Schnädelbach | Kriegerwitwen | Buch | 978-3-593-38902-8 | sack.de

Buch, Deutsch, Band 59, 366 Seiten, Format (B × H): 140 mm x 214 mm, Gewicht: 450 g

Reihe: Geschichte und Geschlechter

Schnädelbach

Kriegerwitwen

Lebensbewältigung zwischen Arbeit und Familie in Westdeutschland nach 1945
1. Auflage 2009
ISBN: 978-3-593-38902-8
Verlag: Campus

Lebensbewältigung zwischen Arbeit und Familie in Westdeutschland nach 1945

Buch, Deutsch, Band 59, 366 Seiten, Format (B × H): 140 mm x 214 mm, Gewicht: 450 g

Reihe: Geschichte und Geschlechter

ISBN: 978-3-593-38902-8
Verlag: Campus


Rund eine Million Kriegerwitwen lebten nach dem Zweiten Weltkrieg in den westlichen Besatzungszonen und der frühen Bundesrepublik. Trotzdem ist die Situation dieser Frauen bisher kaum erforscht. Anna Schnädelbach untersucht erstmals, auf welche Weise Lage und Verhalten von Kriegerwitwen in der westdeutschen Gesellschaft diskutiert wurden und welche persönlichen Strategien Kriegerwitwen zur Bewältigung ihrer Situation entwickelten. Sie weist nach, dass für viele der Witwen die Möglichkeiten, über Erwerbsarbeit ihren Lebensunterhalt zu sichern, äußerst begrenzt waren.

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Inhalt

I. Einleitung - Kriegerwitwen zwischen öffentlicher Fürsorge und privater Lebensbewältigung

1. Fragestellung und Ziel der Untersuchung
2. Untersuchungszeitraum und -material
3. Theoretische und methodische Überlegungen

II. Kriegerwitwen zwischen 1945 und 1960 - Rechtliche und soziale Rahmenbedingungen

1. Kriegerwitwen - Eine neue soziale Gruppe konstituiert sich
2. Kriegsopferfürsorge und -versorgung nach 1945 - Zwänge und Spielräume für Hinterbliebene

III. Schauplatz Behörde - Fürsorgepraxis in Marburg

1. Witwen als Versorgende und Versorgte
2. Rahmenbedingungen der Fürsorge in Marburg nach 1945
3. Der Weg zur Fürsorge und das Erleben der Fürsorge- und Versorgungspraxis

4. Hauptfelder der Auseinandersetzung: Wohnen, Kinder und Familie
5. Fazit

IV. "Onkel billiger als Vati" - "Onkelehe" als Lebensgemeinschaft außerhalb der "Normalfamilie"

1. Zeitraum, rechtliche Rahmenbedingungen und beteiligte Öffentlichkeiten
2. Die zentralen Funktionen von Ehe und Familie für die gesellschaftliche "Ordnung" und ihre Gefährdung durch die "Onkelehen"
3. Sozialneid auf und Diffamierung von Witwen und ihren Partnern in "Onkelehen"
4. Betroffene und ihre Strategien
5. Fazit

V. Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung

1. Kriegerwitwen und die Entwicklung der Frauenerwerbsarbeit nach 1945
2. Diskussion von Witwenerwerbsarbeit
3. Kriegerwitwen und ihr Umgang mit der eigenen Erwerbsarbeit
4. Fazit

VI. "Aus dem Rahmen gefallen?" - Fazit

Quellen und Literatur

Abkürzungsverzeichnis

Anhang

Dank


Die Witwen selbst waren vom sozialen Status des verstorbenen Ehemanns ebenso wie durch ihre finanziellen Ressourcen und ihr soziales Kapital geprägt. Die Eigenwahrnehmung der Witwen stand oft im Gegensatz zu den sozialpolitischen Maßnahmen in Fürsorge und Kriegsopferversorgung, die jene zu Hilfsempfängerinnen reduzierte. Hier tat sich für die Witwen ein grundlegendes Dilemma auf: Die meisten waren auf die Unterstützung angewiesen. Nahmen sie diese jedoch in Anspruch, litten sie gleichzeitig unter der Überprüfung seitens der zuständigen Behörde. Diese begrenzte Handlungsspielräume in den Subjektpositionen der Witwen - besonders in Bezug auf deren Kinder. Der lokale Rahmen bzw. die von Willing/Boldorf für die Zeit unmittelbar nach 1945 konstatierte "kommunale Phase" bedeutete jedoch, dass neben allen Zwängen durchaus gewisse Spielräume beim persönlichen Kontakt zur helfenden Behörde existierten.

Wiederheirat war eine soziale Praxis, die auch den Witwenstand nach 1945 auszeichnete. Für viele Kriegerwitwen war eine erneute Eheschließung in den fünfziger Jahren jedoch eine Option, die sie nicht wahrnehmen konnten oder wollten. Aufgrund der engen Verknüpfung von moralisch-sittlichen und finanziellen Argumenten, mit denen die "Onkelehen" bewertet wurden, war es für die Witwen schwierig, eine solche Beziehung vor den Augen der diskutierenden Öffentlichkeiten überhaupt zu führen. Es hielt sie jedoch auch nicht davon ab. Hier eröffnet sich beim Blick auf die agierenden und in der Diskussion argumentierenden Witwen ein Spannungsfeld: Deren eigene moralische Orientierungen am Eheideal einerseits und die gleichzeitige finanzielle Notwendigkeit einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft andererseits standen einander gegenüber. Gleichzeitig wurde aber der Wunsch, nicht wieder von einem Partner abhängig zu sein, von Seiten der Witwen ebenfalls artikuliert.

