Raiser | Von der politischen Verantwortung des Nichtpolitikers | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 314 Seiten

Raiser Von der politischen Verantwortung des Nichtpolitikers

Ein Lebensbild meines Vaters Ludwig Raiser

E-Book, Deutsch, 314 Seiten

ISBN: 978-3-7534-8317-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



In dem hier nachgezeichneten Lebensbild des Juristen und Hochschullehrers Ludwig Raiser (1904-1980) spiegeln sich viele der entscheidenden Umbrüche und Aufbrüche in der jüngeren Geschichte unseres Landes. Aus der selbstkritischen Verarbeitung seiner Erfahrungen unter der NS-Herrschaft und im Krieg folgte für ihn die innere Verpflichtung, durch die Gestaltungskraft des Rechts zur Neubegründung einer menschengerechten Ordnung beizutragen. Die Institutionen von Hochschule und Kirche wurden für ihn zum Raum, in dem die Wahrnehmung politischer Verantwortung durch Nichtpolitiker sich als ein konstitutives Element der demokratischen Ordnung des Gemeinwesens bewährt, ausgerichtet auf die Verwirklichung von Wahrheit und Gerechtigkeit.

Dr. Konrad Raiser, geb. 1938 in Magdeburg. Studium der Evangelischen Theologie abgeschlossen 1963 in Tübingen. Ordination in Stuttgart 1964. Promotion in Tübingen 1970. Von 1969 -1983 Mitarbeiter des Ökumenischen Rates der Kirchen in Genf. 1983 -1993 Professor für Systematische Theologie/Ökumenik an der Ruhr Universität Bochum. 1993 bis 2003 Generalsekretär des Ökumenischen Rates. Lebt heute im Ruhestand in Berlin. Letzte Veröffentlichungen: Religion - Macht - Politik, Frankfurt 2010; Ökumene unterwegs zwischen Kirche und Welt, Münster 2013; 50 Jahre Reformation - weltweit, Bielefeld 2016.
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Herkunft, Kindheit und Schulzeit
Unser Vater war Schwabe. Auch wenn er entscheidende Jahre seiner Ausbildung und anfänglichen beruflichen Tätigkeit im Norden Deutschlands verbracht hat, blieb seine schwäbische Abstammung immer erkennbar. Wenn wir mit ihm in den ersten Jahren als Familie aus Göttingen oder Bad Godesberg in die Freien fuhren, fiel er nach Überquerung der Mainlinie in seinen unverwechselbar schwäbischen Sprachklang zurück. Erst in den letzten 25 Jahren seines Lebens kehrte er in die schwäbische Heimat nach Tübingen zurück. Die schwäbische Landschaft, vor allem die Schwäbische Alb, war die Umgebung, in der er sich zu Hause fühlte und in die er immer wieder gern zurückkehrte. Auch das nüchterne Arbeitsethos und Pflichtbewusstsein, die liberale Grundhaltung und die Skepsis gegenüber jeder persönlichen Eitelkeit waren Prägungen, die ihm durch seine Eltern und die Traditionen der Familie vermittelt wurden. Er wurde am 27. Oktober 1904 in Stuttgart geboren und auf den Namen Ludwig Carl Gustav getauft. Die Familie Raiser war und ist bis heute in Württemberg und besonders in Stuttgart verwurzelt und gehört zum schwäbischen, protestantisch und liberal geprägten Bildungsbürgertum. Sein Vater Carl Friedrich Raiser (1872-1954) stammte aus einer Kaufmannsfamilie, deren Wurzeln im altschwäbischen Bauerntum und Kleinhandwerk im Albvorland zwischen Reutlingen und Tübingen lagen. Carls Vater Carl Friedrich Raiser (1840-1897) hatte in das Handelshaus August Hedinger in Stuttgart eingeheiratet und hatte es zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht. Carl Raiser repräsentierte zusammen mit seinem Bruder August die erste Generation von studierten Mitgliedern der Familie, während der dritte Bruder Louis mit dem jüngsten Bruder Hermann das Hedinger’sche Geschäft weiterführte. