E-Book, Deutsch, 337 Seiten
Heussler Kunst ist weiblich!
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-8062-4653-7
Verlag: wbg Theiss
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine andere Kunstgeschichte von Artemisia Gentileschi bis Yoko Ono
E-Book, Deutsch, 337 Seiten
ISBN: 978-3-8062-4653-7
Verlag: wbg Theiss
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Carla Heussler studierte Germanistik und Kunstgeschichte in Erlangen und Stuttgart und promovierte über ein Thema aus der Frühen Neuzeit. Sie ist freie Autorin, Kuratorin sowie Dozentin. In zahlreichen Publikationen und Ausstellungsprojekten setzte sie sich mit Künstlerinnen und ihrer Ausbildungs- und Lebenssituation zwischen Renaissance bis heute auseinander.
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KLOSTER ODER FAMILIE
Künstlerinnen in Renaissance, Barock und Rokoko
Erst für das 16. Jahrhundert lassen sich die ersten namentlich nachweisbaren Künstlerinnen finden, denen tatsächlich auch Werke zugewiesen werden können. Dabei fällt auf, dass es für eine Ausbildung und ein Dasein als Bildhauerin oder Malerin letztlich nur zwei Möglichkeiten gab: das Leben im Schutz des Klosters oder das Dasein als vom Vater ausgebeutete Künstlertochter, deren Name und Werk nur selten ans Licht der Öffentlichkeit gelangte. Daneben existierten einige wenige Künstlerinnen als Ausnahmeerscheinungen, die weder dem einen noch dem anderen Kontext zuzurechnen waren. Zwar förderte der in der Renaissance auftretende Humanismus, der allen Menschen – seien es nun Männer oder Frauen – eine Entwicklung und Ausbildung nach den vorhandenen Möglichkeiten zugestand, das Aufkommen von Künstlerinnen. Doch in der Regel stammten diese Malerinnen oder Bildhauerinnen aus einigermaßen wohlhabenden und gebildeten Kreisen, Künstlerinnen aus dem einfachen Volk konnten nicht nachgewiesen werden.
Eine der ersten Bildhauerinnen: Properzia de’ Rossi
Dass es überhaupt möglich ist, Künstlerinnen aus dem 16. Jahrhundert zu entdecken, ist Giorgio Vasari, einem der frühen Kunstschriftsteller, zu verdanken. Allerdings erwähnte er erst in der zweiten Ausgabe seiner „Lebensbeschreibungen berühmter Maler, Bildhauer und Architekten“ von 1568 erstmals Künstlerinnen. Weshalb er dort über sie berichtete, hing vermutlich mit der damals zunehmenden Verbreitung des Humanismus zusammen, der nun auch Frauen Talente zuerkannte. Dementsprechend stellte Vasari seinem Kapitel über Künstlerinnen eine allgemeine Lobrede auf die Frauen voran. Überraschenderweise handelt es sich bei einer der ersten Frauen, von denen er berichtet, um eine Bildhauerin: Properzia de’ Rossi. Ihr Porträt am Beginn des Kapitels zeigt sie mit einem Schleier. War sie also eine Nonne oder eine züchtige verheiratete Frau? Und es überrascht nicht: Weder ein Lehrer noch eine Ausbildungsstätte sind bekannt. Erstaunlicherweise hat sie weiblich zarte Hände, obwohl sie handwerklich arbeitete und wohl auch noch andere Künste beherrschte. Zunächst soll sie religiöse Szenen in Kirschkerne geschnitzt und sich dann der Arbeit mit Marmor zugewandt haben, was für Frauen des 16. Jahrhunderts kaum vorstellbar war. Denn die harte körperliche Arbeit traute man Frauen nicht zu, sie war den Männern vorbehalten. Um Aufträge zu bekommen, benötigte Properzia de’ Rossi dann auch männliche Unterstützung: So „frug sie durch ihren Mann bei den Kirchenvorstehern an“1, um Aufträge für Skulpturen an der Fassade der Kirche San Petronio von Bologna zu erhalten, die eine der größten Kirchen Italiens werden sollte. Es handelte sich also um ein äußerst prestigeträchtiges Unterfangen, bei dem die Anfrage durch eine Frau sicher abgelehnt worden wäre. Vermutlich musste sie daher, um als Bildhauerin überhaupt in Betracht gezogen zu werden, Proben ihrer Arbeit vorlegen, obwohl sie bereits Porträtbüsten für Santa Maria del Baraccano angefertigt hatte und somit keine Unbekannte war. Sie galt – trotz des unpassenden Metiers – als sehr talentiert, und so beschrieb Vasari durchaus begeistert das von ihr geschaffene Marmorrelief „Joseph und Potiphars Weib“ .
