Hirsch / Jörg | Durchlöchert den Status quo! | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 152 Seiten

Reihe: Nautilus Flugschrift

Hirsch / Jörg Durchlöchert den Status quo!

Autonome Zonen, radikale Demokratie und Ökologie
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-96054-394-7
Verlag: Edition Nautilus GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Autonome Zonen, radikale Demokratie und Ökologie

E-Book, Deutsch, 152 Seiten

Reihe: Nautilus Flugschrift

ISBN: 978-3-96054-394-7
Verlag: Edition Nautilus GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die politische Gegenwart ist paradox: Während den meisten Akteur*innen in Politik, Gesellschaft und Bewegungen klar ist, dass angesichts der Klimakatastrophe ein Weitermachen wie gehabt unmöglich ist, ist eine Alternative zum Status quo so unvorstellbar wie noch nie. Die politische Fantasie scheint verödet, das Vakuum der Demokratieverdrossenheit wird von rechts besetzt.
Michael Hirsch und Kilian Jörg starten den Versuch, die linke Vorstellungskraft wieder aufzuforsten – inspiriert von dem in Frankreich beru¨chtigten Konzept der »zu verteidigenden Zone« (Zone à défendre – ZAD). Die beru¨hmte ZAD in Notre-Dame-des-Landes besteht seit u¨ber fu¨nfzehn Jahren als ein aus Verwertungszusammenhängen herausgelöstes Gebiet, in dem mit neuen sozialen Beziehungen, mit neuen Verhältnissen zu Arbeit und Ökologie experimentiert wird. Können diese Erfahrungen auf größere Maßstäbe u¨bertragen werden?
Dieses Buch ist eine radikale Spekulation: Was wäre, wenn der Staat das Potenzial autonomer Zonen erkennen und fördern wu¨rde – statt es zu bekämpfen? Was wäre passiert, hätte man den 30.000 Demonstrierenden in Lu¨tzerath statt Polizeigewalt ein wirkliches Mitspracherecht angeboten? Was wäre, wenn wir dem wachsenden Faschismus mit einer neuen, ernstgemeinten Form der Demokratie begegnen?
Ein Text, der Mut fu¨r zuku¨nftige Kämpfe macht und verdeutlicht, dass hinter der tru¨ben Lethargie des kapitalistischen Realismus noch immer die Möglichkeit einer Vielfalt anderer Welten liegt.

»Michael Hirsch und Kilian Jörg gelingt etwas ganz Erstaunliches: Sie verbinden die wildesten Impulse des französischen Linksradikalismus mit einer soliden, geradezu demütigen Reformperspektive, die den Staat auf Gemeinwohl und Gemeinbesitz verpflichten will. So gilt gleich doppelt: Wir müssen die Revolution nicht erfinden, sondern in Wald und Verwaltung das verteidigen, was das freie Zusammenleben aller ermöglicht.« Eva von Redecker

