E-Book, Deutsch, 216 Seiten
Hutter / Langasch Sind wir noch zu retten?
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7015-0633-0
Verlag: Orac
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Plastik, Feinstaub & Co. – was wir über Umwelteinflüsse und ihre Gesundheitsrisiken wissen sollten
E-Book, Deutsch, 216 Seiten
ISBN: 978-3-7015-0633-0
Verlag: Orac
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Pestizide, Feinstaub, Lärm – all das wirkt täglich unbemerkt auf uns und unser Wohlbefinden. Nichterst seit der Corona-Krise ist Gesundheit eines der bestimmenden Themen in der Gesellschaft. Es geht immer öfter um die unmittelbare Belastung, die wir durch unsere Lebensweise in den
Industrieländern in Kauf nehmen – oder sogar selbst herbeiführen. Doch welche Faktoren sind wirklich gefährlich, welche Stoffe schaden uns und wie sollen wir mit ihnen umgehen? Vor welchen Einflüssen müssen wir uns schützen? Welche Rolle spielt die individuelle Entscheidung der Konsumentinnen und Konsumenten? Und was haben Umweltschutz und Klimakrise eigentlich mit gesellschaftlicher Ungleichheit zu tun?
In heiteren und gleichzeitig informativen Gesprächen entlockt die Journalistin Judith Langasch dem Umweltmediziner Hans-Peter Hutter neueste Erkenntnisse und gnadenlose Wahrheiten zu Umwelteinflüssen und stellt die alles entscheidende Frage: Sind wir noch zu retten?
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PLASTIK UND MIKRO-PLASTIK
Leicht, bunt, billig – und schädlich? Kunststoffe sind allgegenwärtig in der Arbeitswelt, im Haushalt, im Auto, bis hin zur Medizin. Überall sind sie nützlich und haben offensichtliche Vorteile. Bei den Nachteilen schauen wir aber gerne weg. INTRO Es fühlt sich etwas anders an, denke ich mir, als ich die Äpfel aus dem Sackerl nehme, das ein großer „Bioplastik“-Aufdruck ziert. Die Zeiten des herkömmlichen Plastiksackerls sind vorbei, verschiedenste Varianten von Papier oder eben Bioplastik warten nun im Supermarkt darauf, als Transportmittel für Obst und Gemüse verwendet zu werden. Ist das so viel besser als herkömmliches Plastik? Fakt ist: Während ich die Lebensmittel ausräume, auspacke und in den Kühlschrank verfrachte, wächst der Müllberg, darunter unzählige Plastikverpackungen – der Mistkübel ist praktisch wieder voll. Ein bisschen schlechtes Gewissen plagt den umweltbewussten Menschen da ja schon, aber mal ehrlich: Wer im herkömmlichen Supermarkt einkauft, hat praktisch keine Chance, verpackungsarm heimzugehen. Weiter geht’s: Das Mineralwasser in den Abstellraum – zugegebenermaßen: Auch das in der Plastikflasche. Hier ist der Gewichtsfaktor entscheidend, mehrere Glasflaschen hätten den Heimweg beschwerlicher gemacht. Die nächste Plastikverpackung wartet darauf, verstaut zu werden: Es ist das Waschmittel. Nachdem ich zumindest den Wäscheberg im Badezimmer selbst bezwingen kann, kommt es auch gleich zum Einsatz. Hemden, Blusen, Sportgewand, die Trommel wird vollgestopft, bei 30 Grad beginnt sich die Ladung zu drehen. Und damit werden tausende Mikrofasern aus den Stoffen freigesetzt und gelangen damit in unsere Abwässer, letztlich in die Meere – und gesellen sich zu weiteren zwölf Millionen Tonnen Plastik, die dort schon schwimmen. Wussten Sie nicht? Will man vielleicht auch gar nicht so genau wissen. Während sich die Wäsche weiterdreht, ist Zeit für ein bisschen