Nach der biblischen Erzählung war es Joseph, der von seinen Brüdern nach Ägypten verkauft worden war, gelungen, von Potiphar, einem hohen Beamten des Pharaos, zum Hausverwalter eingesetzt zu werden. Die Frau des Potiphars versuchte nun, den gutaussehenden jungen Mann zum Ehebruch zu verführen. Die Frau ist bei dieser Geschichte die aktiv Handelnde, was Properzia auch beeindruckend schildert: Energisch packt diese den fliehenden Joseph an seiner Tunika, wobei ihre üppigen wogenden Brüste entblößt werden – eine Szene von packender erotischer Spannung, die so gar nicht den Konventionen der Zeit entsprach. Vielleicht war genau dies einer der Gründe, warum das Relief damals nicht an der Fassade von San Petronio angebracht worden ist. Vasari strickte eine romantische Legende, nach der die Szene des Reliefs in Verbindung zur unerwiderten Liebe der Künstlerin zu einem hübschen Jüngling stehen soll. Demnach habe sie mit der Darstellung von Joseph und Potiphars Weib auch die eigene unerfüllte Liebe verarbeitet. Vasari suggeriert damit, dass gerade die eigene leidvolle Erfahrung Properzia erst in die Lage versetzte, ein solch herausragendes Relief zu schaffen. Die unterstellte eigene Zurückweisung hätte hier jedoch zu einer biblischen Szene mit deutlicher moralischer Botschaft geführt. Gerichtsakten aus Bologna berichten dagegen: Ganze zweimal sei sie mit dem Gesetz in Konflikt geraten, weil sie den Garten eines Nachbarn verwüstet und einen Künstlerkollegen mit Farbe bespritzt haben soll. Zudem gab es eine Klage, in der Properzia öffentlich als Kurtisane diffamiert wurde. Mit dieser Klage in Zusammenhang stand tatsächlich ein junger Mann aus der Familie der Malvasia, der später eine Frau aus seiner Gesellschaftsschicht ehelichte.2 Legende oder Wahrheit? Dies lässt sich heute nicht mehr feststellen, doch wird offensichtlich, dass eine Frau mit ungewöhnlichem Beruf mit einem gewissen Unverständnis betrachtet wurde und sie häufig Anfeindungen ausgesetzt gewesen sein muss. Letztlich lautete aber Vasaris Urteil: „Sie war wunderschön von Gestalt, sang und spielte entzückender, als irgendeine ihrer Zeitgenossinnen in Bologna.“3
1Properzia de’ Rossi, Joseph und Potiphars Weib, 1525/26, Marmor-Relief, Museo di San Petronio, Bologna
Ausbildung im Kloster: Die malende Nonne Pulisena Nelli
Wesentlich einfacher und auch unspektakulärer war es da, im festgefügten Klosterverband künstlerisch zu arbeiten. Die ausgeübte Profession stand dort ganz im Dienste Gottes, und so konnte ihr auch von einer breiteren Öffentlichkeit mit mehr Akzeptanz begegnet werden. Zudem brachte der Eintritt in ein Kloster den Vorteil, sich nicht um eine mögliche Ehe, Kinder oder gar ein eigenes Heim kümmern zu müssen. Hier entstand ein Freiraum dafür, künstlerischen Neigungen nachzugehen.
So weiß Vasari auch von der malenden Nonne Suor Plautilla, die mit bürgerlichem Namen Pulisena Nelli (1524–1588) hieß, zu berichten. Die Malerin stammte aus einer der bekannten und wohlhabenden Florentiner Familien. Nach dem Tod ihrer Mutter hatte ihr Vater, der Kaufmann Piero di Luca Nelli, erneut geheiratet und somit eine neue Familie gegründet. Vermutlich auch um die hohe Mitgift zu sparen, die bei einer Verheiratung fällig geworden wäre, trat Pulisena mit vierzehn Jahren in das Dominikanerinnenkloster Santa Caterina da Siena ein. Ob die Wahl des Klosters aus Zufall oder mit Absicht erfolgte, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen, doch war gerade dieser Konvent berühmt für seine herausragende Buchmalerei. Sehr bald nach ihrem Eintritt entdeckten ihre Mitschwestern ihr Talent im Malen und Zeichnen. Generell herrschte bei den Dominikanerinnen noch der Geist des Bußpredigers Girolamo Savonarola, der gefordert hatte, die Nonnen zum Malen und Zeichnen religiöser Bilder anzuhalten, um Faulheit in den Klöstern zu vermeiden.
Dennoch stellt sich die berechtigte Frage: Wie gelang es Nelli, sich hinter Klostermauern über die Buchmalerei hinaus künstlerisch ausbilden zu lassen? Vasari zufolge soll sie sich durch Kopieren der großen Meister geübt haben. Sie studierte Werke der bekannten Florentiner Maler Andrea del Sarto und Agnolo Bronzino. Auch soll sie selbst, da sie nicht mittellos war, eine kleine Sammlung sakraler Bilder besessen haben, darunter Zeichnungen des Malers Fra Bartolommeo. Lange hielt sich auch die Vermutung, sie sei von einem Schüler Fra Bartolommeos, dem Dominikanermönch Fra Paolino da Pistoia, unterrichtet worden. Aufgrund der strengen Klosterregeln erscheint dies jedoch als unwahrscheinlich, wenn überhaupt, ließ er ihr nur Zeichnungen seines Lehrers zukommen. Insgesamt ist Nellis Wirken nur rudimentär überliefert, so dass ihr lediglich einige wenige Werke zugeschrieben werden können. Bei einem der zugesprochenen Werke handelt es sich um eine Beweinung mit Heiligen, die sich noch heute im Besitz ihres einstigen Konvents befindet. Klar erkennbar ist das Vorbild Fra Bartolommeos. Die Ähnlichkeit in Komposition und Farbgebung mit seiner Grablegung Christi aus dem Jahr 1516 ist allzu offensichtlich. Auffallend ist jedoch eine entscheidende Änderung Nellis: Sie hat zwei weitere trauernde Frauen hinzugefügt, die sich um den Leichnam Christi kümmern. Dies erklärt sich sicher aus dem Umstand, dass im Kloster weibliche Modelle besser verfügbar waren. Dementsprechend berichtet Vasari, in ihren Bildern seien Frauen natürlicher dargestellt als Männer. Auch sei die Gestik und Ausdruckskraft ihrer Figuren ausdrucksstärker als bei Fra...