Möller / Neuscheler | "Wer will die hier schon haben?" | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 339 Seiten

Möller / Neuscheler "Wer will die hier schon haben?"

Ablehnungshaltungen und Diskriminierung in Deutschland
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-17-032801-3
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Ablehnungshaltungen und Diskriminierung in Deutschland

E-Book, Deutsch, 339 Seiten

ISBN: 978-3-17-032801-3
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Rassismus, Homophobie und Ausgrenzung Andersdenkender sind heute alltägliche Realität in Deutschland. Derartige Haltungen und Diskriminierungen gegenüber Minderheiten werden allgemein als Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit oder Pauschalisierende Ablehnungskonstruktionen aufgefasst und untersucht. Was genau unter diesen Begriffen zu verstehen ist, wie weit die mit ihnen bezeichneten Phänomene verbreitetet sind und wie die Gesellschaft am besten gegen Ausgrenzung und Anfeindung vorgehen kann, verdeutlicht dieser Band exemplarisch. Die kurzen Beiträge informieren jeweils aus der Sicht von Wissenschaft und Praxis auf schnelle und nachvollziehbare Weise über die wichtigsten gegenwärtigen gesellschaftlichen Herausforderungen des jeweiligen Themenbereichs: Rechtsextremismus und Hasskriminalität, Rechtspopulismus, Ablehnung von Geflüchteten, Antimuslimische Haltungen, Islamismus, Antisemitismus, Homosexuellenablehnung und Sexismus.

