E-Book, Deutsch, 204 Seiten
Ruhl "Du meine Güte!"
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7562-4738-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Theologie nach der Implosion des Gottesgedankens
E-Book, Deutsch, 204 Seiten
ISBN: 978-3-7562-4738-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
"Du meine Güte!" - das ist eine mehrdeutige Redewendung. Mit ihr reagierte ich auf die Implosion des Gottesgedankens. Sie ist Ausdruck meines Erstaunens: Wie unermesslich groß das Universum und wie unfassbar klein seine Bausteine sind. Das ist die kosmologische Dimension. Sie ist Ausdruck meiner Hoffnung: Plausibel und verantwortbar ist nach der Implosion des Gottesgedankens einzig das Vertrauen auf einen "kommenden Gott". Wie das "Maranatha"-Rufen der frühen Anhänger der Jesus-Bewegung. Das ist seine biblische Dimension. Sie ist eine Aufforderung: Sei einfach und spontan gütig. Und frage nicht viel. Das ist ihre ethische Dimension. Sie ist mir ein "Scheitelstein": Wie ein Schlussstein stabilisiert die Güte meine theologischen Überlegungen.
Mein Name ist Thomas Ruhl. Ich bin verheiratet und Vater zweier erwachsener Kinder. Nach einem Studium der katholischen Theologie habe ich eine Ausbildung zum Krankenpfleger absolviert. Ich habe beruflich überwiegend als Krankenpfleger gearbeitet. Jetzt bin ich Rentner. Und engagiere mich ehrenamtlich in der Zusammenarbeit mit Geflüchteten und ihren Kindern. Theologisch bin ich der Überzeugung: "Rom wie Jerusalem sind nur noch über Auschwitz zu erreichen." (Elazar Benyoetz)
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
„Den Gott, den es nicht gibt, immer ein dunkler Riß,
ist meiner Seele nah, sooft ich ihn vermiß.“
(Christian Lehnert) Die Implosion meines Gottes-Gedankens
1. Was ist geschehen? Es gab keinen lauten, keinen unüberhörbar lauten Knall. Es war auch nicht leise zu hören. Da war überhaupt nichts zu hören – rein gar nichts. Und genau das ereignete sich – zeitlich gestreckt. Und kann nur in der Rückschau – wie von einem Archäologen – zu einem Ereignis rekonstruiert werden. Also ein Nicht-Ereignis. Nix! Fast nichts! Diese Einsicht ist mir gedämmert. Wie eine Dämmerung – unauffällig und auf leisen Sohlen. Und plötzlich merkst du! Es ist ja dunkel geworden. Oder hell, wenn es um den Übergang von der Nacht zum Tag geht. Auf diese Weise ist mir der Gottes-Gedanke implodiert. Ganz still und leise. Unhörbar leise. Noch nicht mal ein Hauch. Und schon stehst du mitten in der Wolke deines gesammelten Nicht-Wissens. Deines Nicht-wissen-könnens. Wie eine Kehrtwendung. Ein Auf-einmal-anders-denken. Eine Selbsterschließung, eine Selbstauskunft – in der Weise einer langsamen Intuition. Ohne Krach. Ohne Lärm. Ganz unaufgeregt: Ein ganz und gar „stilles Geschrei“30 - bringt meine biografisch-theologische Erfahrung auf den Punkt. Weder ein widerborstig-trotzig atheistisches Bestreiten noch ein geschönt akademisches Verharmlosen durch ein fortgesetztes Beharren auf theistischen Abstraktionen. Es ist eine Implosion. Sie hatte sich mir angekündigt. Es gab mächtig Druck von außen. Stichwort: Gott in Auschwitz. Und die jüdische Vorstellung eines Zimzum31. Was heißt das? Kann man nach Auschwitz noch ernsthaft und vernünftig von einem Gott sprechen? Ist das nicht eine unverschämte Verwegenheit? Eine Frechheit, die die Opfer verhöhnt? Und eine Antwort kommt wie ein Echo zurück: „Nicht wie er, sondern wie wir es zulassen konnten, ist die Frage, die uns zunächst von dorther erreicht.