Lewis | Das ist bei uns nicht möglich | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 448 Seiten

Lewis Das ist bei uns nicht möglich

Roman

E-Book, Deutsch, 448 Seiten

ISBN: 978-3-8412-1373-0
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Buzz Windrip, für seine Gegner ein 'ungebildeter Lügner mit idiotischer Weltanschauung' und ein gefährlicher Populist, will Präsidentschaftskandidat werden. Er gibt vor, sich für die kleinen Leute einzusetzen, und verspricht, 'aus Amerika wieder ein stolzes Land zu machen'. Trotz völlig unglaubwürdiger Versprechen laufen ihm die Wähler zu, und er zieht ins Weiße Haus ein. Sogleich regiert er wie ein absolutistischer Herrscher, beschneidet die Freiheiten der Minderheiten, legt sich mit Mexiko an und lässt seine Kritiker rabiat verfolgen. Einer davon ist der liberale Zeitungsherausgeber Doremus Jessup, der sich nicht mundtot machen lassen will. Sinclair Lewis wusste durch seine Frau Dorothy Thompson, Auslandskorrespondentin in Berlin, über den Aufstieg der Nazis Bescheid. In den USA beobachtete er, wie die Populisten nach Wirtschaftskrise und Sozialreformen des New Deal immer weiter an Einfluss gewannen. Der radikale Senator Huey Long versuchte Präsident Roosevelt aus dem Amt zu drängen, bevor Long 1935 einem Attentat zum Opfer fiel. Lewis diente er als Vorbild für den fanatischen Verführer Buzz Windrip in seinem Roman.

'Eine unheimliche Vorwegnahme der aktuellen Ereignisse.' The Guardian. 'Ein Populist im Weißen Haus? Literaturnobelpreisträger Sinclair Lewis hat es vor 80 Jahren durchgespielt.' DIE ZEIT.

'Sinclair Lewis ist wieder aktuell.' der Freitag.

'Ein Meister des absoluten Realismus.' Bob Dylan.



Sinclair Lewis (1885-1951) reiste durch Europa, besuchte das Deutschland der erstarkenden Nazis, arbeitete als Journalist und Übersetzer in New York und als Privatsekretär von Jack London. Für seine scharfsichtigen sozialkritischen Romane erhielt er 1930 als erster Amerikaner den Nobelpreis für Literatur.

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2


Auf der Fahrt nach Hause, wo er seine Frau absetzte, und weiter nach Pleasant Hill hinauf zu Tasbrough, sinnierte Doremus Jessup über den epidemischen Patriotismus des Generals Edgeways. Aber stärker ergriff ihn das nächtliche Bild der Hügel, zwischen denen er nun schon dreiundfünfzig von seinen sechzig Lebensjahren wohnte.

Von Amts wegen eine Stadt, war Fort Beulah im Grunde nur ein großes Dorf, bewohnt von Backstein- und Granit-Steinmetzen, die in alten Werkstätten und weißen Holzhäusern mit grauen Schindeldächern saßen; es gab nur wenig anspruchsvollere moderne Bungalows, in Gelb oder Braun. Industrie war im Ort kaum vorhanden: eine kleine Weberei, eine Rahmentischlerei, eine Pumpenfabrik. Granit, der Hauptartikel, kam aus Steinbrüchen sechs Kilometer weit entfernt; in Fort Beulah gab es nur die Büros – das ganze Geld – und die bescheidenen Wohnstätten der meisten Steinbrucharbeiter. Es war ein Städtchen von etwa zehntausend Seelen und zwanzigtausend Einwohnern – die Schätzung der Seelen mag zu hoch gegriffen sein.

Es gab einen einzigen ›Wolkenkratzer‹ im Ort – das sechsstöckige Tasbrough-Haus, in dem sich außer dem Büro der Tasbrough & Scarlett, Granitsteinbruch-Werke, auch noch die Sprechzimmer von Jessups Schwiegersohn befanden, dem Arzt Dr. Fowler Greenhill, und seinem Partner, dem alten Dr. Olmsted, das Büro des Rechtsanwalts Mungo Kitterick, dasjenige von Harry Kindermann, Generalvertreter für Ahornsirup und milchwirtschaftliche Artikel, und noch die Berufsräume von dreißig bis vierzig anderen Samurais von Fort Beulah.

Es war ein hügeliges, verträumtes Städtchen, ein Ort der Sicherheit und Tradition, der noch streng all die Feste beging wie Erntedankfest, den 4.Juli, Heldengedenktag. Hier war der 1.Mai kein Anlass für Arbeiteraufmärsche, sondern der Tag, an dem kleine Blumenkörbe verteilt wurden.