In der Frage ihrer Erwerbsarbeit sahen sich die Witwen einem zweifachen Druck ausgesetzt: Sie waren gezwungen zu arbeiten, da die staatliche Unterstützung nicht ausreichte. Übten sie jedoch eine Erwerbsarbeit aus, wurde ihnen die angeblich ungenügende Betreuung der Kinder zum Vorwurf gemacht bzw. boten sich kaum Möglichkeiten, diese und die eigene Erwerbsarbeit miteinander zu vereinbaren. Die Witwen wurden von Seiten der Öffentlichkeit angesichts dieses Dilemmas wiederum auf die jedoch ungenügende Versorgung zurückverwiesen. Erwerbsarbeit war für die bundesdeutsche Regierung keine Option, mit der diese Frauen sozial gesichert werden sollten und ihr Erfahrungspotential für den Wiederaufbau genutzt werden sollte. Wenn ihnen Erwerbsarbeit zugestanden wurde, dann nur in Form von spezifisch "weiblicher" Arbeit im sozialen bzw. karitativen Bereich. Die Witwen selbst beklagten die Probleme, die eine Erwerbsarbeit mit sich brachte, wiesen aber gleichzeitig auf deren Notwendigkeit für sich und ihre Familien hin. Dennoch war auch für sie die generell kritische Sicht auf weibliche Erwerbsarbeit der argumentative Bezugsrahmen, aus dem heraus sie ihre eigene Erwerbsarbeit rechtfertigten. Gleichzeitig schufen sie wie viele andere Frauen, die trotz öffentlicher Kritik arbeiten mussten, Tatsachen "mit den Füßen", bis weibliche Erwerbsarbeit am Ende der fünfziger Jahre zunehmend erwünscht und notwendig wurde. Allerdings konnten viele Witwen aufgrund ihres Lebensalters und ihrer fehlenden Qualifikation dann nicht mehr von den Entwicklungen des wirtschaftlichen Aufschwungs und den damit verbundenen Vorteilen für erwerbstätige Frauen profitieren.

Kriegerwitwen waren zwar durchaus Angehörige des gleichen "Erfahrungsraums" (Jürgen Reulecke), teilten gleiche Verlust- und Abhängigkeitserfahrungen sowie die alleinige Verantwortung für ihre Familien. Dies bedeutete jedoch nicht, dass sie sich automatisch untereinander solidarisierten. Kriegerwitwe (gewesen) zu sein, hielt Frauen nicht davon ab, ehemalige Schicksalsgenossinnen zu diffamieren. Die Ansprüche dieser Frauen an staatliche Versorgung und Entschädigung wogen stärker als die gemeinsamen Erfahrungen mit anderen Witwen.

"Geschlecht" bzw. gleiche Geschlechtzugehörigkeit war nie die einzig bestimmende Kategorie, die den Ausschlag für die Äußerungen und das Handeln der Akteurinnen und Akteure gab. So sind zunächst große Unterschiede zwischen Kriegerwitwen untereinander festzustellen. Dies stand im Gegensatz zu dem, was Staat und unterschiedliche Öffentlichkeiten über diese "einheitlich konstituierte Gruppe" (Birthe Kundrus) zu wissen glaubten. Das Lebensalter spielte bei der Frage der Erwerbsarbeit, der familiären Situation und der Liebesbeziehungen eine wesentliche Rolle, und die generationellen Unterschiede beeinflussten die Optionen der Witwen. Junge Witwen, die arbeitsfähig waren und keine Kinder hatten, erhielten zunächst überhaupt keine staatliche Unterstützung. Hatte man als Witwe unter Umständen mehr Chancen auf eine Erwerbsarbeit aufgrund des eigenen Lebensalters und einer vorangegangenen Ausbildung, bedeutete ein jüngeres oder mittleres Lebensalter dann, wenn man denn eine Grundrente erhielt, dass man als "Bedrohung" für bereits bestehende Ehen wahrgenommen oder als Partnerin in einer "Onkelehe" diffamiert wurde. Als Witwe im mittleren Lebensalter und in besonderer Weise als Mutter war man der praktischen Umsetzung der Fürsorge und Versorgung und damit der Überprüfung durch die Ämter ausgesetzt. Wie die Witwen mit dieser behördlichen Öffentlichkeit umgingen, war wiederum vom unterschiedlichen sozialen und symbolischen Kapital der einzelnen Akteurinnen und Akteure bestimmt, das trotz deren finanzieller Abhängigkeit vom Staat sehr unterschiedlich war. Neben dem Alter spielten hier die eigene Berufsausbildung, der eigene soziale Status sowie der des toten Ehemanns und das finanzielle Niveau, das man vor dem Verlust des Ehemannes gewöhnt war, eine wichtige Rolle. Dementsprechend hatten solche Frauen zum Teil Probleme damit, wenn sie sich in der Gruppe der Fürsorgeempfängerinnen wiederfanden.


Anna Schnädelbach, Dr. phil., ist wissenschaftliche Volontärin am Historischen Museum Frankfurt.



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