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1
Rechtsextremismus und Hasskriminalität: Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Ansätze
Matthias Quent
Einleitung
Dem Konzept Hass (hate) kommt in der öffentlichen, juristischen und politischen Auseinandersetzung mit den in den letzten Jahren massiv angestiegenen Gewalttaten vor allem gegen Geflüchtete, Asylunterkünfte und Ehrenamtliche in der Flüchtlingshilfe eine wachsende Bedeutung zu. Die Journalistin und Rechtsextremismusexpertin Andrea Röpke schreibt beispielsweise in diesem Kontext im »Jahrbuch Rechte Gewalt 2017« über die »rechte Hassbewegung und ihre Facebook-Armee« (Röpke 2017: 35ff.). Volksverhetzende, beleidigende und verletzende Kommentare in sozialen Medien werden als Hasssprache (hate speech) bezeichnet und die Ausweitung repressiver Maßnahmen wird diskutiert (kritisch dazu: Amadeu Antonio Stiftung 2017). Insbesondere im englischsprachigen Raum und in der US-Debatte hat die kriminologische, zivilgesellschaftliche und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit hate crimes eine lange Tradition. Der englische Kriminologe Chakraborti stellt fest: »Hate crime has become an increasingly familiar term in recent years as the harms associated with acts of bigotry and prejudice continue to pose complex challenges for societies across the world. It is rightly seen as a human rights issue that has wider social and political ramifications beyond simply identifying criminal justice ›solutions‹ and the culpability of individual offenders. However, whilst hate crimes are now afforded greater recognition throughout all levels of society – from law-makers, law-enforcers, academics, students, activists and from ›ordinary‹ members of the public – some significant challenges remain.« (Chakraborti 2015) In den Einwanderungsgesellschaften der USA und Großbritanniens hat sich die Auseinandersetzung mit Hasskriminalität zu einem wichtigen Instrument im Kampf um die rechtliche und soziale Gleichstellung von Minderheiten entwickelt. Nicht zuletzt aufgrund des Drängens von EU-Institutionen ist davon auszugehen, dass auch in Deutschland das Konzept Hass in den nächsten Jahren weiter an Bedeutung gewinnt. Es existieren kaum systematische Auseinandersetzungen mit dem Konzept, mit der Übertragbarkeit und mit dem Verhältnis zum in Deutschland dominanten Rechtsextremismus-Konzept (Coester 2008). Nach dem öffentlichen Bekanntwerden des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) im November 2011 nimmt die Auseinandersetzung mit Hasskriminalität in Deutschland langsam an Fahrt auf – sowohl auf politischer Ebene als auch in Forschung und Zivilgesellschaft (zum NSU vgl. Quent 2016). Verstärkt haben sich in Deutschland in den vergangenen Jahren Aktivist_innen und Forscher_innen aus Einwandererfamilien dafür eingesetzt, der dominanten Täterfixierung der Rechtsextremismusforschung den Erfahrungsschatz »migrantischer Perspektiven« (Bozay u. a. 2016) entgegenzusetzen. Damit lassen sich unterschiedliche Ebenen (individuell, institutionell, strukturell) von rassistischer Diskriminierung sowie ihre Folgen in den Blick nehmen. Vor diesem Hintergrund wird im vorliegenden Beitrag der Frage nachgegangen, inwieweit die ›hate crime‹-Perspektive für den deutschen Kontext geeignet ist, wo Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu Konzepten des Rechtsextremismus bestehen und welche zusätzlichen Erkenntnisgewinne und Vorteile von der Verwendung des Hass-Konzeptes zu erwarten sind. Es werden Begriffsdefinitionen des Rechtsextremismus sowie von Hassphänomenen dargestellt und unter Bezug auf die polizeiliche Kriminalstatistik 2016 empirische sowie paradigmatische Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Ansätze herausgearbeitet – insbesondere zwischen Täter- und Opferperspektive beziehungsweise zwischen Subjekt- und Objektbezug. Rechtsextremismus
Im wissenschaftlichen sowie im behördlichen Verständnis ist der Begriff des Rechtsextremismus mehr oder weniger klar definiert und bezieht daraus seine Berechtigung im jeweiligen Arbeits- bzw. Handlungsfeld. Die »heillose Sprach- und Begriffsverwirrung« (Neureiter 1996: 13) hinsichtlich der Rechtsextremismus-Terminologie ist keine neue Beobachtung. Die Begriffsunterschiede verlaufen quer durch die wissenschaftlichen Disziplinen und praktischen Anwendungsfelder (vgl. auch Kiess/Decker 2012). In Tabelle 1 werden vier wichtige, unterschiedliche Definitionen wiedergegeben. Frindte u. a. (2015) stellen auf Grundlage einer ausführlichen Rekonstruktion der Rechtsextremismusforschung heraus, dass für das Konzept Rechtsextremismus bestimmte