E-Book, Deutsch, Band 2, 304 Seiten, Format (B × H): 155 mm x 230 mm
Reihe: Schriften zur Geschichte der Theologischen Fakultät Jena (SGThFJ)
Spehr Luther denken
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-374-05877-8
Verlag: Evangelische Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Reformation im Werk Jenaer Gelehrter
E-Book, Deutsch, Band 2, 304 Seiten, Format (B × H): 155 mm x 230 mm
Reihe: Schriften zur Geschichte der Theologischen Fakultät Jena (SGThFJ)
ISBN: 978-3-374-05877-8
Verlag: Evangelische Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Universität Jena galt lange Zeit als Hort des wahren Luthertums und Rezeptionsort Luthers und der Reformation. Vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart fragten Jenaer Theologen und Kirchenvertreter sowie Gelehrte anderer Disziplinen immer wieder nach dem Erbe der Reformation für die protestantische Religion und wissenschaftliche Gelehrtenkultur und prägten damit die deutsche Ideen- und Theologiegeschichte. Im vorliegenden Band werden bisher kaum bekannte Festpredigten erforscht, die öffentliche Wirkung der Reformationsjubiläen in Kirche, Kunst, Kultur und Gesellschaft untersucht sowie die Impulse für Theologie und Geschichtswissenschaft durch Jenaer Forscher im 20. Jahrhundert reflektiert. Alle Beiträge gehen auf Vorträge zurück, die im Rahmen der Ringvorlesung der Friedrich-Schiller-Universität Jena im Sommersemester 2017 gehalten wurden.
Mit Beiträgen von Joachim Bauer, Katharina Bracht, Alf Christophersen, Uwe Dathe, Klaus Dicke, Daniel Gehrt, Martin Kessler, Michael Plathow, Klaus Ries, Miriam Rose und Christopher Spehr.
Thinking Luther. The Reformation in the Works of Jena Scholars
The Jena University has been for a long time considered as the stronghold of true Lutheranism and as a place of the reception of Luther and the Reformation. From the 16th century until today Jena theologians and representatives of the church and of other academic disciplines continually reflected on the legacy of the Reformation in view of Protestant religion and the academic scholarly culture, shaping therewith German theological and intellectual history. The present volume explores little-known ceremonial sermons and the public impact of the Reformation anniversaries on church, art, culture, and society. Furthermore, it analyzes the impact of Jena scholars on theology and historiography in the 20th century. All contributions derive from lectures that were held in the framework of the lectures series of the Friedrich Schiller University Jena in the summer semester 2017.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Geisteswissenschaften Religionswissenschaft Religionswissenschaft Allgemein Religionsgeschichte
- Geisteswissenschaften Christentum, Christliche Theologie Systematische Theologie Geschichte der Theologie, Einzelne Theologen
- Geisteswissenschaften Christentum, Christliche Theologie Christliche Kirchen, Konfessionen, Denominationen Protestantismus, evangelische und protestantische Kirchen
Weitere Infos & Material
Daniel Gehrt MATTHIAS FLACIUS ILLYRICUS UND DAS »NEUE WITTENBERG« AN DER SAALE
Streifzüge durch neuere Forschungen zur frühen Universitätsgeschichte Jenas1 Historische Jubiläen gelten spätestens seit dem 18. Jahrhundert als starke Impulsgeber für die Publikation von historiographischen Arbeiten und Editionen,2 denn durch dieses öffentlichkeitswirksame Medium der Erinnerung erreicht das Interesse an dem gewürdigten Ereignis oder der gefeierten Einrichtung seinen neuerlichen Höhepunkt.3 Häufig geht dieses Phänomen Hand in Hand mit einer persönlichen Identifikation mit dem Erinnerten bzw. Gefeierten, sei diese lokaler, nationaler oder konfessioneller Natur, weil Jubiläen die Auseinandersetzung mit der sinnstiftenden Bedeutung der Eigengeschichte für die Gegenwart und die Zukunft verlangen. Unter dem Einfluss einer solchen Jubiläumsdynamik ist auch der vorliegende Beitrag entstanden. Er versteht sich als kleine Gabe zum 500. Reformationsjubiläum und will