Entspannung in der Sonne. Ich verteile die Sonnencreme auf meiner Haut und halte kurz inne. Gut möglich, dass ich gerade Mikroplastik auf meinem gesamten Körper verteile. Ebenso, wenn ich Nagellack oder Lippenstift auftrage – hier isst man das Mikroplastik praktisch auf. Und zwar ganz freiwillig. Mikroplastik in der Natur ist also die eine Sache, Mikroplastik im eigenen Körper eine andere. Sieht es in unseren Blutbahnen also ein bisschen aus wie in den Weltmeeren? Und wenn ja, was bedeutet das eigentlich? Ein nicht besonders angenehmer Gedanke. Ich greife zum Handy und wähle. „Hutter hier!“, sagt der Mediziner, der keine einzige Nummer im Telefon speichert und sich komplett auf sein Zahlengedächtnis verlässt – er hat auch meine erkannt. 1 PLASTIK
Zunächst einmal: Was ist dieses Plastik eigentlich, von dem wir praktisch komplett umgeben sind? Kunststoffe – also das, was wir gemeinhin als Plastik bezeichnen – bestehen aus (halb-)synthetisch erzeugten Polymeren mit organischen Gruppen. Das klingt jetzt zugegebenermaßen ein bisschen kompliziert, darum belassen wir es bei dieser Erklärung. Was Kunststoff aber vor allem für die Industrie so besonders macht, sind seine technischen Eigenschaften (Formbarkeit, Härte, Elastizität, Bruchfestigkeit, Temperatur-, Wärmeformbeständigkeit und chemische Beständigkeit), die sich durch die Auswahl von Ausgangsmaterial, Herstellungsverfahren und Beimischung von Zusatzstoffen nach Belieben verändern lassen – und damit ist mit Plastik praktisch alles möglich. Ist Plastik eigentlich gleich Plastik, oder gibt es Kunststoff von der gefährlicheren und der ungefährlicheren Sorte? Tatsächlich gibt es zwischen den Kunststoffen durchaus Unterschiede: Polyvinylchlorid, den meisten besser bekannt als PVC, ist aufgrund seiner gesundheits- und umweltschädigenden Wirkung sicher ein klassisches Beispiel für einen sehr problematischen Kunststoff. Demgegenüber ist Polyethylen als eher unproblematisch anzusehen. Generell ist eine einfache Klassifizierung aber eher schwierig und von den Folgen auf Gesundheit und Ökosysteme abhängig. So kann etwa Kunststoffen, bei deren Herstellung die ArbeitnehmerInnen schutzlos bestimmten Schadstoffen ausgesetzt sind, sicher kein gutes Zeugnis ausgestellt werden. Das gilt auch für jegliche Kunststoffprodukte, die in großen Mengen produziert werden und dann als Müll hunderte Jahre in der Umwelt verbleiben. Jetzt wirst du vielleicht sagen: Aber gerade im Medizinbereich werden viele Kunststoffprodukte verwendet. Stimmt. Beim Einsatz in der Medizin geht es einerseits um die Sicherheit der PatientInnen, andererseits um den Umweltschutz und Ressourcenschonung, was ebenfalls zentral im Sinne eines ganzheitlichen Gesundheitsschutzes ist. Das zu gewichten ist häufig sehr schwierig. Plastikprodukte werden aber auch in Krankenhäusern viel zu oft unreflektiert eingesetzt. Allgemein geht es weniger darum, Plastik komplett zu verbannen, als darum, zu überlegen, wo man es tatsächlich braucht und welche Art von Plastik man wofür verwendet – aber auch, auf welche Kunststoffe und Zusätze wir vielleicht verzichten können. „Kunststoffe stellen ein Risiko für Umwelt und Gesundheit dar.