Nassehi / Felixberger | Kursbuch 186 | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 186, 192 Seiten

Reihe: Kursbuch

Nassehi / Felixberger Kursbuch 186

Rechts. Ausgrabungen

E-Book, Deutsch, Band 186, 192 Seiten

Reihe: Kursbuch

ISBN: 978-3-946514-03-9
Verlag: Kursbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Was ist die "Neue Rechte"? Wie erklärt sich der Erfolg der AfD? Warum bringt die Gleichsetzung von Islam und Faschismus Wählerstimmen? Wie kann Islam-Bashing zu einem lukrativen Geschäft werden? Die Autoren des Kursbuchs 186 begeben sich auf Expedition in die (Un-)Tiefen der rechten Ideologien. Unter einer Ausgrabung versteht der Duden das systematische, wissenschaftliche Ausgraben und Freilegen von Gegenständen. Und genau darum geht es: Die Autoren versuchen in ihren Beiträgen, die tiefen Sedimentschichten rechter Ideologien freizulegen.

Mit Beiträgen von Daniel Bax, Hans Hütt, Armin Nassehi, Rainer Joedecke, Angela Wierig, Liane Bednarz, Barbara Vinken, John Stuart Mill, Peter Felixberger und Jens-Christian Rabe.
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Peter Felixberger
Rechts! Zwo! Drei! Vier! Ein deutsches Drehbuch Eingangsblende Der deutsche Sozialstaat gerät in Gefahr. Flüchtlinge und Migranten aus anderen Kulturen und Ländern bilden die neue Konkurrenz um staatliche Versorgungsleistungen. Dadurch drohe die Fürsorge für deutsche Bedürftige – Rentner und Hartz-IV-Empfänger – in Gefahr zu geraten. Politiker und Medien beginnen, die jeweiligen Gerechtigkeitskonstruktionen als Reflexe und reflexive Zustimmungsräume in Stellung zu bringen. In den Turbulenzen bilden sich stabile bis paradoxe Meinungskoalitionen. Rechts taucht auf, wo gerade noch links stand. Und links mäandert ins Delta des Unübersichtlichen. Akteure Wirtschaftsminister Bundeskanzlerin Früherer Minister mit sozialem Gewissen Kronprinz einer regionalen Regierungspartei Großsoziologe Politiker und Funktionäre Publizisten und Vordenker Linke Rechtsnationalisten Rechte Linksnationalisten Volk Startimpulse In Zeiten sinkender Wählerzustimmung tritt der Wirtschaftsminister auf und zündelt: »In die Gesellschaft hat sich ein Satz gefressen: ›Für die Flüchtlinge macht ihr alles, für uns macht ihr nichts.‹« Das Spiel der Reflexe kann beginnen. »Ein Wohlfahrtschauvinist«, ruft ein Politikwissenschaftler unmittelbar retour und bezieht sich auf die Denkfigur, wonach gesellschaftliche Homogenität die Voraussetzung für einen gelingenden Sozialstaat ist. Und eine junge Journalistin einer großen deutschen Sonntagszeitung reagiert ebenso zügig: »Um gesellschaftliche Unruhe zu vermeiden, muss man den Einheimischen nach dieser Logik in Zeiten hoher Einwanderung ausdrücklich zusichern, dass ihnen durch die Neuankömmlinge kein Nachteil entsteht.« Das Volk bezieht Stellung. Der »kleine Mann« reklamiert sozialstaatliche Versorgung und will keine Konkurrenten neben sich haben. Der Sozialstaat soll seine Pforten nur für die Richtigen öffnen. Ein deutscher Rentner dürfe vom Staat schließlich nicht weniger bekommen, als ein jugendlicher Flüchtling den Staat koste – meint der Kronprinz einer Landesregierung im Süden des Landes. Tiefenbohrung Der Sozialstaat wird als Spielwiese oberflächlicher Reflexe und Reiz-Reaktions-Muster benutzt und instrumentalisiert. Anhänger und Gegner rotten sich im Gefühl der Meinungshoheit jeweils zusammen. Es bedarf deshalb einer tiefer gehenden Betrachtung, um diese kurzatmig öffentlich inszenierte Oberflächenspannung besser zu verstehen und die darunter liegenden Gesteinsschichten zu erkennen. Wir richten den Blick deshalb zunächst zurück in die Zeit vor 150 Jahren. Als nämlich der Sozial- oder Wohlfahrtsstaat sich im Gefolge der ersten Phase der Industrialisierung in Deutschland herausgebildet hat. Dabei hat sich ein paternalistisches Staatsverständnis verfestigt, demzufolge einerseits der Staat Souverän und Fu¨rsorger seiner Bu¨rger ist, andererseits der Bu¨rger als ein mit Teilhaberechten ausgestattetes Mitglied einer sozialen Gemeinschaft definiert ist. Das bedeutet: Der Sozialstaat fordert und fördert, er fordert die politische Loyalität der Bu¨rger und fördert deren individuelle Wohlfahrt. Das Herzstück jedes Sozialstaats ist die Inklusion. Reflexe Stimme eines Großsoziologen aus dem Jenseits: »Jede Person muss danach Zugang zu allen Funktionskreisen erhalten können. Jeder muss rechtsfähig sein, eine Familie gru¨nden können, politische Macht mit ausu¨ben oder doch mit kontrollieren können; jeder muss in Schulen erzogen werden, im Bedarfsfalle medizinisch versorgt werden, am Wirtschaftsverkehr teilnehmen können. Das Prinzip der Inklusion ersetzt jene Solidarität, die darauf beruhte, dass man einer und nur einer Gruppe angehörte.