E-Book, Deutsch, Band 36, 136 Seiten
Reihe: edition pace
Kraus / Kern Zum ewigen Gedächtnis
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-8192-2092-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Texte zu Krieg und Frieden
E-Book, Deutsch, Band 36, 136 Seiten
Reihe: edition pace
ISBN: 978-3-8192-2092-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Karl Kraus, 1874-1936, war österreichischer Schriftsteller und Satiriker. In den fast tausend Bänden seiner Zeitschrift "Die Fackel" und in insgesamt 700 Lesungen entlarvte er wortgewaltig die doppelbödige Moral der Zeit, die Phraseologie der Presse, einen verkommenen Literaturbetrieb und eine geistige Mentalität, die schließlich in den Ersten Weltkrieg mündete. Sein großes Weltkriegsdrama "Die letzten Tage der Menschheit" gilt als sein Hauptwerk und machte ihn international bekannt. Mehrmals wurde er von französischen Professoren für den Friedens- bzw. Literaturnobelpreis vorgeschlagen.
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Gruß an Bahr und Hofmannsthal
Mai 1916
Gruß an Hofmannsthal
Ich weiß nur, dass Sie in Waffen sind, lieb er Hugo, doch niemand kann mir sagen, wo. So will ich Ihnen durch die Zeitung schreiben. Viel leicht weht's der liebe Wind an Ihr Wachtfeuer und grüßt Sie schön von mir.
Mir fällt ein, dass wir uns eigentlich niemals näher waren, als da Sie Ihr Jahr bei den Dragonern machten. Erinnern Sie sich noch? Sie holten mich gern abends ab und wir gingen zusammen und ich weiß noch, wie seltsam es mir oft war, wenn wir im Gespräch immer höher in die Höhe stiegen, über alle Höhen uns verstiegen, und dann mein Blick, zurückkehrend, wieder auf Ihre Uniform fiel; sie passte nicht recht zu den gar nicht uniformen Gedanken. Im Oktober werden's zwanzig Jahre! Seitdem ist man „berühmt“ geworden, es hat uns an nichts gefehlt, aber wer wagt zu sagen, dass diese zwanzig Jahre gut für uns waren? Wie sind sie jetzt plötzlich so blass geworden in diesem heiligen Augenblick! Es war eine Zeit der Trennung, der Entfernung, der Vereinsamung; jeder ging vom anderen weg, jeder stand für sich, nur für sich allein, da froren wir. Jetzt hat es uns wieder zusammengeblasen, alle stehen füreinander, da haben wir warm. Jeder Deutsche, daheim oder im Feld, trägt jetzt die Uniform. Das ist das ungeheure Glück dieses Augenblicks. Mög es uns Gott erhalten!
Und nun ist auf einmal auch alles weg, was uns zur Seite trieb. Nun sind wir alle wieder auf der einen großen deutschen Straße. Es ist der alte Weg, den schon das Nibelungenliedging, und Minnesang und Meistergesang, unsere Mystik und unser deutsches Barock, Klopstock und Herder, Goethe und Schiller, Kant und Fichte, Bach, Beethoven und Wagner. Dann aber hatten wir uns vergangen, auf manchem Pfad ins Verzwickte. Jetzt hat uns das große Schicksal wieder auf den rechten Weg gebracht. Das wollen wir uns aber verdienen.
Glückauf, lieb er Leutnant. Ich weiß, Sie sind froh. Sie fühlen das Glück, dabei zu sein. Es gibt kein größer es. Und das wollen wir uns jetzt merken für alle Zeit: Es gilt, dabei zu sei n. Und wollen dafür sorgen, dass wir hinfort immer etwas haben sollen, wobei man sein kann. Dann wären wir am Ziel des deutschen Wegs, und Minnesang und Meistersang, Herr Walther von der Vogelweide und Hans Sachs, Eckhart und Tauler, Mystik und Barock, Klopstock und Herder, Goethe und Schiller, Kant und Fichte, Beethoven und Wagner wären dann erfüllt. Und das hat unserem armen Geschlecht der große Gott beschert!
