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E-Book

E-Book, Deutsch, 162 Seiten

Reihe: Theorie und Methode

Schwaiger Schenken

Entwurf einer sozialen Morphologie aus Perspektive der Kommunikationstheorie
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-7445-0429-4
Verlag: Herbert von Halem Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Entwurf einer sozialen Morphologie aus Perspektive der Kommunikationstheorie

E-Book, Deutsch, 162 Seiten

Reihe: Theorie und Methode

ISBN: 978-3-7445-0429-4
Verlag: Herbert von Halem Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Der Autor verwendet einen neuartigen Ansatz, um das Schenken und seine Funktion in der Moderne zu interpretieren: Geschenke stellen Kommunikationsakte dar, die die Bedingung des Kommunikationserfolgs – die Erzwingung von Anschlussakten – bereits in der Materialität des Mediums in sich tragen. Trotz der "Erfolgsgarantie für die Unwägbarkeit von Kommunikation" bleibt die sozialintegrative Kraft des modernen Schenkens diffus, da sich Geschenke keinem sozialen Subsystem unterordnen. Daher lässt sich zugleich ein Schwund als auch eine Intensivierung der kulturellen Kodierung des Schenkens beobachten. Holger Schwaiger promovierte mit dieser Arbeit im Jahr 2011 am Institut für Soziologie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

