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Schönnagel | Jesus ist die einzige Hoffnung für dich. Steht sogar in meiner Stasi-Akte. | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 304 Seiten

Schönnagel Jesus ist die einzige Hoffnung für dich. Steht sogar in meiner Stasi-Akte.

Die DDR, unsere Knast-WG und ich
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7751-7668-2
Verlag: Hänssler
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Die DDR, unsere Knast-WG und ich

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

ISBN: 978-3-7751-7668-2
Verlag: Hänssler
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Schon als Kind erlebt Jürgen Schönnagel die Repressionen des Staates DDR, weil er zu viele Kinder in die Kirche schleppt. Als Jugendlicher verabschiedet er sich wegen des Vorbildes der Christen vom Glauben. Über den Umweg der politischen Haft und den zunehmenden Auswirkungen seiner Alkoholabhängigkeit findet er auf einer christlichen Veranstaltung Jesus. Neben der Befreiung von der Sucht findet er seinen Sinn im Leben und seine Berufung. Er engagiert sich in der Suchtkrankenhilfe des Blauen Kreuzes und gründet u.a. in der JVA Brandenburg a.d.H. eine deutschlandweit einzigartige Wohngemeinschaft für Gefangene, die unter Drogeneinfluss Straftaten begingen und sich nach echter Veränderung sehnen. Sogar mitten im Knast wird eine Taufe organisiert ...

Jürgen Schönnagel, geboren 1944 in Rathenow, ist ein Jünger Jesu. Er war in seinem bewegten Leben u.a. als Bauschlosser, Kellner, Leiter einer Lebensmittelkaufhalle und Filialleiter eines Fliesenhandels tätig. Zu DDR-Zeiten war er als politischer Gefangener in Stasi-Haft. 1981 gründete er die Selbsthilfegruppe in der evangelisch-freikirchlichen Gemeinde Potsdam, aus der der BK Verein Potsdam mit etlichen Begegnungsgruppen hervorging. Nach jahrelangem Engagement in der christlichen Suchtkrankenhilfe des Blauen Kreuzes gründete er - selbst trockener Alkoholiker - 1990 die deutschlandweit einmalige Wohngruppe 'Suchtfrei leben' innerhalb der JVA Brandenburg a.d.H. 2006 wurde die Schwestergruppe in der JVA Luckau-Duben gegründet. 25 Jahre lang betreute er ehrenamtlich die Wohngruppe und konnte einer Vielzahl von Straftätern mit Suchtproblematik zu einem veränderten Leben helfen. 2018 erhielt er die Verdienstmedaille des Landtags Brandenburg. Mit seiner Frau lebt er in der Nähe von Potsdam. Die beiden haben zwei erwachsene Kinder, Enkelkinder und einen Urenkel.
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Politischer Gefangener


Der Alkoholkonsum von mir und meinen Freunden hielt sich, schon aus monetären Gründen, im unteren Level. Samstagabends war im Sportpalast Umtrunk. Der endete nicht immer volltrunken, aber häufig mit Raufereien und manchmal auch Schlägereien. So kam es zu dem einen einschneidenden Erlebnis meiner Jugendzeit.

Mit einer Freundin kam ich von einer privaten Feier in Premnitz im Havelland. Sie wollte nach Hause, ich in den Sportpalast. Ich fand, es war noch zu früh, um für diesen Tag Schluss zu machen, und hatte bisher auch nur wenig getrunken. Im Sportpalast belästigte mich ein Oberleutnant der Nationalen Volksarmee in Uniform, voll wie eine Strandhaubitze, und ich war der Meinung, dass ich mich revanchieren müsse. Er versteckte sich hinter einem großen Tisch. Weil ich ihn nicht erreichen konnte, schüttete ich ihm ein Glas Bier ins Gesicht. Für mich war die Sache damit erledigt. Dachte ich.

