E-Book, Deutsch, 220 Seiten
Magnusson Ein Mann der Kunst
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-95614-411-0
Verlag: Kunstmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 220 Seiten
ISBN: 978-3-95614-411-0
Verlag: Kunstmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein berühmter Maler, der zurückgezogen auf einer Burg am Rhein lebt, Kunstfreunde, die ihn verehren und ihm ein Museum bauen wollen: eine Begegnung, die die Höhen und Tiefen des Kulturbetriebs ausleuchtet, so heiter, komisch und wahr, wie es selten zu lesen ist.
KD Pratz ist ein Künstler der alten Schule, der sich jeglicher Vereinnahmung durch den Kunstbetrieb verweigert hat. Seine Bilder werden hoch gehandelt, er ist weltberühmt, hat sich aber aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Mit der Welt, verlogen wie sie ist, will er nichts zu tun haben, der eigene Nachruhm aber liegt ihm am Herzen, und so sagt er zu, den Förderverein eines Museums zu empfangen, der den geplanten Neubau ausschließlich seinen Werken widmen will.
Die Mitglieder des Museums-Fördervereins sind nicht alle einer Meinung über die Bedeutung von KD Pratz, fühlen sich aber hoch geehrt, als ihnen ein exklusives Treffen mit dem Maler und ein Besuch auf seiner fast schon legendären Burg am Rhein in Aussicht gestellt wird – und tatsächlich stattfindet. Wie die Kunstfreunde bei dieser Begegnung mit ihrem Idol nach und nach die Contenance verlieren, als der Meister ihnen die Unvollkommenheit der Welt und ihre eigene um die Ohren haut, dabei subtil die eigene Größe inszeniert, den Kunstbetrieb niedermacht und gleichzeitig behauptet – davon erzählt Kristof Magnusson mit großer Meisterschaft und leuchtet die Untiefen unseres Kulturbetriebs aus.
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NACH DIESER SITZUNG war die Aufregung im Museum Wendevogel erst einmal groß. Der Beirat des Museums und der Vorstand des Fördervereins diskutierten lange über die Vor- und Nachteile, den ganzen Neubau dem Werk von KD Pratz zu widmen, dann einigte man sich tatsächlich auf die von Dr. Höllinger vorgeschlagene Strategie, und zwei Monate später wurde die geplante Fördervereinsreise auf die Burg von KD Pratz Wirklichkeit. Wir trafen uns auf dem Werkhof des Museums, stiegen in einen Reisebus und fuhren aus Frankfurt raus, dieser eigentlich gar nicht so großen Stadt, die man trotzdem nie richtig hinter sich ließ, egal in welche Richtung man fuhr, irgendwo waren immer Häuser, Verbrauchermärkte, Zersiedlungen. Es war mitten in den Sommerferien, die A3 war für einen Freitagnachmittag erstaunlich leer. Wir fuhren am Stadion vorbei, hatten am Flughafen einen wunderbaren Gotham-City-Moment, als zwei ICEs kurz nacheinander in den Flughafenfernbahnhof einfuhren, darüber ein A380 startete und zwei kleinere Jets im Landeanflug waren, während auf den Überholspuren der vierspurigen Autobahn die SUVs mit zweihundert Stundenkilometern Richtung Köln donnerten. Zwischen all dem zuckelte unser Förderverein mit gemütlichen neunzig auf der rechten Spur in Richtung Rheingau, der bald auch schon mit seinen sanften Erhebungen in Sicht kam, letzte Ausläufer einer großen Bergwelle, einer Bewegung, die am Ufer des Rheins zum Ende gekommen war. In den letzten Tagen hatte es im Süden heftige Sommergewitter mit Starkregen gegeben, sodass selbst der Rhein bei aller Erhabenheit etwas Gehetztes bekommen hatte. Eilig kam er von Osten, von Mainz und Wiesbaden, heran. Wir reihten uns in die Schlange der grauen und schwarzen Autos mit Frankfurter, Wiesbadener Kennzeichen ein, die sich in Richtung der ersten Rheingauer Dörfer schoben, in Richtung der neu auf alt