Es war eine der letzten Mainächte 1936 mit einem beinah vollen Mond. Jessups Haus lag knappe zwei Kilometer vom Geschäftszentrum entfernt auf Pleasant Hill, der wie eine ausgestreckte Hand aus dem dunkel ragenden Massiv des Mount Terror hervorsprang. Es kamen Bergwiesen, in Mondlicht gebadet, öffneten sie sich zwischen wild wuchernder Pechtanne, Ahorn und Pappel über dem Fahrenden; und unter ihm schlängelte sich der kleine Ethan-Fluss durch die Wiesen dahin. Dunkle Wälder – die dräuenden Bollwerke der Felsen, und die Luft so frisch wie Quellwasser – friedliche, mit Schindeln gedeckte Häuser, die an den Krieg von 1812 erinnerten und an die Zeit der Kindheit jener abenteuerlichen Vermonter wie Stephen A.Douglas, ›Little Giant‹ und Hiram Powers, Thaddeus Stevens, Brigham Young und Präsident Chester Alan Arthur.

›Nein, Powers und Arthur – das waren schwache Schwestern‹, dachte Doremus. ›Aber Douglas und Thad Stevens und Brigham, die alte Galionsfigur – ich frage mich, ob wir jemals wieder solche Helden wie diese tapferen, mürrischen alten Teufel hervorbringen, ob wir sie irgendwo in Neuengland, irgendwo in Amerika, irgendwo in der Welt großziehen. Sie besaßen Schneid, Unabhängigkeit. Taten, wozu sie Lust hatten, dachten, was sie wollten, und jeder konnte sich zum Teufel scheren. Die Jugend von heute – ja, die Piloten haben eine Menge Nerven. Die Physiker, diese fünfundzwanzigjährigen Doktoren, die das unzertrümmerbare Atom zertrümmern, das sind Pioniere. Aber die meisten dieser knochenlosen jungen Leute heutzutage gehen hundert Kilometer in der Stunde, ohne irgendwohin zu gehen – haben nicht genug Phantasie, auch nur zu wünschen, irgendwohin zu gehen. Ihre Musik verschaffen sie sich, indem sie an einer kleinen Scheibe drehen. Ihren Wortschatz holen sie sich aus Comic Strips statt von Shakespeare und der Bibel. Muttersöhnchen! So wie dieser geschniegelte junge Hund Malcolm Tasbrough, der immer um Sissy herumstreicht! Oh!

Wäre es nicht die Hölle, wenn nun dieser Hohlkopf Edgeways und die Gimmitch, diese Mae West der Politik, ganz recht hätten? Wenn wir ihren Militärklimbim, ja sogar irgendeinen hirnverbrannten Krieg (um irgendeine stickige Wüste, mit der wir nicht das Geringste anfangen können) tatsächlich brauchten, um den Marionetten, die sich unsere Kinder nennen, etwas Mark in die Knochen zu blasen?

Hol’s der Teufel – das sind meine Hügel! Herrliche Luft. Der Harz mitsamt den Alpen kann mir gestohlen bleiben. Ergebenst D.Jessup – Landschaftspatriot. Und ich bin ein –

»Dormaus«, ließ sich friedvoll die Stimme seiner Frau vernehmen, »macht es dir was aus, rechts zu fahren – wenigstens in den Kurven?«

Eine Bergsenke, aus der heraus der Nebel stieg bis unter den Mond – Nebelschleier auf den weißen Apfelblüten und ein schwer geneigter Fliederbusch bei der Ruine eines Bauernhauses setzten diese sechzig Jahre und mehr in Flammen.

Francis Tasbrough war der Leiter, die tätige Kraft und der Besitzer von Tasbrough & Scarlett, Steinbruch-Werke, gelegen in West Beulah, neun Kilometer von der Stadt entfernt. Er war reich, beredt und hatte immer Schwierigkeiten mit den Arbeitern. Er lebte in einem neuen Haus im georgianischen Stil auf Pleasant Hill oberhalb von Doremus’ Wohnung und war stolz auf eine Privatbar, so luxuriös wie die des Werbemanagers einer Autofirma in Grosse Point. Es war gleichermaßen das traditionelle Neuengland wie der katholische Teil von Boston, und Frank selbst rühmte sich ganz offen, unbeschadet der Tatsache, dass seine Familie seit sechs Generationen in Neuengland saß, kein engherziger Yankee zu sein, sondern an Leistungsfähigkeit und Geschäftstüchtigkeit der vollendete panamerikanische Geschäftsmann.