Plötzlich standen zwei Vopos auf der Tanzfläche und wollten mich »zur Klärung eines Sachverhalts« herausholen. Aber ich erwiderte frech: »Ich komme, wenn ich fertig bin mit Tanzen.« Das konnten sie sich wiederum nicht gefallen lassen und zerrten mich vor die Gaststätte. Andere Gäste hatten das beobachtet, viele mischten sich ein und es gab einen riesigen Tumult. Ich musste in den Beiwagen eines Krads einsteigen. Weil ich aber sah, dass die Meute Anstalten machte, ein Auto umzustürzen, sprang ich wieder hinaus und hielt die Jungs davon ab. Dann ging es, wieder mal, ab in den Polizeikeller. Solche Kneipentumulte gab es öfter. Meist wurden die Akteure auf Polizeilastwagen irgendwo in den Wald gekarrt und abgesetzt. Die frische Luft und der folgende Fußmarsch beruhigten ungemein. Nach etwa einer Stunde setzte dann das Denken wieder ein.

Diesmal war es anders. Es war Sommer, ich wurde in den Polizeikeller gesteckt und musste dort ausharren. Was dann geschah, brachten sogar eine Westzeitung und der RIAS Berlin als Meldung. Anscheinend spielten sich dramatische Szenen ab. In der Innenstadt gab es Gewaltausbrüche, hatte doch der besagte Oberleutnant zwei Lastwagen voller »Armisten« nach Rathenow beordert und den Befehl gegeben, mit Gewalt gegen die »Provokateure« vorzugehen.

Nach einer Nacht in Polizeigewahrsam mit Protokollierung des Sachverhalts wurde ich entlassen. Ich trat meinen Urlaub an und fuhr zu meiner Schwester nach Malchin. Kaum angekommen, erreichte mich ein Telegramm der Kripo mit der Aufforderung, sofort in der Dienststelle in Rathenow vorstellig zu werden. Dort musste ich ein zermürbendes Verhör über mich ergehen lassen. Nach zwölfstündiger Dauerbefragung wurde mir mitgeteilt, dass ich verhaftet sei. Noch am gleichen Abend ging es mit der »Minna« in die Strafvollzugseinrichtung Brandenburg an der Havel. Die U-Haft der Polizei in Brandenburg wurde gerade renoviert, deshalb war im Zuchthaus Brandenburg eine Abteilung reserviert. Gegen Mitternacht kamen wir an.

Es war schon krass, von jetzt auf gleich nichts mehr ohne Aufsicht tun und lassen zu können. Mein Freund Peter, der ebenfalls inhaftiert worden war, und ich standen in einem Rechteck mit vier Meter hohen Mauern im grellen Scheinwerferlicht, von sechs Uniformierten umstellt. In Verkennung der Sachlage murmelte ich ihm zu: »Wenn die uns angreifen, hauen wir zurück!« Gott sei Dank kam es nicht dazu.

Am nächsten Morgen wurde ich sehr früh unter großem Geschrei geweckt. Drei Uniformierte standen in der Zelle und einer von ihnen brüllte mich immer wieder an: »Melden!« Ich stand, als Nacktschläfer irgendeine Decke vor mich haltend, ratlos da und wusste nicht, was ich denn zu melden hätte. Nach einem Frühstück von zweifelhafter Zusammensetzung ging es in den Duschraum. Er war riesengroß und hatte zwei lange Reihen mit offenen Duschen. Ich war zuerst allein, doch dann näherte sich mir ein Gefangener mit einem Wasserschieber und tat so, als ob er die Fliesen reinigte. Flüsternd fragte er mich, wie lange ich schon drinnen sei. Ich zeigte auf meinen sommerlich gebräunten Körper und flüsterte zurück: »Seit heute Nacht. Und du?«

»Seit dem 17. Juni!«

Ich erschauerte, weil mir klar war, dass er den 17. Juni 1953 meinte – den Tag des Arbeiteraufstands. Wir hatten den 31. Juli 1964.

In der Gemeinschaftszelle, in der ich untergebracht war, peilte ich erst einmal die Lage: drei Doppelstockbetten, fünf Mitgefangene, ein Tisch, vier Stühle und ein Kübel für die Notdurft, ohne Schamwand, also für jeden einsichtig, gleich neben der Eingangstür. Als Zeichen meiner guten Absichten legte ich direkt meine heiß begehrten Zigaretten auf den Tisch.

