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E-Book, Deutsch, Band Band 009, 638 Seiten

Reihe: Bürgertum Neue Folge

Steber Ethnische Gewissheiten

Die Ordnung des Regionalen im bayerischen Schwaben vom Kaiserreich bis zum NS-Regime

E-Book, Deutsch, Band Band 009, 638 Seiten

Reihe: Bürgertum Neue Folge

ISBN: 978-3-647-36847-4
Verlag: Vandenhoeck & Ruprecht
Format: PDF
Kopierschutz: 0 - No protection



Vom Kaiserreich bis in die NS-Zeit prägten kleinräumige Lebenswelten das Dasein. Für die Zeitgenossen war das alltägliche Handeln im kleinen Raum selbstverständlich. In einer sich wandelnden Welt stifteten die eigene Gemeinde, Stadt und Region Identität und Sinn. In welchem Verhältnis standen hierbei regionale Identität und andere identitäre Bezugssysteme, welche Ideen verbanden sich mit dem Entwurf des Regionalen und welchen Einfluss übte er auf Gesellschaft und Politik aus? Martina Steber verfolgt am Beispiel des bayerischen Schwaben die mentale Konstruktion des Regionalen und taxiert seine Funktion und Relevanz in eben jenem Zeitraum, in dem sich die Ambivalenz der Moderne so schillernd und grauenvoll zugleich zeigte.

