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E-Book

E-Book, Deutsch, 223 Seiten

Reihe: Reclams Universal-Bibliothek

Spinner Literarisches Lernen. Aufsätze

Reclams Universal-Bibliothek

E-Book, Deutsch, 223 Seiten

Reihe: Reclams Universal-Bibliothek

ISBN: 978-3-15-962020-6
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Selten hat ein Aufsatz zur Literaturdidaktik so viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen wie Kaspar H. Spinners »Elf Aspekte des literarischen Lernens« von 2006, die standardisierbare Kompetenzorientierung und literarisches Lernen zu verbinden suchen. Dass hinter der vielzitierten, griffigen Taxonomie dieses Aufsatzes aber viel mehr steht, nämlich eine Gesamttheorie des Literaturunterrichts, macht dieser Band sichtbar, der neben den »Elf Aspekten« acht weitere Aufsätze zum Thema enthält. Das konzise Nachwort von Hans Lösener arbeitet Zusammenhänge heraus und verortet Spinners Position in der gegenwärtigen Literaturdidaktik. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

Prof. Dr. Kaspar H. Spinner war bis 2006 Inhaber des Lehrstuhls für Didaktik der Deutschen Sprache und Literatur an der Universität Augsburg.
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Elf Aspekte literarischen Lernens
Die im Folgenden angeführten elf Aspekte literarischen Lernens erstrecken sich von der imaginativen Verstrickung in die Lektüre bis zum kognitiven und Distanzierung erfordernden literaturhistorischen Bewusstsein. Alle Aspekte sind jedoch auf allen Klassenstufen relevant (Grundschulkinder begegnen der Historizität von Literatur z. B. anhand altertümlicher Wörter in Märchen). [14]Beim Lesen und Hören Vorstellungen entwickeln
Literarische Texte halten zur Vorstellungsbildung an. Otfried Preußler hat das einmal folgendermaßen beschrieben: »Der Leser muß […] nicht nur die stummen Chiffren der Buchstaben entziffern und zu Wörtern zusammenfügen, er muß Wörter und Sätze auch wieder in Bilder umsetzen – mehr noch: er muß sie für sich selber mit allen Sinnen wahrnehmbar machen. Er muß nicht nur sehen, wovon der Autor erzählt, er muß es auch hören, riechen und schmecken, mit Händen ertasten und mit dem Herzen nachfühlen. […] Er befindet sich gewissermaßen in der Rolle eines Regisseurs, dem mein Text als Drehbuch vorliegt, und der meine Geschichte nun anhand dieses Drehbuchs für sich selber in Szene setzen muß.« (Preußler 1998, S. 58 f.) Die imaginative Vergegenwärtigung sinnlicher Wahrnehmungen ist ein grundlegender Aspekt (literar-)ästhetischer Erfahrung. In den Bildungsstandards für das 4. Schuljahr findet er sich in der Formulierung »lebendige Vorstellungen beim Lesen und Hören literarischer Texte entwickeln« wieder. Das soll, wenn es um das literarische Lernen geht, nicht ein beliebiges Fantasieren sein, sondern ein »Entfalten« (Köppert 1997) dessen, was im Text angelegt ist, und einem vertieften Verstehen dienen. Solche Vorstellungen können sich auf Schilderungen von Landschaften und Räumen, auf einzelne Gegenstände, auf Figuren, auf Geräusche, auf den Nachvollzug von Stimmungen usw. beziehen. Methodisch können kreativ-produktive Verfahren des Umgangs mit Texten die Vorstellungsbildung in besonderem Maße fördern. Im Hinblick auf die Lernprogression geht es darum, dass die Schülerinnen und Schüler zunehmend differenziertere Vorstellungen entwickeln, dabei Flexibilität zeigen (im Laufe einer Lektüre muss man aufgrund neuer Textinformation seine Vorstellungen immer wieder modifizieren) [15]und dabei auch verschiedene Vorstellungen miteinander in