E-Book, Deutsch, 736 Seiten
Reihe: mitp Professional
Schell Die Kunst des Game Designs
3. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7475-0209-9
Verlag: mitp Verlags GmbH & Co.KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Bessere Games konzipieren und entwickeln
E-Book, Deutsch, 736 Seiten
Reihe: mitp Professional
ISBN: 978-3-7475-0209-9
Verlag: mitp Verlags GmbH & Co.KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Zielgruppe
Alle, die Spiele konzipieren und entwickeln.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Hallo!
Hallo, liebe Leser! Willkommen! Was für eine nette Überraschung! Ich wusste ja nicht, dass Sie heute vorbeischauen würden. Bitte verzeihen Sie die Unordnung – ich habe in letzter Zeit nur geschrieben. Aber bitte, machen Sie es sich doch bequem! Schön, schön. Also ... wo fangen wir an? Oh, vielleicht sollte ich mich erst einmal vorstellen. Mein Name ist Jesse Schell und ich bin seit jeher ein großer Fan des Game Designs. Schauen Sie mal, das ist ein Foto von mir: Damals war ich allerdings noch etwas jünger. Seit dieses Foto aufgenommen wurde, habe ich eine Reihe verschiedenster Dinge gemacht. Beispielsweise habe ich als Profi-Jongleur im Zirkus gearbeitet. Auch als Schriftsteller, Comedian und Zauberlehrling habe ich mich versucht. Bei IBM und Bell Communications Research war ich als Softwareingenieur tätig. Und für die Walt Disney Company habe ich interaktive Freizeitparkattraktionen sowie jede Menge Multiplayer-Spiele entworfen und entwickelt. Darüber hinaus betreibe ich ein eigenes Game-Studio und bin Professor an der Carnegie Mellon University. Aber wenn mich die Leute fragen, was ich so mache, antworte ich: »Ich bin Game Designer.« Das alles sei hier nur erwähnt, weil ich an verschiedenen Stellen in diesem Buch auf Beispiele aus meinen so gewonnenen persönlichen Erfahrungen zurückgreifen werde – von denen mich jede einzelne wertvolle Lektionen in Bezug auf die Kunst des Game Designs gelehrt hat. Im Moment mag dies für Sie noch schwer vorstellbar sein, doch Sie werden beim Lesen der nachfolgenden Kapitel sicherlich ebenfalls Parallelen zwischen dem Game Design und den vielen Erfahrungen entdecken, die Sie selbst im Laufe Ihres Lebens gemacht haben. Auf eine Sache muss ich jedoch noch hinweisen: Auch wenn dieses Buch Ihnen in erster Linie helfen soll, ein besserer Videogame-Designer zu werden, haben viele der hier betrachteten Prinzipien nur selten speziell mit Videospielen zu tun – Sie werden vielmehr feststellen, dass sie sich weitaus vielfältiger anwenden lassen. Und erfreulicherweise wird ein Großteil von dem, was Sie nachfolgend lesen werden, immer gleich gut funktionieren – unabhängig davon, an welcher Art von Spiel Sie arbeiten, ob digital, analog oder etwas ganz anderes. Was ist Game Design?
Zunächst einmal müssen wir klären, was »Game Design« überhaupt ist. Immerhin befassen wir uns hier ausschließlich mit diesem Thema und es scheint mitunter ein wenig Verwirrung über die Bedeutung dieses Begriffs zu herrschen. Game Design ist die Entscheidungsfindung hinsichtlich des Spielkonzepts. Nicht mehr und nicht weniger. Oberflächlich betrachtet klingt das fast zu einfach. »Soll das heißen, das Spielkonzept basiert auf einer einzigen Entscheidung?« Nein. Zur Erstellung eines Spielkonzepts müssen Hunderte, normalerweise sogar Tausende von Entscheidungen getroffen werden. »Brauche ich denn keine besondere Ausrüstung, um ein Spiel zu entwerfen?« Nein. Da das Game Design mit der Entscheidungsfindung gleichzusetzen ist, können Sie das Spielkonzept tatsächlich rein gedanklich entwerfen. In der Regel werden Sie Ihre Überlegungen jedoch notieren wollen, denn das menschliche Erinnerungsvermögen ist begrenzt – schnell ist etwas Wichtiges vergessen, wenn man es nicht aufschreibt. Sind zudem noch andere an der Entscheidungsfindung oder Entwicklung des Spiels beteiligt, müssen Sie diese Überlegungen irgendwie kommunizieren – und dafür sind Notizen bestens geeignet. »Und was ist mit dem Programmieren?