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2. Soziale Morphologie I: Empirie und Spektrum des Schenkens
Wodurch das Schenken im Alltag moderner Gesellschaften bestimmt ist – auch im Vergleich zur Gabe in archaischen Gesellschaften – und welchen Stellenwert es im sozialen Verhältnis der Menschen besitzt, kurz gesagt: der Entwurf einer sozialen Morphologie des Schenkens ist ein Ziel der vorliegenden Arbeit. Eine solche Morphologie zielt darauf ab, das Phänomen des Schenkens sowohl von seiner Genese als auch von seinem inneren Aufbau und der äußeren Gestaltung her soziologisch zu beschreiben. So lassen sich Funktion und sozialer Sinn des Schenkens mitsamt seiner Hinterwelt verstehbar machen. Der folgende Abschnitt gibt in einem kursorischen, skizzenhaften Durchlauf durch die unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen einen Überblick über das Spektrum wissenschaftlicher Annäherungsweisen an das weitläufige, »totale Phänomen« Schenken. Im Mittelpunkt steht dabei zunächst die Frage, wie viel die jeweilige Disziplin zur Klärung des Ursprungs des Schenkens beitragen kann. Quasi als Nebeneffekt werden die disziplininternen Theoriefronten zumindest markiert. Dabei zeigt sich, dass bislang keine Disziplin das Schenken als Kommunikation interpretiert hat. In der Verfolgung dieser Zielstellung erhebt der folgende Überblick über das Spektrum der Disziplinen nicht den Anspruch, detailreiche, tiefschürfende Einzelanalyse jeder Disziplin zu liefern. 2. 1. Geringe Erkenntnisse zum modernen Schenken aus der Empirie
Umfassende soziologische Studien zum Schenken bzw. Schenkverhalten wurden bislang nur sehr spärlich durchgeführt. Sie besitzen keinen repräsentativen Charakter, bilden eine teils schon obsolete empirische Datenlage ab.10 Sie schenken zwar den soziologischen Begleitumständen des Schenkens die notwendige Beachtung, aber auch sie lassen den Aspekt der Kommunikation des Schenkens unberücksichtigt. In unbestimmten Abständen widmen sich vor allem die Marktforschung und ihr nahestehende Fachgebiete dem Schenken aus empirischer Sicht. Im Zentrum solcher Studien stehen selten oder nie Aspekte wie Schenkanlässe oder -zeremonie, die Erwiderung der Gabe o. ä. geschweige denn der kommunikative Aspekt des Schenkens. In der Regel geht es um die Erkenntnis, welche Artikel in welcher Dimension Kunden als Geschenke zum Verschenken an Dritte kaufen und in der Folge davon, wie sich dieses Verhalten zur künftigen Profitmaximierung durch die Branche ausnutzen lässt.11 Dabei hat sich herausgestellt, dass sich die Untersuchung dieser Fragen hauptsächlich auf Bücher, Blumen, Süßwaren und Spielzeug konzentriert, also auf Artikel, die sich für die Auftraggeber der Studien in der gegenwärtigen Wirtschaftsform als typische Geschenke herausgestellt haben. Weiter zeichnet sich aus der Analyse empirischer Daten ein Trend dahingehend ab, dass Frauen quantitativ öfter Geschenke geben als Männer, allerdings die Männer üblicherweise die größeren Geschenke verschenken als Frauen.12 Mehr volkswirtschaftlich orientierte Studien13 beispielsweise versuchen einen Überblick über die wachsende fiskalische Bedeutung der Erbschaftssteuer für die Länder zu geben. Sie berücksichtigen dabei das Schenken lediglich in Form anfallender Schenkungssteuern oder untersuchen die Lebenslage und Einkommenssituation älterer Menschen in der Bundesrepublik durch empirische Auswertung des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP). Dabei wird das Schenken bloß als ökonomische Größe intrafamilialen Transfers älterer Menschen wahrgenommen. Der so genannte »Werbegeschenkhandel« hat keinerlei soziologisch tiefgreifende Erkenntnisse über die Kommunikation des Schenkens. Als Handel – das resultierte aus einer Reihe von Interviews – ist die Branche weniger am Schenken als an ihrer eigentlichen Bestimmung, dem ökonomischen Handel interessiert. Geschenke sind für die Branche nur relevant insofern sie Handelsware sind. »Epiphänomene« des Schenkens – wie erlaubte oder unerlaubte Geschenke, Zeremonien usw. – befinden sich außerhalb des ökonomischen Handlungsrahmens und bleiben unreflektiert; eine Ausnahme bildet der Geschenkanlass, der vom Handel ökonomisch ausgenutzt wird, um anlassspezifisch Waren (überspitzt: Schokoladennikoläuse in der Weihnachtszeit und Schokoladenosterhasen in der Osterzeit) auf den Markt bringen zu können. 2. 2. Interpretationen und Ursprünge des Schenkens
