Reichenberger / Sedmak Sozialverträglichkeitsprüfung
1. Auflage 2008
ISBN: 978-3-531-91029-1
Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Eine europäische Herausforderung
E-Book, Deutsch, 221 Seiten, eBook
ISBN: 978-3-531-91029-1
Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Eine Sozialverträglichkeitsprüfung (SVP) ist ein Instrument, mit dessen Hilfe die Auswirkungen von gesellschaftlichen Entscheidungen für eine bestimmte (benachteiligte) Bevölkerungsgruppe bereits vor deren Umsetzung abgeschätzt werden sollen. So kommt der SVP eine wichtige Aufgabe im Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung zu.
Jakob Reichenberger, Studium der Theologie (Diplom) und Philosophie (Bakkalaureat), ist freier Mitarbeiter des Zentrums für Ethik und Armutsforschung an der Universität Salzburg.
Clemens Sedmak ist F.D. Maurice Professor für Sozialethik am King's College der Universität London, Leiter des Zentrums für Ethik und Armutsforschung an der Universität Salzburg und Präsident der Salzburg Ethik Initiative.
Zielgruppe
Professional/practitioner
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1;Inhaltsverzeichnis;6
2;Vorwort;8
3;Begriff und Anliegen einer Sozialverträglichkeitsprüfung;10
3.1;Anliegen einer Sozialverträglichkeitsprüfung;10
3.2;Inhalt des Bandes;16
3.3;Literatur;18
4;Überlegungen zum Entwurf einer Sozialverträglichkeitsprüfung;19
4.1;1 Was prüft die SVP?;19
4.2;2 Wozu und wozu nicht;27
4.3;3 Für wen?;29
4.4;4 Wer?;29
4.5;5 Wie?;33
4.6;Literatur;34
5;Sozialverträglichkeit und ethische Prüfverfahren;36
5.1;1 Ethische Prüfverfahren;37
5.2;2 Sozialethische Instrumente und moralphilosophische Urteilskraft;47
5.3;3 Schlussbemerkung: Sozialverträglichkeit und die gute Gesellschaft;56
6;Soziale Verträglichkeit und die Idee des Guten;58
6.1;Was ist ‚sozial‚?;59
6.2;Was meint ‚Verträglichkeit‚?;62
6.3;Soziale Verträglichkeit und Verantwortung – Überlegungen zu den Aufgaben des Staates;66
6.4;Der Staat und die Idee des Guten;70
6.5;Schlussreflexionen;74
6.6;Literatur;75
7;Über Menschlichkeit in der Gesellschaft, oder – was dem Menschen zuträglich ist;77
7.1;1 Einleitung;77
7.2;2 Was ist der Mensch?;78
7.3;3 Was entspricht dem Menschen?;80
7.4;4 Wie können wir „Mensch-Sein“ in der sozialen Welt?;83
7.5;Literatur;88
8;Prekarität und „Decent Work“. Über einen wesentlichen Aspekt der Sozialverträglichkeitsprüfung;89
8.1;1 Einleitung;89
8.2;2 Armut, Exklusion und Arbeitslosigkeit;91
8.3;3 Prekäre Verhältnisse;94
8.4;4 Die „Decent Work“-Agenda;98
8.5;5 Schluss;102
8.6;Literatur;102
9;Sozialverträglichkeit – eine Spurensuche in Politik und Kirche;106
9.1;Die Sehnsucht nach sozialer Verträglichkeit;106
9.2;Spurensuche in der Politik;107
9.3;Spurensuche in den Kirchen;115
9.4;Resümee;120
9.5;Literatur;121
10;Folgenabschätzung. Die Kunst der Sozialtechnik?;123
10.1;Warum überhaupt Folgenabschätzung?;123
10.2;Folgenabschätzung allgemein;126
10.3;Methode und Prozess am Beispiel der Europäischen Union;129
10.4;Werte und Konflikte;133
10.5;Resümee;138
10.6;Literatur;139
11;‚Poverty Proofing’ als zentraler Bestandteil der Armutspolitik in Irland: Sozialpolitische Kosmetik oder wirksame Innovation?;141
11.1;1 Einleitung;141
11.2;2 Ökonomische Trends und der Streit um das Ausmaß der Armut: Zahlen und Definitionen;142
