(© Ute Scheub)
Prolog
Ein Paradies zum Selbermachen
Wenn Menschen sich ein Paradies vorstellen, gleicht es meist einem Garten. In Gärten fühlen wir uns wohl und erholen uns von Stress aller Art. Gärten sind Orte der Fülle, der Fruchtbarkeit und des Überflusses. Wir erfreuen uns an ihnen mit allen Sinnen – an der Wärme der Sonne, den Farben der Schmetterlinge, den Formen und Düften der Blumen, dem Geruch feuchter Erde, dem Geschmack frischer Früchte, an den Tönen plätschernden Wassers und turtelnder Vögel oder einfach nur an der Stille. Manchmal glitscht eine fette Nacktschnecke durch das Idyll, und man glaubt, sie kichern zu hören, weil sie gerade den von uns so zärtlich gepflegten Jungsalat abgefräst hat – über irgendwas muss man sich auch im Paradies ärgern, sonst wird es dort zu langweilig.
Grün ist gesund und wohltuend: Menschen aller Kulturen und Nationalitäten ziehen eine natürliche Landschaft einem städtisch-steinernen Ambiente vor. Der Blick aus einem Krankenzimmer ins Grüne fördert Studien zufolge den Heilungsverlauf von Krankheiten und reduziert die Schmerzmitteldosis. Untersuchungen aus Deutschland, den Niederlanden und den USA zeigen, dass Natur in der direkten Umgebung eine positive Wirkung auf Zufriedenheit und Gesundheit der dort Lebenden und Arbeitenden hat. Gärtnern ist erst recht gesund, man bewegt sich den ganzen Tag in frischer Luft, Licht und Sonne. Und abends kann man zufrieden auf sein Tagewerk schauen – wenn nur die Nacktschnecken nicht wären.
Kein Wunder also, dass nicht nur auf dem Land, sondern auch in den Städten Gärtnern schwer in Mode ist. Junge und Alte, Frauen, Männer und Kinder, Angestellte und Arbeitslose, Einheimische und Flüchtlinge ackern zusammen, lassen Gemeinschafts- und interkulturelle Gärten erblühen, pflegen das Grün hinterm eigenen Haus oder kümmern sich um irgendein kommunales Fleckchen Erde. Manche tun dies auch, weil sie die lieblose Herstellung von Lebensmitteln und die pervertierten globalisierten Strukturen der Agroindustrie satthaben. Vor allem an sie, an diese vorwiegend ökologisch ausgerichteten Stadtgärtnerinnen und Freizeitbuddler, richtet sich dieses Buch.
Seine wichtigste Botschaft ist eine frohe: Klimagärtnern mit Terra Preta könnte den Treibhauseffekt in der Erdatmosphäre stark abmildern. Klimafarming – weltweit angewandt und flankiert mit weiteren Umweltmaßnahmen – könnte ihn womöglich sogar stoppen. Wenn die Menschheit mittels Klimafarming den Humusgehalt der Böden in den nächsten 50 Jahren um zehn Prozent erhöhen würde, könnte der Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre sogar auf vorindustrielles Niveau gebracht werden. Vielleicht ist die Nutzung von Pflanzenkohle wirklich die »mächtigste Klimaschutzmaschine, die wir haben«, wie es der australische Umweltprofessor Tim Flannery ausdrückt.
Terra Preta, was auf portugiesisch einfach nur »schwarze Erde« heißt, wird manchmal auch »Wundererde« genannt. Das ist sicherlich übertrieben, sie ist auch nur ein von Menschen fruchtbar gemachter Boden und kein Hexenelixier, mit dem man – bei Vollmond über die Schulter auf den Boden gespuckt und einszweidrei – die Erde retten könnte. Dennoch hat diese uralte, erst vor wenigen Jahren wiederentdeckte Anbaumethode der Ureinwohner am Amazonas nach Meinung einer wachsenden Gemeinde internationaler Wissenschaftler das Potenzial, das weltweite Hunger-, Armuts-, Wasser- und Klimaproblem gleichzeitig angehen zu können. Und von welcher anderen Methode kann man das schon behaupten?
Nach dem bisherigen Wissensstand sind die Vorteile der Terra-Preta-Technik ungeheuer vielfältig: Sie fördert fruchtbare Böden, gesunde Pflanzen und gesunde Lebensmittel, ermöglicht auf kleinem Raum hohe und sichere Ernteerträge, macht Kleinbauern und Gärtnerinnen unabhängig von teurem Dünger, giftigen Pestiziden oder Gentechnik, kann Abfallstoffe in Naturdünger verwandeln, Kreisläufe schließen, Hygieneprobleme in Slums und Sanitärsystemen lösen, Böden entgiften, Steppen und trockene Magerböden zu Agrarland machen und eben auch den Klimawandel entscheidend mildern.
Wie das? Der entscheidende Bestandteil von Terra Preta ist Pflanzenkohle, die mittels klimaneutraler Pyrolyse hergestellt wird. Pyrolysiert man pflanzliche Abfälle, so wird der Kohlenstoff, den die Pflanzen der Atmosphäre in Form von CO2 entzogen haben, dauerhaft stabilisiert. Die porenreiche Pflanzenkohle kann dann in die Erde eingebracht werden und dient als als fruchtbarer Speicher von Nährstoffen und Wasser. Wie das geht, erfahren Sie in diesem Buch. Jede Hobbygärtnerin und jeder Kleinbauer kann Terra Preta und ihre Grundstoffe selbst herstellen; wenn man zu wenig Zeit dafür hat, kann man die erforderlichen Zutaten aber auch im Internet kaufen.
