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E-Book

E-Book, Deutsch, 319 Seiten

Reihe: Systemische Horizonte

Simon Tödliche Konflikte

Zur Selbstorganisation privater und öffentlicher Kriege

E-Book, Deutsch, 319 Seiten

Reihe: Systemische Horizonte

ISBN: 978-3-8497-8367-9
Verlag: Carl Auer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Es vergeht kein Tag, ohne dass uns Nachrichten von Konflikten in unserer näheren oder weiteren Umgebung erreichen, die sich zutreffend nur als Krieg bezeichnen lassen. Krieg kann als ein Konflikt verstanden werden, bei dem die beteiligten Parteien ihr Überleben riskieren. Das gilt nicht nur für Konflikte zwischen Nationen, sondern auch für andere soziale Einheiten wie Firmen, Organisationen, Stämme, Banden usw., ja, auch für Individuen. Beispiele sind das Duell oder die manchmal in Mord und Totschlag endenden Konflikte zwischen Ehepartnern. In diesem Buch werden die Entstehungsbedingungen von Kriegen aus systemtheoretischer Perspektive analysiert. Der Autor bezieht dabei sowohl biologische und psychoanalytische Modelle als auch soziologische Erkenntnisse ein. Ergebnis ist, dass solche Kämpfe im allgemeinen nicht um irgendwelcher wirtschaftlicher oder triebhafter Interessen willen ausgefochten werden, sondern dass es um scheinbar so antiquierte Werte wie Ehre, Stolz und Status geht.