In jeder Gruppe gibt es einen Anführer. Unserer saß mit freiem Oberkörper auf einem der oberen Betten. Dann folgte ein grober Anfängerfehler von mir: Ich fragte jeden nach dem Grund seines Hierseins. Der Letzte in der Runde, ein dürrer Mittfünfziger, sagte: »Verführung Minderjähriger.« Ich fragte nach, was genau das hieß. Antwort: »Sie war dreizehn Jahre alt.«

Mir schoss das Blut in den Kopf. Meine kleine Schwester war gerade so alt. Ich beging den zweiten Anfängerfehler, indem ich den Mann anfauchte: »Noch ein Wort, und du kratzt dich durch die Mauer!« Doch ich hatte wohl das Verständnis der anderen und so ging alles gut.

Am 3. August 1964, einem Montag, wurde ich mit einem als Gefangenentransporter umgebauten »Barkas«, einem kleinen Lieferwagen, in die U-Haft der Bezirksverwaltung Potsdam für Staatssicherheit in der Lindenstraße gefahren. Von da an wurde alles anders.

Ich wurde in eine kleine Zelle geführt und musste mich vor fünf uniformierten Bewachern nackt ausziehen. Dann der barsche Befehl: »Bücken!« Fünf Augenpaare beobachteten ganz genau die unschönen Vorgänge. Danach musste ich eine umfunktionierte Armeeuniform mit eingenähten gelben Streifen außen an den Beinen, an den Armen und auf dem Rücken anziehen, dazu Hausschuhe, und ab ging es in die erste Zelle. Laut dem russischen Schriftsteller Alexander I. Solschenizyn vergisst kein Gefangener je seine erste Zelle – wie recht er hat!

Eins war aber verwunderlich: Ich empfand tatsächlich ein gewisses Gefühl der Erleichterung, als hinter mir die Zellentür zuknallte, die Riegel laut vorgeschoben und der Schlüssel zweimal umgedreht wurde. Da saß ich nun ganz benommen und wunderte mich, warum ich nicht traurig war, sondern so ein diffuses Zufriedenheitsgefühl hatte. Vielleicht, weil ich insgeheim immer schon damit gerechnet hatte, im Knast zu landen. Irgendwann schlief ich erschöpft ein. Kein Geräusch störte. Absolute Stille in diesem Bau.

Da ich keine Uhr hatte, wusste ich nicht, wie spät es war, als mich ein Mensch in Feldgrau – die Uniform der NVA – weckte. Geraume Zeit später ging eine Klappe in der Tür auf und ich wurde aufgefordert, mein Frühstück entgegenzunehmen. Es bestand aus zwei Scheiben dunklem Brot, einem Klecks Marmelade und einem Napf mit einer braunen, lauwarmen Flüssigkeit. Dazu wurde ein Holzspachtel gereicht, wie ihn die Ärzte bei der Munduntersuchung benutzen – den konnte man im Zweifel nicht als Waffe gegen sich selbst oder andere verwenden.

Im Laufe des Vormittags wurde ich zu einem Hauptmann gebracht, dem für mich zuständigen Vernehmer. Ich musste die erschütternde Nachricht entgegennehmen, dass ich nichts Geringeres als den Weltfrieden in Gefahr gebracht hatte. Er zählte mir alle Paragrafen auf, gegen die ich verstoßen hatte: Staatsgefährdende Hetze, Staatsverleumdung, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Bandenwesen und Körperverletzung. Seine Stimme wurde immer energischer, als er mir eröffnete, dass ich mit fünfzehn Jahren Haft zu rechnen hätte. Mir schoss der Gedanke durch den Kopf: Für ein Glas Bier?

Aber dann kam ein Hoffnungsschimmer. Mit stolzgeschwellter Brust verkündete er: »Die Republik feiert bald ihren fünfzehnten Geburtstag. Da gibt es bestimmt eine Amnestie! Wenn wir uns Mühe geben, haben wir vielleicht eine Chance!«

Aha, »wir« also? Weiterhin wurde mir eröffnet, dass ich von jetzt an grundsätzlich eine Nummer sei. Und zwar die Nummer 17.

Nachdem ich wieder in der Zelle war, musste ich mein Bettzeug und das Handtuch zusammenpacken und wurde in eine andere Zelle verlegt. In dieser Nummer 38 war bereits jemand und mir wurde das andere Bett zugewiesen. Ich setzte mich auf den im Fußboden fest verankerten Stuhl neben einem an der Wand festgeschraubten Tisch und teilte meinem Mitbewohner die frohe Botschaft mit, dass das, was ich jetzt hier erlebte, »Arbeitszeit« sei. Sein Blick war sichtlich irritiert. Ich erklärte ihm, ich sei der festen Überzeugung, diese DDR werde nicht ewig bestehen und ich würde diese Zeit irgendwann in Form einer Haftentschädigung bezahlt bekommen. Sein Blick auf meine Ansage sprach Bände.