11.3;3 Armutsbekämpfung wird zum politischen Thema: Die National Anti- Poverty Strategy ( NAPS);147
11.4;4 Poverty Proofing: Eine Innovation sucht ihre Rolle im politischen Prozess;151
11.5;5 Resümee;159
11.6;Literatur;161
12;Sozialverträglichkeit als Diskurselement der politischen Steuerung von Arbeit und Technik – Lehren für andere Kontexte;164
12.1;Einleitung;164
12.2;Zielsetzung;164
12.3;Sozialverträglichkeit: Begriffsdimensionen und das Dreigespann Akzeptanz – Akzeptabilität – Partizipation;165
12.4;Partizipation bzw. Diskurs in seiner organisierten Verfahrensform aus strukturalistischer Perspektive;166
12.5;Zum normativen Sozialverträglichkeitskonzept;169
12.6;Kontextfeld Arbeit und Technik: Das wissenschaftliche Gestaltbarkeitsparadigma;170
12.7;Sozialverträglichkeit in steuerungstheoretischer Sicht: ein selektives Gut für autopoietische Systeme oder ein Zuckerl für den Betrieb;171
12.8;Konvergenz- und Divergenzbereiche in der A&T-Steuerung;172
12.9;Kontextfeld Arbeit und Technik: verfestigte Strukturen bei gleichzeitig weitgehend fehlender konkreter Gestaltungsarbeit von Betriebsräten;173
12.10;Wovon ist die Nachfrage nach weniger Entfremdung abhängig?;174
12.11;Wann treten günstige Konstellationen auf?;174
12.12;Durchsetzbarkeit von Sozialverträglichkeit anhand von vier Politikfeldern;177
12.13;Literatur;185
13;Erfahrungen mit Umweltprüfungen;189
13.1;Die Geschichte der Umweltprüfungen;189
13.2;Der Ablauf einer UVP;190
13.3;Was bringt die UVP der Umwelt;191
13.4;Öffentlichkeitsbeteiligung - öffentliche Information zwischen Anspruch und Realität;192
13.5;Die Rechtstellung von NGO´s und Bürgerinitiativen im UVP-Verfahren ist entscheidend für die allgemeine Akzeptanz;195
13.6;In einer Umweltprüfung sollen auch soziale Wirkungen berücksichtigt werden, Stichwort: Umweltgerechtigkeit;196
13.7;Wie kann eine Sozialverträglichkeitsprüfung (SVP) von den Erfahrungen aus den Umweltprüfungen ( UVP) bzw. ( SUP) profitieren?;198
13.8;Literatur;200
14;Umwelt- und Sozialverträglichkeit in den tropischen Anden;201
14.1;Einleitende Bemerkungen;201
14.2;Umwelt- und Sozialverträglichkeit: Versuch einer Begriffsorientierung;202
14.3;„Lo Andino“ – Umwelt- und Sozialverträglichkeit in der andinen Kulturtradition (Abb. 1);204
14.4;Umwelt- und Sozialverträglichkeit im andinen Raum: neue Herausforderungen;206
14.5;Konzeptvorstellungen zur Umwelt- und Sozialverträglichkeit im ländlichen Andenraum;208
14.6;Fazit;214
14.7;Literatur;215
15;Verzeichnis der Autorinnen und Autoren;218
Begriff und Anliegen einer Sozialverträglichkeitsprüfung.- überlegungen zum Entwurf einer Sozialverträglichkeitsprüfung.- Sozialverträglichkeit und ethische Prüfverfahren.- Soziale Verträglichkeit und die Idee des Guten.- Öber Menschlichkeit in der Gesellschaft, oder — was dem Menschen zuträglich ist.- Prekarität und „Decent Work“. Öber einen wesentlichen Aspekt der Sozialverträglichkeitsprüfung.- Sozialverträglichkeit — eine Spurensuche in Politik und Kirche.- Folgenabschätzung. Die Kunst der Sozialtechnik?.- ‚Poverty Proofing’ als zentraler Bestandteil der Armutspolitik in Irland: Sozialpolitische Kosmetik oder wirksame Innovation?.- Sozialverträglichkeit als Diskurselement der politischen Steuerung von Arbeit und Technik — Lehren für andere Kontexte.- Erfahrungen mit Umweltprüfungen.- Umwelt- und Sozialverträglichkeit in den tropischen Anden.