Beziehung bringen können (z. B. die Wohnungseinrichtung mit dem Charakter einer Figur). Kinder tendieren oft noch dazu, dem Text einfach eigene Alltagserfahrungen zuzuordnen und in diesen verhaftet zu bleiben, auch wenn der Text andere Perspektiven eröffnet (sog. Egozentrismus im Sinn der Entwicklungspsychologie Jean Piagets). Bei Jugendlichen dagegen besteht die Gefahr, dass sie sich um die Entfaltung von Vorstellungen gar nicht mehr bemühen, sondern mit einer generalisierenden Aussage den Text abtun und damit seine konkrete Anschaulichkeit hinter sich lassen (was manchmal durch einen Literaturunterricht, der nur auf die Intention des Autors oder eine allgemeine Erkenntnis abhebt, unterstützt wird). Es gilt also, im Verlauf der Schuljahre die kindliche Intensität der Vorstellungsbildung zu erhalten und einer zunehmenden Differenzierung, Flexibilität und textorientierten Genauigkeit zuzuführen. Subjektive Involviertheit und genaue Wahrnehmung miteinander ins Spiel bringen
In den Bemerkungen zur Imagination dürfte schon deutlich geworden sein, dass für intensives literarisches Verstehen persönliches Angesprochensein ebenso wie Aufmerksamkeit für den Text wichtig sind. Subjektive Involviertheit und aufmerksame Textwahrnehmung können sich dabei wechselseitig steigern, und darin liegt auch ein wesentliches Ziel des literarischen Lernens. In der Literaturdidaktik wird seit langem (in der Tradition sowohl der Hermeneutik als auch der Rezeptionsästhetik) das Spannungsverhältnis zwischen Subjektivität und Textbezug thematisiert; dies ist oft so didaktisch modelliert worden, dass von einer subjektiv »bornierten« [16]Erstrezeption (vgl. Kreft 1977, S. 379) zur objektiven Analyse fortgeschritten werden müsse. Diese Abfolge wird allerdings dem Wechselspiel von Subjektivität und Textorientierung, das für literarisches Verstehen kennzeichnend ist, nicht gerecht. So kann zum Beispiel ein Kinderbuch mit einer Hauptfigur, die unter Minderwertigkeitsgefühl leidet (ein Hauptthema gegenwärtiger Kinder- und Jugendliteratur), zur Projektionsfläche eigener entsprechender Gefühle werden und gerade durch solche Betroffenheit eine intensiv mitvollziehende, genaue Lektüre bewirken. Durch diese können Aspekte wahrgenommen werden, die zunächst in den bewussten Eigenerfahrungen des Lesers nicht präsent sind, so dass es zu erweiterter Selbsterkenntnis kommt. Entdeckungen am Text können also Selbstreflexion anregen, und diese kann wiederum das Interesse an genauer Textwahrnehmung stärken. In solcher Wechselbeziehung zwischen subjektiver Involviertheit und genauer Textwahrnehmung spielen Prozesse der Verfremdung und des Wiedererkennens eine wichtige Rolle: Man sieht sich und seine Erfahrungen im literarischen Text wie in einem Spiegel und wird zugleich irritiert. Die didaktisch-methodische Umsetzung dieses Teilaspekts des literarischen Lernens wird durch die Tatsache erschwert, dass er kaum überprüfbar ist; es handelt sich um individuelle Prozesse, die nicht direkt beobachtbar sind und für die die Schülerinnen und Schüler auch den Schutz der Intimität beanspruchen dürfen. In Lesebiografien, wie sie beispielsweise in der Lesesozialisationsforschung erhoben und ausgewertet worden sind, zeigt sich aber, dass gerade dieser Aspekt intensive und langfristig in Erinnerung bleibende Leseerfahrungen bewirkt. Sie sind nicht nur in der privaten Lektüre, sondern auch im Deutschunterricht möglich, wie die positiven Äußerungen zum Literaturunterricht (die es ebenso wie die negativen in der Lesebiografieforschung gibt) immer wieder zeigen. [17]Die