E-Book, Deutsch, 672 Seiten
Heyer Studien zu Wolfgang Harich
2. Auflage 2016
ISBN: 978-3-7412-1560-5
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Zweite, völlig überarbeitete und erweiterte Auflage
E-Book, Deutsch, 672 Seiten
ISBN: 978-3-7412-1560-5
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die zweite Auflage der Studien zu Wolfgang Harich enthält 13 Aufsätze des Autors, die in den letzten Jahren entstanden sind. Darunter Studien zu den Debatten um Hegel und um die Logik, zu Harichs wissenschaftlichen Forschungsschwerpunkten sowie zu seinen ökologischen Überlegungen der 70er und 80er Jahre.
Andreas Heyer, Dr. phil., Jahrgang 1974. Er arbeitet zu den politischen Utopien der Antike und der Neuzeit sowie zur Epoche der französischen Aufklärung. Seit 2012 ist er der Herausgeber der 'Nachgelassenen Schriften Wolfgang Harichs'. Der erste Band dieser Edition erschien 2013 unter dem Titel 'Hegel zwischen Feuerbach und Marx'. Zahlreiche Monographien und Aufsätze zu den genannten Forschungsschwerpunkten sowie zur Philosophiegeschichte der DDR.
Autoren/Hrsg.
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Harichs Weg zu einem undogmatischen Marxismus, 1946-1956
1. Einleitung
Harichs schriftstellerisches und philosophisches Lebenswerk entstand in den fünfzig Jahren zwischen 1945 und 1995. Dabei sind vor allem die großen Ereignisse, die sein Leben prägten und Handeln bestimmten, heute noch präsent. Zuvorderst ist natürlich das politische Engagement im Jahr 1956 zu nennen, das zu Harichs Verhaftung führte. Zusammen mit Walter Janka, Manfred Hertwig, Bernhard Steinberger, Gustav Just, Heinz Zöger und Richard Wolf hatte er eine Reform der Verhältnisse der DDR angedacht – ein Plan, der ihn für mehrere Jahre ins Zuchthaus nach Bautzen brachte. Gerade mit Blick auf diese leidvolle Erfahrung war es ein mutiger und sicherlich für manche überraschender Schritt, dass Harich nach der Wende den Vorsitz der Alternativen Enquête-Kommission Deutsche Zeitgeschichte übernahm, die sich der einseitigen Analyse der DDR-Geschichte entgegenstellte. Harichs Frau berichtete in ihren Erinnerungen, welch teilweise grotesk anmutende Angst er vor der Staatssicherheit hatte.12 Doch nun ging es ihm nicht um eine nachträgliche Bestrafung der DDR-Führung, sondern, im tatsächlichen Wortsinn, um Aufarbeitung der Vergangenheit. Was für den Osten zutreffe und von diesem verlangt werde, müsse auch für den Westen zur Geltung kommen – so Harichs Credo nach der Wende.13 Ebenfalls im kollektiven Gedächtnis erhalten ist Harichs Kampf gegen Friedrich Nietzsche. Spätestens nach dem Erscheinen des Nietzsche-Artikels von Heinz Pepperle in der Sinn und Form setzte er alle Mittel seiner Sprache, seiner Polemik und seiner ideengeschichtlichen Kenntnisse ein, um gegen die sich anbahnende Nietzsche-Renaissance in der DDR zu argumentieren.14 Eine Auseinandersetzung, die in der 1994 publizierten Streitschrift gegen Nietzsche ihren Höhepunkt fand. 15 Harich wurde mit seiner lautstarken Nietzsche-Kritik zum Feindbild einiger DDR-Schriftsteller (allen voran Stephan Hermlin), die in der Annäherung an Nietzsche ein Signal für die Öffnung der kulturellen und intellektuellen Grenzen sahen.16 Das trug erheblich zu seiner Isolation bei. Wie kaum ein anderes Gebiet zeigt diese Beschäftigung Harichs seinen Begriff des literarischen und philosophischen Erbes in der DDR. Wir werden darauf zurückkommen. Hier kann der Hinweis genügen, dass Nietzsche für Harich vor allem eines war: Der ideologische Wegbereiter des Nationalsozialismus17, der der reaktionären Philosophie des Bürgertums die entscheidenden Komponenten beigegeben habe – „die Abtötung des Gewissens.“18 Ein drittes Themenfeld, mit dem Harichs Name bis heute verbunden ist, stellt die ökologische Frage dar. 1975 legte er Kommunismus ohne Wachstum vor.19 Ein Werk, das erstmals die ökologische Frage in der DDR thematisierte. Darüber hinaus begründete die Schrift in der DDR den Diskurs der politischen Utopie. Harich forderte einen wachstumslosen Kommunismus, da angesichts der ökologischen Frage die Zukunftsgesellschaft keinen Überfluss verteilen könne. Ganz im Gegenteil gehe es um das Überleben aller auf der Basis gedrosselter Bedürfnisse. Die Wahl stehe zwischen Öko-Kommunismus und Öko-Faschismus.20 Die Ökologie wurde neben der Verwirklichung der Deutschen Einheit zu Harichs Hauptthema. Sie führte ihn zu den Grünen in Österreich und der Bundesrepublik, motivierte eine Vielzahl kleiner Schriften und Aufsätze (die die Ökologie in größere Zusammenhänge einbettete, zum Bsp. eine umfassende Friedenspolitik21) und sorgte etwa dafür, dass er die Weihnachtstage des Jahres 1989 mit der Abfassung eines Programmentwurfs für die neugegründete Partei Die Grünen der DDR verbrachte.22 Neben diesen großen Themenkreisen steht eine Vielzahl von kleinen Texten, Thesen, Polemiken und Kämpfen, die Harichs Leben über die Jahre hinweg begleiteten. Ihre verbindende Klammer, über alle internen