Meier / Viehhauser / Sahle | Rekontextualisierung als Forschungsparadigma des Digitalen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 112 Seiten

Meier / Viehhauser / Sahle Rekontextualisierung als Forschungsparadigma des Digitalen


1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7519-4094-8
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 112 Seiten

ISBN: 978-3-7519-4094-8
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Der Begriff der Rekontextualisierung hat in neueren diskursanalytischen Forschungen zu digitalen Medien einen erstaunlichen Aufschwung erfahren. Die für digitale Medien charakteristische Möglichkeit, durch serielle Reihung, Rekombination, Einbettung und Vernetzung digitaler Objekte neuen Sinn zu generieren, wird dadurch auf den Begriff gebracht. Digitale Phänomene wie Memes, Hashtags und interaktive Timelines liefern anschauliche Beispiele. Aber nicht nur auf der Gegenstandsebene erweist sich der Begriff als nützliche Analyseketagorie. Auch methodologische Fragestellungen zu digitalen Forschungsinfrastrukturen und digitalen Methoden etwa nach dem epistemologischen Status von digitalen (Parallel-)Editionen oder Wortkonkordanzen können mit Begriff der Rekontextualisierung adressiert werden. Die Beiträge im Band diskutieren aus linguistischer, literatur- und geschichtswissenschaftlicher Perspektive die Potenziale und Anschlussmöglichkeiten wie auch die theoretischen und empirischen Implikationen des Rekontextualisierungsbegriffs als Grundbegriff digitaler Forschung.