Kriege sind nach Auffassung des Autors deshalb als Fortsetzung des Sports mit anderen Mitteln zu verstehen und, nicht zu vernachlässigen, als ultimative Form des Entertainments – zumindest für die nicht direkt beteiligten Beobachter.
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I. Theoretische und methodische Grundlagen
1. VORBEMERKUNG
„In Wahrheit beginnt der Krieg nicht dann, wenn einige Menschen andere umbringen. Vielmehr beginnt er an dem Punkt, da erstere das Risiko eingehen, selbst getötet zu werden.“ Martin van Creveld1 Folgt man der bewährten Tradition, die Bedeutung eines Begriffs in seinem Gebrauch zu suchen, so zeigt sich, dass mit Krieg ein Typus von Konflikt bezeichnet wird, der sich vor allem dadurch von anderen Konflikten unterscheidet, dass ihn viele der daran beteiligten Akteure nicht überleben oder zumindest in ihm ihr Überleben riskieren. Auch wenn nach dem Zweiten Weltkrieg für über 50 Jahre ein „Kalter Krieg“ herrschte, in dessen Verlauf es nicht zu größeren tätlichen Auseinandersetzungen zwischen den Konfliktparteien kam, ist Krieg („heißer Krieg“) in der Regel mit der Anwendung von Gewalt verbunden. Die folgende Untersuchung geht von der These aus, dass Krieg ein charakteristisches Kommunikationsmuster ist, d. h. ein soziales System, bei dem die beteiligten Parteien ihre Existenz riskieren. Unabhängig davon, ob es sich um den Kampf Nation gegen Nation, Kolonialtruppen gegen Freiheitskämpfer, Firma gegen Firma, Held versus Bösewicht oder Ehepartner gegen Ehepartner handelt, es wird immer das gleiche Spiel gespielt, und die Variation der Muster ist begrenzt und berechenbar. Die entscheidende Frage ist, wie es in all diesen so verschieden erscheinenden Bereichen zum Ausbruch von Kriegen kommen kann. Welcher Logik folgt die Kommunikation, die aus zunächst gewaltfreien Konflikten Kriege werden lässt? Wenn es gelingt, sie zu erfassen, so sollte es möglich sein, den Verlauf von Konflikten ein wenig berechenbarer zu machen, sodass sich den Beteiligten die Option eröffnet, Alternativen zu wählen – oder sich eben auch bewusst und „sehenden Auges“ für den Krieg entscheiden zu können. Eine der Merkwürdigkeiten, mit der man bei der Beschäftigung mit dem Phänomen Krieg immer wieder konfrontiert wird, besteht darin, dass Menschen oder auch soziale Systeme scheinbar ohne Not ihre Existenz riskieren. Es muss für sie also Werte und Ziele geben, die wichtiger sind als das Überleben. Lassen sich solche Werte identifizieren und benennen? Und sind sie, bei näherer Betrachtung und Abwägung, wirklich wert, dafür zu sterben? Beantworten lassen sich diese Fragen erst, wenn sie bewusst gemacht werden. Denn bewusst sind sie im Allgemeinen nicht, auch wenn sie die Entscheidungen von Einzelnen und Nationen, Organisationen und Gruppen leiten. Wenn hier von der Logik des Krieges die Rede ist, sollen neben der Analyse des sozialen Systems und seiner Spielregeln noch zwei andere Bereiche ins Blickfeld gerückt werden: die psychischen und biologischen Umwelten von Kriegen. Es geht also auch um die Logik seelischer und körperlicher Prozesse, die mit Krieg gekoppelt sind. Das führt zu der Frage, ob es z. B. angebracht und nützlich ist, dem Menschen einen Aggressionstrieb oder etwas Ähnliches zuzuschreiben oder frühkindliche Traumatisierungen für die Bereitschaft, sich in kriegerische Auseinandersetzungen zu verwickeln, verantwortlich zu machen. Im Blick auf individuelle wie kollektive Wirklichkeitskonstruktionen ergibt sich die Frage, welche Unterscheidungen zu welchen eher kriegerischen oder friedensfördernden Konsequenzen führen. Welche Logik des Fühlens und Denkens, welche Art der Selbst- und Fremdbeschreibung macht Krieg wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher? Um der Beantwortung dieser Fragen näher zu kommen, sollen unterschiedliche Muster kriegerischer Verwicklungen analysiert werden. Dabei werden der oben genannten Definition entsprechend solche Interaktions- und Kommunikationsformen, bei denen die Beteiligten bereit sind, ihre eigene Existenz aufs Spiel zu setzen, als Kriege betrachtet. Das Spektrum erstreckt sich dementsprechend von den im vorigen Jahrhundert auf Fidschi geführten Dauerkriegen zwischen kannibalistischen Dorfgemeinschaften bzw. Chiefdoms über den Ersten Weltkrieg und den Vietnamkrieg bis hin zu den berüchtigten Duellen europäischer „Ehrenmänner“ im 18. und 19. Jahrhundert und den oft tragischen zeitgenössischen Ehekriegen, die in Mord und Totschlag enden. Dem entgegengesetzt werden einige zugegebenermaßen selten anzutreffende Beispiele friedlicher Gesellschaftsformen. Sie können verdeutlichen, dass Frieden wie Krieg ihren Preis haben. Ob das, was man für den jeweiligen Preis erhält, das Risiko wert ist, soll dabei nicht bewertet werden. Ziel war nicht, ein weiteres Antikriegsbuch zu schreiben, sondern dem Verständnis des Phänomens Krieg ein wenig näher zu kommen. Die theoretischen Grundlagen der vorliegenden Analyse liefert die neuere Systemtheorie. Sie stellt einen konzeptuellen Rahmen zur Verfügung, der abstrakt genug ist, um auf ganz unterschiedliche Praxisfelder angewandt zu werden. Sie ist transdisziplinär, da sie Muster der Kommunikation und die Prinzipien ihrer Organisation beschreibt und analysiert. Vor diesem Theoriehintergrund lassen sich Befunde der Verhaltensforschung, der Psychoanalyse, der Soziologie, ja, in Ansätzen auch der Biologie in ein integrierendes Modell einordnen. Der praktische Wert solch einer Analyse dürfte für diejenigen am größten sein, die in ihrer täglichen Arbeit aktiv an der Herstellung, Erhaltung oder Beseitigung von – potenziell tödlichen – Konflikten beteiligt oder mit deren Management beschäftigt sind. Das dürften Politiker, Diplomaten, Manager, Mediatoren, Priester, Organisationsberater, Therapeuten und andere Personen sein, die ihr Leben mit Konflikten fristen – sei es zu ihrer Lösung, sei es zu ihrer Herstellung. Die Kenntnis der generellen Logik kriegerischer Konflikte sollte ihnen im Einzelfall helfen, Ideen zu deren Bewältigung zu entwickeln. Dennoch wird hier nicht versucht, einen Leitfaden für das Management tödlicher Konflikte zu entwerfen. Welche praktischen Konsequenzen aus ihrer Analyse zu ziehen sind, bleibt dem Leser überlassen. Er muss sich auch die Frage beantworten, ob die Analogien, die zwischen der politischen und der interpersonalen Ebene beschrieben werden können, also z. B. zwischen internationalen Kriegen und denen von Ehepartnern („Rosenkrieg“), nur von metaphorischem Wert sind oder ob sich daraus konkrete Interventionen ableiten lassen. Denn, das sei ausdrücklich betont, der Schwerpunkt der vorliegenden Untersuchung ist bewusst auf Kriege im traditionellen Sinn gelegt.* 2. MERKMALE DER UNTERSCHEIDUNG VON „KRIEG“
a) Das Überleben bedrohen und riskieren
Will man Krieg im Unterschied zu anderen Formen sozialer (oder, allgemeiner: menschlicher) Konflikte definieren, so tritt als Erstes die Anwendung von Gewalt ins Blickfeld. Doch wenn wir die Rede vom Kalten Krieg, vom Wirtschaftskrieg, vom Propagandakrieg usw. ernst nehmen, so stellt der mit Gewaltanwendung verbundene Krieg nur eine Möglichkeit unter anderen dar. Das definierende Merkmal des Krieges, so kann hier im Anschluss an die Definition des Militärhistorikers Martin van Creveld2 postuliert werden, ist ein Kampf, bei dem das Überleben der beteiligten Parteien auf dem Spiel steht. Es wird in der Auseinandersetzung bedroht und/oder riskiert. Nicht jeder Überlebenskampf ist aber ein Krieg. Wer sich daranmacht, die Eigernordwand oder den Mount Everest zu besteigen, im Paddelboot über den Atlantik zu rudern oder in Sandalen durch die Sahara zu wandern, riskiert zweifellos auch sein Leben. Und wer das Unglück hat, in einem Erdbebengebiet zu leben, dessen rein physische Existenz ist sogar ständig bedroht. Betrachtet man nicht nur Organismen als Überlebenseinheiten, sondern auch Organisationen, Firmen, Nationen und andere soziale Systeme, so gewinnt der Begriff des Überlebens eine die Grenzen der Biologie überschreitende Bedeutung. Es geht dann beispielsweise darum, als Firma in einem bestimmten Marktsegment die autonome Existenz zu bewahren. Und das Bemühen darum kann durchaus den Charakter eines Kampfes annehmen. Doch auch solch ein Überlebenskampf sollte nach der hier vorgeschlagenen Definition nicht als Krieg bezeichnet werden. Denn weder der Mount Everest noch der Markt sind als Kriegsparteien zu betrachten. Sie sind nicht Teilnehmer an einem Kommunikationssystem. Man kann zwar mit dem Berg „ringen“, er ringt aber nicht zurück. Man kann ganz allgemein mit der „Tücke des Objekts“ kämpfen, dem Objekt ist dies aber – falls es sich darüber überhaupt Gedanken machen sollte – vollkommen egal. Um es auf eine Formel zu bringen: Zum Krieg gehören (mindestens) zwei Teilnehmer, die in der Lage sind, Sinn zu prozessieren und miteinander zu kommunizieren. Der Berg mag vom erfahrenen Bergsteiger zwar „gelesen“ werden, die Zeichen für Gefahren mögen gedeutet und interpretiert werden, der Berg „liest“ aber nicht den Bergsteiger. Die Interaktion zwischen beiden ist kein Prozess, bei dem zwei voneinander unterscheidbare kognitive Systeme miteinander ums Überleben kämpfen. Der Atlantik existiert weiter,...