Differenzen hinweg, wird durch Harichs Selbstverständnis als Marxist gebildet. Eine Beschreibung, die ihm sicherlich auch von außen zuzubilligen ist. Neben Georg Lukács und Ernst Bloch hat er die Entwicklung der marxistischen Philosophie in Deutschland im 20. Jahrhundert maßgeblich geprägt. Anders als bei diesen waren seine Arbeitsgebiete jedoch weitaus vielfältiger. Neben zahlreichen Studien zu einer erneuerten Literaturwissenschaft arbeitete er auch im Rahmen der Begründung einer marxistischen Ästhetik und Anthropologie, mischte sich direkt ins politische Tagesgeschäft ein, wirkte als Feuilletonist und, nicht zu vergessen: Harich beobachtete wie kaum ein anderer den jeweiligen Zeitgeist, um ihn entweder zu artikulieren oder zu bekämpfen. Es ist sicherlich kaum überraschend, dass Harichs Annäherung an den Marxismus ein immerwährender und sich permanent selbst überprüfender Prozess war. Dabei kommt gerade der frühen Phase seines Denkens eine herausragende Bedeutung zu. Zwischen 1945 und 1956 verfasste er zahlreiche Zeitungsartikel, Aufsätze, weitere Schriften und wirkte als Redner, Journalist, Herausgeber und Organisator. Innerhalb dieser Bandbreite lässt sich eine Entwicklung erkennen, die Gegenstand dieses Referats ist. Bei seiner Thematisierung der Verdienste Harichs um die Idee der Deutschen Einheit schrieb Alexander Amberger: „Er wurde vom Bürgersohn zum Stalinisten, engagierte sich dann für die Entstalinisierung und mehr Meinungsstreit, um später wieder zum Fürsprecher des demokratischen Zentralismus zu werden. Er war kein Opportunist, aber auch kein bewusster Dissident.“23 Gegen Ende der 40er Jahre verfasste Harich mehrere Texte, die explizit die offizielle Position der Sowjetunion, der entsprechenden Politik in der SBZ und der sich herauskristallisierenden Herrschafts- und Ideologiestrukturen der späteren DDR vertraten. Teilweise ging Harich sogar noch über die offizielle Linie hinaus. Es lässt sich als Hypothese formulieren, dass Harich gerade im Vorfeld der Gründung der DDR sowie in den ersten Jahren des Staates ein enges Verhältnis zu den herrschenden Personen ebenso hatte24 wie zu deren politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Plänen. In dem Kapitel Auf Linie werden einige der Facetten seines Eintretens für die grundlegend andere Politik der SBZ und der DDR beleuchtet. „Grundlegend anders“ bedeutete für Harich, dass SBZ und DDR einen großen Bruch markieren sollten. Einerseits mit dem Nationalsozialismus und andererseits mit der entstehenden Bundesrepublik. Eben dies erklärt sicherlich zu einem gewichtigen Teil seine Anbindung an die sozialistische Neuorientierung. Allerdings änderte sich Harichs Denken schnell. Innerhalb weniger Jahre ging er an verschiedenen Punkten auf Distanz zur offiziellen Linie. Es kam zu heute messbaren Emanzipationsprozessen, d. h. Harich wendete sich an verschiedenen Stellen von der DDR, ihrer Ideologie und auch seinen früheren Überlegungen ab. Die Entfernung Harichs von der Politik der DDR war beiderseitig motiviert. Die SED, ihre Institutionen und führenden Personen kamen zu Positionen, die Harich nicht mehr mittragen konnte. Und auf der anderen Seite entwickelte er Konzeptionen, die er sich an konkreten Quellen und mit spezifischen Fragestellungen erarbeitet hatte, die nun aber nicht mehr mit der offiziellen Politik kompatibel waren. Im Prinzip lässt sich die Emanzipation Harichs darauf zurückführen, dass die SED begann, Meinungen und Ansichten zu dogmatisieren, während Harich in immer größerem Maße die Freiheit des Künstlers, Wissenschaftlers und jedes denkenden Menschen verteidigte. Im Kapitel Gegen den Strom wird diese Entwicklung näher beleuchtet. Von dieser intellektuellen Neuausrichtung Harichs war es nur ein kleiner Schritt zur offenen Ansprache der Differenzen. Das Kapitel Gegen die Partei beschäftigt sich mit diesen Versuchen der Artikulation, die unter der Maßgabe standen, die DDR verbessern zu wollen. Harich sah sich nicht als Oppositioneller, sondern als Marxist und Kommunist. In diesem Sinne dienten seinem Selbstverständnis nach auch DDR-kritische Handlungen und Werke nicht der Opposition oder Revolution, sondern der Reform. Das betrifft seine Schriften in der Nähe des Arbeiteraufstandes von 1953 ebenso wie den Kampf um die Logik oder die Debatten um Hegel. Auch die Reformschriften des Jahres 1956 wollten vor allem eines – dabei helfen, eine trag- und lebensfähige Alternative zur westlichen Welt zu ermöglichen. Natürlich sind die Grenzen zwischen den beiden Kapiteln fließend. Aber es sind eben doch qualitative Unterschiede feststellbar. 2. Auf Linie
1949 machte Harich Hannelore Schroth das schönste Kompliment, das ein Kommunist in der damaligen Zeit zu vergeben hatte: „Ich lebe nur noch für Stalin und für Dich.“25 Nun soll diese Formulierung Harichs hier nicht überbewertet werden, handelt es sich doch um eine seiner typischen Überspitzungen. Ja, es ist explizit darauf zu verweisen, dass sich...