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften hatte sich Carl im Jahr 1900 als Rechtsanwalt in Stuttgart niedergelassen. Er zog die Freiheit dieses Berufs einer ihm offenstehenden Tätigkeit im Staatsdienst vor und wurde durch große Arbeitsdisziplin sehr erfolgreich in seinem Beruf. In Anerkennung seiner Kompetenz als Anwalt wurde er bereits 1904 in den Aufsichtsrat der Württembergischen Privatversicherungsgesellschaft auf Gegenseitigkeit berufen und wurde 1910 Justitiar der Gesellschaft. Im Jahr 1912 wechselte er dann als zweiter Direktor ganz in den Dienst der Württembergischen Versicherung, deren Generaldirektor er 10 Jahre später wurde. Carl Raiser war noch verwurzelt in der Ordnung der Monarchie in Württemberg und fühlte sich zugleich als Verehrer Bismarcks patriotisch dem Deutschen Reich verbunden. Dem entsprach seine Stellung als Reserveoffizier. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde er im Oktober 1914 als Hauptmann der Landwehr und Kompanieführer im Reserveregiment 246 an der Front in Flandern eingesetzt. Doch schon im Dezember 1914 kehrte er mit einer Lungenentzündung nach Stuttgart zurück und erlebte nach Überwindung der langwierigen Krankheit den weiteren Verlauf des Krieges als Referent im Generalkommando in Stuttgart. Der Ausgang des Krieges traf ihn tief. Mit der militärischen Niederlage und der Revolution im November 1918 brach für ihn die ganze politische und gesellschaftliche Ordnung zusammen. Die neuen politischen Verhältnisse der Weimarer Republik blieben ihm fremd. Noch stärker war später seine in der liberalen, bürgerlichen Tradition Württembergs begründete Ablehnung des nationalsozialistischen Systems. Er war daher froh, nicht als Beamter dem ungeliebten Staat dienen zu müssen, sondern als Unternehmer seine Begabung und seinen Tatendrang einsetzen zu können. Er hatte die Leitung der Württembergischen Feuerversicherung 1922 zu einem Zeitpunkt übernommen, als durch die Inflation die finanzielle Basis der Gesellschaft aufs äußerste gefährdet war. Nach der von ihm eingeleiteten Umwandlung in eine Aktiengesellschaft führte er diese auch durch die Weltwirtschaftskrise hindurch und machte sie zu einem erfolgreichen und in ganz Deutschland angesehenen Unternehmen. Erst 1940 trat er in den Ruhestand, der dann freilich schnell von der teilweisen Zerstörung seines Hauses in Stuttgart und dem unerwartet frühen Tod seiner geliebten Frau überschattet wurde. Er selbst starb im Jahr 1954. Im Jahr 1902 hatte Carl Raiser die elf Jahre jüngere, damals erst 19-jährige Gertrud Hauber (1883-1944) geheiratet, nachdem diese das Lehrerinnenseminar, die damals höchste Ausbildungsform für junge Frauen, absolviert hatte. Gertrud stammte aus einer alteingesessenen Familie des württembergischen Bildungsbürgertums. Ihr Vater Gustav Carl Hauber (1851-1910) war Gymnasialprofessor in Stuttgart und seine Vorfahren waren schon durch viele Generationen hindurch studierte Leute gewesen. Ihre Mutter, Anna Hauber, geb. Faber (1860-1941), die nach dem frühen Tod ihres Mannes lange Zeit in der Familie ihrer Tochter lebte – die geliebte „Urmutter“ – entstammte einer der angesehensten Familien in Württemberg. Ihr Vater war im alten Königreich Justizminister gewesen und unter den männlichen Vorfahren gibt es eine lange Linie von Pfarrern und Prälaten. Die Großmutter Gertrud war in Stuttgart die Seele ihrer großen Familie und ihr früher Tod kurz nach dem verheerenden Luftangriff auf Stuttgart im September 1944, bei dem auch die oberen beiden Stockwerke des Hauses in der Robert-Bosch-Straße ausbrannten, war für die ganze Familie ein tiefer Einschnitt. In dieser von den beiden Eltern geprägten