PD Dr. Martina Steber ist stellvertretende Leiterin der Forschungsabteilung München am Institut für Zeitgeschichte München-Berlin sowie Privatdozentin für Neuere und Neueste Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
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1;Cover;1
2;Title Page
;4
3;Copyright
;5
4;Table of Contents
;6
5;Body
;10
6;Vorwort;10
7;1. Einleitung;12
8;2. Einheit in der entfalteten Vielfalt? Der bayerische Regierungsbezirk Schwaben und Neuburg im deutschen Kaiserreich;34
8.1;2.1 Räumliche Dimensionen regionaler Deutungskultur: Die bayerisch-schwäbische Mental Map im wilhelminischen Kaiserreich;34
8.1.1;2.1.1 Lokales: Städte entwerfen sich;36
8.1.2;2.1.2 Bayerisches: Das Königreich in seiner jungen Provinz;39
8.1.3;2.1.3 Regionales: Das bayerische Schwaben zwischen Stammesstolz und bayerischer Gebundenheit;43
8.1.4;2.1.4 Nationales: Bündelung der Multidimensionalität;55
8.2;2.2 Institutionalisiertes Interesse für die kleinen Räume: Die bayerisch-schwäbischen Geschichtsvereine;72
8.2.1;2.2.1 Bürgertum, Geschichte und Staat im wilhelminischen Kaiserreich;72
8.2.2;2.2.2 Profil des historischen Vereinswesens im bayerischen Schwaben;79
8.2.3;2.2.3 Die Deuter der regionalen Geschichte;84
8.2.4;2.2.4 Interpretationen regionaler Geschichte in der bayerisch-schwäbischen Historiographie;109
8.3;2.3 Der kleine Raum als völkische »Heimat«: Christian Frank, der Verein ›Heimat‹ und Deutsche Gaue;134
8.3.1;2.3.1 Der Verein ›Heimat‹ in Kaufbeuren: Organisation, Arbeitsweise und Mitgliedsstruktur;135
8.3.2;2.3.2 Christian Frank und Gustav von Kahr: »Volkskunst im Allgäu« 1901;141
8.3.3;2.3.3 Völkische Heimatideologie in katholischem Gewande;146
8.3.4;2.3.4 Personelle Netzwerke und Wirkungskreise;156
8.4;2.4 Region und »Heimat« im Ersten Weltkrieg;164
8.4.1;2.4.1 Region im Krieg: Die Nationalisierung des Regionalen ;165
9;2.4.2 »Heimat« im Krieg: Einheitseuphorie und »Scheidungs«-Pathos im Verein ›Heimat‹;179
9.1;2.4.3 Das Versprechen der »Heimat«: Potenziale eines Begriffs . .;185
9.2;2.5 Die Dynamik des Regionalen im wilhelminischen Kaiserreich – eine erste Zwischenbilanz;188
10;3. »Schwaben – jetzt oder nie!« Gedachte Ordnungen in der Weimarer Republik;194
10.1;3.1 Territorialisierungen in der Krise: Großschwabenträume in der Revolution 1918/19;199
10.1.1;3.1.1 Schwabenkapitel und »Reichsland Schwaben«: Die großschwäbische Bewegung im bayerischen Schwaben im Frühjahr 1919;199
10.1.2;3.1.2 Soziale Trägerschaft und politische Reichweite der großschwäbischen Bewegung;207
10.1.3;3.1.3 Determinanten des großschwäbischen Flächenbrandes;213
10.1.4;3.1.4 Das Erbe der Revolution: Die Disponibilität des Territorialen;218
10.2;3.2 Selbstverständnis und Kulturpolitik des demokratischen Kreistags: Heimatpflege als utopischer Entwurf;222
10.2.1;3.2.1 Die »berufene Vertretung der schwäbischen Bevölkerung«: Das Selbstverständnis des Kreistags von Schwaben und Neuburg;223
10.2.2;3.2.2 Der Kreistag und sein Präsident: Otto Merkt;228
10.2.3;3.2.3 Die Kulturpolitik des ersten Kreistags;231
10.2.4;3.2.4 Die Regierung von Schwaben und Neuburg: Heimatschutz auf dem Verwaltungsweg;234
10.2.5;3.2.5 Heimatpflege in der Region: Die Institutionalisierung der Kreisheimatpflege;236
10.2.6;3.2.6 Der zweite Kreistag von Schwaben und Neuburg: Kulturpolitik unter regionalistischen Vorzeichen;252
10.3;3.3 Der Schwäbische Museumsverband: Die regionale Formierung der Heimatschutzbewegung;258
10.3.1;3.3.1 Vereinsgründung im kulturpolitischen Vakuum;258
10.3.2;3.3.2 Konturierung eines schwäbischen Kulturraums;262
10.3.3;3.3.3 »Schwabenstamm«, Nation und »Heimat«: Die ideologischen Fundamente des Schwäbischen Museumsverbands;267
10.3.4; 3.3.4 In regionalistischem Fahrwasser: Der Schwäbische Museumsverband in den Krisenjahren der Weimarer Republik ;273
11;3.4 Fluchtpunkt »Heimat«: Die bayerisch-schwäbische Mental Map in der Weimarer Demokratie und die Agenten der öffentlichen Erinnerungskultur;277
11.1;3.4.1 Die Konjunktur von »Heimat« in der deutschen Nachkriegsgesellschaft der 1920er Jahre;277
11.1.1;3.4.2 Kulturkritik, Ethnonationalismus und Sehnsucht nach »Einheit«: Der Heimatbegriff im bayerischen Schwaben der Weimarer Republik;288
11.1.2;3.4.3 Die Konjunktur des Regionalen: Tribalistische Selbstthematisierungen und die Tektonik der Mental Map;301
11.1.3;3.4.4 Von Rissen zu Brüchen in der Einheits-Fassade: Bürgerliche Sammlung im Zeichen der »Heimat«;310
11.2;3.5 Die Politisierung des Ethnischen: Das Regionale als Ordnungsentwurf in der Weimarer Republik – eine zweite Zwischenbilanz;315
12;4. Der Gau Schwaben: Die nationalsozialistische Anverwandlung des Regionalen;322
12.1;4.1 Territorialisierungen in der Krise: Argumente für Ostschwaben und die Verfestigung von Grenzverläufen 1929–1935;323
12.1.1;4.1.1 »Erhaltung des Gaues Schwaben«: Die Region im Strudel nationalsozialistischer Raumplanung 1933/34;323
12.1.2;4.1.2 Der Gau Schwaben in der Offensive: Denkschriften und die Macht des Faktischen;327
12.1.3;4.1.3 Territoriale Gedankenspiele: Antibayerischer Aufruhr und großschwäbische Sympathien 1929–1932;337
12.1.4;4.1.4 Regionalistische Kontinuitäten und die Verfestigung von Grenzverläufen im NS-Regime;347
12.2;4.2 Kulturpolitische Neubestimmungen: Die Organisation des »völkischen Lebens« im Gau Schwaben;350
12.2.1;4.2.1 Der Verband zur Förderung und Pflege schwäbischer Kultur 1933/34;350
12.2.2;4.2.2 Das Scheitern des kulturpolitischen Sonderwegs im Gau Schwaben;376
12.2.3;4.2.3 Die Gauheimatpflege im organisatorischen Geflecht nationalsozialistischer Gaukulturpolitik;389
12.2.4; 4.2.4 Gaukulturpolitik im Krieg: Die Gauheimatpflege in der Defensive ;399
13;4.3 Eine »Renaissance des völkischen Lebens«? Nationalsozialistische Kulturarbeit im Zeichen des Ostschwäbischen;407
13.1;4.3.1 Karl Wahl und das »Schwabentum«: Tribalistischer Regionalismus als Herrschaftstechnik;407
13.1.1;4.3.2 Die Kulturarbeit der Partei: Großprojekte und Künstlerpflege;410
13.1.2;4.3.3 Von »Volkskultur« durchdrungen: die Kulturarbeit der Gliederungen;430
13.1.3;4.3.4 Heimatschutz im »Dritten Reich«: Tätigkeitsfelder der Gauheimatpflege;440
13.2;4.4 Nationalsozialistische (Ost-)Schwabenbilder;444
13.3;4.5 Ambivalenzen und Pfadabhängigkeiten – eine dritte Zwischenbilanz;469
13.3.1;4.5.1 Eine ambivalente »Renaissance«;469
13.3.2;4.5.2 Kulturpolitische Pfadabhängigkeiten;480
14;5. Bilanz;484
15;Abkürzungen;494
16;Quellen- und Literaturverzeichnis;499
16.1;Quellen;499
16.2;Literatur;539
17;Register ;629


