E-Book, Deutsch, 357 Seiten, eBook
E-Book, Deutsch, 357 Seiten, eBook
Reihe: MedR Schriftenreihe Medizinrecht
ISBN: 978-3-540-27643-2
Verlag: Springer
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Zielgruppe
Research
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Rechtstheoretische Grundlagen.- Die Rechtsordnung nach den Vorgaben des Grundgesetzes.- Die Hierarchie arztrechtlicher Normen.- Ergebnis.
Drittes Kapitel: Die Rechtsordnung nach den Vorgaben des Grundgesetzes (S. 71-72)
In diesem Kapitel bleibt zu prüfen, inwieweit das Grundgesetz die Ansichten der Lehre vom Stufenbau des Rechts in die von ihm konstituierte Rechtsordnung übernimmt (I.). Ebenso ist zu klären, welchen Einfluß andere Normenordnungen auszuüben vermögen, insbesondere, ob die Verfassungen der Bundesländer (II.) oder die Vorgaben des Völker- und Europarechts (III.) einer hierarchisch geordneten Rangfolge aus Rechtsnormen und Rechtsetzungsermächtigungen entgegenstehen. Schließlich bleibt darauf einzugehen, wie die nicht in einem rechtlichen Ableitungszusammenhang stehenden Normen gleichwohl in die Rechtsordnung des Grundgesetzes inkorporiert werden können (IV.).
I. Stufenbaulehre und Grundgesetz
Nachdem das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland auf seine Tauglichkeit als höchster positiver Normenkomplex der deutschen Rechtsordnung untersucht wurde (1.), kann anhand der verfassungsrechtlichen Vorgaben geklärt werden, ob die Theorie vom Stufenbau des Rechts in dieser Rechtsordnung eine positivrechtliche Bestätigung erfährt (2.). Abschließend bleiben einige weitere der angesprochenen rechtstheoretischen Erkenntnisse auf ihre Übernahme in die deutsche Rechtsordnung zu überprüfen (3.).
1. Das Grundgesetz als Verfassung der Bundesrepublik Deutschland
In den Verhältnissen zur Zeit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland wird zuweilen ein „Anlaß zu gewichtigen Zweifeln an der Verfassungsqualität des Grundgesetzes" erblickt.1 Mangels einer eigens einberufenen verfassungsgebenden Nationalversammlung bzw. einer Volksabstimmung über die Annahme des Grundgesetzes als Verfassung, aber auch aufgrund der fehlenden Souveränität der deutschen Staatsgewalt infolge des Besatzungsstatuts und der Tatsache, daß der Parlamentarische Rat nur einen Teil des deutschen Volkes vertreten konnte, wird die in der Präambel zu findende Bezugnahme auf die verfassungsgebende Gewalt der Deutschen nicht als sonderlich glaubwürdig angesehen.
Aufgrund dieser Gegebenheiten sprechen auch heute noch Stimmen aus dem Schrifttum von einem „fortwirkenden Legitimationsmangel", der auch durch 40 Jahre Akzeptanz des Grundgesetzes nicht geheilt werden könne, da bislang kein „Akt souveräner verfassungsgebender Gewalt des Volkes" vorliege.3 Andere erblicken dagegen in den Bundestagswahlen von 1949, spätestens aber in der Wahl von 1953 eine hinreichend deutlich gewordene Zustimmung der Bevölkerung, welche die Legitimität des Grundgesetzes außer Frage gestellt habe.
Es erscheint indessen fraglich, welches Ziel mit der Thematisierung der Legitimität einer Verfassungsgebung erreicht werden soll. Hier entsteht der Eindruck, die Etablierung einer Rechtsordnung sei nach Ansicht der entsprechenden Autoren rechtfertigungsbedürftig. Bei diesem Vorhaben kann es sich allerdings nur um eine außerrechtliche – zum Beispiel moralische – Rechtfertigung einer Verfassung und der von ihr geschaffenen Normenordnung handeln, nicht aber um ein juristisch faßbares Merkmal.
Denn oberhalb einer als höchste positive Norm verstandenen Verfassung kann es keine rechtlichen Vorgaben oder Bindungen mehr geben. Aus rechtlicher Sicht ist nach den bislang herausgearbeiteten Kriterien deshalb allein entscheidend, ob eine Verfassung und die von ihr konstituierte Rechtsordnung wirksam ist und sich durchzusetzen vermag. Die unter dem Stichwort der Legitimität einer Verfassung ins Felde geführten Argumente sind nur ein Hilfsmittel, um über die Akzeptanz in der Bevölkerung die Durchsetzungsfähigkeit der verfassungsmäßigen Ordnung zu erhöhen.
Das entscheidende Merkmal für die Geltung der Verfassung bleibt daher ihre Wirksamkeit im Sinne einer tatsächlichen Durchsetzbarkeit der von ihr konstituierten Rechtsordnung. Auch diese erscheint jedoch bei Erlaß des Grundgesetzes im Hinblick auf die Qualität der deutschen Staatsgewalt fraglich: Die Siegermächte hatten seit dem 5. Juni 1945 eine „supreme authority" über Deutschland beansprucht, sie waren darüber hinaus zu ihrer Durchsetzung in der Lage.