E-Book, Deutsch, 160 Seiten, Format (B × H): 197 mm x 260 mm
Reihe: Montessori Praxis
Klein-Landeck / Pütz Montessori-Pädagogik
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-451-80481-6
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)
Einführung in Theorie und Praxis
E-Book, Deutsch, 160 Seiten, Format (B × H): 197 mm x 260 mm
Reihe: Montessori Praxis
ISBN: 978-3-451-80481-6
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)
Diese verständlich geschriebene Einführung bietet »Einsteigern« eine zuverlässige Orientierungshilfe. Die Autoren führen anschaulich und pointiert in die theoretischen Grundlagen ein, stellen das Menschenbild Maria Montessoris, ihre lern- und entwicklungspsychologischen Entdeckungen sowie Überzeugungen kenntnisreich dar. Ein Schwerpunkt liegt auf der umfassenden Darstellung der Montessori-Praxis.
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2.3 Montessoris Theorie der sensiblen Phasen
Um kindliche »Offenbarungen« im Sinne Maria Montessoris handelt es sich auch in folgenden Szenen, in denen Kinder jeweils so in ihre »Arbeit« versunken sind, dass sie ihre Umgebung kaum noch oder gar nicht mehr wahrzunehmen scheinen. Diese Situationen gewähren einen interessanten Einblick in das Seelenleben der Kinder und geben Aufschluss über ihre aktuellen Bedürfnislagen, Interessen und Aufmerksamkeitsrichtungen. Die folgenden Beobachtungen haben wir (d. V.) in den letzten Jahren zu Hause oder in pädagogischen Einrichtungen gemacht, und wenn Sie genau überlegen, werden Sie diese Liste bestimmt ganz leicht mit eigenen Beispielen füllen und ergänzen können: Lara (2,7 Jahre) sitzt auf dem Fußboden und sortiert Spielzeugautos nach Farbe und Größe. Unbeeindruckt vom fröhlichen Gespräch der Erwachsenen am Tisch ordnet sie die Fahrzeuge peinlich genau am Rande des Teppichs entlang. Sven-Ole (2,4 Jahre) erklimmt an der Hand des Vaters im Treppenhaus alle Stufen bis zur ersten Etage, macht dann auf dem Absatz kehrt und »führt« ihn die Treppe wieder hinab. Es folgen mehrere Auf- und Abstiege. Anna (3 Jahre) steht auf einer Fußbank vor dem Waschbecken und reibt sich ihre Hände unter lauwarmem Wasser. Obwohl sie längst sauber sind, dauert die Beschäftigung eine gute halbe Stunde an. Kevin (5,6 Jahre) kommt wiederholt zur Erzieherin gelaufen. Er berichtet ihr davon, was andere Kinder gerade getan haben, häufig verbunden mit der Frage: »Darf der/?die das?« Eva (1,11 Jahre) reagiert in letzter Zeit oft mit Unruhe oder Heulen darauf, wenn die Kuscheltiere an ihrem Bett nicht in der »richtigen« Reihenfolge sitzen oder wenn die Eltern am Abendbrottisch die gewohnten Plätze tauschen. Paul (3,5 Jahre) fragt in den letzten Tagen fast jeden, den er trifft, ob er ein Junge oder ein Mädchen sei. Maren (5,1 Jahre) versucht seit gestern, jedes geschriebene Wort in ihrer Umgebung zu entziffern. Es fällt auf, dass sich diese Kinder sehr intensiv mit einer Sache beschäftigen und ihre Handlung oft wiederholen, auch wenn aus der Sicht des Erwachsenen ein bestimmter Zweck längst erreicht ist. Ihr ganzes Interesse scheint sich auf eine Frage, ein Thema oder einen Gegenstand zu konzentrieren, so dass sie sich völlig einer Aktivität hingeben, während andere Dinge vorübergehend von geringerer Bedeutung sind. Sobald ein bestimmtes Interesse abgeklungen ist, kann etwas Neues in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken. Perioden besonderer Empfänglichkeit Maria Montessori spricht in diesem Zusammenhang von den sensiblen Phasen oder sensitiven Perioden in der Entwicklung des jungen Menschen. Dieser Begriff steht für Zeitabschnitte bestimmter Empfänglichkeiten (Sensibilitäten), die sich durch eine erhöhte spezifische Lernbereitschaft auszeichnen. Sie sind von vorübergehender Dauer und ermöglichen einen relativ mühelosen Erwerb bestimmter Kompetenzen und Eigenschaften. Montessoris Theorie der sensiblen Phasen stellt die entwicklungspsychologische Grundlage ihrer Pädagogik dar. Wiederholt bezieht sie sich dabei auf den niederländischen Biologen Hugo de Vries (1848 – 1935) und schreibt: »Der holländische Gelehrte de Vries entdeckte die Empfänglichkeitsperioden bei den Tieren, und uns gelang es in unseren Schulen, dieselben ›sensitiven Perioden‹ auch in der Entwicklung der Kinder festzustellen und den Zwecken der Erziehung nutzbar zu machen. […] Man weiß, daß die Raupen mit großer Geschwindigkeit heranwachsen, gierig fressen und daher Pflanzenschädlinge sind. De Vries verwies nun auf eine Raupenart, die sich während ihrer ersten Lebenstage nicht von den großen Baumblättern, sondern nur von den zartesten Blättchen an den Enden der Zweige zu nähren vermag. Nun legt aber der Schmetterling seine Eier gerade an der entgegengesetzten Stelle, nämlich dort, wo der Ast aus dem Baumstamm hervorwächst, denn dieser Ort ist sicher und geschützt. […] [D]ie Raupe ist mit starker Lichtempfindlichkeit begabt; das Licht zieht sie an, fasziniert sie. So strebt die junge Raupe mit ihren charakteristischen Sprungbewegungen alsbald der stärksten Helligkeit zu, bis sie am Ende der Zweige angekommen ist, und dort findet sie die zarten Blätter, mit denen sie ihren Hunger stillen kann. Das Seltsame aber ist, daß die Raupe sogleich nach Abschluss dieser Periode, sobald sie sich auf andere Art ernähren kann, ihre Lichtempfindlichkeit verliert. […] Der Instinkt stirbt ab. […] Es ist nicht so, daß die Raupe für das Licht unempfänglich, also im physiologischen Sinn blind geworden wäre; aber sie beachtet es nicht mehr« (Montessori 2009 : 66 f). De Vries’ Entdeckung bezieht sich auf die Metamorphose einer Raupe zum Schmetterling. Montessori übernimmt den Begriff der sensiblen Phasen aus seiner Forschungsarbeit, überträgt ihn auf ihre Beobachtungen hinsichtlich der menschlichen Entwicklung und verwendet ihn zur Kennzeichnung des von ihr beschriebenen Phänomens. Gemäß ihrer Annahme, der Mensch entwickele sich in sensiblen Phasen, entwirft Montessori ein Stufenkonzept, das vergleichbar ist mit denen von Sigmund Freud (1856 – 1939), Jean Piaget (1896 – 1980) oder Erik H. Erikson (1902 – 1994). Motivation von innen heraus Nach Montessori sind sensible Phasen wie seelische Leidenschaften. Heute würden wir in diesem Zusammenhang wohl eher einen Begriff aus der Psychologie verwenden, nämlich den der intrinsischen Motivation, um zu verdeutlichen, dass sich ein Kind in einer...