Die publizistische Arbeitsgemeinschaft und Freundschaft zweier westdeutscher Sozialisten
E-Book, Deutsch, 396 Seiten
ISBN: 978-3-910732-07-0
Verlag: Dittrich Verlag ein Imprint der Velbrück GmbH Bücher und Medien
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
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Rüdiger Scholz
Erinnerungen an Erasmus Schöfer
Ich kannte Schöfer als Schriftsteller lange aus meiner Tätigkeit als Hochschullehrer seit 1968, da ich mich für Arbeiterliteratur engagierte, nach der Habilitation meine Antrittsvorlesung 1981 über Günter Wallraff hielt. Der Kontakt kam aber erst spät zustande, über meinen Aufsatz über den Stand der Arbeiterliteratur von 2003 in der Festschrift für Rainer Noltenius, dem Leiter des Fritz Hüser-Instituts für Arbeiterliteratur in Dortmund. Schöfer suchte Kontakt zu mir wegen meiner guten Kenntnisse in der Geschichte des Werkkreises Literatur der Arbeitswelt. Persönlich kennengelernt habe ich ihn bei der Beerdigung von Max von der Grün, der am 7. April 2005 starb, wo ich auch Wallraff persönlich begegnete. Schöfer war ein mittelgroßer, schmaler Mann mit einem beeindruckenden Charaktergesicht, von Statur kleiner als Wallraff mit seinen langen Beinen. Er sprach entgegen meiner Erwartung ganz milde und freundlich, mit eher leiser Stimme. Wallraff, der mit einer seiner Töchter zur Trauerfeier für Max von der Grün gekommen war, und Schöfer waren Weggefährten schon in der Gruppe 61, betrieben gemeinsam die Gründung des Werkkreises Literatur der Arbeitswelt 1969. Beide wohnten in Köln und hatten öfter Kontakt. Auf dem Weg von der Trauerhalle zu dem Lokal, in dem Jenny von der Grün zu Kaffee und Kuchen eingeladen hatte, flachsten die beiden ein wenig über ihre Frauengeschichten. Wallraff, der aus drei Ehen fünf Töchter hat, schränkte schalkhaft ein, das wären die Kinder, von denen er wüsste. Er und Schöfer, der aus drei Ehen vier Kinder hatte (was ich damals noch nicht wusste), sollten doch ehrlich sein: Schriftsteller wären sie nur geworden, um bessere Chancen bei Frauen zu haben. Ich war von Schöfers erstem Sisyfos-Roman, »Ein Frühling irrer Hoffnung«, begeistert. Die vielen Anspielungen auf Zeitereignisse woben ein dichtes historisches Netz, die Mischung aus Fiktion und geschichtlicher Realistik fand ich gelungen. Auch der zweite Roman »Zwielicht« über Betriebskämpfe und die intellektuelle Diskussion über die Zukunft der bundesrepublikanischen Gesellschaft erschien mir ein wichtiges literarisches Dokument zur Zeitgeschichte. Entscheidend war für mich Schöfers politische Einstellung zu den Protestbewegungen, seine Sympathie für den Kampf für eine andere Gesellschaft, den er mit seiner Teilnahme an Protesten seit den Demonstrationen gegen die Notstandsgesetze auch handelnd unter Beweis gestellt hatte, und für sein großes Engagement für die Erneuerung der Arbeiterliteratur. Ich hatte im Februar 2004 meine aktive Laufbahn als Hochschullehrer mit einer Abschiedsvorlesung beendet, an deren Ende ich die Internationale gesungen hatte. Diese Abschiedsrede ließ ich auch im Privatdruck erscheinen. Aus ihr erfuhr Schöfer meine Einstellung und meine Teilnahme an der Protestbewegung. Hier trafen zwei sozialistische Publizisten aufeinander, es eröffnete sich die Möglichkeit einer Zusammenarbeit. Ich wollte etwas für diese Romane tun und bot an, einen wissenschaftlichen Aufsatz darüber zu schreiben, was ich dann auch tat, der 2005 im Peter Weiss Jahrbuch erschien. Ab da gab es einen kontinuierlichen Briefwechsel. Wir teilten uns gegenseitig unsere Projekte und deren Fortschritte mit, diskutierten Texte, berichteten über Kontakte zu anderen Mitstreitern und Mitstreiterinnen, formulierten Meinungen und Urteile zum Zeitgeschehen. Ich veröffentlichte zwei weitere Aufsätze, je einen über die Sisyfos-Romane drei und vier, dazu mehrere kleinere Rezensionen in verschiedenen Zeitschriften, schlug Schöfer für Preisverleihungen vor. Schöfer rezensierte meine 2011 erschienene Geschichte der Faust-Forschung und wirkte an meinem Buch über Max von der Grün mit, das 2015 erschien. Schöfer kam zweimal zu Lesungen nach Freiburg, einmal im November 2005, wo er aus seinem zweiten Sisyfos-Roman »Zwielicht« las, und 2009, nach Erscheinen des 4. Bandes. Schöfer lernte dabei einige der linken Kollegen von mir kennen. Bei einem Gespräch in einer Kneipe nach seiner Lesung erzählte Schöfer über die Anfänge seiner Protesthaltung. Als ein Professor während seines Studiums in den 1950er Jahren in einer Vorlesung sich gegen den Plan einer atomwaffenfreien Zone in Europa