einen streifzugartigen Überblick über die neueren Forschungserkenntnisse zur frühen Geschichte der Universität Jena bieten. Der Autor gehört zu den Alumni der Friedrich-Schiller-Universität Jena, die ursprünglich nach dem die Stadt entlang mäandernden Fluss Salana genannt wurde.4 Dieser Tradition folgend lautet der Titelanfang einer Anthologie von Gedichten, die Universitätsmitglieder 1717 anlässlich des 200. Reformationsjubiläums verfassten, »Das wahre reine Luthertum Der Welt-berühmten Vniversität Jena«.6 In den Reden und Predigten anlässlich der ersten Säkularfeier der Reformation 1617 fehlt allerdings jeder Verweis auf dieses Selbstbild.7 Dies mag damit zusammenhängen, dass die Gelegenheitsschriften im Rahmen des Jubiläums 1617 und 1717 grundsätzlich auf Luthers Leben und Wirken sowie auf die Frühreformation im Allgemeinen fokussiert waren.8 In dieser Zeit, die vor der Gründung der Hohen Schule lag, war die Bedeutung der kleinen Wein- und Ackerbaustadt Jena relativ gering; im gängigen Narrativ der Reformation als Erinnerungsfigur spielte sie kaum eine Rolle. Ganz anders verhielt es sich mit der weiter westlich gelegenen Residenzstadt Gotha: Wegen des immer wieder zitierten Traums des ersten evangelischen Superintendenten Friedrich Myconius (1490–1546) über Johann Tetzels (ca. 1460–1519) Ablasshandel sowie wegen der Sonderstellung Gothas als Zentrum für die Kirchen- und Bildungspolitik der ernestinischen Kurfürsten in »Thüringen« seit Mitte der 1520er Jahre fanden bereits 1617 lokale Ereignisse und Akteure der Reformation in den dortigen Reden ihren Niederschlag.9 Der damalige Dekan der Theologischen Fakultät, Johann Ernst Gerhard (1621–1668), behandelte verschiedene Aspekte der Universitätsgeschichte in einer nie veröffentlichten Festrede und veranstaltete zwei feierliche Disputationen über den theologischen Streit, der Ende der 1550er Jahre zwischen den Jenaer Professoren Matthias Flacius Illyricus (1520–1575) und Viktorin Strigel (1524–1569) über die Frage der Erbsünde und der Willensfreiheit entbrannt war.11 Die Predigt des Jenaer Theologieprofessors und Superintendenten Christian Chemnitz (1615–1666), die als seltener Druck erhalten ist und bei der zweiten Säkularfeier 1758 eine Zweitauflage erfuhr,12 wurde grundlegend für spätere Darstellungen der Universitätsgeschichte, einschließlich der ersten Monographie über die Gründung der Salana, die der Jenaer Theologieprofessor und Superintendent Johann Carl Eduard Schwarz (1802–1870) anlässlich ihres 300. Jubiläums 1858 verfasste.13 1958/62 gelang es einem Kollektiv des Historischen Instituts der Friedrich-Schiller-Universität Jena unter der Leitung von Max Steinmetz (1912–1990), eine erste moderne Gesamtdarstellung der Universitätsgeschichte Jenas im Zeichen des historischen Materialismus zu publizieren.14 sowie anlässlich des sich zum 500. Mal jährenden Geburtstages von Kurfürst Johann Friedrich I. von Sachsen (1503–1554) im Jahr 2003 haben vor allem Joachim Bauer und Helmut G. Walther (geb. 1944) dazu beigetragen, die Gründung der Salana in die deutsche und europäische Universitätsgeschichte einzuordnen, das besondere konfessionelle Selbstverständnis der Salana herauszuarbeiten und entsprechende Schlüsseldokumente zu edieren und zu kommentieren.16 Anlässlich des 450. Jubiläums der Eröffnung der Salana als vollprivilegierte Universität im Jahr 2008 erschienen lediglich einige einzelne Beiträge zur Frühgeschichte der Universität17 und eine Edition von zentralen Dokumenten zur Privilegierung18 – war doch ein Großteil der Forschungskräfte an der Universität Jena zur Frühen Neuzeit in den von 1998 bis 2010 geförderten Sonderforschungsbereich »Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800« eingebunden.19 Stattdessen wurden erstmals auch Anstrengungen unternommen, die Geschichte der Universität in der DDR-Zeit aufzuarbeiten.20 Mehrere Handschriftenbände aus diesen Sammlungen betreffen direkt oder indirekt die Jenaer Universitätsgeschichte. An der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena wurden die Sammlung Georg Rörers (1492–1557), des Redakteurs der Wittenberger und Jenaer Lutherausgaben, und die Bibliotheca Electoralis, die zu Luthers Lebzeiten an der Universität Wittenberg aufgestellt war und später nach Jena verbracht wurde, erschlossen.22 Die genannten Projekte verstehen sich zumindest zum Teil als Beiträge zur Reformationsdekade. Darüber hinaus sind zahlreiche grundlegende Studien erschienen, von denen nur die wenigsten einen direkten Bezug zu einem bestimmten Jubiläum aufweisen.23 1. DAS »NEUE WITTENBERG« AN DER SAALE