« Jeder Bu¨rger erwirbt also ein Set an politischen und sozialen Rechten, u¨ber die er in die Gemeinschaft integriert ist, aber auch die Ausgangsposition festigt, seine Lebenspläne in freier Selbstbestimmung und Selbstorganisation verwirklichen zu können. Der Sozialstaat basiert bis heute auf dieser beiderseitigen Gewinnstrategie. Die Marginalisierung einer Gruppe (siehe Wirtschaftsminister und Kronprinz) ist nicht Teil dieser Denkfigur. Auftritt der Bundeskanzlerin. Nach langem Wir-schaffen-das-Jubel erinnert sie sich im Umgang mit den Flüchtlingen an das sozialstaatliche Prinzip: fordern und fördern. Anerkannten Asylbewerbern solle etwa »zur Vermeidung von sozialen Brennpunkten« ein bestimmter Wohnsitz zugewiesen werden. Gleichzeitig werden Flüchtlingen, die Integrationsmaßnahmen ablehnen, die Leistungen gekürzt. Der eingangs zitierte Wirtschaftsminister im semantischen Schlepptau: Die Koalition wolle keine »zwangsassimilierten, ängstlichen Integrationssimulanten«. Integration sei anstrengend, doch »wer zu uns gehören will, wird nun bessere Möglichkeiten haben«. Der Wirtschaftsminister bewirtschaftet weiter sich selbst. Womit wir wieder am Anfang stehen. Zu uns gehören! Inklusion! Nur dann öffnet der Sozialstaat sein Mäntelchen. Semantisch lässt sich dahinter ein wohlbekanntes, bipolares Ränkespiel inszenieren, um den Sozialstaat auszuhebeln. Hier die dauerhaften, dort die flüchtig Bedürftigen. Hier die Deutschen, dort jene, die sich der Inklusion erst würdig erweisen müssen. Die Flüchtlinge werden volksnah zur Gruppe degradiert und als solche zunächst semantisch und physisch in Zeltstädten und Turnhallen zwischengelagert. Der sozialistische Internationalismus, der jeder verfolgten und gefährdeten Person Heimstatt und Schutz gewährt, strandet so im neolinken Nationalismus, der eine Hierarchisierung im Sozialstaat vornimmt und den Inklusionsgedanken malträtiert. Achtung: Auftritt einer rechten Linksnationalistin, die mit ihrem Zwischenreflex bildlich gesprochen auf diesem semantischen Wirbelkörper Platz nimmt und völlig überraschend das Hohelied des Nationalstaats singt. Demokratie und Sozialstaat seien in Nationalstaaten erkämpft worden und Demokratie lebe nur in Räumen, die für die Menschen überschaubar sind. EU und Supranationalismus sind in ihren Augen eher Teufelswerk. Da trifft es sich gut, dass ihr geistiger Ziehvater vor Jahren eine Streitschrift für eine gerechte Gesellschaft verfasst hat. Ein guter Deutscher, so der ihr äußerst nahestehende Ziehvater darin, muss seinen Wohnsitz in Deutschland haben, deutsch sprechen, angemessen Steuern zahlen und den Sozialstaat finanzieren. Woraus sich für ihn die Notwendigkeit ergibt, »die Zuwanderung zu begrenzen«. Denn Aussiedler, Bürgerkriegsflüchtlinge und Asylbewerber träten mit dem deutschen Michel in »Konkurrenz um Arbeitsplätze, Wohnungen und Lebenschancen«. Der Staat solle sich, so seine Folgerung, zuallererst um die »sorgen, die seine Bürger sind und sich, soweit sie Einnahmen haben, an der Finanzierung der Gemeinschaft beteiligen«. Tiefenbohrung Man erkennt schnell, dass sich hinter dieser scheinbaren Politik für alle ein antisozialstaatlicher und rassistischer Reflexkern verbirgt: Wir lassen von außen keinen mehr dazukommen, damit die Einheimischen unter sich bleiben können. Wölfe im Schafspelz haben plötzlich Konjunktur. Eine neue kleine Rechtspartei packt den Volkszipfel bei der Hand. Ohne zu ahnen, worum der Sozialstaat im Eigentlichen ringt. Aus den Parteiritzen qualmt es hervor: »Der Sozialstaat für alle ist nicht sozial […] Einen unkontrolliert immer weiter ausufernden Sozialstaat kann sich Deutschland auf lange Sicht nicht leisten.« Jetzt aber schnell zurück in die tiefer liegenden Sedimentschichten des Sozialstaats. Denn in der Gewinnbeziehung zwischen Staat und Bürger wird eine interessante Paradoxie sichtbar. Der Sozialstaat kompensiert die Preisgabe seiner Macht (er beteiligt alle Bu¨rger an politischen und sozialen Rechten) mit dem Zugehörigkeitsimperativ zu einer hierarchisch von oben gesteuerten Staatlichkeit. Der Bu¨rger wiederum kompensiert seine politische Teilhabeverpflichtung mit der Preisgabe seiner Freiheit (dem Streben nach selbst organisiertem Leben). Stimme eines Soziologen aus dem Off: »Die wesentliche Rolle des Staates im Kontext der Wohlfahrtsproduktion besteht in der Gewährleistung sozialer Rechte und in der Schaffung funktionsfähiger Strukturen der Leistungserbringung, deren Eigendynamik zur Schaffung von Selbststeuerungspotenzialen nutzbar gemacht werden kann.« Die Idee des Sozialstaats kann diesem Dilemma allerdings nicht entfliehen. Als Souverän und Fu¨rsorger u¨ber seine abhängigen Bu¨rger herrschen zu mu¨ssen und gleichzeitig mit ihnen dahin gehend zu kooperieren, sie als Selbstorganisierte in die individuelle Freiheit zu entlassen. Der Konflikt zwischen individueller Emanzipation und staatlicher Macht bleibt dauerhaft ungelöst. Der Großsoziologe winkt aus dem Jenseits: »Der Wohlfahrtsstaat erstrebt die Inklusion der Gesamtbevölkerung in das politische System der Gesellschaft. Dies geschieht auf der positiven, auf der beleuchteten Seite durch Gewährung von Vorteilen, die der Einzelne nicht selbst verdient hat. Auf der anderen Seite kommt es eben dadurch zu einer...


