E-Book, Deutsch, 210 Seiten, Format (B × H): 148 mm x 210 mm, Gewicht: 333 g
Keiner Thea von Harbou: "- ich bleibe - die ich bin!"
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-939988-36-6
Verlag: MEDIA Net-Edition
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Biografischer Entwurf I: 1888-1918
E-Book, Deutsch, 210 Seiten, Format (B × H): 148 mm x 210 mm, Gewicht: 333 g
ISBN: 978-3-939988-36-6
Verlag: MEDIA Net-Edition
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Reinhold Keiner ist Autor von Büchern zur deutschen Filmgeschichte und u. a. Verleger der Hörbuch-Reihen 'Filme zum Hören', 'hörGESCHICHTE' sowie der Buch/E-Book-Reihe 'FILME zum LESEN'.
Zielgruppe
Filmwissenschaft, Literaturwissenschaft, Biografien, Kultur, Film, Geschichte, Medienwissenschaft, Kulturwissenschaft
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Ein Kessel Buntes und der Geist des Llano Estacado
Einleitung von Guido Altendorf
„Und jetzt, dachte er, während er auf dem Deckstuhl lag und grauen Rauch in den Himmel blies und das Meer ihn wiegte, war Thea von Harbou bei den Nazis und Lang, längst geschieden von ihr, war auf dem Weg nach Amerika.”
Peng! Ein Nebensatz in Daniel Kehlmanns Roman „Lichtspiel” (2023) und der Ruf der Thea von Harbou ist ein weiteres Mal ruiniert. Ohne Not, ohne Belang für den Fortgang der Story, ohne Erklärung und Datierung wird das Märchen vom getrennten Ehepaar mit den unüberbrückbaren weltanschaulichen Ansichten fortgeschrieben. Ganz einfach, weil es so gut passt, weil es so schön einfach ist, weil die Schubladen bei allen Halbinformierten so wunderbar weit offen stehen. Und dabei ist die Faktenlage nicht dünn. Dokumente in Archiven geben detaillierte Auskunft, Zeitzeugen erinnerten sich an die Harbou in den braunen Jahren, davor und danach. Alles wäre nachzulesen, aber es erleichtert immer noch, auf ein paar Prominente mit dem Finger zu zeigen, weil es alle anderen Mitläufer, Angepassten und namenlosen Täter so wunderbar entlastet.
National gesinnt, rassistisch und kriegstrunken: Die Vorlagen für diese Reputation hat die Harbou selbst geliefert, in ihren Romanen und Schriften (z. B. „Die deutsche Frau im Weltkrieg”, 1916, „Adrian Drost und sein Land”, 1918). Wilhelm II. nennt sie „eine Prophetin” nach der Lektüre ihrer Novellensammlung „Der Krieg und die Frauen” (1914). Thea von Harbou ist erst 25 Jahre alt. Das huldvolle Kompliment des Kaisers wirkt. Vielleicht für den Rest ihres Lebens?
„Ich trage ein Kleid, auf dem die Embleme all unserer verlorenen Provinzen gestickt sind”, teilt Thea von Harbou 1953 Lotte Eisner auf eine Interviewanfrage hin mit. (Reinhold Keiner, „Thea von Harbou. Die Frau, die METROPOLIS schrieb”) Curt Riess schreibt 1956 über sie: „Aber wenn es zur Politik kommt, dann sieht es in ihrem Kopf gar wirr aus. Von Politik hat sie die Vorstellungen des kleinen Moritz” (Curt Riess, „Das gab’s nur einmal”) – und macht es damit eigentlich nur noch schlimmer. Ein Miteinander der Geschlechter kommentiert sie, 1928 nach sich und ihrem Schaffen befragt: „Ich halte jede Äußerung von mir über mich für groben Unfug. (…) Ich bin die Frau von Fritz Lang – mehr brauche ich Ihnen hoffentlich nicht zu sagen.” („Filmkünstler. Wir über uns selbst”).
Sie macht es einem nicht leicht, diese Thea von Harbou! Waren solche Aussagen Trotz, Wut oder Bekenntnis? Darüber geben Archive keine Auskunft.
