Schwerhoff | Auf dem Weg zum Bauernkrieg | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 43, 243 Seiten

Reihe: Konflikte und Kultur - Historische Perspektiven

Schwerhoff Auf dem Weg zum Bauernkrieg

Unruhen und Revolten am Beginn des 16. Jahrhunderts

E-Book, Deutsch, Band 43, 243 Seiten

Reihe: Konflikte und Kultur - Historische Perspektiven

ISBN: 978-3-381-12183-0
Verlag: UVK Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Vor dem 'großen' Bauernkrieg von 1525 gab es im Alten Reich eine Vielzahl von Unruhen, Aufständen und Revolten. Am bekanntesten sind die 'Bundschuh'-Verschwörungen und die Bewegung des 'Armen Konrad' in Württemberg im Südwesten, deren Bedeutung bis heute teilweise falsch eingeschätzt wird. Auch in den Städten gab es damals eine regelrechte Aufstandskonjunktur, die bislang kaum vergleichend erforscht wurde. Das Buch gibt einen Überblick zu diesen Phänomenen und stellt die Verbindung zur Reformation her, die insofern eine neue Phase einläutet, als sie den vormals fragmentierten Bewegungen eine gemeinsame Richtung gab. Schließlich wird der Bogen bis zum Beginn des Bauernkriegs geschlagen. Auf diese Weise werden Kontinuitäten und Brüche ebenso sichtbar wie Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den 'Voraufständen' und dem Bauernkrieg.