Über Menschlichkeit in der Gesellschaft, oder – was dem Menschen zuträglich ist (S. 79-80)
Daniel Bischur
1 Einleitung
In diesem Beitrag wird der Versuch unternommen, in die Diskussion über Sozialverträglichkeitsprüfungen von Gesellschaften eine zusätzliche Perspektive einzubringen. Wir gewinnen diese Perspektive, wenn wir nachfragen, was es denn bedeuten soll, wenn eine Gesellschaft „sozial verträglich" ist. Wer verträgt hier was? Es geht darum, den Blick darauf zu lenken, was es denn für die einzelnen Personen in ihren spezifischen Lebenssituationen bedeutet, ein Leben „gut" führen zu können. Wie müssen die sozialen Gegebenheiten sein, um eine hinreichende Grundlage dafür zu sein, dass die einzelnen Personen, die in ihr stehen, ein menschliches – und das heißt – ein menschenwürdiges Leben führen können?
In anderen Worten: Was bedeutet es, wenn von der „Menschlichkeit" einer Gesellschaft die Rede ist? Herder hat in seinen „Briefen zur Beförderung der Humanität" den Begriff „Menschlichkeit" verworfen, weil ihm dessen Verwendung zu sehr mit Mitleid und Barmherzigkeit verknüpft war. Um das ging es ihm nicht, sondern um die Beförderung des Höchsten im Menschen. Weshalb er dem antiken Begriff der „Humanität" den Vorzug gab (Herder 1793-97: Brief 27, S. 106-107). Und tatsächlich, wenn wir im Alltagssprachgebrauch das Adverb „menschlich" verwenden, schwingt oft so etwas wie Mitleid oder Entschuldigung mit – „Irren ist menschlich", „Sei menschlich", … Warum spreche ich hier dennoch von „Menschlichkeit" und verwerfe den Begriff „Humanität"? Weil es in diesem Zusammenhang um jeden einzelnen Menschen geht und nicht um ein idealisiertes Menschenbild.
Der Begriff der „Humanität" ist allzu sehr mit dem ganzen Konzept der Aufklärung verknüpft, den Menschen zu erziehen, eben das Höchste im Menschen zum leitenden Prinzip des sozialen Lebens zu machen, als dass es hier seinen Platz hätte. Eine „menschliche" Gesellschaft soll eine Gesellschaft sein, in der der einzelne Mensch – und gemeint ist hier jeder einzelne konkrete Mensch, der als solcher, wie er gerade ist und weder ein Ideal noch eine Norm ist – seinen Platz und dem ihm gebührenden Respekt empfängt. Es geht um die Mitmenschen, so wie sie sind. Sie geben uns die Richtwerte dafür, wie eine Gesellschaft sozial verträglich sein kann, in dem sie menschlich ist, nämlich dem alltäglichem Menschen angemessen. Wenn hier von den Bedürfnissen der Menschen qua Menschen ausgegangen und diese individuelle Sichtweise scheinbar der Gesellschaft gegenüber gestellt wird, so bedeutet dies nicht, dass die Gesellschaft selbst nicht auch ein wesentlicher Teil eben des Menschlichseins selbst wäre.
Das Soziale formiert sich aus dem Miteinandersein der Menschen und wirkt als verkörperte Form des Zwischenmenschlichen zurück als soziale Wirklichkeit (Berger/ Luckmann 1966) und soziale Tatsachen (Durkheim 1895). Diese Lebensverhältnisse müssen von Anfang einbezogen werden, wenn wir danach fragen, wie wir leben sollen (Waldenfels 2006: 77-78). Der Versuch einer solchen Annäherung an die Verträglichkeit einer Gesellschaft hat sich also folgender grundlegender Fragen zu stellen (die in diesem Rahmen lediglich in ihren Grundrissen angeschnitten werden können): Was ist der Mensch? – Nur wenn wir zu einem allgemeinen Begriff des „Menschen" kommen, kann man sich der zweiten Frage – Was ist dem Menschen angemessen und daher „menschlich" zu nennen? – überhaupt erst annähern.