“ Folglich gibt es keine einfache Lösung. Man kann nicht sagen, dass Plastik nur Vorteile oder Nachteile hat – es liegt definitiv am Blickwinkel. Ja, Kunststoffe erleichtern den Alltag, teilweise aus Bequemlichkeit, teilweise aus funktioneller Nützlichkeit. Auf der anderen Seite verursachen sie eine Menge an Problemen und stellen ein Risiko für Umwelt und Gesundheit dar. Jetzt habe ich das Handy samt Hülle in der einen Hand, den Kugelschreiber in der anderen und neben mir liegen noch die Kopfhörer. Das kann doch nicht alles gefährlich sein? Welche Stoffe sind es denn genau, die das Plastik „ungesund“ machen, und wie nehmen wir sie auf? Abgesehen von PVC ist oft gar nicht der Kunststoff selbst gesundheitsbedenklich oder sogar gesundheitsschädlich, sondern vielmehr das, was wir dem Kunststoff beimengen. Das sind bestimmte UV-Stabilisatoren, Farbstoffe, Weichmacher oder Flammschutzmittel. Problematisch ist jedenfalls, dass es in jeder dieser Gruppen von Zusatzstoffen eine fast unüberschaubare Anzahl an Stoffen gibt, die hinsichtlich ihrer chronischen Wirkungen praktisch kaum untersucht sind. Und all diese Zusatzstoffe bleiben häufig nicht einfach im Kunststoff, sondern werden wieder freigesetzt und gehen somit in die Raumluft, den Hausstaub oder sogar in Lebensmittel über. Nehmen wir einmal die Weichmacher, so genannte Phthalate: Sie lagern sich bei der Verarbeitung zwischen den Molekülketten des Polymers an und lockern so deren Gefüge auf – sie machen das Plastik damit biegsam und weich. Sie sind aber nicht chemisch gebunden, daher können Phthalatmoleküle an die Oberfläche der Kunststoffpartikel gelangen und von dort auf andere Materialien oder Oberflächen übergehen, wie z. B. von der Verpackung auf das Lebensmittel. Diese Zusatzstoffe können aber auch durch Speichel aus dem Material (z. B. aus Spielzeug oder aus dem berühmten angeknabberten Denker-Kugelschreiber) gelöst werden, oder sie können durch Wärme oder bei Materialermüdung aus dem Material abdampfen, verdunsten und eingeatmet werden. „Es gibt eine fast unüberschaubare Anzahl an Zusatzstoffen, die hinsichtlich ihrer chronischen Wirkungen praktisch kaum untersucht sind.“ Sie können aber auch, über die Haut aufgenommen, direkt in die Blutbahn gelangen, etwa über Infusionsschläuche. So ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass im Rahmen etlicher wissenschaftlicher Studien diese Stoffe oder deren Abbauprodukte (Metaboliten) in Blut und Harn der Bevölkerung nachgewiesen wurden. Einige dieser Stoffe werden rasch und unverändert ausgeschieden, andere werden verstoffwechselt und es entstehen andere Stoffe (Metaboliten), manche wiederum werden im Organismus abgelagert, deswegen kann man auch nicht alle Kunststoffarten über einen Kamm scheren. Demnach muss jeder von uns schon unzählige Plastikpartikel im Körper haben. Und wie beeinflussen die jetzt unsere Gesundheit? Aufgrund der Vielfalt an chemischen Stoffen, die etwa als Zusatzstoffe eingesetzt und aufgenommen werden können, sind natürlich auch die gesundheitlichen Folgen vielfältig. Es wurden bereits verschiedene Effekte auf praktisch alle Organsysteme beobachtet. Bekannt sind Wirkungen auf das Hormonsystem und die Fortpflanzungsfähigkeit sowie auf das Nervensystem und die Atemwege; aber auch Stoffe, die Krebs verursachen können, finden sich unter diesen Chemikalien. Abseits von gesundheitlichen Effekten durch direkten Kontakt mit den entsprechenden Konsumgütern, die häufig in der Öffentlichkeit thematisiert werden, sind andere Folgen weniger bekannt oder werden...