gemachten Boutique-Hotels und Restaurants mit handgeschriebenen Speisekarten. Ich wusste nicht wie, aber Michael Neuhuber hatte es hinbekommen. KD Pratz hatte zugestimmt, unseren Förderverein auf Burg Ernsteck zu empfangen. Es sollte mit einem ungezwungenen Kennenlernen bei einem Glas Wein beginnen, morgen wollten wir uns ein bisschen den Rheingau ansehen, und am Sonntag, als Höhepunkt, würde er uns sein Atelier zeigen! Die Arbeiten der letzten Jahre, die bisher, laut Michael Neuhuber, nicht einmal sein Galerist zu sehen bekommen hatte. Ich konnte es immer noch nicht glauben. Die Aussicht auf ein eigenes Museum, nur für seine Werke, hatte offenbar selbst einen so radikalen Einsiedler wie KD Pratz dazu bewegt, seine Isolation für zwei Tage aufzugeben. Michael Neuhuber hatte für jeden eine Ausgabe des KD-Pratz-Sonderheftes beschafft, das er im letzten Jahr in der Reihe Visualitäten herausgegeben hatte. Auf dem Titel war eine seiner älteren Arbeiten, aus der politisch-ökologisch motivierten Phase der Achtzigerjahre: graue Menschen, die auf der Autobahn durch ein von saurem Regen zerfressenes Waldgebiet fahren, im Hintergrund rauchende Schornsteine, der Titel: mobil bis in den tod. Ingeborg hatte die Zeitschrift nach unserer Abfahrt noch einmal durchgeblättert, obwohl sie sie sofort nach Erscheinen gekauft und nicht nur von vorn bis hinten gelesen, sondern großflächig mit Kommentaren und Unterstreichungen versehen hatte. Inzwischen jedoch hatte sie die Zeitschrift auf den Vierertisch gelegt, an dem wir mit Michael Neuhuber saßen und über Gott und die Welt und die Kunst redeten und, mehr als alles andere, über KD Pratz. Sie erzählte noch mal die Geschichte, wie ich als Kind in Der Malerfürst, vom Universum aus betrachtet das Fragezeichen in dem vermeintlichen Punkt entdeckt hatte, Michael Neuhuber amüsierte das sehr. Es freute mich, dass Ingeborg so guter Laune war. Bei unseren letzten Treffen hatte sie zwar nicht unglücklich gewirkt, aber doch für ihre Verhältnisse erstaunlich gleichgültig gegenüber dem, was in der Welt geschah. Bei anderen Leuten wäre das kein Grund zur Sorge gewesen – bei Ingeborg, die sich sonst immer über alles informierte und es liebte, sich eine Meinung zu bilden, hingegen schon. Es hatte fast so ausgesehen, als würde sie sich parallel zu ihrem langsamen Rückzug aus dem Arbeitsleben auch aus der Welt zurückziehen. Seitdem sich abzeichnete, dass diese Reise zustande kam, war das wie weggeblasen. Nun hatte Ingeborg die Chance, ihrem Lieblingskünstler zu einem eigenen Museum zu verhelfen! Kein Wunder also, dass Ingeborg nervös war. Den anderen fiel es wahrscheinlich gar nicht auf, sie sprach in der ihr eigenen unaufgeregten, freundlich-zugewandten Art, doch ich sah es an ihrer Kleidung, der übergroßen Bluse aus schwarzem Leinen, der Kette aus großen bunten Holzperlen und der weißen Plisseehose von Issey Miyake – immer wenn sie aufgeregt war, zog sie sich einen Tick zu schick an. Und einen Tick zu jung. Die vierte Person an unserem Vierertisch war der millionenschwere Herbert von Drübber, den Ingeborg und ich heimlich »das Einstecktuch« nannten, weil er gern teure Sakkos trug, in denen stets ein farblich zum Hemd passendes Einstecktuch steckte, was in einem gewissen Widerspruch zu seinem markigen Auftreten stand. Mit einem Schüttgut-Vertrieb zu Geld gekommen, verfügte er allein über mehr als die Hälfte der Finanzkraft des Fördervereins und erschien mir manchmal wie eine Art Destillat aus allen Angeber- und Prahlhansfiguren der TV-Serien von Helmut Dietl, wobei Herbert von Drübber im Grunde kein unangenehmer Zeitgenosse war. Er war durchaus unterhaltsam, wenn