Als er von einer »Vernehmung« zurückkam, roch er mir verdächtig nach Bohnenkaffee. Obwohl ich meine Beobachtung nicht aussprach, merkte wohl seine Führung, dass ich Verdacht geschöpft hatte und dass das, was ich ihm erzählt hatte, nur Unsinn gewesen war. Nach einer Woche wurde er verlegt. Ich blieb allein in der Zelle. Die einzigen Menschen, die ich sah, waren Feldgraue. Sie bellten ausschließlich im Befehlston, was ich zu tun und zu lassen hätte. Ansonsten herrschte Funkstille. Irgendwann wurde mir ein leeres Blatt Papier in die Zelle gelegt mit einem Bleistift. Befehl: Ich solle aufschreiben. Aufschreiben? Ja, was denn? Ich ließ das Blatt Papier erst mal liegen.

Dann ging die Zellentür auf. Ein Uninformierter forderte mich auf mitzukommen. Die Hände auf dem Rücken, musste ich vor ihm hergehen bis zu einer offenen Zellentür. Dort lagen mein Pulli und meine Jacke. Befehle im Stakkatoton folgten: »Anziehen!« »Auf den Stuhl setzen!« Grelles...


Schönnagel, Jürgen
Jürgen Schönnagel, geboren 1944 in Rathenow, ist ein Jünger Jesu. Er war in seinem bewegten Leben u.a. als Bauschlosser, Kellner, Leiter einer Lebensmittelkaufhalle und Filialleiter eines Fliesenhandels tätig. Zu DDR-Zeiten war er als politischer Gefangener in Stasi-Haft. 1981 gründete er die Selbsthilfegruppe in der evangelisch-freikirchlichen Gemeinde Potsdam, aus der der BK Verein Potsdam mit etlichen Begegnungsgruppen hervorging.
Nach jahrelangem Engagement in der christlichen Suchtkrankenhilfe des Blauen Kreuzes gründete er - selbst trockener Alkoholiker - 1990 die deutschlandweit einmalige Wohngruppe "Suchtfrei leben" innerhalb der JVA Brandenburg a.d.H. 2006 wurde die Schwestergruppe in der JVA Luckau-Duben gegründet. 25 Jahre lang betreute er ehrenamtlich die Wohngruppe und konnte einer Vielzahl von Straftätern mit Suchtproblematik zu einem veränderten Leben helfen.
2018 erhielt er die Verdienstmedaille des Landtags Brandenburg. Mit seiner Frau lebt er in der Nähe von Potsdam. Die beiden haben zwei erwachsene Kinder, Enkelkinder und einen Urenkel.

Jürgen Schönnagel, geboren 1944 in Rathenow, ist ein Jünger Jesu. Er war in seinem bewegten Leben u.a. als Bauschlosser, Kellner, Leiter einer Lebensmittelkaufhalle und Filialleiter eines Fliesenhandels tätig. Zu DDR-Zeiten war er als politischer Gefangener in Stasi-Haft. 1981 gründete er die Selbsthilfegruppe in der evangelisch-freikirchlichen Gemeinde Potsdam, aus der der BK Verein Potsdam mit etlichen Begegnungsgruppen hervorging.
Nach jahrelangem Engagement in der christlichen Suchtkrankenhilfe des Blauen Kreuzes gründete er - selbst trockener Alkoholiker - 1990 die deutschlandweit einmalige Wohngruppe "Suchtfrei leben" innerhalb der JVA Brandenburg a.d.H. 2006 wurde die Schwestergruppe in der JVA Luckau-Duben gegründet. 25 Jahre lang betreute er ehrenamtlich die Wohngruppe und konnte einer Vielzahl von Straftätern mit Suchtproblematik zu einem veränderten Leben helfen.
2018 erhielt er die Verdienstmedaille des Landtags Brandenburg. Mit seiner Frau lebt er in der Nähe von Potsdam. Die beiden haben zwei erwachsene Kinder, Enkelkinder und einen Urenkel.



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