Kratz | Die Propheten der Bibel | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 6462, 238 Seiten

Reihe: Beck Paperback

Kratz Die Propheten der Bibel

Geschichte und Wirkung

E-Book, Deutsch, Band 6462, 238 Seiten

Reihe: Beck Paperback

ISBN: 978-3-406-78191-9
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die Entstehung der jüdischen Religion ist eng mit den Propheten verbunden. Der renommierte Bibelwissenschaftler Reinhard G. Kratz rekonstruiert die Geschichte der biblischen Prophetie von ihren Ursprüngen in der altorientalischen Mantik über die Entstehung prophetischer und apokalyptischer Schriften bis hin zu ihrer Rezeption in Judentum, Christentum und Islam. Sein konziser Überblick auf dem neuesten Forschungsstand bietet einen einzigartigen Schlüssel zum Verständnis der abrahamitischen Religionen.
Kratz Die Propheten der Bibel jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


I. Das Gesetz und die Propheten: Stationen der Auslegungsgeschichte

Wer die Bibel aufschlägt und von vorne zu lesen beginnt, muss sich gedulden, bis er zu den Propheten kommt. In den deutschen Übersetzungen stehen sie am Schluss des Alten Testaments. Auf die Geschichtsbücher und die poetischen Bücher folgen zuerst die drei großen Propheten: Jesaja, Jeremia, Ezechiel, danach die zwölf kleinen: Hosea, Joel, Amos, Obadja, Jona, Micha, Nahum, Habakuk, Zefanja, Haggai, Sacharja und Maleachi. Dazwischen stehen das Buch Daniel und manchmal im Anschluss an Jeremia auch die Klagelieder Jeremias, das Buch Baruch, des Schreibers Jeremias, sowie ein Brief Jeremias.
In den Ausgaben der Hebräischen Bibel ist das anders. Hier folgen die Propheten auf die Fünf Bücher Mose, den Pentateuch, und umfassen nicht nur die drei großen und zwölf kleinen Propheten, sondern auch die Bücher Josua, Richter, Samuel und Könige, die jenen vorausgehen. Das Buch Daniel und die Klagelieder Jeremias stehen an einem anderen Ort; Baruch und der Brief Jeremias sind nicht enthalten.
Stellung und Umfang der Prophetenbücher beruhen auf Selektion und spiegeln die verschiedenen Fassungen des hebräischen und des griechischen Kanons wider. In ihnen machen sich Unterschiede im Prophetenverständnis bemerkbar, die auch für die weitere Auslegungsgeschichte bestimmend gewesen sind.

1. Schriftsteller der heiligen Geschichte

Der Kanon der Hebräischen Bibel, der sich in der jüdischen Tradition und, was den Umfang angeht, in den Kirchen der Reformation durchgesetzt hat, hat die Reihenfolge Gesetz (Tora), Propheten (Nebiim) und Schriften (Ketubim). Die andere Fassung, in der die Propheten (in verschiedener, später angeglichener Reihenfolge) am Schluss stehen, ist die der Septuaginta, der griechischen Übersetzung der Hebräischen Bibel, die auch noch weitere, sogenannte «verborgene Schriften», die Apokryphen, umfasst. Sie war die Bibel der griechisch sprechenden Juden sowie der frühen Christen und hat sich in der Tradition der orientalischen und – über die lateinische Übersetzung (Vulgata) – der römisch-katholischen Kirche behauptet.
Beide Fassungen des Kanons gelten als göttlich inspiriert und nehmen für sich in Anspruch, dass die Autoren der biblischen Bücher Propheten waren. Diese Auffassung kann man in der Schrift Contra Apionem (I,37–?41) des jüdischen Historikers Flavius Josephus aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. sowie im Babylonischen Talmud (Traktat Baba Batra 14b–15a) nachlesen. Sie ist bereits in der Bibel selbst angelegt. Der um 300 v. Chr. schreibende Chronist geht davon aus, dass jede Epoche der heiligen Geschichte ihren Propheten hatte und dass jeder Prophet über seine Epoche eine Schrift verfasst hat, aus der wiederum er, der Chronist selbst, schöpft (1. Chr 29,29 u.ö.). Die Quellen, die dem Werk des Chronisten zugrunde liegen, sind tatsächlich keine anderen als die uns bekannten biblischen Bücher von Genesis bis Könige und von Jesaja bis Maleachi, denen er durch seine Quellentheorie einen autoritativen, gewissermaßen kanonischen Rang verleiht.
Auf kanonische Dignität zielt auch die Unterteilung in «vordere» und «hintere» Propheten. Vordere Propheten heißen im hebräischen Kanon die Bücher Josua, Richter, Samuel und Könige, die in der Septuaginta zu den Geschichtsbüchern zählen; hintere Propheten werden die Bücher Jesaja bis Maleachi genannt, deren Umfang und Reihenfolge in der handschriftlichen Überlieferung variieren, die aber zusammengenommen das Corpus propheticum bilden, das in der Septuaginta an den Schluss gestellt ist. Dass die Bücher Josua bis Könige zu den Propheten gerechnet wurden, hängt sicherlich auch damit zusammen, dass sie Erzählungen über Propheten enthalten. Entscheidend dürfte jedoch die Absicht gewesen sein, ihre Verfasser mit Mose, dem Urbild der Propheten (Dtn 18,15; Hos 12,14), und den Propheten selbst auf eine Stufe zu stellen. Die Übertragung des prophetischen Geistes von Mose auf Josua ist in Numeri 27,18–?23 und Deuteronomium 34,9 beschrieben.
Auf diese Weise verbinden sich die Bücher der beiden Kanonteile Tora und Propheten, die sich für die Zeit Jesajas (2. Kön 18–20//Jes 36–?39) und Jeremias (2. Kön 24–?25//Jer 52) teilweise überschneiden, zu einer fortlaufenden, vom Geist der Propheten erfüllten und von ihnen aufgezeichneten Geschichte. Im hebräischen Kanon erstreckt sie sich von der Schöpfung der Welt bis zur Wiederherstellung Jerusalems unter den persischen Königen oder, um mit Josephus und den Rabbinen zu sprechen, von Mose bis Artaxerxes. Danach, so heißt es, sei der prophetische Geist erloschen. Das ist auch der Umfang, in dem die Bücher Chronik, Esra und Nehemia die heilige Geschichte rekapitulieren, und in denselben zeitlichen Rahmen fügt sich der dritte Kanonteil «Schriften», der aus der Sammlung der Psalmen Davids hervorgegangen ist. Im «Lob der Väter» des Sirachbuchs, das Anfang des 2. Jahrhunderts v. Chr. hebräisch abgefasst und um 132 v. Chr. ins Griechische übersetzt wurde, ist die biblische Geschichte dementsprechend nach dem kanonischen Bestand der biblischen Bücher nacherzählt (Sir 44–?49).
Einem anderen Ordnungsprinzip folgt die Septuaginta. Hier reicht die in der Tora und den historischen Büchern erzählte heilige Geschichte bis in hellenistische Zeit, von der die Makkabäerbücher handeln. Die Stellung der Prophetenbücher am Schluss des Kanons deutet an, dass die Geschichte noch nicht an ihr Ziel gekommen ist, sondern der endzeitlichen Vollendung harrt.