“32 Damit ist die Konstruktion eines allmächtigen Gottes völlig im Eimer (der Geschichte). Gott hat sich – im Rückgriff auf eine mythologische anmutende Sprechweise – in sich selbst zurückgezogen. Hat sich verkrochen. Wir haben ihn verjagt. Und jetzt? Da bleibt mir nur noch die Ethik übrig. „Die Beziehung zum Unendlichen ist die Verantwortung eines Sterblichen für einen Sterblichen.“33 Das sind mir die fast schon wieder verwischten Spuren der lautlosen Implosion meines Gottes-Gedankens. Kein punktuelles Ereignis. Keine Koordinatenangaben. Kein Damaskuserlebnis. Eher schon wie eine aufgewirbelte Staubwolke, die sich allmählich herabsenkt und alles bedeckt. Also nichts zu hören. Nichts zu sehen. Nichts zu bemerken. Keine Auffälligkeiten. Bis ich die Dämmerung bemerkte, war es schon dunkel. Wie kann ich mich jetzt navigieren? Wie mich orientieren? Was soll gelten? Woran kann ich mich halten? Geblieben ist mein Wunsch nach Orientierung. Ich will mich zurechtfinden. Geblieben ist auch eine langanhaltende Trauer um den Verlust meiner liebgewonnenen Überzeugungen. Wie konnte ich mich so heftig täuschen lassen? Auch eine Scham, mich für den jüdisch-christlichen Gott (im jugendlichen Überschwang) begeistert zu haben. Und erst recht eine Scham wegen der irreversiblen Weichenstellungen in meinem Leben. Trauer! Trauer und kein Trost. Dabei war es einfach nur das falsche Futter für meine Begeisterungsfähigkeit. Schließlich gab es kein anderes. Zweimal war ich deswegen im jüdischen Museum in Jerusalem. Ich habe (regelrecht) nachgeschaut. Die Abfolge im Aufbau der Ausstellung hat mir gezeigt, was das für einer war – der jüdisch-christlich gewordene Gott. Und wie er erfunden, konstruiert und herbei erzählt und abgegrenzt wurde. Eine Kopfgeburt. Ich habe in Jerusalem für mein Leben gelernt. Der Gottes-Gedanke ist keine feststehende Idee; er hat eine Geschichte. Und diese Geschichte ist auf’s Engste verknüpft mit Fragen der Macht, der Herrschaft und der Legitimation von Königen durch Priester, Tempel und Kult. Der Gottes-Gedanke entpuppte sich mir als Herrschaftsinstrument bis auf den heutigen Tag: Du sollst dich nicht länger unterwerfen! Beugen. Unters Joch gehen. Gehorchen und brav sein. Dieser Gott ist tot. Das wusste schon Nietzsche: „Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet! … Dies ungeheure Ereignis ist noch unterwegs und wandert – es ist noch nicht bis zu den Ohren der Menschen gedrungen. … Diese Tat ist ihnen immer noch ferner als die fernsten Gestirne – und doch haben sie dieselbe getan!“34 Das ist der Schlüssel und ich habe ihn für mich gefunden. Obwohl spätestens mit Jesu Kreuzigung Schluss war mit dieser Form von Religion (mit jeglichen Religionsvorstellungen), ging es noch 2000 Jahre lang munter weiter. Das ist nicht zu fassen. Schon Paulus hatte mit dem „Wort vom Kreuz“/„von der Kreuzigung erzählen“ in 1 Kor 1, 18 mit dem gewohnten Gottes-Gedanken gebrochen. F. Nietzsche hat das in aller Klarheit erkannt: „deus, qualem Paulus creavit, dei negatio“35. Der Gott, den Paulus in seinen Briefen mit dem Wort vom Kreuz propagiert, ist die Negation jeglicher Gottes-Vorstellungen. Das Undenkbare. Die Torheit. Die Narrheit. Das Wort vom Kreuz (Jesu) ist das Ende aller Gottesbilder. Die Theologen wissen nichts; jedenfalls nicht wirklich, wovon sie unentwegt und unaufhörlich zu sprechen versuchen. Das wusste vor Nietzsche auch schon Jean Paul. Ich erinnere an die Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei: „Christus! Ist kein Gott? Er antwortete: Es ist keiner.