Müssen Game Designer nicht auch Programmierer sein?« Nein, das müssen sie nicht. Erstens kommen viele Spiele ganz ohne Computer oder technische Hilfsmittel aus, so zum Beispiel Brettspiele, Kartenspiele oder Sportspiele. Und zweitens lassen sich Designentscheidungen selbst für Computer- oder Videospiele auch ohne Kenntnis sämtlicher technischer Details der späteren Umsetzung treffen. Natürlich kann es nützlich sein, wenn man diese Details kennt – ebenso wie es hilfreich sein kann, wenn man ein talentierter Autor oder Künstler ist –, weil dies eine bessere und zügigere Entscheidungsfindung ermöglicht. Es ist aber nicht zwingend erforderlich. Denken Sie nur an einen Architekten und einen Zimmermann: Der Architekt muss nicht unbedingt alles wissen, was der Zimmermann weiß – er muss aber wissen, was der Zimmermann kann. »Also denkt sich der Game Designer einfach nur die Story für das Spiel aus?« Nein. Entscheidungen zur Story sind lediglich ein Aspekt des Game Designs, es gibt aber noch sehr viele mehr. Zum Verantwortungsbereich des Game Designers gehört auch die Entscheidungsfindung bezüglich der Spielregeln, des »Look and Feel«, des Timings, des Pacings, des Risikoverhaltens, der Bonusse, der Malusse und allem anderen, was der Spieler erleben kann. »Dann entscheidet der Game Designer, wie das Spielkonzept aussehen sollte, schreibt alles auf und das war’s?« So läuft es eigentlich nie. Keiner von uns besitzt ein hundertprozentig perfektes Vorstellungsvermögen und deshalb werden die Spiele im Endergebnis fast nie so, wie wir es uns in Gedanken oder auf dem Papier ursprünglich ausgemalt hatten. Viele Entscheidungen können unmöglich gefällt werden, solange der Designer das Spiel noch nicht in Aktion gesehen hat. Deshalb ist der Game Designer üblicherweise auch von Anfang bis Ende in den Entwicklungsprozess eines Spiels eingebunden und trifft die ganze Zeit über Entscheidungen zum Spielkonzept. Der Unterschied zwischen dem »Game Developer« (Spieleentwickler) und dem »Game Designer« (Spieldesigner) ist: Jeder, der in irgendeiner Form an der Entstehung eines Spiels beteiligt ist, ist ein Spieleentwickler. Programmierer, Animatoren, Modellierer, Musiker, Autoren, Produzenten und auch Designer – sie alle wirken an den Spielen mit und sind allesamt Spieleentwickler. Game Designer repräsentieren lediglich eine von vielen »Gattungen« des Spieleentwicklers. »Der Game Designer ist also der Einzige, der Entscheidungen zum Spiel treffen darf?« Andersherum: Jeder, der Entscheidungen hinsichtlich des Spielkonzepts trifft, ist ein Game Designer. Der Begriff »Designer« beschreibt eher eine Funktion als eine Person. So ziemlich jeder Entwickler innerhalb des Teams fällt einige das Spielkonzept betreffende Entscheidungen – schon allein durch die Erstellung von Spielinhalten. Es sind Game-Design-Entscheidungen und derjenige, der sie trifft, ist somit auch ein Game Designer. Die Kenntnis der Grundprinzipien des Game Designs wird Ihnen daher – unabhängig von der Funktion, die Sie in einem Entwicklungsteam wahrnehmen – helfen, das, was Sie tun, besser zu machen. Warten auf Mendelejew
Die wahre Entdeckungsreise besteht nicht darin, dass man neue Länder sucht, sondern darin, dass man neue Augen hat.1 – Marcel Proust Ziel dieses Buches ist es, Sie zum bestmöglichen Game Designer zu machen. Leider existiert zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine »allgemeingültige Theorie des Game Designs« – keine simple Formel, die uns aufzeigt, wie man gute Spiele entwirft. Was also können wir tun? Wir befinden uns in einer ähnlichen Lage wie die Alchemisten der Antike: Bevor Mendelejew das Periodensystem entdeckte, das die Wechselbeziehungen aller chemischen Elemente aufzeigt, verließen sich die Alchemisten auf ein großes Potpourri aus Faustregeln zu den Kombinationsmöglichkeiten verschiedener Chemikalien. Diese waren naturgemäß unvollständig, manchmal unkorrekt und häufig sogar halb mystischer Natur, dennoch waren die Alchemisten durch die Anwendung dieser Regeln in der Lage, erstaunliche und überraschende Dinge zu leisten – und ihre unermüdliche Suche nach der Wahrheit begründete schließlich die moderne Chemie, wie wir sie heute kennen. Die Game Designer warten noch auf ihr »Mendelejew-Erlebnis«. Gegenwärtig haben wir kein »Periodensystem für das Game Design«. Wir haben nur unser eigenes Potpourri aus Prinzipien und Regeln, das es uns – fernab von Perfektion – ermöglicht, unsere Arbeit zu erledigen. Ich habe versucht, in diesem Buch die besten dieser Faustregeln zusammenzustellen, damit Sie sie studieren, prüfen, anwenden und darüber hinaus auch sehen können, wie andere sie eingesetzt haben. Ein gutes Game Design entsteht dann, wenn Sie Ihr Spiel aus so vielen Perspektiven wie möglich betrachten. Ich bezeichne diese Perspektiven hier als »Lupen«, weil jede von ihnen eine Möglichkeit bietet, Ihr Design sehr genau »unter die Lupe« zu nehmen und eingehend auf mögliche Schwachstellen zu untersuchen. Daher gehören zu jeder Lupe auch einige Fragen, die Sie sich in Bezug auf Ihr aktuelles Design selbst stellen sollten. Grundsätzlich sind die in diesem Buch vorgestellten Lupen aber keine unumstößlichen Leitlinien oder Patentrezepte, sondern vielmehr wertvolle Hilfsmittel, um Ihr Design auf den Prüfstand zu stellen. Als Begleitmaterial zu diesem Buch ist unter http://artofgamedesign.com ein Sammelkartensatz – übrigens auch als kostenlose App für Ihr Smartphone (suchen Sie nach »deck of lenses«) – mit den Kurzbeschreibungen aller Lupen in englischer Sprache erhältlich, die Ihnen deren Anwendung während der laufenden Designarbeit erheblich erleichtern können. Auch wenn keine der hier zusammengetragenen Lupen absolut unfehlbar oder vollkommen ist, werden sie Ihnen doch alle in dem einen oder anderen Kontext sehr nützlich sein, weil sie einen einzigartigen Blickwinkel auf Ihr Game Design aufzeigen. Der Grundgedanke dabei ist, dass wir – wenn wir schon nicht das...