2. Lehrer des Gesetzes

Die Propheten schreiben die heilige Geschichte nicht nur auf, sondern spielen in ihr auch selbst eine entscheidende Rolle. Ihre Aufgabe geht aus den letzten Versen der Sammlung der Propheten in Maleachi 3 klar hervor:
Gedenkt an das Gesetz meines Knechtes Mose, das ich ihm befohlen habe auf dem Berge Horeb für ganz Israel, an alle Gebote und Rechte! (Mal 3,22)
Der Schluss schlägt den Bogen zur Ermahnung Josuas durch JHWH am Anfang der Sammlung in Josua 1,7–?8 und bindet den Kanonteil «Propheten» an die Tora des Mose. Mit dieser Rahmung sind vordere und hintere Propheten als Lehrer des Gesetzes gesehen, die das Volk Israel während der ganzen Zeit seines Aufenthalts in dem von Gott geschenkten Land, von der Landnahme bis zur Exilierung, und auch weiterhin zum Gehorsam gegenüber ihrem Gott und seinen Geboten aufrufen und vor den Folgen des Ungehorsams warnen.
Grundlage der prophetischen Lehre ist das Gesetz des Mose, das am Sinai offenbart und von Mose im Lande Moab, unmittelbar vor Eintritt in das verheißene Land, öffentlich verkündet wird. Auf dieses Gesetz und insbesondere seine Proklamation im Buch Deuteronomium wird in den vorderen Propheten, den Büchern Josua bis Könige, permanent verwiesen (bes. 2. Kön 22), weswegen man von einem deuteronomistischen Geschichtswerk, richtiger: von einer deuteronomistischen Redaktion in den Büchern Josua bis Könige, spricht. Auf diese Redaktion geht die Auffassung der Propheten als Gesetzeslehrer und Mahner zurück (2. Kön 17,13; 21,10–?16; 22,14–?20). Die Redaktion identifiziert das Wort Gottes im Munde der Propheten, das in den Prophetenbüchern, gleichsam als Hypostase Gottes, die Geschichte bestimmt (vgl. Jes 9,7; 40,8; 55,10–?11), mit dem Gesetz des Mose. Die prophetische Sukzession (Dtn 18,15) bürgt wie später die apostolische für die Authentizität und ungebrochene Weitergabe der Lehre. Und weil diese Lehre erst recht nach Eintritt der von den Propheten angekündigten Katastrophe ihre Gültigkeit behält, ist die Mahnung zum Gesetzesgehorsam in Maleachi 3 als Inbegriff der Verkündigung auch der hinteren Propheten (vgl. Jer 7,25–?26; 44,4–?5) zum Abschluss des ganzen Kanonteils Nebiim wiederholt.
Als Lehrer des Gesetzes sind die Propheten über die Chronik (2. Chr 36,15–?16), das Danielbuch (Dan 9,6) und andere Wege in die jüdische Tradition eingegangen (siehe Kapitel X,2). In ihr werden die Propheten vom Gesetz her ausgelegt. Der Schriftgelehrte, der die Weisheit aller Vorfahren erforscht und sich dabei auch um das Verständnis der Prophezeiungen bemüht, ist einer, der es dem Gerechten von Psalm 1 gleichtut und über das Gesetz des Höchsten sinnt (Sir 38,34 [39,1]). Im Gottesdienst der Synagoge bildet bis heute die Lesung aus den Propheten den Abschluss der Toralesung. Ihren klassischen Ausdruck hat dieses Verständnis der Propheten in den «Sprüchen der Väter» gefunden:
Mose empfing die Tora vom Sinai und übergab sie an Josua, Josua an die Ältesten, die ...


Reinhard G. Kratz ist Professor für Altes Testament an der Georg-August-Universität Göttingen, Leiter der dortigen Qumran-Forschungsstelle sowie Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Fellowships in Berlin, Oxford, Cambridge und Rufe nach Kiel, Heidelberg, Berlin und Oxford belegen sein internationales Renommee. Bei C.H.Beck erscheint von ihm außerdem "Qumran. Die Texte vom Toten Meer und die Entstehung des biblischen Judentums" (2022).


Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.