politische Ideologien (z. B. Abschaffung des bürgerlichen Rechtsstaats), Einstellungen (z. B. Antisemitismus) und Verhaltensweisen (z. B. Gewalt) gemeinsam definierend sind (vgl. auch Geschke 2017: 177). Tab. 1: Überblick Definitionen des Rechtsextremismus Aufgrund der hohen sozialen Relevanz des Themenfeldes konkurrieren und kollidieren die unterschiedlichen Auslegungen im öffentlichen Diskursraum. Zivilgesellschaftliche und politische Akteure jeder Richtung, soziale Bewegungen und Medien nutzen Rechtsextremismus bisweilen als diffusen Kampfbegriff, der sich mit Rückgriff auf wissenschaftliche Denkschulen und Definitionen vielseitig besetzen und benutzen lässt. Dies ist keineswegs neu. Doch durch die Entwicklungen der letzten Jahre hat sich das Begriffs- und Vermittlungsproblem verdichtet: Zu diesen Entwicklungen gehören vor allem: das öffentliche Bekanntwerden des NSU, die Entstehung von Pegida und AfD sowie deren Rechtsradikalisierung, der in diesem Zusammenhang wachsende Einfluss der sogenannten Neuen Rechten (welche die Behörden »ratlos« lassen; Mascolo/Steinke 2017), die Aktivitäten der »Identitären Bewegung«, die massive Zunahme von Gewalttaten insbesondere gegen Geflüchtete sowie die Entstehung neuer rechtsterroristischer Gruppen (etwa die »Gruppe Freital«, deren mutmaßliche Mitglieder mehrheitlich zuvor nicht im Zusammenhang mit der extremen Rechten in Erscheinung getreten sind). Unter anderem mit diesen Herausforderungen haben vor allem Initiativen und Projekte zu tun, die sich im öffentlichen Diskurs ›gegen Rechtsextremismus‹ einsetzen. Während die Wissenschaft die Komplexität und Unzulänglichkeit von sozialwissenschaftlichen Begriffen ausführlich diskutieren und beklagen kann, sind diejenigen, die sich alltäglich in der Praxis mit ›Rechtsextremismus‹ auseinandersetzen, darauf angewiesen, auch außerhalb ihrer Milieus verstanden zu werden. Vor diesem Hintergrund ist jedoch die tatsächliche Vermittlung wissenschaftlicher Konzepte des Rechtsextremismus sowie der »Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit« in zivilgesellschaftliche Praxis alles andere als stringent. Erschwerend kommt hinzu: Unter dem Containerbegriff des Rechtspopulismus wird eine Auseinandersetzung mit dem Kern von Ungleichwertigkeitsideologien und mit Rassismus umgangen. Folgen des öffentlichen Bekanntwerdens des NSU
Weitreichende bundespolitische Reaktionen auf den NSU-Komplex waren zum einen das akteursorientierte und gescheiterte NPD-Verbotsverfahren des Bundesrates. Zum anderen reagierte die deutsche Bundesregierung mit der Verschärfung des § 46 StGB, um Straftaten schärfer zu sanktionieren, die aufgrund von Rassismus oder »sonstigen menschenverachtenden Beweggründen« begangen werden. Damit soll die Stellung von diskriminierten Gruppen gestärkt werden, die zum Opfer von vorurteilsmotivierter Gewalt werden. Das Nichterkennen des rassistischen NSU-Terrors und die institutionelle Diskriminierung der Hinterbliebenen, Geschädigten Angehörigen und von Menschen aus Einwandererfamilien, vor allem aus der Türkei, haben dazu geführt, dass unter Aktivist_innen und Wissenschaftler_innen Forderungen laut werden, stärker die Perspektiven der ›Betroffenen‹ in den Vordergrund zu stellen: »[H]äufig fehlt der Blick der Betroffenen, die Perspektive derjenigen, die zu Opfern der rassistischen Mordserie gemacht worden sind. Migrantische Perspektiven auf den NSU standen im Diskurs um den NSU-Komplex eher im Hintergrund.« (Aslan 2017) Diejenigen, die von rechtsextremen und rassistisch agierenden Subjekten (Individuen, Gruppen, Institutionen) zu Objekten des Hasses gemacht werden, wehren sich gegen diese Marginalisierung, um nicht nur als Opfer ernst genommen zu werden, sondern als selbst handelnde Entitäten. Dies stellt auch die der Subjekt-Objekt-Konstellation unterstellte Zufälligkeit der Abwertung infrage und verweist auf die gesellschaftsstrukturierende Dimension von Rassismus. In der Einwanderungsgesellschaft der Vereinigten Staaten haben vor allem die zivilgesellschaftlichen Bürgerrechtsbewegungen der People of Color sowie jüdische Verbände schon seit Jahrzehnten in diesem Sinne das Wort ergriffen und unter anderem eine flächendeckende Verankerung von Gesetzen gegen Hasskriminalität erwirkt. Hasskriminalität (hate crime)
Auch der Begriff der...


Professor Dr. Kurt Möller lehrt und forscht über Theorien und Konzepte Sozialer Arbeit an der Hochschule Esslingen. Florian Neuscheler ist dort wissenschaftlicher Mitarbeiter und promoviert im Themenbereich ,religiös legitimierte Gewalt' an der Universität Bielefeld.



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