E-Book, Deutsch, 346 Seiten
Rodewill / Porcelli Caroline und Wilhelm von Humboldt
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-910471-70-2
Verlag: artesinex verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Lebensglück in Rom
E-Book, Deutsch, 346 Seiten
ISBN: 978-3-910471-70-2
Verlag: artesinex verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Rengha Rodewill, geb. in Hagen (Westfalen), ist eine deutsche Autorin, Fotografin und Publizistin.
Autoren/Hrsg.
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Caroline von Humboldt
geboren als Carolina Friederica von Dacheröden
MARIANNE FLEISCHHACK (1976)
Caroline von Humboldt, um 1817
»Ich glaube nicht, dass es noch zwei Menschen auf Erden gibt, auf die das verehelichte Leben … so tief und so wechselseitig gewirkt hat. Ich kann mir Schritt vor Schritt nachweisen, wie ich alles durch Dich geworden bin, teures, geliebtes Wesen, wie selbst, was mir angehört, sich höchstwahrscheinlich nie entwickelt hätte, und wie das Gefühl der vollsten, natürlichsten und höchsten Weiblichkeit, was keine Frau auf Erden so wie Du gibt, indem es schon in mir eine Stimmung fand, die gern und tief darin einging, eine Eigentümlichkeit in mir ausgebildet hat, an der alles andere hängt und die außer Dir kein Mensch so kennt oder nur ahndet.«
Worte Wilhelms von Humboldt, ausgesprochen nach siebenundzwanzigjährigem Eheleben mit Caroline, geborene von Dacheröden; Worte, wie er sie in vielen Variationen vom Anfang dieser begnadeten Gemeinschaft bis zu Carolines Tod aus Überzeugung und klarer Einsicht wiederholt hat … Es gibt nicht viele Beispiele von Persönlichkeiten, bei denen es so deutlich wird und so beweisbar ist wie an dem Zeugnis von Wilhelm und Caroline von Humboldt, in welchem Maße eine Frau durch ihre Geisteshaltung den Mann zum Ausschöpfen seiner Begabung anzuregen vermag. Die gegenseitige Bereitschaft dieser beiden Menschen füreinander steht auf einer hohen Ebene. Sie sind bewusst gewillt, einer den anderen nicht nur zu verstehen und anzuerkennen, sondern einer den anderen emporzuziehen zu ethischer Vervollkommnung. Diese Ehe ist keineswegs die unproblematische Auswirkung einer sich in unangefochtenem Gleichmaß bewegenden Partnerschaft. Sie ist die Folge des Willens, Gemeinschaft zu halten in der fortdauernden Harmonie, die ihren Wohlklang im Alltag nicht verliert. Zu dieser Haltung gehören Charaktere von eigenständiger Prägung. Caroline besaß die glückliche Natur, die erkannte, dass auf sie zurückströmte, was sie gab. So erfuhr sie eigene Beglückung durch veredelnden Einfluß auf andere, nicht zuletzt auf ihren Lebensgefährten.
Caroline von Dacheröden, geboren in Minden am 23. Februar 1766, ist die einzige Tochter des Freiherrn Friedrich von Dacheröden, Kammerpräsidenten und Erbherrn auf Burgörner in der Harzebene und Siersleben und Auleben in der Goldenen Aue. Im Alter von acht Jahren verlieren Caroline und ihr älterer Bruder die liebevolle Mutter. Das sensible Mädchen vermisst deren Führung sehr, doch die Geschwister genießen unter der Obhut des Vaters eine behütete Jugend. Den schulischen Unterricht erteilen sorgfältig gewählte Erzieher. Caroline ist körperlich zart und bleibt es zeitlebens infolge eines sich frühzeitig anzeigenden Brustleidens. Vor allem ihretwegen verlegt der Vater möglichst oft den Wohnsitz vom Haus auf dem Anger in Erfurt nach dem dörflichen Burgörner. Das Kind fühlt sich vereinsamt, bis der Hauslehrer Zacharias Becker sein noch unklares Gefühlsleben und seine religiösen Vorstellungen in praktisch mitmenschliche Bahnen zu lenken versteht: helfen mit dem Wort und in der Tat, einander tragen und vertragen in der Nächstenliebe. Seine Ideale werden zum Leitbild der Heranwachsenden. Sie prägen ihren Charakter. Zupacken, wo eine Not es erfordert, wird dem jungen Mädchen zu einer Pflicht, die sein Leben ausfüllt und erfüllter macht. Caroline besucht bedürftige Familien in ihrer Umgebung bei ihrem Stadt- und Landaufenthalt. In Burgörner und Erfurt steht sie Müttern bei, gestaltet zum Beispiel für deren Kinder Weihnachtsfeste. Einem hilfreichen Wort lässt sie immer die praktisch unterstützende Tat folgen. Auf den Waldspaziergängen, die sie gern allein unternimmt, sucht sie die Hütten der Waldarbeiter auf und nimmt Anteil an deren Sorgen. Mit dem alten Kräuterweiblein streift sie zuweilen ein Stück Weges umher. Ernstlich beschäftigt sie das unsoziale Los der Bergknappen in der Eislebener Gegend, die bei harter Arbeit einen kärglichen Lohn erhalten. Sie sucht den Vater dafür zu gewinnen, etwas für sie zu unternehmen. Im parkähnlichen Gutsgarten werden die Wege geebnet und Verschönerungen vorgenommen. Der eigentliche Zweck, um den es ihr dabei geht, ist der, den Dorffrauen einen sehr erwünschten Nebenverdienst zu schaffen. Und sie lieben das Freifräulein, wie sie später die gütige Frau von Humboldt lieben werden. Zum Drohnendasein ist die »Herrschaftstochter« glücklicherweise nicht verurteilt, denn schon frühzeitig muss sie praktisch als Hausfrau dem väterlichen Haushalt vorstehen und dabei ebenso Umsicht wie gesellschaftliches Talent beweisen. Einladungen und unvorhergesehene Besuche fordern sie besonders beim Aufenthalt auf den Gütern. Sie ist eine liebenswürdige Gastgeberin. Wegen ihrer manchmal spontanen fröhlichen Einfälle ist sie gern in jeder Gesellschaft gesehen. Zuweilen freilich fühlt sie sich in ihrer Vitalität beim lustigen Treiben gehemmt durch ihre übergroße Sensibilität, oft bis zur Schwermut gesteigert. Hervorgerufen sind solche Anwandlungen durch ihr Leiden, das sich immer wieder bemerkbar macht. Sie müht sich aber bewusst, die Stimmungen unter den Willen zu zwingen.