Nun müsst ihr aber doch bald in Warschau sein! Da gehen Sie nur gleich auf uns er Konsulat und fragen nach, ob der österreichischungarische Generalkonsul noch dort ist : Leopold Andrian. Das ist nun auch gerade zwanzig Jahre her, dass Andrian den „Garten der Erkenntnis“ schrieb, diese stärkste Verheißung. Er wird sie schon noch halten, mir ist nicht bang: ein Buch mit zwanzig, eins mit vierzig, eins mit sechzig Jahren, weiter nichts, in jedem aber volle zwanzig Jahre drin, dann wird er der Dichter der drei Bücher sein, das ist auch ganz genug. Und wenn ihr so vergnügt bei sammen seid, und während draußen die Trommeln schlagen, der Poldi durchs Zimmer stapft und mit seiner heißen dunklen Stimme Bau delaire deklamiert, vergesst mich nicht, ich denk an euch!
Es geht euch ja so gut, und es muss einem ja da doch auch schrecklich viel einfallen, nicht?
Auf Wiedersehen!
| Bayreuth, 16. August 1914. | Hermann Bahr. |
Heute kann's ja doch endlich zugestellt und ohne Verletzung des Briefgeheimnisses verbreitet werden. Heute muss ja der Humor dieser brieflichen Feuertaufe von durchschlagendem Effekt sein. Denn damals, als das Grauen noch eine Sensation war und man noch aufhorchte, wenn Mörser losgingen, ist die Wirkung verpufft. Und doch war dieses Schreiben des damals national, jetzt katholisch spekulierenden Literaturfilous, das ihn zugleich von der Seite jener Dummheit zeigte, die das aussichtsvollste Geschäft verderben kann – und doch war es damals, ernsthaft, in den Zeitungen veröffentlicht, bei uns und in Berlin, und wurde von dem Meister noch in ein Buch, das er „Kriegssegen“ nannte, aufgenommen. Das Glück, dabei zu sein, wurde von diesem Hermann Bahr allerdings zu einer Zeit empfunden, wo die Kriegsleistungspflicht noch nicht auf die 50- bis 55-Jährigen ausgedehnt war. Aber schließlich, wer hätte denn je gefürchtet, dass man auf Herrn Bahrs Dienste reflektieren würde, solange die Charge eines Kriegshanswurstes eine freiwillige und noch nicht systemisiert ist? Er ist darum noch kein Soldat, weil er den Kriegsausbruch einen „heiligen Augenblick“ nennt, wie er darum noch kein Heiliger ist, weil er einen katholischen Roman geschrieben und ihn „Himmelfahrt“ genannt hat. Es handelt sich indes nicht um sein Wohl und Wehe, von dem man überzeugt sein kann, dass er es in den Dienst jeder guten Sache stellen würde, die gerade aktuell ist, da er ja überall unabkömmlich ist und nie daran dächte, sich anders als auf die bisherige Art reklamieren zu lassen. Es handelt sich vielmehr um die Einziehung des Herrn v. Hofmannsthal in die kriegerische Sphäre, die hier auf eine in der Geschichte der Mobilisierungen noch nicht erhörte Weise besorgt wird. Was die Verhältnisse der Wirklichkeit anlangt, in der Herr v. Hofmannsthal lebt und in der er, wenn schon nicht mit seinem Ruhme, so doch mit seiner Gesundheit den Weltkrieg überleben wird, so lässt sich nur sagen, dass es keine privatere Angelegenheit auf dieser blutigen Erde geben könnte als die Frage, ob einer mit größerer oder geringerer Begeisterung dabei ist, wo er dabei sein muss; dass es die letzte Privatangelegenheit ist, die der heutige Mensch hat; und dass es höchstens Sache des Staates, nie aber des Mitmenschen sein darf, der Kreatur den ungestörten Genuss des Erdenglücks zu