Mauss’ kanonischer Essai sur le don: forme et raison de l’échange dans les sociétés archaïques wendet sich im Zusammenhang mit der Ökonomie und Moral des Geschenks in einem kurzen Exkurs der Bestimmung des Verhältnisses von Gabe und Opfer bzw. Almosen zu. Er kommt u. a. zu dem überraschenden Ergebnis, dass eine Theorie des Schenkens sowohl zur Aufklärung der Natur und Funktion des Opfers beitragen könne als auch als Ausgangspunkt für eine Theorie des Almosens dienen könne.14 Das überraschende Moment liegt in der Tatsache, dass sich – im Gegensatz zu späteren Veröffentlichungen zur Gabe, die den Ursprung des Schenkens z. B. aus der Theorie des Opfers bzw. Almosens zu rekonstruieren versuchen – die Begründungslogik bei Mauss gerade entgegengesetzt aufbaut: Weil Mauss also dazu tendiert, das Schenken als Ursache für das Opfer oder das Almosen zu begreifen, kann man im Essai auch keine Antwort auf den Ursprung der Gabe aus dem Opfer finden. Wie auch immer man die Kausalität setzen möchte, so lässt sich wenigstens aus Émile Durkheims Diskussion des Opfers sozusagen als kleinster gemeinsamer Nenner von Schenken und Opfern festhalten, dass in beiden Fällen die Regel des do ut des gilt, d. h. dass in der Tat ein Zirkel von Geben und Nehmen besteht.15 Da Mauss in seinem Essai eigentlich nach einer Antwort auf den Ursprung der Gabe sucht, sollen im Anschluss Untersuchungen16 aus verschiedensten Wissenschaftsdisziplinen analysiert werden, die mögliche Ursprünge des Schenkens zu rekonstruieren versuchen. Gleichzeitig zeigt die Analyse, welcher Virulenz sich die Gabe bzw. das Geschenk in den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Disziplinen erfreut. Dies seinerseits ist wiederum Beleg dafür, welch umfassende Relevanz die Gabe bzw. das Geschenk in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen beanspruchen kann. Linguistisch-anthropologische Deutungsversuche Eine Möglichkeit, den ontogenetischen Ursprung des Phänomens Schenken zu Tage zu fördern, liegt in der Rekonstruktion der linguistischen Fundierung des Schenkens. Die Linguistik versucht sowohl anhand syntaktischer wie auch semantischer Auffälligkeiten (die Bedingungen für) die Entstehung des Schenkens zu verstehen. Z. B. versucht Jacob Grimms klassische, etymologisierende Schrift »Über schenken und geben« (sic!) das Wesen des Schenkens aus der Beziehung zwischen der sozialen Handlung selbst und seiner sprachlichen Bezeichnung im Verlauf mehrerer Jahrhunderte zu deuten. Grimm schickt sich an, den Gebrauch des Schenkens im Altertum und dessen Niederschlag in der Sprache zu erörtern.17 Dass er also nicht vom sprachlich Gegebenen auf die Natur des sozialen Aktes schlussfolgert, sondern umgekehrt verfährt, ist im vorliegenden Kontext von Vorteil, da die kulturwissenschaftliche Perspektive nicht vom linguistischen Erkenntnisinteresse überschattet wird. Die wohl bemerkenswerteste Annahme, die Grimm so zu Tage fördert, betrifft den Ursprung des Schenkens: Nach Grimm liegt der Ursprung des Schenkens in dem alten Brauch, Gästen ein Getränk zur Begrüßung und Labung nach anstrengender Reise einzuschenken. Das Prinzip des Eingießens bzw. Einschenkens hat im Lauf der Zeit18 seine Differenz zum Geben verloren, so dass Schenken und Geben als von ihrer Bedeutung her auswechselbar aufgefasst wurden. Unterstützung erfährt diese These durch Untersuchungen zur Anthropologie des Gebens, indem die Entstehung des Schenkens ebenfalls aus der Gastsituation rekonstruiert wird.19 Denn sowohl die Theorie des Opfers als auch die hunting hypothesis wie auch ethologische Theorien über das Brutpflegeverhalten und über rituelle Nahrungsverteilung scheinen als anthropologische Erklärung für den Ursprung des Schenkens unzureichend. Allgemein scheinen Theorien, die den Ursprung des Schenkens allein aus dem Opfer abzuleiten versuchen, nicht zu einer schlüssigen, letztgültigen Antwort zu führen, sondern die Problematik lediglich in andere Bereiche wie z. B. die Religion zu verschieben. Sollte sich das Opfer als das Entstehungszentrum des Schenkens beweisen lassen, so bliebe demnach ungeklärt, warum es den Menschen Gewohnheit wurde, ihren Göttern, Götzen oder Ahnen weiterhin Opfer darzubringen. Auch die rein anthropologisch orientierte hunting hypothesis kann offensichtlich nur eine nochmalige Verschiebung des Problems, jedoch keine Lösung anbieten. Nach dieser Hypothese entwickelten sich erste Vergesellschaftungsformen bei der gemeinsamen Jagd, bei der in einer Art kollektiven Sühne ein Jagdopfer dargebracht wurde.20 Bei Helmut Berking wird die Relevanz des Schenkens für die Strukturierung moderner Gesellschaften aus der Soziologie Simmels heraus entwickelt, doch beschränkt sich diese Untersuchung im Wesentlichen auf die anthropologische Perspektive des Schenkens und stellt daher – ganz legitim entsprechend ihrer Zielsetzung – weder eine soziologische, noch eine universale Theorie (über den Ursprung) des Schenkens dar. Auch Émile Benvenistes sprachhistorische Untersuchungen über die Kulturinstitutionen der indoeuropäischen Völker, anhand derer er hypothetisch...


Holger Schwaiger studierte Soziologie, Philosophie, Politischen Wissenschaft und Anglistik in Erlangen und Aberdeen und war 1999/2000 Visiting Research Scholar an der New School for Social Research/New School University in New York City.



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