Allerdings ist noch lange nicht in allen Details erforscht, was diese Methode alles vermag und womöglich auch nicht vermag. Ein Engpass für ihre massenhafte Anwendung in der Landwirtschaft ist die kostengünstige Herstellung größerer Mengen an Pflanzenkohle durch moderne Pyrolyseanlagen – zumindest bisher.
Auch zeigen konventionelle Agrarforschungsanstalten wenig Bereitschaft, entsprechende Forschungsprojekte zu finanzieren und mitzutragen. Das ist nicht verwunderlich, trägt die Schwarzerde-Technik doch das Potenzial in sich, Agrochemie und Gentechnik zu ersetzen. So ähnlich wie die dezentralen erneuerbaren Energien auf längere Sicht die Existenz der zentralen Energiekonzerne bedrohen, so könnte auch die Terra-Preta-Methode mit zunehmender Verbreitung die Agrokonzerne letztlich überflüssig machen. Wir müssen damit rechnen, dass wir ab einer gewissen Stufe deren Widerstand zu spüren bekommen – und sei es in Form unsinniger Hygienevorschriften für Gärten, die Lobbyisten der Agroindustrie dann vielleicht aus der Tasche ziehen.
Dieses Buch hat zwei Teile. Im ersten Teil behandeln wir die Grundlagen, im zweiten schreiten wir zur Praxis. Wer es sehr eilig hat, kann den ersten Teil überblättern. Aber wir empfehlen natürlich, ihn trotzdem zu lesen, weil man sonst das gesamte Potenzial von Terra Preta nicht versteht.
Im ersten Kapitel von Teil I geht es um »die Irrtümer der fossilen Landwirtschaft«. Wir haben höchstwahrscheinlich nicht nur »Peak Oil« bereits hinter uns, also den Höhepunkt der weltweiten Ölförderung, der die täglich förderbare Ölmenge ab jetzt schrumpfen und immer teurer werden lässt, sondern auch »Peak Soil« – fruchtbares Land wird ebenfalls stetig weniger und teurer. Anders als das Klima hat Boden jedoch bisher so gut wie keine politische Lobby, obwohl sein weltweiter Zustand und die drohende Klimakatastrophe eng zusammenhängen.
Im zweiten Kapitel bieten wir einen Kurztrip durch die Menschheitsgeschichte und rund um die Welt an. Wir zeigen, wie fruchtbare Erde und menschliche Hochkulturen sich gegenseitig bedingen – und wie in der Vergangenheit ganze Imperien an Bodenerosion (mit) zugrunde gingen. Wir zeigen aber auch das Gegenteil, denn Terra Preta hat im präkolonialen Amazonasgebiet riesige Gartenstädte erblühen lassen, und menschengemachte Schwarzerden werden inzwischen in immer mehr Gegenden der Welt entdeckt.
Mit dem dritten Kapitel beginnt Teil II, die Praxis. Wir beschreiben Klimagärtnern und Klimafarming: Wie funktionieren sie, was sind ihre Ausgangsstoffe und Grundprinzipien, was bewirken sie, wo finden sie bereits statt?
Im vierten Kapitel handeln wir verschiedene Methoden der Terra-Preta-Herstellung ab, vom Stapelkompost im Kleingarten über Küchenbokashi bis zu Stapelkisten auf dem Balkon oder in Gemeinschaftsgärten. Zudem beantworten wir Fragen, die sich aus der Praxis von Urban Gardening und Klimagärtnern ergeben haben.
Im fünften Kapitel zeigen wir die ganze gärtnerische Vielfalt, in der Terra Preta ihren organischen Platz findet. Wir schildern, wie einfache und schöne Maßnahmen wie Fenstergärten oder auch Baumpatenschaften die stark bedrohte Artenvielfalt in Stadt und Land wieder steigern können, und entführen die Lesenden in eindrucksvolle Permakultur- und Gemeinschaftsgärten.
Und im sechsten Kapitel werden alte und neue Sanitärsysteme abgehandelt, die helfen können, Nährstoffe aus menschlichen Ausscheidungen in den Naturkreislauf zurückzuführen. Damit stoßen wir auf antrainierte Tabus, zeigen aber für diejenigen, die das wollen, wie wir unsere inneren Werte wieder in den Kreislauf der Natur einbringen können. Um es klar zu sagen: Dies ist kein Muss für die Herstellung von Terra Preta. Deren zentraler Bestandteil ist Pflanzenkohle, nicht menschliche Exkremente. Wer sich vor diesem Thema zu sehr ekelt – wozu aber kein Anlass besteht, wie wir zeigen werden –, kann das Kapitel überblättern.
In jedem Kapitel finden Sie zudem viele Geschichten, die die Wirklichkeit schrieb. In kurzen Porträts stellen wir blühende Terra-Preta-und Klimafarming-Projekte vor, etwa aus Mexiko, Kolumbien und China, aber vor allem aus der deutschsprachigen Region. Denn in Deutschland, Österreich und der Schweiz sind in den letzten Jahren Schwarzerde-Projekte wie Pilze aus dem Boden geschossen.
Den Abschluss bilden schließlich ein kurzes Resümee und ein Anhang, in dem Sie nützliche Links, Literatur sowie Lieferadressen für Zutaten der Terra-Preta-Herstellung finden.
Noch eine Anmerkung zum Schluss: Weil die Wiederentdeckung dieser uralten Kulturtechnik kaum mehr als ein Jahrzehnt zurückliegt, sind auch die praktischen gärtnerischen Erfahrungen damit notgedrungen noch begrenzt. Es gibt hier noch eine Unmenge an Details zu erforschen, zum Beispiel zu der Frage, welche Gemüsearten welches Substrat mit welcher Zusammensetzung am meisten schätzen. Die...