Seit 2012 erscheint das Kursbuch unter der Herausgeberschaft von Armin Nassehi und Peter Felixberger.
ARMIN NASSEHI (*1960) ist Soziologieprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und einer der wichtigsten Public Intellectuals in diesem Land. Im Murmann Verlag veröffentlichte er unter anderem "Mit dem Taxi durch die Gesellschaft", in der kursbuch.edition erschien "Gab es 1968? Eine Spurensuche".
PETER FELIXBERGER (*1960) ist Programmgeschäftsführer der Murmann Publishers. Als Buch- und Medienentwickler ist er immer dort zur Stelle, wo ein Argument ans helle Licht der Aufklärung will. Seine Bücher erschienen bei Hanser, Campus, Passagen und Murmann. Dort auch sein letztes: "Wie gerecht ist die Gerechtigkeit?".
Das Kursbuch wurde 1965 von Hans Magnus Enzensberger zusammen mit Karl Markus Michel gegründet. Als einer der wichtigsten kritischen Begleiter der bundesdeutschen Öffentlichkeit setzte die Kulturzeitschrift Themen, die sonst nicht auf der öffentlichen Agenda standen. Demgegenüber gilt es heute, im vorhandenen Themendickicht neue Schneisen zu schlagen und überraschende und ungewohnte Verbindungen herzustellen. Unter der Herausgeberschaft von Peter Felixberger und Armin Nassehi bietet das Kursbuch solche neuen unerwarteten Perspektiven an. Nicht die großen Unterschiede werden diskutiert, sondern das, was einen Unterschied macht.


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