E-Book, Deutsch, 200 Seiten
Meier / Jöhr / Kammermann Ausbilden und Lernen am dritten Lernort (E-Book)
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-0355-1976-1
Verlag: hep verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Situationsorientierte Didaktik für Ausbildende
E-Book, Deutsch, 200 Seiten
ISBN: 978-3-0355-1976-1
Verlag: hep verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Dieses E-Book enthält komplexe Grafiken und Tabellen, welche nur auf E-Readern gut lesbar sind, auf denen sich Bilder vergrössern lassen.
Ausbildner*innen in überbetrieblichen Kursen begleiten und unterstützen Lernende auf dem Weg zu beruflicher Handlungskompetenz. Das dazu nötige Orientierungswissen und didaktische Geschick wird in diesem Lehrbuch vermittelt. Zudem gibt es Impulse zur Reflexion der eigenen Haltung.
Szenische Umsetzungen und gefilmte Interviews untermalen die Buchinhalte und geben Einblick in den üK-Alltag.
Autoren/Hrsg.
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1.1Situation aus dem Ausbildungsalltag
Maya wird ab nächstem Monat neben ihrer Anstellung als Berufsbildungsverantwortliche für Lernende Zeichner/innen EFZ in einem mittelgrossen Betrieb einzelne Ausbildungsblöcke im regionalen überbetrieblichen Kurszentrum übernehmen. Durch ihre Arbeitstätigkeit ist sie mit der heutigen betrieblichen Ausbildungsrealität vertraut. Mit ihrer neuen Aufgabe als üK-Ausbildnerin kommt nun ein weiterer Lernort hinzu, in dem sie tätig sein wird. Sie fragt sich, inwiefern sich die Ausbildung im üK von der Ausbildung an den anderen Lernorten unterscheidet. Wie grenzt sich der üK von der Berufsfachschule ab? Was ist eigentlich der Zweck der üK? Und vor allem: Wie kann Maya sicherstellen, dass die Ausbildung an den einzelnen Lernorten abgestimmt erfolgt? Teaser des Autorenteams Short URL 1.2Selbsteinschätzung Erfahrungen und Vorwissen
1.3Worum es in diesem Kapitel geht
In diesem Kapitel findet sich eine kurze Einführung in das Berufsbildungssystem der Schweiz und es wird die Einbettung des dritten Lernortes, der überbetrieblichen Kurse (üK), in diesem System beschrieben. Dabei wird ein Bogen geschlagen von den Anfängen des dritten Lernortes bis hin zur gesetzlichen Verpflichtung mit der Inkraftsetzung des neuen Berufsbildungsgesetzes im Jahr 2004. Es werden Gründe aufgezeigt, die zur Implementierung des dritten Lernortes als fester Teil der Berufsbildung führten. Ein Blick in die gesetzlichen Grundlagen zeigt auf, wie der dritte Lernort legitimiert und reglementiert ist. Es wird ersichtlich, dass die üK mit ihren Ausbildenden einen wesentlichen Beitrag zur Verbindung von Theorie und Praxis in der beruflichen Grundbildung leisten. Die Kooperation zwischen den drei Lernorten bleibt nach wie vor ein wichtiges Thema und es gibt dort auch Optimierungsbedarf. Kurzfilm szenische Umsetzung Short URL 1.4Der dritte Lernort im Berufsbildungssystem
1.4.1Berufsbildung in der Schweiz Im schweizerischen Bildungssystem besuchen Schülerinnen und Schüler während elf Jahren Unterricht in der Volksschule. Diese gliedert sich in die Primarstufe und die Sekundarstufe I. Nach dieser obligatorischen Schulbildung stehen den Jugendlichen grundsätzlich zwei nachobligatorische Bildungswege auf Sekundarstufe II offen: beruflich orientierte Ausbildungen (berufliche Grundbildung) oder allgemeinbildende Ausbildungen (Gymnasium, Fachmittelschule etc.). Rund zwei Drittel der Abgängerinnen und Abgänger aus der Sekundarstufe I entscheiden sich für eine berufliche Grundbildung. Darin wird zwischen betrieblich organisierten Grundbildungen (klassische Berufslehre) und schulisch organisierten Grundbildungen (bspw. Handelsmittelschule, Informatikmittelschule) unterschieden, wobei die betrieblich organisierte Grundbildung mit 90 Prozent den Hauptteil ausmacht. Sie ist jedoch nicht in allen Regionen der Schweiz gleich stark verankert. In der Deutschschweiz absolviert ein höherer Anteil Jugendlicher eine betrieblich organisierte Grundbildung, während in der Romandie und im Tessin die schulisch organisierte Grundbildung eine lange Tradition hat (SBFI, 2021; Wettstein, Schmid & Gonon, 2014). Zwischen zwei und vier Jahre dauert das Absolvieren einer beruflichen Grundbildung: Zweijährige berufliche Ausbildungen führen zu einem eidgenössischen Berufsattest (EBA), drei- und vierjährige Ausbildungen zu einem eidgenössischen Fähigkeitszeugnis (EFZ). Leistungsstärkere EFZ-Lernende haben zusätzlich die Möglichkeit, während oder nach der Ausbildung eine Berufsmaturität (BM) zu erlangen (SBFI, 2021). Ein EFZ berechtigt zum Besuch beruflicher Weiterbildungsangebote der höheren Berufsbildung. Eine BM berechtigt zum Studium an einer Fachhochschule sowie, mit entsprechender Passerelle, zum Studium an einer Universität oder pädagogischen Hochschule (siehe Abb. 1). Der