 als »Gammler« abgestempelt und Rowdytum galt fortan als Straftatbestand. Die immer größer werdende Entfremdung zwischen Staat und Gesellschaft wurde zum ständigen Schatten des Politbüros und diktierte die Tagesordnung der Stasi bis zu ihrem Ende. Walter Ulbricht, nicht nur durchdrungen von einem vielleicht schon in seiner Kindheit begründeten Kirchenhass, war darüber hinaus besessen von der Idee der »sozialistischen Stadt«. Große Plätze und breite Straßen für die gewaltigen Aufmärsche sollten die Überlegenheit des Sozialismus sichtbar dokumentieren. Ohne störende Kirchen. Unter den Leipzigern hält sich hartnäckig ein ihm zugeschriebener Satz: »das Ding muss weg«, nämlich die über 700 Jahre alte Universitätskirche St. Pauli. Was der Diktator nicht ahnte: Die barbarische Sprengung dieser völlig intakten Kirche ist ein Anfang vom Ende der DDR am 9. Oktober 1989 in Leipzig. Am 7. Mai 1968 beschloss das Politbüro der SED unter Walter Ulbricht4 die Sprengung der Universitätskirche. Schon zehn Tage später schloss sich der Senat der Karl-Marx-Universität mit einer Dankadresse an den großen Städtebauer Walter Ulbricht an. Die einzige Gegenstimme gehört dem Dekan der Theologischen Fakultät, Prof. Dr. Ernst-Heinz Amberg. Und schließlich am 23. Mai 1968, an Christi Himmelfahrt, beschließt auch die Leipziger Stadtverordnetenversammlung den Abriss der Kirche. Einzig Pfarrer Hans-Georg Rausch, später als IM enttarnt, stimmt dagegen. Am Tag vor der geplanten Sprengung versuchten die staatlichen Vertreter noch einmal die Leipziger Superintendenten und Pfarrer unmissverständlich darauf hinzuweisen, dass keine »Gegenmaßnahmen« geduldet würden.5 Der amtierende Vorsitzende Fehse des Rates des Kreises Leipzig schreibt an den Vorsitzenden des Bezirks Leipzig: »Werter Genosse Vorsitzender! Ausgehend von Ihrer Weisung […] wurden von mir sofort Maßnahmen eingeleitet. […] Mit den Superintendenten Dr. Arnold und Hahn, Schkeuditz, wurde das Gespräch […] geführt. Ihnen wurde ebenfalls unmissverständlich dargelegt, dass alle Maßnahmen, die gegen die Schaffung der Baufreiheit am Karl-Marx-Platz und die dazu notwendigen Sicherheitsmaßnahmen gerichtet sind, nicht geduldet werden. […] Sup. Dr. Arnold wurde davon in Kenntnis gesetzt, dass die Nikolaikirche im Bereich des Sperrgebietes liegt und die Durchführung aller Veranstaltungen – einschl. Glockengeläut – am 30.05.68 nicht möglich ist.«6 Weiter heißt es in dem Schreiben: »Sup. Dr. Arnold ist über diese Maßnahmen sehr ungehalten und sagte, dass wir uns kaum vorstellen könnten, was diese Maßnahme unter den christlichen Bürgern hervorrufen würde und dass dieser Tag in die Geschichte eingehen würde.«7 Ein wahrhaft prophetisches Wort des Superintendenten Dr. Wolfgang Arnold! Der Raum um die Universitätskirche war nun seit Tagen abgeriegelt. Die »Organe« hatten sich offenbar auf einen brutalen Kampf gegen das eigene Volk vorbereitet. Mutige Leipziger warfen Kränze über die Absperrungen. Gruppenbildung auf dem gesamten Platz wurde rigoros unterbunden. Meine Frau und ich standen am 30. Mai 1968 um 10.00 Uhr auf dem Platz vor dem Grassimuseum in einer unübersehbaren, schweigenden Trauergemeinde und fotografierten nicht ohne Angst das Geschehen. Die im Zweiten Weltkrieg fast unversehrt gebliebene Universitätskirche, seit 700 Jahren stadtbildprägend, fiel, und als der Staub sich legte, sah man den Turm von St. Nikolai, wie der Leipziger Kabarettist Bernd-Lutz Lange später erinnerte. Der Turm von St. Nikolai – fast wie ein Fingerzeig auf das Ende der DDR einundzwanzig Jahre später. Anschließend suchten wir Superintendent Dr. Wolfgang Arnold am Nikolaikirchhof auf, um vom Turm wie schon an den Vortagen zu fotografieren. Als er am Nordeingang der Nikolaikirche versuchte, die Tür zu öffnen, kamen uns drei selber einigermaßen überraschte Männer aus der Kirche entgegen. Dr. Arnold herrschte sie an: »Was machen Sie in meiner Kirche?« Einer der drei Gestalten antwortete dreist und nach meiner Erinnerung in breitem Sächsisch: »Das geht Sie, Herr Arnold, noch lange nichts an.« Diese banale Frechheit hat sich tief in meiner Erinnerung eingeprägt und meinen Entschluss, mich irgendwie zu wehren, maßgeblich beeinflusst. Ein Gebäude, das den Geist dieser Stadt in einem nicht zu unterschätzenden Umfang mit geprägt hat, kann man wohl beseitigen, sprengen, schnell und fast heimlich in den Etzoldschen Sandgruben nahe der Stadt verscharren, aber man kann nicht den Geist dieser Kirche beseitigen – ein Gedanke, der dem Diktator und seinen willigen Helfern offenbar nicht gekommen ist, vielleicht auch nicht kommen konnte. Abb. 3: Sprengung der Universitätskirche 1968 und ihr eiliger Abtransport in die Etzoldschen Sandgruben8 In dieser Kirche hatte der spätere Bischof Meißen, Otto Spülbeck (1904 –1970), mit seinen Vorlesungen über Glaube und Naturwissenschaft die zerstörten Seelen der aus dem Krieg heimkehrenden Studenten getröstet, aufgerichtet und für ein neues Leben ermutigt. Die Spülbeckschen Vorlesungsmitschriften meines Schwagers hütete ich über viele Jahre. Sie waren ein wertvoller Schatz für die eigene...