Prof. Dr. Gerd Schwerhoff lehrt Geschichte der Frühen Neuzeit an der Technischen Universität Dresden.
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3Eine Welt in Unruhe
Die alteuropäische Ständegesellschaft mochte, zumindest in den Augen der privilegierten Gruppen, dem göttlichen Weltenplan entsprechen und eine unveränderliche Ordnung darstellen. Die zahlreichen Unruhen in Stadt und Land, die Europa zwischen dem späteren Mittelalter und den Umwälzungen der Französischen Revolution durchziehen, sprechen eine andere Sprache. Niemand wolle mehr in seinem Stand bleiben, der Bauer kleide sich wie der Edelmann, die Geistlichkeit werde verachtet, so klagte 1514 Pamphilus Gengenbach: „Ein jeder wäre gern selbst Herr.“118 Geweckt wurden derartige Ängste der Privilegierten vor der Umwälzung aller Ordnung durch die zahlreichen kleineren und größeren Aufstände der Epoche, in denen sich die Unzufriedenheit des gemeinen Mannes artikulierte, ganz zu schweigen von vielfältigen Protest- und Widerstandsaktionen im Alltag.119 Viele Länder in Europa wurden im Spätmittelalter von Revolten heimgesucht.120 Ein auch nur halbwegs vollständiges Panorama dieser Unruhen in Europa entfalten zu wollen, überfordert den Horizont der vorliegenden Darstellung. Einige Schlaglicher müssen ausreichen. Nachdem bereits der Einbruch des ‚Schwarzen Todes‘ von 1348/49 den Beginn einer Krisenepoche121 signalisiert hatte, erschütterten im späteren 14. Jahrhundert zwei große Bauernrevolten das westliche Europa. 1358 kam es mit der „Jacquerie“ zu einem großen Aufstand im Königreich Frankreich, benannt nach der sprichwörtlichen Verkörperung des einfachen Bauern „Jacques Bonhomme“ (also ‚Hans Gutmann‘, eigentlich eine spöttische Fremdbezeichnung).122 In einem kleinen Dorf an der Oise rund 50 Kilometer nördlich von Paris kam es am 28. Mai 1358 zu einem Angriff auf Adlige, von denen neun starben. Für die Aufständischen war der Adel das Hauptangriffsziel, weil er durch seine Niederlage gegen die Engländer in der Schlacht von Poitiers (1356) an Prestige verloren hatte, seiner Schutzaufgabe nicht mehr nachkam und die Bauern überdies für die Lösegeldzahlungen der in der Schlacht Gefangengenommenen aufkommen mussten. Die Jacquerie erfasste nicht nur das Pariser Becken, sondern mit Teilen der Picardie, der Champagne und der Normandie weite Teile Nordfrankreichs. In den folgenden Tagen und Wochen wurden Dutzende von Schlössern und Herrensitzen gestürmt sowie weitere Adlige getötet. Aber bereits am 10. Juni schlug Karl von Navarra bei Mello eine mehrere tausend Mann umfassende Truppe der Jacques, nachdem sie ihren verhandlungsbereiten Hauptmann Guillaume Calle hinterhältig gefangen genommen und wenig später hatten hinrichten lassen. Vielerorts ging der Aufstand noch bis in den Hochsommer weiter, aber auch an anderen Orten wurde er blutig unterdrückt. Eine Generalamnestie des Königs im August war mit schweren Geldstrafen für die Unterstützer der Jacquerie verbunden. Ein wichtiger Bezugspunkt für die Jacquerie war die bürgerliche Erhebung in Paris unter Étienne Marcel, dem Vorsteher der Pariser Kaufmannschaft. Als Sprecher des Dritten Standes hatte Marcel dem Dauphin als Vertreter des Königs weitgehende Reformen im Sinn einer ständischen Mitsprache abgenötigt. Im Februar 1358 setzte er sich sogar an die Spitze eines Bürgeraufstandes, in Zuge dessen enge Berater des Königs umgebracht und stattdessen Marcel und seine Verbündeten zentrale Positionen im Staatsrat besetzen konnten. Der Pariser Kaufmannsvorsteher suchte das Bündnis mit den aufständischen Bauern, wurde aber im Zuge von Fraktionskämpfen zwischen dem Dauphin und dem König von Navarra am 31. Juli ermordet. Die Empörungen in Stadt und Land endeten damit fast zeitgleich. Auch der englische Bauernaufstand von 1381 war nicht lediglich eine lokal beschränkte Revolte der Bauern, sondern ein landesweiter Aufstand, der ausgehend von Essex und Kent 26 der 39 Grafschaften von Cornwall im äußersten Südwesten des Landes bis Yorkshire im Norden erfasste.123 Die weite Verbreitung der Revolte zeigt, wie groß und vielfältig die allgemeine Unzufriedenheit z.B. mit der restriktiven Arbeitsgesetzgebung und der Leibeigenschaft war, eine Unzufriedenheit, die sich nach dem Tod des langjährigen Königs Edward III. im Zeichen von hoher Besteuerung, Korruption und des informellen Regiments des unbeliebten Herzogs von Lancaster zu einer grundsätzlichen Vertrauenskrise in Herrschaftsapparat und Rechtsprechung steigerte. Die gut organisierten Rebellen rückten unter ihrem Anführer Wat Tyler rasch auf London vor und übernahmen dort für einige Tage faktisch die Herrschaft. Führende Amtsträger und Richter, darunter der Erzbischof von Canterbury und Kanzler Simon Sudbury sowie der Schatzmeister