E-Book, Deutsch, Band 17, 136 Seiten
Pfadenhauer Peter L. Berger
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-7445-0326-6
Verlag: Herbert von Halem Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, Band 17, 136 Seiten
Reihe: Klassiker der Wissenssoziologie
ISBN: 978-3-7445-0326-6
Verlag: Herbert von Halem Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Michaela Pfadenhauer führt in das komplexe und vielschichtige Gesamtwerk von Peter L. Berger (* 17. März 1929 in Wien) ein, der als weltweit prominentester Vertreter der sogenannten 'neueren Wissenssoziologie' gilt. 30 Jahre lang leitete Berger das von ihm gegründete 'Institute for Culture, Religion and World Affairs' (CURA) an der Boston University. Bereits in jungen Jahren ist Berger über die Grenzen seiner Wahlheimat USA hinaus mit jenen Büchern bekannt geworden, in denen er sich explizit mit Wissenssoziologie befasste. Ihr gemeinsamer Lehrer Alfred Schütz war es, der Peter L. Berger und Thomas Luckmann mit seinem Hinweis, die Wissenssoziologie müsse neu geschrieben werden, den Anstoß für deren Entwicklung einer 'Theorie der Wissenssoziologie' lieferte: Das Buch 'Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit' gab der Wissenssoziologie die entscheidende epochale Neuausrichtung, es nimmt auch in dieser Einführung einen prominenten Platz ein. Michaela Pfadenhauer zeigt, dass auch Bergers spätere Arbeiten thematisch äußerst vielseitig und nicht nur für die Religionssoziologie von Belang sowie von einer wissenssoziologischen Grundhaltung gekennzeichnet sind. Seine pointierten Studien zu Modernität und Pluralisierung, Religion und De-Säkularisierung, Kultur und sozioökonomischem Wandel begründen seinen Ruf als scharfer Analytiker der Gegenwart.
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II Einflüsse, Lehrer und Weggenossen
Die Deutlichkeit, mit der Peter L. Berger an vielen Stellen seines Werks auf die geistigen Strömungen hinweist, aus denen sich seine Soziologie speist, ist bereits ein Ausweis seines wissenssoziologischen Selbstverständnisses, da er (sich) damit auch darüber Auskunft gibt, ›Kind‹ welcher Zeit er und Ausfluss welchen Zeitgeists sein Denken ist. Die hierfür maßgeblichen Geistestraditionen sind wesentlich mit den Namen Max Weber, Emile Durkheim, Karl Marx, Arnold Gehlen, George Herbert Mead sowie schließlich Alfred Schütz und William James verknüpft.15 Die in der Social Construction (1966a) formulierte Theorie der Wissenssoziologie ist eine systematische Verknüpfung zentraler Positionen der Verstehenden Soziologie, des Strukturfunktionalismus, der Geschichtsphilosophie des frühen Marx, des Symbolischen Interaktionismus, der Philosophischen Anthropologie und der Phänomenologie. Dabei kommt bei Berger den Einflüssen Webers eine Vorrangstellung zu, während Luckmann bereits vor der Arbeit an den Strukturen der Lebenswelt (Schütz & Luckmann 1979, 1984) stärker durch die Mundanphänomenologie von Alfred Schütz geprägt worden ist. Wie zentral Berger selbst Webers Bedeutung nicht nur für seine soziologische Theorie, sondern auch für seine insbesondere in Sociology Reinterpreted (Berger & Kellner 1981a) ausgeführte Methodologie erachtet, lässt sich an folgender Äußerung ablesen. Sie kommt bei einem Intellektuellen, dem -ismen prinzipiell verdächtig erscheinen, fast einem Bekenntnis gleich: »In meinem Alter bin ich kein Verfechter mehr von Orthodoxien, außer dem Weberianismus, dem ich mich seit meiner Studentenzeit verschrieben habe. Das heißt, in absoluter Treue zu Max Weber glaube ich an die ›wertfreie‹ Sozialwissenschaft« (2008a: 198). In diesem Zitat wird über den dominanten Einfluss des Weberschen Wissenschaftsverständnisses hinaus der Legitimationsdruck ersichtlich, unter dem ein Sozialwissenschaftler steht, der sich von Beginn seines wissenschaftlichen Wirkens an die Wertung gesellschaftlicher Phänomene nicht untersagt hat, der sich also als Soziologe und Ethiker, als Sozial-Ethiker im wörtlichen Sinne versteht. Die Affinität zu Max Weber hat ihm Carl Mayer vermittelt – dem wichtigsten Lehrer Bergers während seines Studiums an der Graduate Faculty der New School for Social Research in New York. Seine Verbundenheit mit Mayer bringt Berger im Vorwort der Invitation to Sociology (1963, dt. 1969: 8) zum Ausdruck: »Alles, was ich in der Wissenschaft meiner Wahl je gedacht habe, trägt das Zeichen der Dankbarkeit meinem Lehrer Carl Mayer gegenüber. Ich vermute, dass er, sollte er dieses Buch lesen, gelegentlich die Stirn runzelt. Doch wage ich zu hoffen, dass er die von mir vertretene Auffassung von Soziologie nicht nur als Veralberung dessen ansieht, was er seinen Schülern vermittelt hat.« Die ausführliche Lektüre der Weberschen Schriften hat sich nicht nur methodologisch (vgl. dazu auch Kapitel VI), sondern auch programmatisch in Bergers Werk niedergeschlagen. So stellt er keineswegs in Abrede, dass die Gesamtfragestellung seines Instituts als ›neo-weberianisch‹ bezeichnet werden kann (vgl. Kapitel V). Und für die Theorie der Wissenssoziologie von Berger und Luckmann bildet folgendes Diktum Webers einen der Ausgangspunkte: »Für die Soziologie (im hier gebrauchten Wortsinn, ebenso wie für die Geschichte) ist aber gerade der Sinnzusammenhang des Handelns Objekt der Erfassung« (Weber 1922: § 1,9). Allerdings bleiben die Autoren der Neueren Wissenssoziologie nicht bei Max Weber stehen: Dessen soziologischer »Marschbefehl« wird vielmehr mit der bis dahin weitgehend als inkompatibel angesehenen Position Emile Durkheims verknüpft: »Die erste und grundlegendste Regel besteht darin, die soziologischen Tatbestände wie Dinge zu betrachten« (Durkheim 1895, dt. 1984: 115). Aus dieser Kombination resultiert Bergers & Luckmanns (1966a, dt. 1969: 20) berühmte Grundfrage der soziologischen Theorie: »Wie ist es möglich, dass subjektiv gemeinter Sinn zu objektiver Faktizität wird? Oder, in der Terminologie Webers und Durkheims: Wie ist es möglich, dass menschliches Handeln (Weber) eine Welt von Sachen hervorbringt? So meinen wir denn, dass erst die Erforschung der gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit – der ›Realität sui generis‹ – zu ihrem Verständnis führt. Das, glauben wir, ist die Aufgabe der Wissenssoziologie.« Die Idee der Vereinbarkeit Webers und Durkheims mag ebenfalls beeinflusst sein von der Rezeption der Wissenssoziologie Werner Starks (1960: 228), der zwar »in der Theorie der funktionellen Zusammenordnung die grundsätzliche Lösung des Problems der sozialen Bestimmung des Bewusstseins« erblickt, diese allerdings im Rekurs auf Max Scheler und Max Weber ergänzt: »Denn beide haben ja gelehrt, dass Denkinhalte im Zusammenhang mit gewissen Leitwerten zur Bildung gelangen, und Werte sind ihrem ganzen Wesen nach niemals ›reine Ideen‹ platonischer Art, die in einem ätherischen Reich von metaphysischer Ferne thronen und zum menschlichen Dasein keine Beziehung haben, sondern sie sind stets und notwendig sowohl Aufforderung zu einer bestimmten Art des Denkens und bringen deshalb dauernd uno actu sowohl subjektive Vorstellungen und Haltungen als auch objektive