Zeitgenössische und heutige Bewertungen verhöhnen ihren Stil, nennen ihn zudem gefährlich. Es ist einfach, sich der Einschätzung des Kritikerpapstes Rudolf Arnheim anzuschließen: „Mittler zwischen Hirn und Händen muß das Herz sein! (…) von Nationalökonomie ist dabei wenig die Rede. Aber es ist ja eine alte Sache, daß sich das Herz im Film sehr vorteilhaft ausnimmt, (…) weil das Adjektivum ‚herzig’ davon abgeleitet werden kann und weil die Sonne darin scheint. Eine Originalschriftstellerin hat etwas vom König Midas: was sie auch anfaßt wird goldig; und kommt sie einmal an einen ernsthaften Stoff, so treibt sie mit Entsetzen Kitsch.” (Rudolf Arnheim, Metropolis, zitiert in: „Kritiken und Aufsätze zum Film”) Oder etwas differenzierter bei Theodor Heuss: „… die kleingeistige Atmosphäre unseres Zeitalters, die das Banale heroisiert, das Heroische ins Mystische stilisiert und das Mystische zur Tragödie erklärt.” (Theodor Heuss, Metropolis, zitiert in: Thomas Elsässer, „Metropolis”) Fritz Lang wird seine Ex-Frau später in Schutz nehmen, maßregelt Journalisten, sogar Lotte Eisner, wenn sie sich an Stil und der Gesinnung der Harbou abarbeiten wollen.
Wie sähe die deutsche Filmgeschichte ohne die Harbou aus? Sie schreibt u. a. für Fritz Lang, Joe May, Friedrich Wilhelm Murnau, Arthur von Gerlach, Ewald André Dupont, Carl Theodor Dreyer, Carl Froelich, Gerhard Lamprecht, aber auch für Veit Harlan, Gustav Ucicky, Wolfgang Liebeneiner, Hans Steinhoff, Josef von Baky, Erich Engel, Herbert Selpin. Sie bedient mühelos verschiedene Genres: Märchen und Legende, Science Fiction, Thriller, Komödie, Melodram, Biopic und Varietéfilm.
Die Filme sind nie formelhaft, sondern immer dem Genre entsprechend makellos gebaut, mitunter ihrer Zeit weit voraus, vor allem die Thriller „Dr. Mabuse der Spieler” (1922), „Spione” (1928) und „Ich war Jack Mortimer” (1935). Sie nutzen in Konstrukt und Szenenaufbau den „Suspense”, lange bevor in Deutschland überhaupt jemand etwas mit dem Begriff anfangen kann. Sie mag das Banale heroisieren, wie es Theodor Heuss anmerkt, aber genau das sichert den Filmen das Interesse des Publikums. Es findet sich in ihnen wieder, mit all den kleinen und elementaren Erlebnissen, seiner Bildung, seinem persönlichen Anteil am Zeitgeschehen.
Das ist stets genreübergreifend: Krieg, Hunger und Not sind Thema in den „Nibelungen” wie auch im nationalen Erbauungsfilm „Annelie” (1941). Inflation, der Mord an Walther Rathenau, die Olympiade finden kaum kaschiert oder direkt Eingang in erfundene Geschichten („Dr. Mabuse der Spieler (1922), „Spione” (1928), „Der Läufer von Marathon” (1932)) und rufen das Wissen der Zuschauer darüber ab. Religiöse Topoi und Märchenmotive durchziehen eine Vielzahl ihrer Filme: das Gleichnis vom verlorenen Sohn – „Metropolis” (1927), der Tod und das Mädchen – „Der müde Tod” (1921), die Schöne und das Biest – „Elisabeth und der Narr” (1934) und so weiter. Das sind bekannte Konstruktionen. Auch wenn die entsprechenden Verweise nicht sofort erkannt werden, sind sie in der deutschen Seele tief eingebrannt.
Die Harbou ist eins mit ihrem Publikum, nur dass sie die Dinge etwas besser sortieren, kreativ ausgestalten und pfiffig nutzen kann – zur Erbauung, Bestätigung, Aufklärung, Bewusstmachung, Seligsprechung und Absolution, aber nie zur Belehrung. Sie serviert einen Kessel Buntes, in dem für jeden etwas Bekanntes, Vertrautes schwimmt, wie auch ihre eigenen privaten und beruflichen Erfahrungen, ihre Bildung und die Kunst der Routine. Man kann Thea von Harbou aus heutiger Sicht mit Fug und Recht eine postmoderne Drehbuchautorin nennen und dabei praktizierte sie zu einer Zeit, als es Drehbuch-Regeln noch gar nicht gab, von Postmoderne ganz zu schweigen.