Robert Hales, wurden exekutiert. Dutzende von Fremden, insbesondere Flamen, fielen blutigen Massakern zum Opfer.124 Die Bestrafung korrupter Amtsträger gehörte auch zum politischen Programm der Aufständischen, die überdies eine Abschaffung der Leibeigenschaft und eine Begrenzung der Pachtsumme für Grund und Boden forderten. Im Laufe des Aufstands wurden die Forderungen grundsätzlicher und zielten auf eine Beteiligung aller Menschen an der Herrschaftsausübung.125 Nachdem Wat Tyler während der Verhandlungen mit dem jugendlichen Monarchen Richard II. in Smithfield am Morgen des 15. Juni getötet worden war, konnten die meisten seiner Anhänger aber erstaunlich schnell zum Rückzug und zur Heimkehr bewogen werden. Der Niederschlagung der Revolte in den verschiedenen Grafschaften folgte, wobei die mindestens 150 nachgewiesenen Exekutionen durch Sondertribunale sicherlich nur die Spitze des Eisberges darstellten. Insgesamt aber war die obrigkeitliche Reaktion vergleichsweise gemäßigt.126 In anderen Teilen Europas kam es im Spätmittelalter ebenfalls zu großräumigen, weite Teile des jeweiligen Herrschaftsgebietes erfassenden Aufstandshandlungen. So rebellierten die freien und gut bewaffneten Bauern (und Bergleute) im Königreich Schweden in den 1430er Jahren, z.T. im Bündnis mit Bürgern und Kleinadligen, gegen die steuerlichen Belastungen durch den König. Mit dem sog. Engelbrekt-Aufstand ab 1434 vollzog sich „der entscheidende Durchbruch des ‚Gemeinen Mannes‘ zu einem politischen Faktor, mit dem fortan gerechnet werden musste.“127 Im Osten Europas kam es dann 1514 zu einer großen Rebellion der Bauern die ein ganz eigenes Gepräge besaß.128 Ausgangspunkt des ungarischen Dózsa-Aufstands bildete der Kreuzzugsaufruf des neugewählten Papstes Leo X. gegen die Türken und Tartaren, die dessen Kardinallegat Tamás Bakócz am Palmsonntag in Ofen (Buda, heute Teil von Budapest) verkünden ließ. Am Anfang war die Mobilisierung spärlich, gewann dann aber durch die Verkündigung von Bettelmönchen und kleinen Weltgeistlichen an Fahrt, sodass sich bis zum Ende des Monats zehntausende Menschen an den Sammelplätzen einfanden. Am 15. Mai hatte das Hauptheer unter seinem Befehlshaber György Dózsa von Pest aus bereits seinen Zug nach Südosten begonnen, als der Legat zunächst die Werbungen für den Zug einstellen und wenig später dann den Kreuzzug für beendet erklären ließ; mehr noch, alle, die die Waffen nicht niederlegen wollten, wurden mit dem Bann bedroht. Als Grund wurden gewaltsame Steuer- und Zollverweigerungen unter dem Deckmantel der Kreuzzugsbewegung genannt. Was der Kirchenführer zu verhindern suchte, wurde nun aber erst recht Realität: Die Bewegung schlug in einen allgemeinen Aufstand unter Führung Dózsas um, ja zu einem heiligen Krieg der Bauern. An die Stelle der ungläubigen Osmanen traten nun die untreuen Adligen, die ihre Untertanen nicht schützten, sie aus niederen Motiven vom Kreuzzug abhalten wollten und sie mit Abgaben und Zöllen schwer belasteten. Inwieweit dahinter ein neues Gesellschaftsmodell allgemeiner ständischer Gleichheit unter einer monarchischen Spitze stand, ist nicht vollkommen klar.129 Nach einigen militärischen Erfolgen begannen die Aufständischen Mitte Juni mit der Belagerung von Temesvár, wurden aber am 15. Juli durch ein adliges Entsatzheer unter Johann Zápolya geschlagen, dem Wojewoden von Siebenbürgen und späteren ungarischen König. Wenig später wurde Dózsa, der seinerseits adlige Gegner hatte pfählen lassen, in einem grausamen Ritual mit einer glühenden Eisenkrone als falscher Herrscher verhöhnt und getötet; dabei wurden seine Anhänger angeblich gezwungen, Teile seines Körpers zu essen. Auch andere Kapitäne und Anstifter wurden gnadenlos hingerichtet, die Masse der Aufständischen nach Bezahlung der Schäden jedoch freigelassen, „da der Adel ohne das Bauerntum nicht viel Wert ist“.130 Insgesamt ist der ungarische Bauernaufstand ein gutes Beispiel für die ungeplanten und überraschenden Dynamiken von Aufstandsbewegungen: Plötzlich wurde das Kreuzzugsgeschehen zu einer Arena für den Austrag sozialer Konflikte zwischen dem Gemeinen Mann und dem Adel, wobei die Wortführer dieses Gemeinen Mannes wohl vor allem gut betuchte Weinbauern und Viehhändler aus der ungarischen Tiefebene waren und zu den Aufständischen durchaus auch Kleinadlige und kleine Geistliche gehörten.131 Die religiöse Heiligung des Aufstandes durch die Predigten der Bettelmönche trug offenkundig viel zu dieser Dynamik bei. In Oberungarn (der heutigen Slowakei), einem Zentrum der europäischen Kupfer- und Silberproduktion, kam es überdies seit 1500 zu Spannungen zwischen Bergarbeitern, den privilegierten Bürgern der Bergstädte und der Familie Thurzo, die das...


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