man ihm einfach zuhörte und sich seinen Teil dabei dachte. Zu seinen Füßen, oder eigentlich eher zu meinen, lag sein derzeit aktueller Bernhardiner, den ich gelegentlich mit meinem Fuß ein bisschen mehr in seine Richtung schob, so gut das bei einem Hund von der Größe eben ging. Jeder wusste um von Drübbers Bedeutung für das Gelingen dieser Aktion, und er selbst wusste es auch. Er hatte eh nie so getan, als wolle er, trotz seines Geldes, behandelt werden wie alle anderen. Das Einstecktuch wollte hofiert werden, idealerweise von jungen Frauen – und so war es weder Wunder noch Zufall, dass direkt auf der anderen Seite des Ganges Katarzyna Pyszczek saß, Michael Neuhubers persönliche Assistentin, die auf diesen Reisen für alles Organisatorische zuständig war. Katarzyna Pyszczek arbeitete seit mittlerweile zwei Jahren für das Museum Wendevogel und war hauptsächlich für den Förderverein zuständig, auch wenn sie das auf LinkedIn »kuratorische Assistenz« nannte, ein Titel, der ihr von der Qualifikation her auch zustehen würde, hatte sie doch eine Masterarbeit mit Bestnote über die feministische, in den Zwanzigerjahren bekannte, jetzt wiederentdeckte Malerin Lotte Laserstein geschrieben. Eigentlich sollte sie etwas Besseres tun als Reisebusse und Hotelbetten buchen. Und mit Leuten wie dem Einstecktuch reden. »Ich schreibe gerade ein Exposé für eine Doktorarbeit«, sagte Katarzyna zu ihm. Das sagte sie, seit ich sie kannte. »Ach, dann sind Sie gar keine Bachelorette, sondern schon Master. Meisterin?« Das Einstecktuch hatte ein erstaunliches Talent dafür, Wörter so zu betonen, einzelne Silben so in die Länge zu ziehen, dass er jedem beliebigen Satz anzügliche Untertöne verleihen konnte, ohne dass ihm jemand etwas unterstellen konnte. Sogar das Wort Ultrakurzwelle hätte er zu einer schlüpfrigen Bemerkung machen können. »Auf Kuratorinnen-Ebene gibt es ohne Promotion keine Stellen«, sagte Katarzyna Pyszczek. Die Schlüpfrigkeit des Einstecktuchs war nicht mehr so offensichtlich wie früher. Er legte nicht den Arm um sie und antwortete: ›Aber mit Ihrem Aussehen stehen Ihnen doch alle Türen offen.‹ Er legte ihr nicht einmal die Hand auf den Oberschenkel, legte nur manchmal, ganz selten und niemals für lange Zeit, den Zeigefinger auf ihren Unterarm, während er mit ihr sprach, achtete aber darauf, das auch gelegentlich bei allen anderen zu tun, Männern wie Frauen. Er wandte ihr einfach immer ein bisschen mehr Aufmerksamkeit zu, saß öfter neben ihr, war, wie durch Zufall, öfter mit ihr im Gespräch. Ich fragte mich langsam, ob er anti-sexistische Blogs las, um sich zu informieren, womit Leute wie er heute gerade noch durchkamen. Katarzyna Pyszczek reagierte auf diese Avancen mit dem ihr eigenen Ernst. Sie lächelte nie. Seit ich sie kannte, hatte sie den gleichzeitig femininen, aber doch strengen Style junger Kunsthistorikerinnen immer weiter perfektioniert, trug nur wenig und sehr blasses Make-up, aber dazu einen noch knallroteren Lippenstift als in ihrer ohnehin schon knallroten Anfangszeit am Museum Wendevogel. Sie trug Leggins, schwarze Sockensneaker und darüber dunkle, ungewöhnlich geschnittene Oberteile, die, obwohl sie vollkommen oversized waren, ihren Körper betonten oder zumindest erahnen ließen. Als versuchten sowohl sie als auch das Einstecktuch, zwischen den Korrektheitsansprüchen der Zeit und alten sexuellen Machtdynamiken ihren persönlichen Mittelweg zu finden. An Katarzyna Pyszczeks Vierertisch saßen auch die Hansens. Martha und Rainer, ein pensioniertes Pastorenehepaar, die sich zeit ihres predigenden Lebens in Wetterau eine volle Stelle geteilt hatten und sich nun eine Ausgabe des...