Tasbrough war groß, trug einen gelb verräucherten Schnurrbart und sprach viel mit einer monotonen, aber emphatischen Stimme. Er war vierundfünfzig Jahre alt, und der zehnjährige Doremus hatte den vierjährigen Frank gegen die Spielgefährten beschützt, die für seine Liebhaberei, unvermittelt und ziemlich wahllos mit Stöcken, Spielkarren, Frühlingstrommeln und getrockneten Kuhfladen auf ihre Schädel einzudreschen, nicht das richtige Verständnis aufbrachten.

Versammelt waren in der Privatbar, nach dem Rotary-Essen, außer dem Hausherrn und Doremus Jessup: Mühlenbesitzer Medary Cole, Schulinspektor Staubmeyer, R.C.Crowley – Roscoe Conkling Crowley, der gewichtigste Bankier am Ort – und, zur allgemeinen Überraschung, Tasbroughs Pfarrer, der Episkopalgeistliche Reverend Mr. Falck, seine alten Hände so zerbrechlich wie Porzellan, sein wildes Haar seidenweich und weiß, sein vergeistigtes Gesicht Abbild eines rechtschaffenen Lebens. Mr. Falck stammte aus einer soliden Knickerbockerfamilie, er hatte in Edinburgh und Oxford und später am Allgemeinen Theologieseminar in New York studiert; im ganzen Beulah-Tal gab es, abgesehen von Doremus, keinen, der sich mit größerer Zufriedenheit im Schutze der Berge verbarg.

Der Barraum war von einem jugendlichen Fachmann aus New York eingerichtet worden, der die Gewohnheit hatte, den rechten Handrücken auf die Hüfte zu legen. Es gab da eine tadellose Stahltheke, an den Wänden hingen gerahmte Farbendrucke aus ›La Vie Parisienne‹, es gab Tische mit versilberten Platten und verchromte Aluminiumstühle mit scharlachfarbenen Lederpolstern.

Alle, mit Ausnahme von Tasbrough und Medary Cole (einem Emporkömmling, dem die Gunst Tasbroughs so süß einging wie Honig und frisch vom Baum gepflückte Feigen) und ›Professor‹ Emil Staubmeyer, fühlten sich in dieser Papageienkäfig-Eleganz ungemütlich, aber keiner, Mr. Falck einbegriffen, schien weder Franks ausgezeichneten Scotch Whisky noch die Sardinenbrötchen zu verachten.

›Ich frage mich nur, ob Thad Stevens das auch genossen hätte?‹, überlegte Doremus. ›Er hätte geknurrt. Diese alte in die Enge getriebene Wildkatze. Aber sicher nicht über den Whisky!‹

»Doremus«, fragte Tasbrough, »warum gibst du dir nicht endlich einen Stoß? Du hast nun genug Jahre deinen Spaß gehabt – egal weg gegen die Regierung –, jeden an der Nase gezupft – liberal bis zum Erbrechen, bis zu dem Punkt, dass du dich für alle aufrührerischen Elemente glaubtest einsetzen zu müssen. Es ist Zeit für dich, mit dem Ideen-Zeckspiel Schluss zu machen und wieder zur alten Familie zu stoßen. Die Zeit ist ernst – an die achtundzwanzig Millionen Wohlfahrtsempfänger, die immer unverschämter werden, bilden sich ein, sie hätten ein verbrieftes Recht darauf, erhalten zu werden.

Inzwischen teilen die jüdischen Kommunisten und die jüdischen Bankiers untereinander die Herrschaft über dieses Land auf. Ich habe ja durchaus Verständnis dafür, wenn du, in deinen jungen Jahren, dir ein wenig Sympathie für die Gewerkschaften und sogar für die Juden hast abringen können – obwohl ich dir, du weißt es, nie vergessen werde, dass du damals bei dem großen Streik die Sache der Banditen verfochten hast, die meine Werkstätten anzünden wollten, jawohl, anzünden, du warst ja sogar mit dem ausländischen Mörder, dem Karl Pascal, dick befreundet, der den Streik in Szene gesetzt hat. Wenn du etwa denkst, ich war sehr traurig, wie ich ihn hinausgepfeffert habe nach dem Streik – dann irrst du dich gewaltig.

Wie auch immer, diese Desperados wollen uns erzählen – mir erzählen! –, wie man aus der Krise rauskommt, und es ist gerade so, wie General Edgeways sagte. Sie werden ihr Land just in dem Augenblick verraten, wenn es gegen feindliche Bedrohung zu den Waffen greifen muss. Jawohl, mein Junge, mächtig ernste Zeiten und die höchste Zeit, mit dem Gekicher aufzuhören und...


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