aussprach, sei er aufgestanden und hätte heftig widersprochen. In einem späteren Interview hat Schöfer das so erzählt: Als Ende der fünfziger Jahre der Plan des polnischen Außenministers Adam Rapacki für eine atomwaffenfreie Zone in Europa vorgelegt wurde, erlebte ich an der Universität in einer großen Philosophievorlesung, wie sich der Professor darüber verbreitete, daß man das nicht akzeptieren könne. Da bin ich aufgestanden und habe gesagt, daß ich eine atomwaffenfreie Zone in Mitteleuropa für sehr sinnvoll hielte und Adenauer unbedingt darüber verhandeln müßte. Das war eine Mutprobe für mich. Denn das war zu einer Zeit, als kein Student sonst in so einer großen Vorlesung etwas gegen den Professor gesagt hätte. (Gespräch des Chefredakteurs Arnold Schölzel in der »jungen Welt«, am 22. 10. 2005 mit Erasmus Schöfer) Schöfer war über die beiden Lesungen hinaus mehrfach mit Freiburg verbunden. Sein Studium hatte er 1960 in Bonn mit der Promotion über Martin Heideggers Sprache abgeschlossen. Er hatte vor, sich bei dem Freiburger Sprachwissenschaftler Johannes Lohmann zu habilitieren. Versuche, sich als Schriftsteller zu profilieren und zu etablieren, begannen in Freiburg. In der Juni-Ausgabe 1962 der Freiburger Studentenzeitung erschien ein Text von ihm mit dem Titel »Der Gang durch die Bombe«, ein offenbar aus einem größeren Text stammender Ausschnitt über die bedrohliche Anlandung eines Fischerbootes im Krieg, dessen Zusammenhang nicht erklärt wird. Im Dezember 1963 fand eine Literaturveranstaltung der Freiburger Studentenzeitung statt, dessen erster Vortragender Erasmus Schöfer war, der Gedichte vortrug und seine hörspielartige szenische Satire »Durch die Wüste«, von der im Juni 1964 berichtet wird, dass die »Uraufführung« auf der Studiobühne vorbereitet werde. Nach Schöfers Aussage hat diese Aufführung stattgefunden. Die Diskussion über dieses Stück nach Schöfers Vortrag 1963 wird im Bericht der Freiburger Studentenzeitung als lahm beschrieben, Schöfer habe die Einwände gegen seine satirischen Angriffe nicht gut pariert. Wie klein die Welt ist, beweist meine Biographie als Student und Hochschullehrer. Ich begann mein Studium 1959 in Freiburg und blieb dort bis 1961, ging dann nach Saarbrücken, wo ich 1966 das erste Staatsexamen machte, die Referendarzeit im Saarland absolvierte und 1968 an der Freiburger Universität Hochschullehrer wurde. Schöfer kehrte 1975 wieder, als Agitator und Journalist gegen das geplante Atomkraftwerk Wyhl am Kaiserstuhl. In seinen zweiten Sisyfos-Roman »Zwielicht« montierte er eine Liebesgeschichte zu einer Badenserin. Eine ehemalige Liebschaft von ihm lebte in Freiburg, und Schöfer trug sich nach dem Abschluss der Sisyfos-Romane mit dem Gedanken, nach Freiburg zu ziehen. Er bat mich, nach einer Wohnung für ihn Ausschau zu halten. Die Zusammenarbeit mit Schöfer bestand achtzehn Jahre lang, kontinuierlich, bis zum Schluss. Hier trafen zwei Interessen aufeinander, die sich ergänzten. Schöfer suchte für die Verbreitung seines Hauptwerkes, »Die Kinder des Sisyfos«, Unterstützung. Ich selbst wollte etwas mehr für die Geschichte der Arbeiterliteratur tun. Ich hatte seit 1970 einen Schwerpunkt meiner Lehre auf diesem Gebiet, im Rahmen eines meiner Seminare kam einmal Max von der Grün zu einer Lesung mit Diskussion. Trotz meiner Antrittsvorlesung 1981 über Günter Wallraff hatte ich nichts zur Arbeiterliteratur veröffentlicht und empfand das als Manko, dem ich abhelfen wollte. Aus diesem Grund kam der Aufsatz in der Noltenius-Festschrift über den gegenwärtigen Stand der Arbeiterliteratur zustande. Mein Engagement für Schöfers Roman-Tetralogie war also keine altruistische Freundlichkeit gegenüber dem Autor, sondern entsprach meinem eigenen Interesse. Als pensionierter Professor hatte ich jetzt mehr Zeit für wissenschaftliche Publikationen. Beiderseitiges Interesse war es auch, die zu dem Plan eines gemeinsamen Hauptseminars über die Literatur 1968er Jahre führte. Im Wintersemester 2005/06 hielt ich mit Schöfer zusammen ein Seminar über ’68er Literatur an der Universität Freiburg ab, d.h. ich wollte mehrere Sitzungen mit ihm gemeinsam machen. Daraus wurde aber nichts, weil die Fakultät Schöfer keinen bezahlten Lehrauftrag erteilen wollte. So blieb es bei einer Sitzung, in der Schöfer über seinen Weg in die linke Opposition sprach. Großes Interesse bei den SeminarteilnehmerInnen löste Schöfers Erzählung über die Bedeutung des Vietnam-Krieges für linke Intellektuelle aus. Der Vietnamkrieg war für viele eine historische Zäsur, weil damit die USA ihr humanistisches Image...