Das effiziente Erzählen über allbekannte Stereotype ist bei ihr ein sorgfältig ausgearbeitetes Gangliensystem von Figuren und Situationen, die die Hirne der Zuschauenden aktivieren und fordern. Das ist nicht öde, klischiert oder eine Häufung von Plagiaten, sondern immer spannend, weil man das Geschehen im Geiste miterzählt, ergänzt, verwirft oder sich damit identifiziert.
Unzählige ihrer Drehbücher sind Adaptionen fremder Romane und Theaterstücke. Von den 1920ern bis in die 1950er Jahre ist sie Spezialistin für die kinogerechte Einrichtung solcher Werke. Und hierbei ist Thea von Harbou eine effiziente Arbeiterin. Sie strafft und entschlackt die Vorlagen in Hinblick auf einen 90-Minuten-Film, filtert aus weitschweifigen Romanen kausal gebaute, übersichtliche, nach dramatischen Prinzipien gebaute Szenarien. Bühnenwerke werden für das neue Medium „gelüftet”, das nach raschem Tempo und kurzweiligen Schauplatzwechseln verlangt.
Der vorliegende Band zeichnet Thea von Harbous Kindheit, Jugend und ihr Leben als junge Erwachsene nach. Schnell setzt sich für den Leser zusammen, worauf sich die spätere Meisterschaft gründet: Es sind vor allem ihre Jahre an verschiedenen Provinztheatern als Schauspielerin. Die ungeheure Fülle der Stücke, in denen sie auftrat – vom Schwank bis zur hehren Klassik –, haben offenbar ihr Gespür für Wirkung, Dramaturgie und Interaktion mit dem Publikum geschärft. Die junge Dame konzentrierte sich keineswegs auf emotionale Affekte, sondern offenkundig reifte sie parallel zu ihrer Schauspielkarriere, stets wissensdurstig, zur autodidaktischen Theater- und Literaturwissenschaftlerin.
Bereits 20jährig hielt sie Vorträge über spätklassische und moderne Literatur, schriftstellerte seit ihrer Kindheit: Lyrik, Humoresken, Novellen und legte schließlich mit 16 Jahren einen ersten Roman vor. Lange bevor sie mit dem Filmbetrieb in Kontakt kam, konnte sie beim Schreiben auf einen ungeheuren Fundus an Wissen und praktischen Erfahrungen zurückgreifen. Auch privat: Der Vater war meistens abwesend und mehr oder weniger musste Thea von Harbou mit ihren Aktivitäten nicht nur sich selbst, sondern auch Mutter und Großmutter ernähren. Wir haben es demnach ganz und gar nicht mit dem Zeitvertreib eines adligen Fräuleins zu tun, sondern mit harter Arbeit und dem ernsthaften Interesse an ihr. Es ist nicht überraschend, dass es in Harbous Werk mehrere Filme über selbstständige, berufstätige und vor allem erfolgreiche Frauen gibt: „Die unmögliche Frau” (1936), „Die Frau am Scheidewege” (1938), „Clarissa” (1941), die im Kontext ihrer Entstehungszeit als außergewöhnlich gelten dürfen.
Und da ist noch etwas Anderes, Wichtiges. Vielleicht Schicksal – der magische Ort Radebeul in Sachsen, von dem aus sich der Geist des Llano Estacado über die ganze deutsche Nation ausbreitete. Im heutigen Ortsteil Niederlößnitz wächst Thea von Harbou auf. In der Nachbarschaft wohnt nicht nur die Schriftstellerkollegin Wilhelmine Heimburg, die Nachfolgerin der sehr viel gelesenen Autorin E. Marlitt, sondern in Oberlößnitz, später in Radebeul-Ost, auch Karl May. Jener Karl May öffnete den Deutschen mit seinen Romanen die Welt und nahm diese Welt gleichsam für die Deutschen in Besitz, nicht gewalttätig, aber...