nahtlose Übergang nach der obligatorischen Schulzeit gelingt jedoch nicht immer: etwas weniger als ein Drittel der Schulabgängerinnen und -abgänger absolviert vor dem Beginn einer nachobligatorischen Ausbildung eines oder mehrere Zwischenjahre in Form eines Brückenangebotes, wie z. B. 10. Schuljahr, Vorlehre, Motivationssemester etc. (SKBF, 2018). Abbildung 1: Nachobligatorische Bildung in der Schweiz (SBFI, 2021, S. 6; adaptiert) Im Bundesgesetz über die Berufsbildung (BBG) ist festgehalten, dass die Ausbildung im Rahmen der beruflichen Grundbildung in drei Lernorten stattfindet, nämlich a.im Lehrbetrieb, im Lehrvertriebsverbund, in Lehrwerkstätten, in Handelsmittelschulen oder in anderen zu diesem Zweck anerkannten Institutionen in beruflicher Praxis; b.in Berufsfachschulen für die allgemeine und die berufskundliche Bildung; c.in überbetrieblichen Kursen und vergleichbaren dritten Lernorten für Ergänzungen der beruflichen Praxis und der schulischen Bildung (Art. 16 Abs. 2 BBG[1]). «Die drei Lernorte geben eine Grundlage für die Entfaltung der Lernenden, indem sie getrennt Theorie und Praxis vermitteln und der üK als Bindeglied zwischen beiden Ebenen dient.» (Renato, Ausbildner Polymechaniker/in) Wegen ihrer Ausrichtung auf die drei Lernorte wird die schweizerische Berufsbildung als triales (oder aufgrund der langen Tradition der Berufslehre auch als duales) Bildungssystem bezeichnet (Wettstein, Schmid & Gonon, 2014). Die Lernorte unterscheiden sich «nicht nur räumlich, sondern auch in ihrer pädagogischen Funktion» (Gonon, 2002, S. 27) und hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Ausbildungstage. Die Ausbildung findet vorwiegend im Lehrbetrieb statt. Während ein bis zwei Tagen wöchentlich nehmen die Lernenden am Unterricht in der Berufsfachschule teil. Überbetriebliche Kurse (üK) werden punktuell, meist in Form von Blockwochen, besucht. In der Dauer des überbetrieblichen Kursangebotes während der Berufslehre und auch der Aufteilung der Kurstage über den Zeitraum der Ausbildung hinweg gibt es grosse Unterschiede zwischen den einzelnen Berufen. So sieht die Verordnung des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) über die berufliche Grundbildung Coiffeuse/Coiffeur mit EFZ 12–14 Ausbildungstage im überbetrieblichen Kurs vor (SBFI, 2013), während die Verordnung des SBFI über die Grundbildung Konstrukteurin/Konstrukteur mit EFZ 50–64 Tage vorschreibt (SBFI, 2008). 1.4.2Entstehungsgeschichte Überbetriebliche Kurse wurden erstmals im Berufsbildungsgesetz von 1963 erwähnt. Es handelte sich dabei um Einführungskurse mit dem Zweck, «diejenigen Funktionen der beruflichen Grundbildung einem dritten Lernort zu übertragen, die von den anderen beiden Lernorten nicht in der notwendigen Qualität ausgeführt werden konnten» (Renold, 2002, S. 74). Die Einführungskurse bewährten sich und wurden im revidierten Berufsbildungsgesetz von 1978 als verbindlicher Bestandteil der Berufsbildung verankert. Im Laufe der Zeit führten die Berufsverbände die Kurse nicht mehr in jedem Fall zu Beginn der beruflichen Grundbildung, sondern über die Lehrjahre verteilt durch, was sich mit der Zeit durchgesetzt hat (Renold, 2002). Im neuen BBG von 2002 wurden sie schliesslich als dritter Lernort unter dem Namen überbetriebliche Kurse (üK) etabliert. Es können drei Schwerpunkte festgemacht werden, die es notwendig machten, die üK grundsätzlich und verbindlich als dritten Lernort zu definieren, nämlich Lücken zwischen schulischer und betrieblicher Ausbildung, die zunehmende Spezialisierung von Betrieben, die Entwicklung hin zur Wissensgesellschaft. Insbesondere zeigten sich Lücken in der Vernetzung der schulischen (theoretische Grundlagen) und betrieblichen (praktische Anwendungen) Lerninhalte und eine mangelnde Verbindung der in den beiden Lernorten Betrieb und Berufsfachschule erworbenen Qualifikationen. Landwehr (2002, S. 40) hält fest, dass «die beiden Lernorte nur minimalste Koordinationsabsprachen treffen und dass das an den beiden Orten Gelernte relativ unverbunden nebeneinandersteht». Diese Defizite in Koordination und Kooperation sollten durch die üK ausgeglichen werden. Daneben zeigte sich zunehmend, dass viele Betriebe «aufgrund ihrer Spezialisierung oft nicht mehr im Stande [waren], sämtliche Stoffinhalte zu vermitteln, die für eine umfassende und generalisierbare Berufskompetenz notwendig wären» (Renold, 2002, S. 76). Die gesetzliche Verankerung des dritten Lernortes im BBG gab somit auch kleineren und mittelgrossen Unternehmen (KMU) die Möglichkeit, weiterhin in der Ausbildung von Lernenden tätig zu sein (Schweizerischer Bundesrat, 1996). Der dritte Grund für die Implementierung der überbetrieblichen Kurse lag im Wandel von der industriellen zur wissensorientierten Dienstleistungsgesellschaft: Das in der Arbeitswelt einer...