Lehner-Hartmann / Peter / Stockinger | Religion betrifft Schule | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 215 Seiten

Lehner-Hartmann / Peter / Stockinger Religion betrifft Schule

Religiöse Pluralität gestalten

E-Book, Deutsch, 215 Seiten

ISBN: 978-3-17-039840-5
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Schools inescapably need to engage with the phenomenon of religion in a competent way, since ideological and religious convictions are always already present in them. The social fact of religious pluralism is associated with an ineluctable requirement for education that schools have to accept. This volume is intended as a professionally well-founded and at the same time easily understandable contribution to a constructive approach to religion as a diverse and ambivalent phenomenon in schools. It provides a handbook for guidance with prospective strategies for action.
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Religiöse Weltdeutung als ein Zugang zur Welt
Was ist der menschliche Körper? – eine Frage, mehrere Zugänge …   Die Biologielehrerin fasst zusammen: »Unser Körper umfasst unterschiedliche Bestandteile, die spezifische Aufgaben haben. Dazu gehört zunächst das Skelett, das aus Knochen gebildet wird. Die äußere Begrenzung stellt die Haut dar. Füße, Hände, Gesicht, Haare, Nägel sind ebenfalls äußerlich sichtbar. Für das Funktionieren des Körpers wesentlich sind der Blutkreislauf, innere Organe wie Herz Lunge, Verdauungstrakt sowie die Muskulatur …« Der Kunstprofessor gibt die Anleitung: »Achten Sie auf den Ausdruck! Was soll Ihre Figur vermitteln? Welche Botschaft möchten Sie durch sie vermitteln? Was müssen Sie dabei bei der Wahl der Perspektive, der Farbgebung, der Positionierung beachten?« Im Sportunterricht erleben die Schüler*innen ihren Körper auf unterschiedliche Weise. Während die einen die Lust am Ausloten von Grenzen motiviert, die Kraft ihres Körpers zu spüren und diese auch einzusetzen, haben andere große Scheu, ihren Körper zu zeigen oder fürchten sich vor Übungen, bei denen sie versagen könnten. 2.1       Die eine Welt zeigt sich unterschiedlich
Sich selbst, andere und die Welt wahrzunehmen, geschieht aus einer bestimmten Perspektive, die darüber entscheidet, ob etwas bzw. was und wie dies wahrgenommen wird. An den Beispielen der Wahrnehmung, des Erlebens und des Umgangs mit dem menschlichen Körper lässt sich dies gut verdeutlichen. Im Kaleidoskop der Fächer wird der Körper im schulischen Unterricht auf sehr unterschiedliche Weise betrachtet. Neben fachbezogenen Auseinandersetzungen in den einzelnen Unterrichtsfächern spielen in der Schule aber auch Körperwahrnehmungen in der Pause eine wichtige Rolle. Der Vergleich mit anderen Altersgenoss*innen, Wertungen von Personen, (un)beabsichtige Bemerkungen oder die Erfahrung des Verliebt-Seins können die Selbstwahrnehmung entscheidend beeinflussen. Über soziale Medien wie Instagram oder TikTok wird die eigene Körperlichkeit inszeniert dargestellt, wobei dadurch häufig Druck entsteht, sich selbst auch ideal zu präsentieren (Royal Society for Public Health 2017, 8, 10). Selbst- und Weltwahrnehmung geschehen nicht rein individuell, sondern sind immer sozial vermittelt. Am Beispiel des Körpers wird deutlich, dass unterschiedliche Perspektiven auf sich selbst und die Welt einen bestimmten Ausschnitt freigeben. Diese können aber nicht den Anspruch erheben, die Welt als Ganze zu erfassen. Darüber zu diskutieren, ob die Welt- und Selbstsicht Liebender weniger real ist als die eines vermessenden, faktenorientierenden Blicks ist müßig. Beide sind auf ihre Weise real und werden benötigt, um sich der Erfassung von Welt nähern zu können. Wichtig ist, sich der jeweiligen Perspektive bewusst zu sein, unter der man sich selbst, den anderen und seine Umwelt betrachtet. Sichtweisen, die auf naturwissenschaftlich nachweisbare Fakten verweisen und in gegenwärtigen Diskussionen oft eine Vorrangstellung einnehmen, sind durch andere Blickwinkel zu ergänzen, unter denen die Welt betrachtet werden kann. So können beispielsweise über das Wissen um biologische Prozesse hinaus Bewältigungsstrategien einer Romanfigur im Umgang mit einer Beziehung oder mit Tod und Krankheit erkenntnisreich sein. Auch Religionen spielen bestimmte Perspektiven im Blick auf die Welt und die eigene Person ein: Sie stellen Fragen des Menschen nach sich und der Welt in einen größeren Horizont und setzen sie mit Gott, einem Heiligen, höheren Mächten, Energie etc. in Beziehung. Nicht für alle ist dies in gleicher Weise nachvollziehbar, verständlich und verstehbar. Parallel zu ästhetischer, literarischer Weltwahrnehmung ist diese Sichtweise eine spezifische Auseinandersetzung mit Welt, die für verschiedene Personen bedeutend ist. Auch eine religiöse Weltsicht gilt es, rational zu verantworten und in den Diskurs einzubringen. Sich der Wirklichkeit aus unterschiedlichen Perspektiven zuzuwenden – wobei keine Dimension eine andere ersetzen kann – ist ein Kennzeichen von Bildung (Baumert 2002, 113). Verschiedene Arten der Welterschließung (Modi der Weltbegegnung)   Kognitiv-instrumentelle Modellierung der Welt: Mathematik, Naturwissenschaften (»Wie geht es?