Ludwig Hufspuren: Das Feuerfohlen
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-7725-4055-4
Verlag: Freies Geistesleben
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 5, 216 Seiten
Reihe: Hufspuren
ISBN: 978-3-7725-4055-4
Verlag: Freies Geistesleben
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Christa Ludwig ist als Jugendbuchautorin bekannt geworden mit ihren Romanen 'Der eiserne Heinrich', 'Ein Lied für Daphnes Fohlen', ''Carlos in der Nacht', 'Blitz ohne Donner' und 'Die Siebte Sage'. Im Anschluss fand ihre 6-bändige Reihe 'Hufspuren' begeistertes Echo bei jungen Pferdeliebhaberinnen. Für Kinder hat sie die Geschichten 'Puzzle-Ponys' und 'Fluchtballon' geschrieben. Und kürzlich sind die ersten zwei Bände ihrer Erstlesereihe 'Jonas Weg ins Lesen' erschienen. Christa Ludwig lebt mit ihrem Mann in der Nähe des Bodensees.
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Zeitbombe
Muss man wirklich alle Aufgaben einer Mathearbeit lösen?
Jana war fast fertig, ein paar Ergebnisse waren mit Sicherheit richtig, und sie hatte jetzt keine Lust mehr. Diese Aufgaben fand sie entsetzlich langweilig. Warum konnte sie nicht etwas ausrechnen, das sie wirklich interessierte? Fast wie von selbst schrieb ihr Füller auf das Blatt:
«Der Ulmenhof war ein gut funktionierender Reitverein, bis sich in unmittelbarer Nachbarschaft der Rappenhof ansiedelte, eine zweite Reitschule, allerdings nur mit Ponys (Isländer). Wenn nun der Ulmenhof 20 % seiner Reitschüler an den Rappenhof verliert und dieser nur 30 % seiner alten Kunden mitbringen kann, haben dann beide Reitschulen eine Chance zu überleben?»
«Angewandte Mathematik?», fragte eine Stimme über ihr.
«He?» Jana hob den Kopf und blickte in Taggys freundliche Augen. Der machte hier nur Vertretung für den Mathelehrer. Herr Taggert unterrichtete Deutsch und er war der beliebteste Lehrer ihrer Schule.
«Ich meine, machst du hier den Versuch, die Mathematik direkt auf das Leben anzuwenden?», fragte er leise. «Dann könnte man das doch angewandte Mathematik nennen.»
«Klappt aber nicht!» Jana zuckte die Achseln. «Da sieht man mal wieder, dass wir das, was wir hier lernen, im Leben nicht gebrauchen können.
«Ich dachte, es gäbe jetzt keinen Streit mehr zwischen den beiden Reiterhöfen.»
«Das stimmt», bestätigte Jana, «wir giften uns nicht mehr an und die vom Rappenhof sind auch total sicher, dass es klappt mit den beiden Reitschulen hier, aber Bettina glaubt das immer noch nicht.»
«Wer ist Bettina?»
«Die Reitlehrerin vom Ulmenhof.»
«Ach ja, deine große Freundin.»
«Das ist sie. Ja!»
«Versuch’s doch noch mal mit der angewandten Mathematik. Setz noch ein paar Zahlen ein, berechne die Aufgabe und vielleicht kriegst du sie für die Arbeit anerkannt.»
«Neee», grinste Jana, «Sie wissen doch, bei wem wir Mathe haben. Das würden Sie machen, aber der doch nicht. Außerdem ist mir das nicht so wichtig.»
«Und was ist dir wichtig?»
«Zu welcher Reitschule der Faktor T gehört, und zwar zu 100 %.» Jana hob den Füller und zeigte auf den Rücken direkt vor ihr.
«Faktor T? Ah, du meinst Theres!»
Hatte Taggy das wirklich zu laut gesagt? Theres drehte sich sofort um und ihre hellen graublauen Augen hingen an Taggy. Jana musste grinsen. Wie oft hatte sie Theres schon geärgert, indem sie behauptete, sie sei wohl in Taggy verknallt. Theres wies das weit von sich. Sie hätte Taggy gern als Vater gehabt, und Jana musste sich immer etwas Mühe geben, um das zu verstehen. Ihr eigener Vater war nicht zum Tausch angeboten, nicht einmal gegen Taggy. Auch Alberta drehte den Kopf. Doch ihre schwarzen Augen, die sie von ihrer asiatischen Großmutter geerbt hatte, schauten nur einmal kurz herüber, dann wandte sie sich wieder der Mathearbeit zu.
«Mach du auch weiter», sagte Taggy zu Theres. Und dann zu Jana: «Wir sollten das Gespräch lieber verschieben, damit du …» Zu spät. Es läutete.
«Ich bin ein schlechter Lehrer!», sagte Taggy erschrocken. «Anstatt hier Aufsicht zu machen, störe ich dich bei der Arbeit.»
«Sie sind der beste aller Lehrer», widersprach Jana schnell und etwas laut, denn schon waren viele aufgesprungen. «Sie wissen, dass Mathe nicht das Wichtigste für uns ist. Und Sie haben immer so gute Ideen. Vielleicht können Sie mir helfen. Aber wir müssen jetzt weiterreden. Sonst haben Sie wirklich nur gestört.»
Er nickte und rief über die Klasse: «Bringt eure Hefte nach vorn, legt sie auf das Pult und ab in die Pause!»