Familie wuchs Ludwig auf. Er war der zweite Sohn, nachdem 1903 sein älterer Bruder Rolf geboren worden war. Die ersten Kinderjahre bis zur Geburt des dritten Sohnes Dietrich erlebten die beiden ungleichen Brüder in lebhaftem und zeitweise stürmischem Austausch. Rolf war ein sehr aufgeweckter und vielfältig interessierter Junge, während Ludwig, den sie den „Bud“ nannten, zwar körperlich kräftig und seinem Bruder überlegen, aber langsamer in seiner geistigen Entwicklung war. Auf Kinderbildern blickt er fröhlich aber auch ein wenig verwundert in die Welt. Der 1909 geborene Dieter sah als Kind und Jugendlicher immer zu den beiden großen Brüdern auf. Erst spät, im Jahr 1916, kam die Schwester Annemarie hinzu, als die großen Brüder schon im Gymnasium waren und begonnen hatten, die Welt außerhalb der Familie zu erkunden. Die ersten 10 Jahre seiner Kindheit beschrieb Vater selbst als eine heile und helle Welt. Sein Vater war zwar durch seine Arbeit voll beansprucht und führte auch zu Hause ein straffes Regiment. Aber er nahm regen Anteil am Leben und Ergehen der Kinder und war immer bereit, sie bei schwierigen Schulaufgaben zu unterstützen. Die Mutter hat durch ihre nüchterne Klugheit und liebevolle Zuwendung den Geist der Familie geprägt und die sehr unterschiedlichen Temperamente und Begabungen ihrer Kinder und ihres Mannes ausgeglichen. Die Familie lebte zunächst in der Kanzleistraße und ab 1919 in einer Dienstwohnung der Feuerversicherung in der Johannesstraße am Feuersee. Beide Wohnungen in der Innenstadt Stuttgarts lagen in unmittelbarer Nähe der nächsten Verwandtschaft, sodass sich ein reger Austausch innerhalb der Großfamilie ergab. Im Jahr 1934 wurde das Haus in der Robert-Bosch-Straße gebaut, das bis zu seiner teilweisen Zerstörung 1944 der Mittelpunkt der großen Familie war. Dem liberalen Geist der Familie entsprach eine eher distanzierte Beziehung zur religiösen Praxis und zur Institution der Kirche. Als die Söhne herangewachsen waren, spielte im Familienleben die Hausmusik eine große Rolle. Rolf wurde zu einem anspruchsvollen und sehr versierten Pianisten, während Ludwig sich als Cellist bewährte. Dieter komplettierte später mit der Geige das familiäre Klaviertrio. Auch nachdem alle drei das Haus verlassen hatten, sind sie immer wieder zum gemeinsamen Musizieren in Stuttgart zusammengetroffen. Ein anderer familiärer Mittelpunkt waren die Sommerferien mit den Eltern, die meist in den Bergen verbracht wurden. Hier erwies sich der Großvater Carl als kraftvoller und ausdauernder Bergwanderer, eine Leidenschaft, die er seinem Sohn Ludwig weitervermittelt hat. Es muss daher für den Vater und seine Geschwister eine behütete und unbeschwerte Jugend in geordneten bürgerlichen Verhältnissen wesen sein. Bis zum Beginn des Krieges lebten sie in der Residenzstadt der aufgeklärt-liberalen Monarchie unter dem vom Volk sehr geschätzten König Wilhelm II. Hin und wieder erzählte Vater die Geschichte, wie sie als Schulbuben über den Schlossplatz nach Hause gingen und dann manchmal dem König begegneten, der dort seine kleinen Spitzer Hunde ausführte – natürlich ohne Personenschützer oder andere Begleitung. Für die Schulbuben in ihren Matrosenanzügen gehörte es sich dann, die Mütze zu ziehen und „Grüß Gott, Herr König!“ zu rufen, worauf dieser freundlich zurückgrüßte. Das charakterisiert anschaulich die Zeit und Umgebung, aus der Vater stammte. Nach dem Abschluss der Primarschulzeit bezog Vater, wie schon sein Bruder Rolf vor ihm, das im Bildungsbürgertum angesehene Eberhard-Ludwigs-Gymnasium in...


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