«)   Ästhetisch-expressive Begegnung und Gestaltung: Sprache/Literatur, Musik, Malerei/Bildende Kunst, Physische Expression (»Wie begegnet mir die Wirklichkeit? Wie kann ich Wirklichkeit ausdrücken?«)   Normativ-evaluative Auseinandersetzung mit Wirtschaft und Gesellschaft: Geschichte, Ökonomie, Politik/Gesellschaft, Recht (»Wie ist die soziale Welt verbindlich zu ordnen?«)   Konstitutive Rationalität: Religion, Philosophie (»Was ist wirklich? Wozu bin ich da?«) (Baumert 2002, 106–108, 113) 2.2       Religiöse Perspektiven auf die Welt sind nicht einheitlich
Sich selbst, andere Menschen und die Welt insgesamt von der Beziehung zu Gott oder anderen transzendenten Realitäten her zu verstehen, wird im Rahmen verschiedener religiöser Überzeugungen auf unterschiedliche Art konkret ausgestaltet. Wie unterschiedliche Religionen und Weltanschauungen sowie Personen, die diesen zugeordnet werden, in den Blick kommen und bewertet werden, ist von kontextuellen, historischen und individuellen Faktoren abhängig. Hierbei spielen Dominanzhaltungen und Machtasymmetrien eine bedeutende Rolle. So werden in (west)europäischen Ländern Menschen häufig aus einer evangelisch- oder katholisch-christlichen Perspektive heraus wahrgenommen, auch wenn sich Menschen keiner religiösen Überzeugung oder anderen Religionen zuordnen. Diese westlich-christliche Perspektive, an der andere gemessen und beurteilt werden, bleibt zumeist »unsichtbar« – insofern sie nicht thematisiert wird –, ist aber wirkmächtig. Eine katholische Religionslehrerin macht diesen Mechanismus deutlich und verweist gleichzeitig selbstkritisch auf das Dilemma, das sich für sie daraus ergibt: »In letzter Zeit kommt bei mir im Unterricht immer öfter die Jägerstättergeschichte vor, den ich als Katholikin immer total super gefunden habe, weil er seine Religion über die Staatsdoktrin gestellt hat – und er ist dafür selig gesprochen worden. Wenn ich aber jetzt von einem Moslem höre, dass er seine Religion über die Staatsdoktrin stellt, weil ihm das mehr wert ist, sage ich: Du bist ein Radikaler. Und das ist so das Zweischneidige.« Obwohl der Vergleich etwas hinkt, weil diktatorische Verhältnisse des NS-Regimes, denen sich Franz Jägerstätter durch die Verweigerung, Kriegsdienst zu leisten, widersetzte, doch anders zu bewerten sind als demokratische, und dazu auch nicht deutlich gemacht wird, wo und wie jemand seine Religion über staatliche Gesetze oder Prozesse stellt, zeigt das Beispiel sehr gut, dass unterschiedliche Wahrnehmungen mit unterschiedlichen Zuschreibungen und Zugeständnissen einhergehen. Zu hören, dass Muslime ihren Glauben über staatliche Gesetze stellen könnten, löst bei manchen den Reflex der Demokratiegefährdung aus, während das Widersetzen in christlichem Kontext als vorbildhaft vorgestellt wird. Die angeführte Lehrperson deckt in ihren Reflexionen blinde Flecken der Eigenwahrnehmung und -deutung auf, indem sie ihre unterschiedlichen Reflexe als ambivalent bewertet. Prägende kulturelle Unterschiede   In einem mitteleuropäischen Kontext mit zunehmend säkularer Prägung sehen sich religiöse Menschen herausgefordert, sich für eine bestimmte religiöse Überzeugung persönlich entscheiden zu müssen und die eigene religiöse Überzeugung zu begründen. Autonome Entscheidungen in religiöser wie politischer Hinsicht treffen zu können, ist als ein relativ junges Phänomen anzusehen. Historisch betrachtet war es der (Ur-)Großelterngeneration in Mitteleuropa fremd zu hinterfragen, warum sie einer bestimmten religiösen Konfession angehört. Eine persönliche Glaubensentscheidung als zentral anzusehen, gewinnt erst ab Mitte des letzten Jahrhunderts zunehmend an Bedeutung und steht mit historischen Ereignissen (Autoritarismuskritik, II. Vatikanisches Konzil etc.) in Zusammenhang. In Communities, in denen religiöse Zugehörigkeit als unhinterfragte Selbstverständlichkeit angesehen wird, kann die Aufforderung, die eigene religiöse Zugehörigkeit zu begründen, fremd anmuten. Für jene, die...


Prof. Andrea Lehner-Hartmann, Institute of Practical Theology, Faculty of Catholic Theology, Centre for Teacher Training, University of Vienna. Karin Peter, Scientific Project Manager, Institute of Practical Theology, Faculty of Catholic Theology, University of Vienna. Prof. Helena Stockinger, Institute of Catechetics, Religious Education and Pedagogy, Catholic Private University of Linz.


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