Fritz B. Simon, Dr. med., Professor für Führung und Organisation am Institut für Familienunternehmen der Universität Witten/Herdecke; Systemischer Organisationsberater, Psychiater, Psychoanalytiker und systemischer Familientherapeut; Mitbegründer der Simon, Weber and Friends, Systemische Organisationsberatung GmbH. Autor bzw. Herausgeber von ca. 300 wissenschaftlichen Fachartikeln und 32 Büchern, die in 15 Sprachen übersetzt sind, u. a.: Der Prozeß der Individuation (1984), Die Sprache der Familientherapie (1984), Lebende Systeme (1988), Unterschiede, die Unterschiede machen (1988), Meine Psychose, mein Fahrrad und ich (1990), Radikale Marktwirtschaft (1992), Die andere Seite der Gesundheit (1995), Die Kunst, nicht zu lernen (1997), Zirkuläres Fragen (1999), Tödliche Konflikte (2001), Die Familie des Familienunternehmens (2002), Gemeinsam sind wir blöd!? (2004), Mehr-Generationen-Familienunternehmen (2005), Einführung in Systemtheorie und Konstruktivismus (2006), Einführung in die systemische Organisationstheorie (2007), Einführung in die systemische Wirtschaftstheorie (2009), Vor dem Spiel ist nach dem Spiel. Systemische Aspekte des Fußballs (2009), Einführung in die Systemtheorie des Konflikts (2010), "Zhong De Ban" oder: Wie die Psychotherapie nach China kam (2011), Einführung in die Theorie des Familienunternehmens (2012), Wenn rechts links ist und links rechts (2013), Einführung in die (System-)Theorie der Beratung (2014), Formen. Zur Kopplung von Organismus, Psyche und sozialen Systemen (2018), Anleitung zum Populismus oder: Ergreifen Sie die Macht! (2019), Der Streit ums Nadelöhr. Körper, Psyche, Soziales, Kultur. Wohin schauen systemische Berater? (2019, zus. mit Jürgen Kriz), Lockdown: Das Anhalten der Welt (2020, zus. mit Heiko Kleve und Steffen Roth).


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