5. Bilanz (S. 483-484)

Im gleichen Jahr als Siegfried Kracauer seine Überlegungen zu Räumen anstellte und über die Entzifferung der »Hieroglyphe« eines »Raumbildes« auf den »Grund der sozialen Wirklichkeit« vorzudringen suchte,1 beschloss der Kreistag von Schwaben und Neuburg die Installation eines »Kreisheimatpflegers«, der sich dem Raum Bayerisch-Schwaben ganz konkret annehmen sollte. Doch während sich Kracauer des konstruktiven Charakters von Räumen bewusst war, zeigten sich Politiker und erinnerungskulturell Engagierte im bayerischen Schwaben von der Essentialität der Region und des Regionalen überzeugt. Natur und Kultur wurden in dialektischer Bezogenheit als Einheit vorgestellt, in die der Einzelne organisch eingebunden und von der er unabänderlich geprägt sei.

Das Regionale entwickelte sich in den Jahren der Weimarer Republik zu einem umfassenden Ordnungsmodell, das Orientierung in der Krise zu geben versprach. Doch weder war diese Entwicklung ohne Voraussetzung, noch endete sie mit dem Jahr 1933: Sie war vielmehr Teil des ambivalenten Modernisierungsprozesses, der das Deutsche Reich von der Jahrhundertwende bis zum Ende des NS-Regimes erschütterte. Die Janusköpfigkeit der Moderne schrieb sich in das Regionale ein, genauso wie das Regionale der Moderne einen charakteristischen Zug verlieh.

Auf vier Ebenen hat die vorliegende Arbeit das Regionale in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verfolgt und auf seine Funktion hin befragt. Die Ergebnisse sollen im Folgenden bilanziert werden. Das Regionale war – aus räumlich-deutungskultureller Perspektive – Teil eines komplexen Modells räumlicher Deutungskultur, das sich im Laufe des 19. Jahrhunderts herausgebildet hatte, sich mit identitären Mustern verband und das die Koordinaten auf der bayerisch-schwäbischen Mental Map setzte.

Zwar standen lokale, regionale, partikularstaatlich-bayerische und nationale Identität in einem latenten Konkurrenzverhältnis, doch die bayerisch-schwäbische »Landkarte im Kopf« zeichnete sich insbesondere durch die gegenseitige Durchdringung, Überlappung und Harmonisierung der einzelnen deutungskulturellen Komponenten aus. Besonders im Kaiserreich war sie nicht zuletzt durch eine zielgerichtete bayerische Geschichtspolitik weitgehend austariert. In der Waage konnten zwei unterschied liche Konzeptionen des Nationalen gehalten werden, die im bayerischen Staatsmodell beide ihren Platz fanden: die föderativ-staatliche auf der einen und die stammeskulturelle Grundlegung des Nationalen auf der anderen Seite.

Über beide schrieb sich das Königreich in den jungen Nationalstaat des deutschen Kaiserreichs ein. Allerdings führte die dynamische Kraft des neuen Nationalismus, die dieser seit der Jahrhundertwende entfaltete, im bayerischen Schwaben zu einer Aufwertung des Regionalen, das auf einem organischen Volksbegriff und auf der Gewissheit von der ethnischen – tribalistisch »schwäbischen« – Homogenität der Bevölkerung der Region basierte. Im selben Zuge aber verblasste zusehends der Glanz des bayerischen monarchisch-konstitutionellen Staates, der einzig die ökonomischen Erfolge der neubayerischen Gebiete im 19. Jahrhundert herausstellen, an das bayerische Staatsverständnis appellieren, auf die schützende Hand der Dynastie verweisen und die Bedeutung Bayerns im Reich hervorheben konnte.

Die Diskreditierung der Dynastien und des monarchischen Staates im Ersten Weltkrieg und ihr letztendlicher Sturz in der Revolution 1918/19, genauso wie die mentale Aufwertung des kleinen Raumes durch die Erfahrung des Krieges dynamisierte diese Verschiebung auf der Mental Map noch zusätzlich. Die allenthalben zu konstatierende Ethnisierung des Denkens seit 1918/19 speiste sich daher nicht allein aus den Prinzipien der Wilsonschen Friedenspolitik, sondern auch aus dem ethnisch definierten Regionalen.

Ein tribalistisch begründeter Ethnonationalismus stand im bayerischen Schwaben der Weimarer Republik auf festen Fundamenten und befeuerte regionalistische Forderungen, die von einem »Großschwaben« träumten und sich anti-bayerisch positionierten. Hier knüpften die bayerisch-schwäbischen Nationalsozialisten an und stellten ihren Kampf für die Existenz des Gaues Schwaben in diese Kontinuität, indem sie ihn mit eben solchen ethnonationalistischen Argumenten begründeten. Das »Dritte Reich« mochte aus dieser Perspektive wie die Erfüllung lang gehegter stammeskultureller Hoffnungen erscheinen. Das Bayerische wurde auf der nationalsozialistischen bayerisch-schwäbischen Mental Map getilgt. Nicht von ungefähr bevorzugten die Nationalsozialisten »Ostschwaben« als Regionsbezeichnung.


Steber, Martina
Dr. Martina Steber ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Historischen Institut London.


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