Kriza | Die Frage nach dem Sinn des Lebens | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 336 Seiten

Reihe: Blaue Reihe

Kriza Die Frage nach dem Sinn des Lebens

Das zwiegespaltene Verhältnis des modernen Denkens zu den Sinnentwürfen der Vergangenheit
unverändertes eBook der 1. Auflage von 2018
ISBN: 978-3-7873-3329-5
Verlag: Felix Meiner
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Das zwiegespaltene Verhältnis des modernen Denkens zu den Sinnentwürfen der Vergangenheit

E-Book, Deutsch, 336 Seiten

Reihe: Blaue Reihe

ISBN: 978-3-7873-3329-5
Verlag: Felix Meiner
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die Frage nach dem Sinn des Lebens zählt zu den sogenannten »großen Fragen« der Philosophie. Anders als etwa die Frage nach dem guten Leben ist sie jedoch kein ethisches Problem, sondern stellt in umfassenderem Sinne die Vorstellungen des Menschen von einem guten Leben in einen Zusammenhang mit seinen Vorstellungen von der Welt. Weshalb fällt es gerade dem modernen Denken - anders als etwa dem antiken - so schwer, auf die Frage nach dem Sinn des Lebens überzeugende Antworten zu finden? In einem materialreichen Durchgang durch die Philosophiegeschichte seit der Antike arbeitet der Autor die ideen-, begriffs- und philosophiegeschichtlichen Bedingungen der Möglichkeit heraus, in der Moderne die Frage nach dem Sinn des Lebens überzeugend zu beantworten. Die Philosophie hat seit Beginn der Neuzeit einen dialektisch höchst ambivalenten Bruch mit vormodernen Sinnantworten vollzogen, die einerseits hartnäckig präsent bleiben, andererseits einem dem Naturalismus verpflichteten Denken aber fremd geworden sind. So wird die moderne Philosophie die Frage nach dem Sinn des Lebens zwar nicht los, begibt sich jedoch zugleich der Denkmittel, sie noch vernünftig beantworten zu können.

Thomas Kriza hat in Stuttgart und Berlin Philosophie, Soziologie, Psychologie und Wirtschaftsinformatik studiert und 2014 an der Freien Universität Berlin in Philosophie promoviert. Seitdem unterrichtet er Philosophie an der Hochschule Coburg. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen Existenzphilosophie, Technik- und Religionsphilosophie sowie philosophische Zeitdiagnosen und Theorien der Moderne. Er leitet das Philosophische Café in Coburg.
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2.Zentrale Sinngehalte von vormodernen Sinnentwürfen


2.1


Die überwiegende Mehrheit der vormodernen Sinnentwürfe interpretiert den Menschen als . Diese Vorstellung gehört zu den wirkungsmächtigsten Sinnvorstellungen der kulturellen Überlieferung und bildet insbesondere auch die Grundlage des Denkens von Platon und Aristoteles, den beiden einflussreichsten Denkern der antiken Traditionslinie metaphysischer Sinnentwürfe. Es ist wichtig, sich die zentralen Thesen dieser Denker vor Augen zu führen, um zu verstehen, worin die entscheidenden Unterschiede zu modernen Sichtweisen auf die Welt und auf den Menschen liegen. Dadurch eröffnet sich zudem ein Verständnis für die heutigen Schwierigkeiten mit der Frage nach dem Sinn des Lebens.

2.1.1Die Einbettung des Menschen in einen sinnerfüllten Kosmos: Platon


Bestimmend für die Philosophie Platons ist die Vorstellung einer sinnvoll geordneten Wirklichkeit. Platon ist einer der einflussreichsten Denker der kulturellen Überlieferung, die vielzitierte Aussage von Alfred North Whitehead ist nicht übertrieben: »Die sicherste allgemeine Charakterisierung der philosophischen Tradition Europas lautet, dass sie aus einer Reihe von Fußnoten zu Platon besteht.«31 Der Dialog Timaios ist das wirkungsmächtigste Werk Platons und »das einflussreichste philosophische Werk der antiken Welt«, dessen Wirkung sich kontinuierlich und ungebrochen von der Antike über die Spätantike, das Mittelalter und die Renaissance bzw. die frühe Neuzeit bis in unsere Zeit hinein entfaltet hat.32 In der Philosophie Platons artikuliert sich eine sehr markante philosophische Positionierung zu der Frage nach dem Sinn des Lebens: Platon entwirft im Timaios eine Weltsicht, die den Menschen in einem geordneten Kosmos verortet, dessen Ordnungsprinzip mit dem ordnenden Prinzip der menschlichen Existenz übereinstimmt. In diesem Sinne ist der Mensch bei Platon Teil einer sinnerfüllten Wirklichkeit. Worin genau besteht bei Platon die besondere Stellung des Menschen im Kosmos?