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2 Mit konkreten Utopien den Status quo durchlöchern
Es ist unserer Einschätzung nach also an der Zeit, ökologische Politik radikaler in die eigene Hand zu nehmen und jenseits des Alarmismus an konkreten utopischen Entwürfen im Hier und Jetzt zu arbeiten. Wir setzen dabei voraus, dass es ein ausreichendes Bewusstsein der katastrophalen Lage in der Gesellschaft, aber zu wenig Möglichkeiten der Erfahrung gibt, die dieses Bewusstsein zum Erstreiten besserer Alternativen lenken könnte. Nur wenn Menschen in Ansätzen erfahren können, wie man auch anders und besser leben kann, wird das angesammelte Bewusstsein zu einem Wandel führen anstatt zu einer weiteren Verhärtung des Bestehenden. Nur so, glauben wir, kann dem (berechtigten) Alarmismus auch ein (benötigter) radikaler Wandel folgen: Es braucht die Arbeit an der Plausibilisierung radikal anderer Lebensweisen, die mehr und mehr Menschen als freud- und hoffnungsvollere Alternativen zum katastrophischen Realismus erscheinen können. Es braucht den Einsatz für konkrete Utopien im Hier und Jetzt, die das imaginäre Begehren nach dem Exodus zur Marskolonie umleiten können zu einem utopischen Umstieg in lebbare Alternativen des ökologischen Commonings auf dieser Erde. Tatsächlich gibt es unterm Radar der Mainstreammedien bereits unzählige historische und gegenwärtige Alternativen, die als Inspiration für solche utopischen Ideen in katastrophalen Zeiten dienen können.3 Unser Buch fokussiert sich vor allem auf ein konkretes Beispiel der jüngeren Aktivismusgeschichte, um davon ausgehend folgende Frage zu stellen: Wie könnte man konkrete Utopien, die im Kleinen bereits realisiert sind, verallgemeinern und für eine Veränderung des bestehenden politischen und wirtschaftlichen Systems fruchtbar machen, anstatt diesem nur im Modus des Widerstands von außen zu begegnen? Als ersten Schritt werden wir das im deutschsprachigen Raum noch viel zu wenig bekannte Konzept der in Frankreich sehr präsenten ZAD – Zone à défendre, »zu verteidigende Zone« – vorstellen und diskutieren. Dieses Konzept hat es in den letzten zwei Jahrzehnten in Frankreich zu einem Status allgemeiner Bekanntheit gebracht, sodass es mittlerweile im französischen Wörterbuch Larousse zu finden ist4 und in den allgemeinen Sprachgebrauch Eingang gefunden hat. »Ein Gespenst geht um in der politischen Klasse Frankreichs: die ZAD«, schreibt so ein*e unter dem Pseudonym Martin Luterre5 publizierende*r Autor*in (2023, 173) in einem aktuellen Buch über die französische Formation Les Soulèvements de la Terre (»Die Aufstände der Erde«). Diese führt trotz gescheitertem Illegalisierungsversuch durch den Staat weiter intensive Massenaktionen gegen Autobahnen, Zementfabriken, Wasserprivatisierungen etc. durch und ruft dabei immer wieder neue ZADs aus. Der Begriff ZAD und dessen neugeschaffene Verbform zadisier (»zadisieren«) taucht allerorts in Frankreich auf – von den Gelbwesten über die großen Proteste um das Renten- und Gesundheitssystem bis ins Parlament, wo man der Linksaußen-Partei La France Insoumise vorwirft, durch ihre radikale Politik das Parlament zu »zadisieren«. Sogar die Streikbrechereinheit CRS der französischen Polizei hat mittlerweile eine eigene cellule anti-ZAD (»Anti-ZAD-Einheit«) eingerichtet mit dem erklärten Ziel, jegliche Form von ZAD aufzulösen und in Zukunft zu verhindern. Panik herrscht unter den Vertreter*innen des Status quo in der Republik, genauso wie Hoffnung und Motivation unter Aktivist*innen vom Konzept der ZAD gebündelt werden konnten. Dieses Phänomen erscheint uns aktuell als einmalig in Europa (und weckt am ehesten Assoziationen an die Befreiungskämpfe in Rojava und Chiapas): Ein potentiell revolutionäres Projekt hat allgemeine Bekanntheit in einem Land erreicht und so das Mantra des »There is no alternative« des Status quo ins Wanken gebracht. Noch bedeutet ZAD für die meisten Französ*innen eher so etwas wie »bedrohliches Chaos« und ist (bisher) mit wenig Hoffnung konnotiert. Doch es hat sich bereits ein reicher Korpus an Comics, Graphic Novels, Rap-Songs, Filmen, Büchern und medialer Berichterstattung über die ZAD als positive Transformationsmöglichkeit herausgebildet, der eine kritische Masse und vielleicht sogar noch viel mehr Leute erreichen und potentiell mobilisieren kann. Le futur est une ZAD (»Die Zukunft ist eine zu verteidigende Zone«) ist ein Slogan, der als Gespenst über dem Status quo Frankreichs hängt und – in unserer optimistisch gewagten These – ein Transformations- und Revolutionspotential in sich tragen könnte. Wir möchten in diesem Buch diese These ausformulieren und so dem Projekt des Zadismus, dem Programm ZAD Partout! (»ZAD überall!