Nach seiner Niederlage im Schmalkaldischen Krieg 1547 wurde der letzte ernestinische Kurfürst, Johann Friedrich I. von Sachsen, von Kaiser Karl V. (1500–1558) inhaftiert und in der sogenannten Wittenberger Kapitulation gezwungen, nicht nur auf die sächsische Kurwürde und die dazugehörigen Kurlande um Wittenberg zu verzichten, sondern auch auf die Leucorea, die damals zu den führenden Universitäten Europas zählte. Das ernestinische Territorium wurde auf Herrschaftsgebiete in Thüringen und Franken und somit auf ungefähr ein Drittel seiner vorherigen Größe reduziert. Neben den drastischen machtpolitischen Verlusten zugunsten des albertinischen Herzogs Moritz von Sachsen (1521–1553), einem Verbündeten des Kaisers, waren Johann Friedrich I. und seine Söhne mit den Bestrebungen Karls V. konfrontiert, die protestantischen Städte und Territorien des Reichs auf der Grundlage des sogenannten Augsburger Interims von 1548 zu rekatholisieren. Dieses Religionsgesetz drohte die von Wittenberg ausgehenden und von den Ernestinern jahrzehntelang entscheidend geförderten Theologie- und Kirchenreformen zunichtezumachen. Die Herzöge und ihre Theologen warfen dem neuen sächsischen Kurfürsten Moritz und insbesondere seinem einflussreichsten kirchenpolitischen Berater Philipp Melanchthon vor, bereits abgeschaffte altgläubige Zeremonien und Riten wieder einführen zu wollen, indem sie diese den Adiaphora, d. h. den ethisch indifferenten »Mitteldingen« zuordneten. In diesem intensivierten innerlutherischen Differenzierungsprozess setzten sich die Ernestiner entschieden für die ausschließliche Lehrautorität Luthers ein. So trugen sie ihre politische Rivalität mit den Albertinern, genauer mit Kurfürst Moritz und später mit dessen Nachfolger August (1526–1586), die eine Doppelidentifikation mit Luther und Melanchthon pflegten, auch auf theologischer Ebene aus. Diese Grundposition wurde identitätsstiftend für die ernestinische Dynastie, deren Herrscher sich nunmehr nicht nur als die Schutzherren der Wittenberger Reformation, sondern auch als die des »wahren« Luthertums verstanden. Diesen Anspruch erhoben sie sowohl für ihre Landeskirche als auch für die Salana. Als Vorbild für das 1557 angefertigte Universitätssiegel diente offensichtlich das Wittenberger Pendant.26 Ebenso wie auf dem Wittenberger Siegel der Universitätsstifter Kurfürst Friedrich III. von Sachsen (1463–1525) wurde Johann Friedrich I., der seit seiner Befreiung aus der kaiserlichen Gefangenschaft 1552 den Titel »geborener Kurfürst« führte, auf dem Jenaer Siegel im Brustbild mit Kurfürstenornat und -schwert dargestellt, wobei das Schwert in den Händen Johann Friedrichs nicht zum Wappen des Herzogtums Sachsen, sondern zu dem der Kurwürde zeigt. 1553 machten sie die Saalestadt zur Ordinationsstätte für alle neuen Pfarrer in ihrem Territorium. In Verbindung mit der Verwaltungsteilung im Herzogtum infolge des Mutschierungsvertrags von 1566 gründeten sie in der Universitätsstadt ein Hofgericht und ein Konsistorium. Für Letzteres ließen sie keine neue Ordnung formulieren. Stattdessen wurde die Wittenberger Ordnung von 1542 unverändert neu aufgelegt, so dass der Text die neuen Verhältnisse der ernestinischen Landeskirche nach dem folgenreichen Krieg nicht abbildete. Der Stadtname Jena kam lediglich als Druckort vor. 1571 erhielt die Salana auch das originale bronzene Epitaph, das für die Grabstätte Luthers in der Wittenberger Schlosskirche bestimmt...