Wesenheiten, d.h. Institutionen, ins Leben« (ebd.).16 In Durkheims Soziologie wurden Berger und Luckmann an der New School aber vor allem von Albert Salomon eingeführt, der sie von der Richtigkeit einiger zentraler Durkheim-Thesen überzeugte – allen voran von der Einsicht, dass faits sociaux als Dinge anzusehen sind und die Funktionsfähigkeit einer Gesellschaft von einer gemeinsamen Wertebasis abhängt. Auch in ihrer späteren gemeinsamen Schrift Modernität, Pluralität und Sinnkrise (Berger & Luckmann 1995a) beziehen sie sich explizit auf Durkheims Konzept der ›conscience collective‹, d.h. auf das, was René König (1976: 323) »als oberste Voraussetzung alles sozialen Geschehens« – als »Einheit, die Verhaltensregeln setzt« – bezeichnet hat. Damit ist allerdings kein Anschluss an die stark kritisierte Theorie des Kollektivbewusstseins intendiert, sondern an das, was Durkheim (ab 1897) ›représentations collectives‹ genannt hat. Gemeint sind kollektive Vorstellungen, d.h. gemeinsame Glaubens- und Wertvorstellungen einer Gemeinschaft. Allerdings bleiben Berger und Luckmann dem methodologischen Individualismus verpflichtet: Gegenstand der Wissenssoziologie ist jener vermittelte Sinn, den Alfred Schütz ›Wissen‹ nennt, d.h. der gesellschaftliche Wissensvorrat und dessen Aufteilung in Allgemein- und Sonderwissen. Dieser Wissensvorrat ist zwar mehr als die Summe subjektiver Wissensvorräte, hat dennoch aber nicht den Status eines kollektiven Bewusstseins. Selbst wenn Wissen empirisch weitgehend sozial vermittelt ist – »seine Entstehung als Sinn verdankt er jedoch (auch) den ursprünglichen Konstitutionsprozessen des individuellen Bewusstseins« (Knoblauch 2007: 121). Ebenso wie für Durkheim stellt sich für Berger und Luckmann die Frage, wie in einer modernen Gesellschaft, die nicht mehr durch eine gemeinsame Moral gekennzeichnet ist, Ordnung bzw. Stabilität gewährleistet werden kann. Im Verweis auf zwischen Gesellschaft (bzw. allgemeinen Regelungen) und Individuen (bzw. individualisierter Wirklichkeit) vermittelnde Gebilde, die bei Durkheim ›intermediäre Gruppen‹, bei Berger und Luckmann ›intermediäre Institutionen‹ heißen, findet sich eine sogar terminologisch verwandte Antwort auf diese gesellschaftliche Problemstellung. Ähnlich wie Durkheim ist Berger schließlich auch auf der Suche nach einer innerweltlichen Transzendenz. Durkheim war dabei vor allem daran gelegen, die säkulare Krise nach der französischen Revolution zu überwinden (vgl. König 1976: 335). Berger hingegen sucht in einer Zeit, in der selbst die Theologie von säkularisierendem Gedankengut durchzogen ist, in den normalen menschlichen Erfahrungen nach Elementen, die auf eine andere Wirklichkeit verweisen und infolgedessen als Signale des Transzendenten gedeutet werden können. In seiner Beschäftigung mit Transzendenz wird aber auch der Einfluss von Alfred Schütz und – wesentlich über diesen vermittelt – William James auf Bergers Denken erkennbar. Menschen sind demnach nicht nur mit einer, sondern mit vielen Wirklichkeiten konfrontiert. Während die Existenz einer Wirklichkeit jenseits der gewöhnlichen Wirklichkeit Bergers theologisches Hauptthema bildet, steht die Bewältigung der diesseitigen »multiple realities« im Fokus der Bergerschen Auseinandersetzung mit Modernität und Individuierung – eine Problematik, die er sich im eingehenden Rekurs auf Robert Musils Roman Mann ohne Eigenschaften (vgl. Berger 1970c, 1988e) erschlossen hat (s. dazu Kapitel III). Alfred Schütz war es auch, der Berger die Phänomenologie als prä- bzw. protosoziologisch notwendige...