Während er die Schüler beobachtete, sagte Jana in die fragenden Augen ihrer beiden Freundinnen: «Geht schon mal. Ich komme gleich.»
Dann schaute sie den beiden nach. Theres’ Kopf mit den fast farblos hellen, flauschigen Haaren überragte die meisten anderen Mädchen. Ihr langer dünner Körper hatte einen Body-Mass-Index, der für Models neuerdings verboten war. Daneben ging Alberta, kleiner, sehr dunkel. Sie hätte gern so viele Kilos an Theres abgegeben, wie die zu wenig hatte.
«So!» Taggy setzte sich neben Jana. Die letzten Schüler verschwanden aus dem Klassenzimmer. «Was ist nun das Problem? Du hast doch ein Problem.»
«Ja», gab Jana zu, «dass Felix und Alberta zu den Isländern gegangen sind …»
«Moment», unterbrach er, «Felix – den kenne ich. Das ist der hübsche Blonde aus der 9a, mit dem ihr immer rumhängt.»
War der hübsch? Unter dem Gesichtspunkt hatte Jana ihn bisher nicht betrachtet. Natürlich hatte sie immer mal wieder überlegt, ob sie sich in Felix verlieben könnte. Aber das war nicht, weil sie ihn hübsch fand, sondern nur weil er der einzige Junge in ihrer Clique war. Felix war auf alle Fälle ein superguter Reiter. Und ein superguter Freund. Diese Freundschaft hatte begonnen, als Theres noch keine Zahnspange hatte, als Alberta mit ihrer Familie noch in Kasachstan lebte und als keine von ihnen darauf geachtet hatte, ob Felix hübsch war.
«Genau, der Felix», bestätigte Jana, «der reitet jetzt auch auf dem Rappenhof. Damit kann ich leben. Und ich hab auch geschluckt, dass es mit dem Rundumbeschlag vorbei ist.»
«Mit dem was?»
«Rundumbeschlag. So nennt man das, wenn ein Pferd auf alle vier Hufe neue Eisen bekommt. Den Namen hat uns der Schmied vom Ulmenhof verpasst. Weil wir immer wie die vier Hufe von einem Pferd in dieselbe Richtung liefen.»
«Und dieses Pferd hat jetzt ein Eisen verloren?»
«Eigentlich zwei, ach, alle. Theres, Alberta und Felix reiten zwar noch zusammen, aber Felix hat eine Freundin. Das ist auch okay. Aber ich will wieder mit Theres am selben Reitstall sein.»
«Dann musst du zu den Isländern gehen.»
«Ich kann nicht mit den Ponys. Ich mag Pferde wie Fantasy.»
«Das ist dein neues Pflegepferd?»
«Ja, sehr schöne schwarze Halbblutstute. Gehört Andreas Merklinger. Den müssten Sie noch kennen, er hat vor ein paar Jahren hier Abi gemacht. Ich könnte Fantasy als Reitbeteiligung haben. Ja, und Andreas möchte, dass ich mich diesen Monat entscheide, ob ich sie will oder nicht.»
«Hm. Welche Rolle spielt deine Reitlehrerin dabei?»
«Bettina? Die will ich auch behalten. Ich will Bettina und Theres und Fantasy!»
«Hm. Ich habe zwar viele gute Ideen, aber keine, die dieses Problem löst. Theres wird so ein Islandpferd bekommen. Ihre Mutter hat ja Geld genug. Und deine Bettina wird wohl kaum auf den Ponyhof gehen und da Reitunterricht machen.»
«Nie!»
Ein paar Augenblicke schwiegen sie beide. Dann sagte Taggy: «Nimm das Pferd!»
Das kam schnell, fast wie ein Befehl. Jana zuckte zusammen.
«Sie meinen …»
«Ja!»
«Ich will nicht!»
«Entscheiden musst du dich. Also wähle das, was auch im nächsten Jahr noch gültig ist. Die schöne schwarze Stute wird dich nicht verlassen. Aber Theres vielleicht. Oder du sie. Ihr seid vierzehn.»
Vor einem Monat war sie vierzehn geworden. Schon seit einem halben Jahr trug sie die Haare etwas länger. Die fielen jetzt voll und dicht wie ein dunkelbrauner, fast schwarzer Helm um ein Gesicht, das kaum einen Lippenstift und gar keinen Eyeliner kannte. Sie hatte keine Zeit und keine Geduld für das Herummalen an den eigenen hellbraunen Augen.
«Ich weiß schon, was Sie meinen», sagte sie. «Sie meinen, dass Theres vielleicht bald einen Freund hat. Oder ich. Kann ja sein. Aber deshalb können wir doch Freundinnen bleiben.»
«Natürlich. Aber du wirst nicht mehr den Wunsch haben, immer mit ihr zusammen zu sein.»
«Kann ich mir jetzt nicht vorstellen. Ich weiß, die meisten Mädchen haben mit vierzehn einen Freund. Aber – das muss doch nicht sein. Ist doch kein Zwang, oder?»
Taggy grinste.
«Nein, ist kein Zwang», gab er zu.
«Also, ich lass mir da Zeit!»
Das sagte Jana am zwölf. Mai eines verregneten Frühlings am Vormittag. Am Abend desselben Tages würde sie diesen Satz noch einmal...