“36 Oder in den Flegeljahren: „Darauf sah er gen Himmel, nannte Gott zweimal du und schwieg lange“37. Ich sammle jetzt die traurigen Überreste der Implosion meines Gottes-Gedankens ein. Ich muss mich vom Gott-denken-wollen verabschieden. Ich will mich ohne die Altlasten und Verbiegungen neu navigieren. Da muss ich mir keine Sorgen machen, denn die Implosion war eine Disruption. Mir ist der Gottes-Gedanke disruptiert, d.h. mir liegt jetzt erst eine echte Orientierungsmöglichkeit vor. Und sie ist überraschend einfach. Von einer gewöhnungsbedürftigen Einfachheit: „What the hell is water?“38 Also mich selbst als Fisch im Wasser begreifen. Augen auf! Das ist es! Das ist die ganze Theologie, wenn ich das noch länger Theologie nennen möchte. Da brauche ich keine Institution. Jedenfalls keine (katholische) Kirche. Ich brauche keine Kirche, um mit anderen Menschen Brot teilen zu können. Für eine (herkömmliche) Religion der Katholizismus gibt es nichts mehr zu tun. Sie ist disruptiert. Sie ist einfach weg vom Fenster. Ich bin in ein lebendiges Lernen hineingenommen und treffe – am offenen Fenster stehend – meine Entscheidungen. 2. Was hat – rückblickend - zur Implosion meines Gottes-Gedankens geführt? Grundlegend war erstens der konstruktivistische Unterschied zwischen dem Bild (in meinem Kopf) und der Realität (da draußen). Der Impuls stammt von Alfred Korzybski: „the map is not the territory.“ / “Eine Karte ist nicht das Gebiet, das sie darstellt“39. Das scheint mittlerweile trivial und von bestechender Einfachheit zu sein. Aber doch nicht leicht einzusehen und zu realisieren. Es hat weitreichende Folgen. Es gibt ja keine richtige Landkarte. Nie mehr! „Das bildest du dir nur ein!“ Genau! Es gibt nur subjektive Wahrnehmungen. Und auch hier findet sich eine Einschränkung: „Keine Landkarte zeigt das ganze mutmaßliche Gebiet.“40 Trotzdem kann sie nützlich sein. Das sollten wir ernst nehmen. Was ich aus der Unterscheidung zwischen Karte und der Landschaft lerne, ist vor allem die Illusion meiner „richtigen“ Wahrnehmung der Welt. Es bleibt die Frage übrig: Was geht in mir vor? Welcher Film läuft in meinem Kopf? Auch das ist keine triviale Frage. Vergessen wird allzu oft die Unterscheidung, dass die Speisekarte keinesfalls schon das Essen ist. Was auch immer Gott sein mag, wir können es nicht (wirklich) wissen. Und wir liegen vermutlich auch alle falsch. Wir sehen Gott so, wie wir selbst sind. D.h. ich komme damit zu einer überraschenden Wendung in meiner Beschreibung. Um es mit Heinz von Foerster zu formulieren: „Meine Damen und Herren, the map is the territory, die Landkarte ist das Land, wir haben nur maps und nichts anderes. In dem Moment, in dem wir in scheinbarer Klarheit ein Drinnen und ein Draußen unterscheiden, sind wir schon auf dem Holzweg. Wir sehen nur das, was wir sehen.“41 Und das heißt auch: Ich kann das, was ich nicht sehe, ja einfach nicht sehen. Die Steigerung dieser Tatsächlichkeit ist der eigene blinde Fleck. Wir müssen deshalb miteinander sprechen, was wir als unsere Wirklichkeit wahrnehmen und in Worten formulieren. Es geht um Ernüchterung. In puncto Gott ist alles klar und einfach: „Everybody is wrong about god.“42 Das ist unvermeidlicch, weil jeder seine eigene Landkarte für die Gottes-Landschaft halten muss. Weil die...