«) zu mehr Bekanntheit auch außerhalb Frankreichs verhelfen. Wir waren nicht selbst an den konkreten territorialen Kämpfen um die erste und erfolgreichste ZAD in Notre-Dame-des-Landes im Nordwesten Frankreichs beteiligt und erfuhren erst über aktivistische Kreise und über die diversen Quellen, die wir in diesem Buch heranziehen, von der Existenz und dem Erfolg der ZAD. Inzwischen waren wir dort mehrmals zu Besuch, den Anstoß zu diesem Buch gab jedoch weniger die Auseinandersetzung mit jenem konkreten Ort als die mit dem ökopolitischen Modell der ZAD. Dieses Bild der ZAD speist sich großteils aus positiven Erzählungen und spürbaren Potentialen, wobei wir nicht unterschlagen wollen, dass auf dem Weg ihrer Verwirklichung diverse Akteur*innen abgesprungen sind. Manche von ihnen bezeichnen die heutige ZAD als ein Scheitern oder gar einen Verrat (siehe Kapitel 14) – selbst einige unserer Gesprächspartner*innen, die weiterhin dort leben. Auch gibt es viele Zadist*innen, die unser hier entwickeltes Programm als hoffnungslos naiv und utopisch bezeichnen würden. Wir glauben jedoch, dass in scheinbar naiven Utopien eine wichtige politische Kraft steckt. Denn unseres Erachtens ist die tote Zone der Vorstellungskraft eine der Hauptblockaden für echte Transformation. Es ist immer leicht (und »realistisch«), in die Hoffnungslosigkeit zurückzufallen, und auch uns passiert dies regelmäßig. Unser Buch versucht einen anderen Weg: Es möchte dazu beitragen, einen in der ZAD aufblitzenden utopischen Horizont zu verstärken und aufzuwerten, um der gegenwärtigen Depression zarte Waffen entgegenzustrecken. Wir nennen unsere Vorgehensweise »strategischen Optimismus«, mit dem die potentielle Übersetzbarkeit der utopischen Impulse des Zadismus in eine progressive Politik untersucht werden kann. Primär geht es uns also darum, aus diesem französischen und noch eher lokalen Konzept der ZAD einen Anstoß für jene allgemeine utopische Vorstellungskraft zu entwickeln, welche so schmerzlich fehlt. Dafür, glauben wir, braucht es Modelle und Taktiken, um nicht nur den radikalen, sondern auch manchen gemäßigteren Akteur*innen innerhalb der bestehenden Ordnung ein utopisches Auswegszenario anzudeuten. Wir möchten also das neue Gespenst der ZAD auch auf Deutsch zu fassen versuchen und für ein größeres politisches Projekt der utopischen Handlungshorizonte in einer Zukunft mit katastrophalen Tendenzen fruchtbar machen. Die ZAD dient uns als Prisma, durch das wir die gegenwärtige Lage handlungsermächtigend denken können. Ausgehend von ihr spekulieren wir weit über sie hinaus und formulieren utopische Reformen des Bestehenden, die als erster Schritt eine radikale Transformation begünstigen könnten, indem sie die Alternativen sichtbarer und realistischer erscheinen lassen. Wir denken über die Herausforderungen und Möglichkeiten nach, sich in der aktuell herrschenden Form von Demokratie und angesichts der Krise weiterzuentwickeln, um nicht nur kurzfristige Antworten auf die Krise umzusetzen (was wohl strukturell immer zu spät passieren wird), sondern auch ein besseres, ökologisches Leben in der Zukunft schon heute institutionell zu fördern und in Wert zu setzen. Unser Hauptinteresse ist also, die Ökologie als politisches Projekt aus ihrem bisher herrschenden Kontext des Sparens, Verzichtens, Leisertretens und Hausaufgabenmachens zu befreien und als gesamtgesellschaftliches Utopieprojekt für eine Vielfalt von bunten und gedeihenden Lebensformen zu formulieren. Ökologie kann auch von Freude, Lust und Kampfeswillen für das Bessere getragen werden. Hierbei hat uns die ZAD viel gelehrt: nicht zuletzt, dass die Definition des besseren Lebens mit der Rückeroberung eines spezifischen Territoriums und dem Aushandeln der Lebensweise darauf konkret werden kann. Für dieses Projekt möchten wir uns der bislang wenig behandelten Frage widmen, inwiefern die aktivistischen Mikropolitiken der ZAD eine Allianz mit progressiven Akteur*innen in der etablierten Politik eingehen könnten, um einen größeren Wandel zu ermöglichen. Gibt es eine Möglichkeit, die ZAD nicht nur gegen »den Staat« und »die Politik« zu denken (wie das in den meisten anarchistischen Kreisen der Fall ist)? Könnte die ZAD eine Art politisches Programm für einen Staat werden, der sich seiner massiven institutionellen Gelähmtheit bewusst ist und der bereit ist, Auswege aus dieser zu suchen? Kann sich so vielleicht eine der Klimakatastrophe gemäße Idee von gesellschaftlichem Fortschritt herausbilden, selbst wenn dies zu einem teilweisen, aber gesunden Aufgeben von Kompetenzen und Machtmonopolen des Staates führt?6 Kann also die herrschende Staatsform dazu gebracht werden, sich selbst zu durchlöchern, indem immer mehr Akteur*innen in ihr erkennen, dass sie, in Verbindung mit dem Kapitalismus, den Planeten erstickt? Da die großen linken...


Michael Hirsch, geboren 1966, ist Philosoph, Politologe und Kunsttheoretiker. Er lehrt Politische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Siegen und lebt als freier Autor in Mu¨nchen. Zuletzt erschien »Kulturarbeit. Progressive Desillusionierung und professionelle Amateure« (Textem 2022).
Kilian Jörg, geboren 1990 in Wien, arbeitet theoretisch, ku¨nstlerisch und aktivistisch zur ökologischen Katastrophe. Veröffentlichungen zu Clubkultur, dem Automobil, dem politischen Backlash und anderen Religionen des Toxischen.



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