Neuland tut sich für Caroline auf, als sie den Anschluss an eine Gruppe junger Menschen gewinnt, den sogenannten »Tugendbund« oder »Veredlungsbund«. In den Neunzigerjahren des 18. Jahrhunderts lehnte sich dieser Kreis bewusst auf, gegen die vorausgegangene und noch immer aktuelle Aufklärungsrichtung und stellte der nüchtern-realistischen Denkweise gefühlsbetonte Ideale entgegen. In diesem Bündnis vereinigten sich manche Namen, die später in der Kultur- und Geistesgeschichte und bis heute einen guten Klang behalten haben: Sophie von La Roche, die spätere Mutter Clemens Brentanos, die Brüder Humboldt, die Schwestern Lengefeld (Lotte wurde Schillers Braut), das Philologen- und Forscherehepaar Förster und andere. Der Grundgedanke der ungeschriebenen Gesetze dieses Bundes war die Hinaufbildung der eigenen Persönlichkeit, das Streben nach Reinheit der Gedanken und nach sittlichem Handeln. Allem voran stand die Forderung nach Nächstenliebe und die Aneignung vertiefter Menschenkenntnis. Solchen Wunschzielen fühlt sich Caroline wahlverwandt. Selbst die Tatsache, dass die guten Leitgedanken der Tugendbündler häufig durch übertriebene Rührseligkeit und zuweilen sogar fantastisch ausartende Schwärmerei überspielt wurden, findet bei ihr Widerhall. Sie lässt sich nur zu gern zu etwas hochgeschraubtem Ausdruck der Gefühle verleiten. Kein Wunder, dass sie sofort aufgeschlossen ist für diesen Kreis von Menschen, in den sie der öfter zu Gast weilende Carl von La Roche eingeführt hat. Der hochbegabte und feinsinnige junge Mann steht ihr bald näher als andere, und sie schenkt ihm freundschaftliche Zuneigung.
Durch ihn tritt eines Tages auch Wilhelm von Humboldt in das Haus Dacheröden ein. Auch er gehört dem »Tugendbund« an, ohne ihm die ausgesprochenen Sympathien wie andere Mitglieder entgegenzubringen. Ihm erscheint das Gedankengut etwas zu weltabgewandt und unrealistisch. Das ist vielleicht eine Folge seiner streng sachlichen Erziehung.
Wilhelm v. Humboldt war am 22. Juni 1767 in Potsdam geboren. Er und sein jüngerer Bruder Alexander leben derzeit bereits als Studenten in Göttingen. Wilhelm bereitet sich auf das juristische Staatsexamen vor. Alexander ist Naturwissenschaftler. Der Ältere vereinbart mit einem äußerst empfindsamen, leicht erregbaren Temperament die Neigung zu strenger Selbsterziehung. Das hält seine von Natur sinnenfreudige, weltoffene Veranlagung in den Grenzen zuchtvoller, Lebensführung. Sein Blick auf höhere, geistige Ziele bleibt ungetrübt. Das Schaffen steht stets über dem Genießen. Seine Empfindungswelt ist wesentlich beeinflusst durch die streng konventionelle Erziehung, die er in der Kindheit erfahren hat: Für seine Mutter waren Gefühlsäußerungen selbst im Familienkreis gesellschaftsunfähig. Gehemmt durch dauernde Leiden, war sie nicht aufgelegt zur Preisgabe warmer Gefühlsregungen; so war ihm in den Kinderjahren die von ersehnte Aufgeschlossenheit eines Erwachsenen für, seine Fragen und Unsicherheiten versagt geblieben. Er leidet besonders darunter, nachdem er im Alter von zwölf Jahren seinen geliebten Vater verloren hat. Der Sitte der Zeit entsprechend werden auch in diesem Hause die Söhne durch ausgezeichnete Hofmeister erzogen und durch eine vielseitige Ausbildung auf einen guten Wissensstand gebracht. Es ist eine verantwortliche Heraufbildung intellektueller Art gewesen, aber die individuelle Entwicklung von Herz und Gemüt ist dabei zu kurz gekommen. Die mitmenschlichen Neigungen prägen dennoch Wilhelms Lebensgestaltung, denn immer ist er bestrebt, in seinem Wirkungskreis sichtbaren Nutzen zu stiften.
Den kurzen ersten Besuch im Haus Dacheröden macht Wilhelm im Sommer 1788, aufgefordert von Carl von La Roche. Sehr bald ist der Kontakt zwischen der jungen Gutsherrin und dem Gast gefunden. Das vertraute Du, dass zu den Statuten des...