Die Grundlage der Weltsicht Platons im Timaios bilden einige wesentliche Differenzierungen. Da Platons Denken von enormem Einfluss auf die philosophische und religiöse Überlieferung ist, liefert eine kurze Darstellung dieser Grunddifferenzierungen nicht nur einen wichtigen Einblick in seine Weltsicht, sondern zeichnet auch ein erstes Bild der begrifflichen Fundamente der Sinnentwürfe der Vergangenheit. Die grundlegenden Unterscheidungen Platons hängen so zusammen, dass sich aus ihrem Zusammenhang eine umfassende Weltsicht ergibt. Zentrum dieser systematischen Beziehung von Unterscheidungen ist die Gegenüberstellung von Beständigkeit und Unbeständigkeit und zwischen Sein und Werden. Der Grundgedanke Platons liegt darin, dass er das Beständige dem Unbeständigen vorzieht und die sinnlich gegebene Wirklichkeit, in die der Mensch eingebunden ist, als defizient ansieht, da es sich im ständigen Werden befindet. Dem stellt er eine Wirklichkeit des beständigen Seins entgegen, die alles Wertvolle in sich birgt. Was genau ist hierunter zu verstehen?

Platon unterscheidet zum einen das, was »Entstehen nicht an sich hat«, von dem, was »entstehend und vergehend, nie aber wirklich seiend« ist – er unterscheidet also das Seiende vom Werdenden.33 Er trennt das, was »durch Vernunft mit Denken zu erfassen« ist, von dem, was nur »vermittels vernunftloser Sinneswahrnehmung vorstellbar« ist.34 Das gut Begründete und durch Überredung nicht zu Erschütternde bildet bei Platon einen Gegensatz zum Unbegründeten.35 Er unterscheidet die beharrlichen, unerschütterlichen Aussagen des Menschen von den Aussagen mit Wahrscheinlichkeitscharakter und grenzt die Wahrheit und das Wissen von der Meinung ab.36 Platon unterscheidet das Schöne und Vollkommene vom Unschönen und Unvollkommenen und baut darauf den Gegensatz zwischen der guten und schönen Ordnung und der regellosen und zufälligen Unordnung auf.37 Bei den Ursachen unterscheidet Platon zwischen Erzeuger und Erzeugtem, wobei der Erzeuger stets ein Vorbild vor Augen hat, aus dem das Erzeugte als Abbild hervorgeht.38 Hiermit zusammenhängend unterscheidet Platon zwischen notwendigen und göttlichen Ursachen39 sowie zwischen Notwendigkeit und Vernünftigkeit.40 Wie der Begriff der Notwendigkeit (??????) bei Platon zu verstehen ist, ist in der Forschung umstritten. Notwendigkeit wird hier von einigen Interpreten als prinzipielle Kontingenz und Regellosigkeit, als »notwendige stoffliche Voraussetzung der göttlichen Ordnungsverwirklichung« interpretiert, von manchen wird sie aber auch als eine eigenständige, der vernünftigen Geordnetheit widerstrebende und dem Guten entgegengesetzte Kraft verstanden, die den Ursprung aller verworrenen Bewegung und Unvollkommenheit der Natur darstellt und die Quelle der physischen Übel bildet.41 In jedem Fall aber bildet bei Platon die Notwendigkeit den Gegenpol zur vernünftigen, göttlichen Geordnetheit.

Die hier aufgezählten Gegensätze stehen bei Platon in einer bestimmten Beziehung zueinander. Die beiden Seiten der Gegensätze werden von Platon jeweils miteinander verknüpft und in einen assoziativen Zusammenhang gebracht, der wie folgt veranschaulicht werden kann:

Auf der einen Seite stehen Sein, Beständigkeit, Vernunft und Wahrheit in einer engen Beziehung zueinander, auf der anderen Seite Werden, Vergänglichkeit, Sinneswahrnehmung, Meinung und Wahrscheinlichkeit. Die jeweiligen miteinander zusammenhängenden Begriffspaare verweisen auf den Zusammenhang der Phänomene: In der Welt stehen einander zwei grundlegend verschiedene Sphären gegenüber – die Sphäre der Beständigkeit und des Seins auf der einen, die Sphäre der Unbeständigkeit und des Werdens auf der anderen Seite. Dieser Gegensatz manifestiert sich nach Platon auch mitten im Menschen selbst: Mit seiner Vernunft nimmt der Mensch teil an der Sphäre des Seins, mit seinen Sinnen an der Sphäre des Werdens. Diese Zweiteilung bringt Platon beispielsweise zum Ausdruck, wenn er über die Reichweite menschlicher Aussagen reflektiert:

Die Aussagen von dem Beharrlichen, Gewissen, der Vernunft Offenbaren müssen beharrlich und unveränderlich sein – soweit möglich ist und es Reden zukommt, unwiderlegbar und unerschütterlich zu sein […]; die aber von dem jenem Nachgebildeten, welches ein Abbild ist, die müssen wahrscheinlich sein und im Verhältnis zu jenen stehen; denn wie das Sein zum Werden, so verhält sich die Wahrheit zum Glauben.42

In der Beziehung dieser Gegensätze zueinander kommt zugleich eine grundlegende Wertung zum Ausdruck: Das beharrende Sein wird dem vergänglichen Werden vorgezogen. Hat ein Werk sein Vorbild im beharrlichen Seienden, so liegt darin seine Schönheit, so wie andererseits in einem vergänglichen, werdenden Vorbild die Unschönheit eines Werkes angelegt ist. Ist der Urheber eines Werkes vernünftig, erschafft er eine gute und schöne Geordnetheit, ist er hingegen unvernünftig, so entsteht eine regellose und zufällige, unschöne Ungeordnetheit.43 Die Aufwertung des Beständigen bei gleichzeitiger Abwertung des Vergänglichen ist eine entscheidende Wertung, die in der Traditionslinie der Sinnentwürfe mit Transzendenzbezug allgegenwärtig und bestimmend ist. Diese Grundpositionierung der kulturellen Überlieferung wird dem Leser dieses Buches noch häufig begegnen.

Mit Hilfe dieser zusammenhängenden Unterscheidungen interpretiert Platon die Welt und die Stellung des Menschen in der Welt. Zentral ist für Platon die Überzeugung, dass die Welt einen göttlichen Charakter besitzt. Diese Überzeugung verankert Platon in folgender Argumentationskette: Alles sinnlich Wahrnehmbare, Körperliche ist ein Entstandenes, und alles Entstehende muss aus einer Ursache entstehen. Die Welt ist sinnlich wahrnehmbar und damit aus einer Ursache entstanden.44 Die Erscheinungen der Welt verweisen darauf, dass der Welt eine schöne und gute Geordnetheit zugrunde liegt. Weil dies so ist, muss die Welt eine göttliche Ursache, einen Erzeuger haben. Diesen Erschaffer der Welt bezeichnet Platon als Demiurg und überträgt dabei die Vorstellung der Gestaltung durch einen Handwerker auf den gesamten Kosmos. Dem Urheber der Welt wird ein vollkommenes Gutsein zugeschrieben. Weil er gut war, gestaltete er die Welt so, dass sie ihm ähnelte: Er fand das Seiende in ordnungsloser Bewegung vor, und weil Ordnung schöner und besser ist als Unordnung, ordnete er die Welt auf Grundlage der Vernunft, durch »Gestaltungen und Zahlen«:

Ehe das aber geschah, sei alles dies ohne Maß und Verhältnis gewesen; als jedoch Gott das Ganze zu ordnen unternahm, haben sich anfangs Feuer, Wasser, Luft und Erde, die aber bereits gewisse Spuren in sich selbst besaßen, durchaus in einem Zustande befunden, wie er bei allem, über welches kein Gott waltet, sich erwarten läßt. Diese von Natur also Beschaffenen formte zunächst Gott durch Gestaltungen und Zahlen. Daß er aus einem nicht so beschaffenen Zustande auf das möglichste schönste und beste sie zusammenfügte, diese Behauptung stehe uns durchgängig in allem fest.45

All diese Aussagen verbindet Platon mit einem gewissen Wahrheitsanspruch, nichtsdestotrotz ist er sich der prinzipiellen Beschränktheit der menschlichen Erkenntniskraft bewusst: Er sieht, dass aufgrund der Begrenztheit des Menschen menschliche Erkenntnis niemals den Status einer absoluten Wahrheit erreichen kann...


Kriza, Thomas
Thomas Kriza hat in Stuttgart und Berlin Philosophie, Soziologie, Psychologie und Wirtschaftsinformatik studiert und 2014 an der Freien Universität Berlin in Philosophie promoviert. Seitdem unterrichtet er Philosophie an der Hochschule Coburg. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen Existenzphilosophie, Technik- und Religionsphilosophie sowie philosophische Zeitdiagnosen und Theorien der Moderne. Er leitet das Philosophische Café in Coburg.

Thomas Kriza hat in Stuttgart und Berlin Philosophie, Soziologie, Psychologie und Wirtschaftsinformatik studiert und 2014 an der Freien Universität Berlin in Philosophie promoviert. Seitdem unterrichtet er Philosophie an der Hochschule Coburg. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen Existenzphilosophie, Technik- und Religionsphilosophie sowie philosophische Zeitdiagnosen und Theorien der Moderne. Er leitet das Philosophische Café in Coburg.



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