Grenzen der Überprüfbarkeit dürfen deshalb nicht zum Argument werden, diesen Aspekt im Unterricht auszuklammern. In der Grundschule ist es noch relativ unproblematisch, den subjektiven Bezug explizit zum Thema zu machen. Das kann durch das Wiedergeben eigener ähnlicher Erfahrungen, die man mit dem Text vergleicht, geschehen. Mit fortschreitendem Alter der Schülerinnen und Schüler wird man zunehmend die Tatsache nutzen, dass Literatur es ermöglicht, im Gespräch über Fiktion (oder auch in produktiv-kreativer Gestaltung) Eigenes zu verarbeiten, ohne dass anderen deutlich werden muss, wie groß der subjektive Anteil jeweils ist (deshalb verbieten sich Lehrerfragen wie »Wie war das denn bei dir, als du mal verliebt warst?«). Lehrerinnen und Lehrer haben meistens ja durchaus den Blick (oder soll man sagen: das Gespür) dafür, ob ihr Unterricht die Schülerinnen und Schüler in ihrer Person erreicht und ob ein Zuwachs an Komplexität in der individuellen Auseinandersetzung stattfindet. Sprachliche Gestaltung aufmerksam wahrnehmen
Zur genauen Textwahrnehmung, die im vorigen Abschnitt angesprochen worden ist, gehört auch die Aufmerksamkeit für die sprachliche Gestaltung, die für die ästhetische Wirkung literarischer Texte wichtig ist. Sie reicht vom mehr intuitiven Empfinden von Klang und Rhythmus bis zur Textanalyse einschließlich der Sprach- und Stilanalyse. Wichtig ist, dass dabei die Funktion für die ästhetische Wirkung erkannt und erfahren wird. Wenn die Analyse zur bloß formalen Bestimmung etwa von Reimschemata degeneriert und sich von der Klangerfahrung abkoppelt, kann von sinnvollem literarischem Lernen nicht mehr die Rede sein. Schon Grundschulkinder sind offen [18]für einfache literarische Formen wie Parallelismus, Reihung, Wiederholung, Oppositionen, die sich in Kinderliedern, in Bilderbüchern und Erzählungen für Kinder in großer Zahl finden. Überlegungen zum Beispiel darüber, wann Wortwiederholungen in einem Text sinnvoll sind und welche Wirkung sie bei uns auslösen, schulen auf elementarer Ebene die Aufmerksamkeit für sprachliche Gestaltung. So kann die Einsicht in die Abweichung literarischer von alltagssprachlicher Ausdrucksweise angebahnt werden. Anzustreben ist, dass die Schülerinnen und Schüler zunehmend selbstständig Beobachtungen zur sprachlichen Gestaltung anstellen können und dabei eine gewisse Entdeckerfreude entwickeln. Eigene Experimente mit formalen Strukturen, zum Beispiel nach dem Muster literarischer Vorlagen eigene Texte schreiben, können besonders nachhaltig erfahrbar machen, wie mit Gestaltungsformen bestimmte Wirkungen erzielt werden können. Solche produktiven Verfahren zu sprachlichen Gestaltungsmöglichkeiten reichen vom Einsetzen weggelassener Wörter in Texten bis zum Umschreiben in eine andere Erzählperspektive, das erzähltechnische Einsichten vermittelt. Perspektiven literarischer Figuren nachvollziehen
Bei erzählenden, teilweise auch bei dramatischen und lyrischen Texten spielt für den Leser (oder Hörer) die Wahrnehmung der Figuren eine zentrale Rolle. Dabei kommt die schon erwähnte Imaginationsfähigkeit zum Tragen: Über Figuren wird in literarischen Texten nicht nur informiert, vielmehr gibt der Text Anweisungen, sie sich vorzustellen. Wiederum geht es in der Rezeption um das Wechselspiel zwischen subjektiver Involviertheit und genauer Textwahrnehmung, und zwar hier im Sinne von Identifikation und Abgrenzung (dazu vor allem [19]Hurrelmann 2003). Ein intensiver Bezug zu literarischen Figuren entsteht...


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