missgönnen. Aber die völlige Schamlosigkeit, mit der in diesem Fall auf publizistischem Wege die Gewissheit verbreitet wurde, dass der Herr von Hofmannsthal „in Waffen“ sei und irgendwo – wer weiß wo – an einem Wachtfeuer sitze, an das der „Wind“ den Gruß des Altmeisters, des daheim sitzenden, leider nicht mehr mitkönnenden, wehen möge – bitte, wehen möge! – nur dieser übertriebene Optimismus fordert zu der tatsächlichen Feststellung heraus, dass selbst im Krieg, der bekanntlich Krieg ist, auf die postalischen Verbindungen mehr Verlass ist als auf den Wind. Denn die Post kann, wenn es ihr auch noch so schwer gemacht wird, immerhin findig sein, während der Wind ein von Natur schwanker Geselle ist, ehrgeizlos und ein Blatt öfter auf einen Misthaufen wehend, als Mist zu einem Wachtfeuer, an dem ein vaterländischer Dichter, wenn er gerade nichts zu singen und zu sagen hat, der Lieben in der Heimat gedenkt, welche jetzt Briefe an ihn schreiben mögen, die ihn nicht erreichen. Aber auf die Post kann man, wenn sich nicht die Zensur ins Mittel legt, Häuser bauen, die sie dann eins nach dem andern abläuft, bis sie den Adressaten gefunden hat, und der Briefträger hätte dem Herrn Bahr, der sich einmal beklagt hat, dass ihm die Briefe der Cosima Wagner nicht zugestellt werden, während die von Gabor Steiner ankamen, triumphierend beweisen können, dass er den Leutnant Hofmannsthal gefunden habe, gleich beim Ausbruch des Weltkriegs und die ganze große Zeit hindurch, an einem Wachtfeuer, das im Kriegsfürsorgeamt brennt und wo die Meinung des Herrn Bahr, dass man dort warm habe und alle füreinander stehen, durchaus zutrifft. Wer weiß wo: ehedem der schwermütige Refrain eines Soldatenliedes, ist in diesem Fall nicht einmal ein Postvermerk, da es sich keineswegs um die Feldpost handelt, deren Arbeit selbst bei zustellbaren Briefen immerhin durch die Truppenbewegungen erschwert wird. Denn es ist einfach nicht wahr, dass es je eine Zeit gab, und wäre sie noch so groß gewesen, da niemand sagen konnte, wo Herr v. Hofmannsthal, und hätte er selbst in Waffen gestarrt, sich aufhalte. Er hat vor zwanzig Jahren als Dragoner Herrn Bahr begleitet; er wäre, da er in solcher Eigenschaft den Weltkrieg keineswegs begleitet hat, von Herrn Bahr zu finden gewesen. Diesem ist nur eingefallen, „dass sie sich eigentlich niemals näher waren“ als damals. Aber es hätte ihm eigentlich einfallen können, dass sie sich jetzt noch näher sind. Zum Beispiel dem Setzer, der diesen meinen Gruß gesetzt hat, ist es gleich beim Anblick des Bahr'schen Grußes, wiewohl der ihm schon gedruckt vorlag, eingefallen, und er hat die Stelle, wo es von jenen zwanzig Jahren heißt, dass „sie“ so blass geworden seien, irrtümlich für einen Druckfehler gehalten und richtig so gesetzt: „Wie sind Sie jetzt plötzlich so blass geworden in diesem heiligen Augenblick!“ Und er hat ein Übriges getan: Er hat die Stelle, wo Herr Bahr von dem Glück, dabei zu sein, spricht, von dem ungeheuren Glück des Augenblicks: „Mög es uns Gott erhalten!“, er hat auch diese für einen Druckfehler angesehen und als ein gründlicher Kenner der wahren Seelenbeschaffenheit der beiden Herren die Worte hingesetzt: „Möge uns Gott erhalten!“ Warum auch nicht? Es hat ja den beiden Herren durch all die zwanzig Jahre...