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((Kontext (Text)) Edition) Rekontext
Patrick Sahle
1 Zum Kontext dieses Beitrages
Das Konzept der Rekontextualisierung unter digitalen Bedingungen wird in dem folgenden Beitrag nicht aus einer literaturwissenschaftlichen Warte heraus betrachtet, sondern aus Sicht der Digital Humanities im Allgemeinen und der (digitalen) Editorik im Besonderen. Dabei mag die Editorik zunächst als sehr spezieller, kleiner Bereich erscheinen. Sie steht aber für einen Zweig der Geisteswissenschaften, bei dem Fragen der Medialität, der Digitalität und Textualität so kulminieren, dass sie auch grundlegend gestellt und theoriebildend beantwortet werden müssen. Ähnliches gilt für die Digital Humanities. Wenn hier Modellierung und Operationalisierung als ihre Kernpraktiken beschrieben werden können, dann zielt dies auch auf Begriffsbildung und Theorieentwicklung. Beide Bereiche, DH und Editorik, sind zudem stark interdisziplinär angelegt. Der weite Blick der DH wird manchmal mit einer notwendigen Flachheit erkauft. Die Diskurstiefe der Literaturwissenschaften kann hier nicht erreicht werden, dafür besteht in den DH aber die Zielstellung, zu (integrativen) Metamodellen zu kommen, unter denen die fachspezifischen Sichtweisen zusammengeführt und gemeinsam produktiv gemacht werden können. Mein Beitrag nimmt in seiner historischen Genese mit der Einladung zu einem Workshopbeitrag seinen Ausgang von einem reflexhaften »Missverständnis« des Rekontextualisierungsbegriffes auf meiner Seite. Während die Organisatoren des Workshops damit vor allem die produktive Neu-Kontextualisierung von Inhalten in digitalen Medien meinten, dominierte für mich vor dem Hintergrund der digitalen Editorik zunächst die Assoziation von bestehenden Kontexten, in die die Überlieferung als der eigentliche Gegenstand der Edition immer schon eingebettet war und ist und die in der Edition wieder hergestellt werden sollen. Es wird zu zeigen sein, wie weit dieses Missverständnis produktiv gemacht werden kann, wenn es darum geht, die verschiedenen Disziplinen und Kulturen der Geisteswissenschaften miteinander abzugleichen, um am Ende vielleicht zu einem übergreifenden, integrativen, aber zugleich auch weiter differenzierten Begriff von Rekontextualisierung zu kommen, das diesen engen Ansatz überschreitet. 2 Kontext und Rekontextualisierung in der Editorik
Die wissenschaftliche Edition wird heute in einer fach- und schulenübergreifenden Verallgemeinerung als die »erschließende Wiedergabe historischer Dokumente« verstanden (zuletzt Sahle 2016). Dabei schließt der scheinbar materialistische Begriff der Dokumente alle abstrakteren Verständnisse von Text oder Werk ein, weil diese niemals anders als auch physisch vorliegen können, als abstrakte Objekte sehr wohl aber aus den Dokumente extrahiert oder auf der Grundlage der Dokumente hergestellt werden können. Für die Edition ist der doppelte Prozess der Erschließung und der Wiedergabe entscheidend. Beide sind praktisch stark verwoben, können konzeptionell aber getrennt betrachtet werden. Für beide Prozesse ist die Frage nach Kontexten und Rekontextualisierung zu stellen. Bei der Erschließung geht es grundsätzlich darum, das Verständnis von Werken, Texten oder Dokumenten dadurch zu ermöglichen, dass eine durch den Zeitenlauf entstandene historische Distanz überbrückt und ausgeglichen wird. Diese Überbrückung aber geschieht im Raum der Kontextualität: Typische Operationen sind hier z.B. die Sichtung der Überlieferung und die Auswahl geeigneter Materialien (Überlieferungskontext), die Erklärung unklarer Stellen (Verständniskontext), die Explizierung von unmittelbaren Bezügen (peritextueller Kontext) oder die Beigabe von Zusatzinformationen nach einem Kontextualisierungsbedarf, der sich nicht »nah« am Text, sondern erst im weiteren Verständnishorizont ergibt (epitextueller Kontext). Abbildung 1. Dimensionen der Textualität und Beispiele für ihre Kontexte. Der Begriff der Wiedergabe zielt dagegen fundamental auf den Begriff des Textes, der heute interdisziplinär, pluralistisch und sehr weit verstanden wird.2 Grundsätzlich können aber auch die Begriffe Text und Kontext nicht unabhängig voneinander gedacht werden. Der Kontext kann nichts anderes sein, als der Kontext des Textes und damit auf ihn bezogen und von ihm abhängig. Auf der anderen Seite kann kein Text allein aus sich heraus verständlich sein, sondern bedarf dazu seiner Kontexte.3 Den Text wiederzugeben, bedeutet im weit ausgreifenden Textverständnis der Editorik, zahlreiche Kontexte mit einzubeziehen. Denn Textkonstruktion bzw. Textkonstitution reduzieren sich dabei nicht auf die Übertragung des linguistischen Codes, also die Transkription des reinen Zeichenbestandes, sondern bezieht die Dimensionen von Bedeutung, Werk(struktur), Sprachlichkeit, textueller Varianz, skriptografischen Phänomenen sowie Materialität und Visualität (d.h. auch Kulturalität) der Dokumente in die Herstellung eines komplexen Editionstextes mit ein.4 In jeder dieser Dimensionen kann potentiell ein Verhältnis zwischen dem Text und seinen Kontexten bestimmt werden (Abb. 1). Weil die Kontexte in die Textkonstitution einfließen und weil die Textkonstitution verschiedene Segmente abdecken oder ausblenden kann, gilt, dass selbst in der Textwiedergabe die Grenze zwischen Text und Kontext nicht klar bestimmt werden kann. Was dem Einen integraler Bestandteil des Textes ist, wird die Andere davon unterscheiden wollen und als Kontext bezeichnen. Dies betrifft typischerweise z.B. materielle, visuelle, mediale Aspekte. Auch die Textkonstitution betrifft deshalb die Integration von Kontext und ggf. die explizite Beigabe oder Anlagerung von kontextuellem Wissen an den konstituierten Text. Der gängige Kontextbegriff muss zunächst auf eine Trennung von Text und Kontext zielen. Während der Text in einer naiven Vorstellung als klar begrenzt und als linguistischer, skriptografischer Code, bestehend nur aus einem definierten Zeichenrepertoire gedacht wird, zählen zum Kontext außertextliche mediale Aspekte der texttragenden Dokumente, andere Texte, Objekte oder auch abstrakte Wissensbestände. Hier lässt sich schon rein empirisch beobachten, beschreiben und dann vielleicht systematisieren, wie moderne (digitale) Editionen mit diesen Kontexten umgehen und sie teils in die Textkonstitution einbeziehen oder eben getrennt davon behandeln. Die folgende Skizze (Abb. 2) benennt einige Elemente von Textkonstitution und Kontextualität, sollte aber auch klar machen, dass eine scharfe Grenze kaum zu ziehen ist. Um hierzu nur ein einziges, arbiträres, illustrierendes Beispiel vorzuführen, sei auf die digitale Edition vonHermann Burgers Lokalbericht verwiesen. Die Ausgabe besteht unter anderem aus einem »Dokumentenkorpus«, das in seiner Abteilung »Epitexte« in der Rubrik »Lebensdokumente« Faksimiles von Rechnungen, Quittungen und Lieferscheinen für verschiedene Schreibmaschinen enthält (Abb. 3). Diese Dokumente sind deshalb nicht bloß archivisch-biografisch, sondern auch literaturwissenschaftlich interessante Objekte, weil sie die Genese und den realweltlichen Bezug des Werkes bezeugen. So ist nicht nur das ebenfalls als Faksimile vorliegende Typoskript auf den hier dokumentierten Schreibmaschine entstanden (Abb. 4) und steht damit in enger medialer Abhängigkeit zu den technischen Möglichkeiten und Eigenheiten der Maschinen. Vielmehr thematisiert der Autor in seinem Roman ausgiebig auch den Anteil dieser »Apparate« am Schreibprozess (Burger 2016). Abbildung 2. Beispiele für Kontexte in Editionen. Die Edition wird von derTheorieseite her weit ausgreifend gedacht. In der Praxis führt die Einbeziehung der Kontexte zu einem Phänomen, das man als »Entgrenzung der Edition« bezeichnen kann und die mit einer »Entgrenzung der Kommunikationssituation« in inhaltlicher (letztlich aber auch chronologischer) Hinsicht konvergiert, wie sie in der Sprachwissenschaft beschrieben wird.5 In der Edition geht es darum, den »textual space«, den Raum der Textualität, weit auszuleuchten. In der Praxis und vom Text und seiner Medialisierung ausgehend lassen sich in einer ersten Anamnese vielfältige Elemente beobachten, deren Charakteristika jeweils als »Text mit Kontext«, als »Texte als Kontexte« und als »medialer Kontext« jeweils genauer zu bestimmen wären. Zum Verständnis begnüge ich mich hier mit einer wilden exemplarischen Aufzählung dessen, was in einer Edition typischerweise aufzufinden und als Kontext zu diskutieren ist: Bibliografische Information zur Edition (Impressum, Team etc.), Einführung, Methodik, Dokumentation, Bibliografien (zum Gegenstand, zur Überlieferung), Vortexte, Entwürfe, Bezugstexte, andere Materialien zur Genese (Briefe, Bilder, Fotos, Sachobjekte, biografische u.a. Dokumente, rezipierte Werke, weitere Werke z.B. desselben Autors), Materialien zur Rezeption (Ausgaben, Übersetzungen,...



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