Heimlich / Wember | Didaktik des Unterrichts bei Lernschwierigkeiten | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 462 Seiten

Heimlich / Wember Didaktik des Unterrichts bei Lernschwierigkeiten

Ein Handbuch für Studium und Praxis

E-Book, Deutsch, 462 Seiten

ISBN: 978-3-17-035571-2
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Kinder und Jugendliche mit Lernschwierigkeiten werden inklusiv in allgemeinen Schulen oder in Förderschulen unterrichtet. Besonderes Kennzeichen dieser Schülergruppe ist ein erhöhter Förderbedarf im Lern- und Leistungsverhalten, der häufig mit Problemen im Denken, in der sozialen und emotionalen Entwicklung, in der Wahrnehmung und der Motorik sowie in der Sprache verbunden ist. Über 30 namhafte Autoren und Autorinnen erörtern in diesem Band didaktische Grundfragen und Modelle, entwickeln erprobte und wirksame Unterrichtskonzepte, unterbreiten Vorschläge für die systematische Förderung in den Lernbereichen Sprache und Mathematik und nehmen die Praxis der Unterrichtsplanung und -evaluation in den Blick.
Heimlich / Wember Didaktik des Unterrichts bei Lernschwierigkeiten jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


2          Reformpädagogik und Lernförderung
Clemens Hillenbrand
Die Reformpädagogik steht nach Missbrauchsskandalen im Fokus öffentlicher Kritik, obwohl sie lange als eine innovative Phase in der Geschichte der Pädagogik galt, die kindgerechte und praxisnahe Modelle von Erziehung und Schule entwickelte. Insofern scheint eine differenzierte Bilanz solcher Modelle notwendig, gerade auch wenn es um die Nutzung reformpädagogischer Ansätze für inklusive Bildung und die Unterstützung von Kindern und Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf im Bildungssystem geht. Die wissenschaftliche Diskussion entwickelte dafür kritische Perspektiven, die anhand der Montessori-Pädagogik und der Jena-Plan-Schule in ihrer differenzierten Sichtweise auf Chancen der Lern- und Entwicklungsförderung vorgestellt werden. 2.1       Einleitung
Die Aufarbeitung der zahlreichen Fälle des sexuellen Missbrauchs und der Misshandlung in reformpädagogischen Einrichtungen wie der Odenwaldschule (Oelkers, 2011; Ullrich, 2018), die durch ihre pädagogischen Strukturen systematisch den Missbrauch ermöglichte (Andresen & Heitmeyer, 2012), prägt seit dem Jahr 2010 das öffentliche Bild reformpädagogischer Einrichtungen. Lange Zeit galt hingegen »die Reformpädagogik« als Umsetzung eines kindgemäßen, gemeinsamen Lernens und als Modell einer modernen Bildungsreform mit Innovationspotential (Barz, 2018) sowie als eine der anregendsten Epochen der Pädagogik überhaupt mit einer Fülle innovativer, kindgerechter und zukunftsträchtiger Konzepte für Erziehung, Bildung und Unterricht (Flitner, 1974). Zu Beginn der 2000er Jahre präsentierte Reinhard Kahl anhand von engagierten Filmreportagen Beispiele dafür, wie »in Deutschland Schulen gelingen« (Kahl, 2006), und mit Montessori- und Jena-Plan-Schulen sowie dem Landerziehungsheim der Schule Schloss Salem portraitierte er ausführlich drei Konzeptionen, die klassischerweise als reformpädagogische Schulmodelle bezeichnet werden. Nach verbreitetem Verständnis erfüllen die in dieser historischen Epoche entwickelten Konzeptionen die Bedürfnisse der praktischen Gestaltung von Schule und Unterricht. Auch die unterrichtsmethodischen Konzepte, die unter dem Schlagwort des »Offenen Unterrichts« zusammen gefasst werden (Jürgens, 2000), bringt man in der Regel mit reformpädagogischen Ursprüngen in Verbindung (Potthoff, 2003): Freie Arbeit, Gesamtunterricht, Wochenplan, Projektunterricht, jahrgangsübergreifende Gruppen oder der Ansatz »Lesen durch Schreiben« werden mit Namen wie Maria Montessori, Berthold Otto, Célestin Freinet, John Dewey und Peter Petersen verknüpft. Die Diskussionen um die konkreten Aufgaben anstehender Bildungsreformen, darunter auch dem Aufbau eines inklusiven Bildungssystems, greifen, mehr oder weniger explizit, auf reformpädagogische Ansätze zurück. In einem aktuellen Sammelband (Barz, 2018) gelten sie als wirksame Anregungen aus der Geschichte, die bis heute Impulse zur Reform des Bildungssystems bieten, die in eine Reihe aktueller Innovationen, von interkultureller Schule und Community-Ansätzen über offenen Unterricht bis hin zum Methodentraining, münden. Der Abschnitt »Innovationsimpulse« in diesem Sammelband von Barz enthält auch einen Beitrag zur »inklusiven Pädagogik« (Maschke, 2018), der in diese Reihe von Bildungsreformen eingeordnet wird. Auf der Basis eines Inklusionsverständnisses von »full inclusion« (Kavale & Mostert, 2003, S. 192, vgl. Hillenbrand & Melzer, 2018) stellt Maschke empiriefern die Aufgaben und Handlungsoptionen eines inklusiven Bildungssystems dar. Neben einer Sammlung von pädagogischen Maßnahmen werden die Ansätze von Freiarbeit, Montessori-, Jena-Plan- und Waldorfpädagogik dann »als praktische Vorreiter einer integrativen Praxis gesehen« (Maschke, 2018, S. 497; vgl. schon Ellger-Rüttgardt, 1995; Hillenbrand, 1994). Maschkes Beitrag zeigt beispielhaft die Probleme im Umgang mit reformpädagogischen Modellen, die als Quelle und Inspiration dienen, damit aber einer kritischen Analyse entzogen werden. Diese Form der Rezeption besitzt eine längere Tradition. Insbesondere im Kontext der Integration oder des gemeinsamen Unterrichts von Schülern mit und ohne Beeinträchtigungen des Lernens wurden immer wieder die reformpädagogischen Schul- und Unterrichtskonzepte als erfolgreiche Perspektiven herangezogen. Im »Handbuch der Integrationspädagogik« weist Kleber (1988) darauf hin: »Integrative Pädagogik sollte … in pädagogisch bereits erprobte unterrichtliche Organisationsformen, wie wir sie in Freinet-, Petersen-, Montessori- und ähnlichen Schulen vorfinden, eingebunden werden« (S. 152). Gerade angesichts der Heterogenität des Lernens von Schülern generell und speziell im Kontext des gemeinsamen Unterrichts werden die existierenden reformpädagogischen Schulen als Vorbilder einer zukünftigen Gestaltung des Unterrichts hervorgehoben (Werning, 1999, S. 38): »Die dargestellten Herausforderungen an die Gestaltung eines lern- und entwicklungsförderlichen Lebensraums im gemeinsamen Unterricht verdeutlichen, dass es nicht um die Erarbeitung einer Sonder-Didaktik geht. Vielmehr sind hier Orientierungen angesprochen, die schon seit der Reformpädagogik für guten Unterricht benannt worden sind. Ich verweise hier beispielhaft auf Célestin Freinet, Peter Petersen oder John Dewey. Es geht um die Überwindung eines gleichschrittigen, lehrerzentrierten Unterrichts, der sich an der Illusion von homogenen Lerngruppen orientiert.« In der Tat besteht in den genannten Schulformen eine lange Praxiserfahrung in Formen des integrativen Unterrichts und gemeinsamen Lernens. Für die Jena-Plan-Schulen sei hier exemplarisch auf die Schule am Rosenmaar in Köln hingewiesen, die ab 1966 als Angebotsschule für die gesamte Stadt Köln nach dem Jena-Plan Peter Petersens arbeitete. »Das führte zunehmend dazu, daß Kinder mit Lernschwierigkeiten und Verhaltensauffälligkeiten an- und umgemeldet wurden« (Klinke, 1995, S. 51). Mit dem Besuch der alternativen Schulform vermieden viele Eltern die Förderschulüberweisung ihrer Kinder. Die weit verbreiteten positiven Konnotationen in der schulpädagogischen Diskussion wurden in der fachwissenschaftlich-historiographischen Diskussion jedoch schon seit Ende der 1980er Jahre durch historische Analysen in Frage gestellt (Oelkers, 1989). Eine differenzierte und kritische Perspektive auf »die Reformpädagogik« hat sich seitdem etabliert. »Die Reformpädagogik, anders gesagt, verliert offenbar mindestens im akademischen Diskurs ihren Nimbus als herausgehobene Epoche der Erziehungsgeschichte, wenigstens ist dieser Nimbus nicht mehr unbestritten« (Oelkers, 2005, S. 11). Die aktuellen historiographischen Studien stehen den früheren Selbstdarstellungen reformpädagogischer Konzeptionen sehr viel kritischer gegenüber und gehen methodisch reflektierter vor, sie analysieren Kontinuitäten und Unterschiede und ordnen die Themen und Motive in größere Kontexte ein. Auf diese Diskussionen sei nachdrücklich hingewiesen (vgl. insbesondere die Beiträge in den Abschnitten 1 und 2 in Barz, 2018), ohne sie an dieser Stelle differenziert aufarbeiten zu können (Benner & Kemper, 2001–2003; Oelkers, 1989; 2005). Parallel dazu greifen praxisnahe Bemühungen um eine Weiterentwicklung der Schule in Deutschland weiterhin auf reformpädagogische Motive, Ideen und Konzepte zurück und die Preisträgerschulen, beispielsweise des Jakob-Muth-Preises, stehen meist aufgrund ihrer Adaption reformpädagogischer Motive, nicht jedoch aufgrund ihrer empirisch nachweisbaren Erfolge, im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Die Diskussion in der sonderpädagogischen Fachrichtung Lernen scheint in weiten Teilen andere Wege zu gehen. Wissenschaftliche Darstellungen zur Lernförderung und Sonderpädagogik des Lernens (Gold, 2018; Greisbach, Kullik & Souvignier, 1998; Heimlich & Benkmann, 2018; Kretschmann, 2003; Lauth, Grünke & Brunstein, 2014) führen selbstverständlich empirische Studien zur Evaluation von unterrichtlichen Konzeptionen an, die Anforderungen einer empirischen Überprüfung pädagogisch-didaktischer Innovationen sind im Fachdiskurs akzeptiert und internationale Forschungsstände werden systematisch rezipiert (vgl. die Fachzeitschrift »Empirische Sonderpädagogik«). Die wirksame Unterstützung des Lernens als Beitrag zur Verwirklichung eines inklusiven Bildungssystems auch bei bestehenden Lernschwierigkeiten steht dabei im Vordergrund der Forschungsbemühungen (vgl. beispielsweise Mahlau,...


Dr. paed. Ulrich Heimlich ist Universitätsprofessor für Lernbehindertenpädagogik an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Dr. paed. Franz B. Wember war Universitätsprofessor für Rehabilitation und Pädagogik bei Lernbehinderung an der Technischen Universität Dortmund.


Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.