Buch, Deutsch, Band 8, 428 Seiten, Format (B × H): 143 mm x 214 mm, Gewicht: 534 g
Zur Praxis Europäischer Betriebsräte in der Automobilindustrie
Buch, Deutsch, Band 8, 428 Seiten, Format (B × H): 143 mm x 214 mm, Gewicht: 534 g
Reihe: Arbeit - Interessen - Partizipation
ISBN: 978-3-593-39152-6
Verlag: Campus
Welche Rolle können Arbeitnehmervertretungen bei der Restrukturierung internationaler Konzerne spielen? Am Beispiel von Automobilherstellern wie VW, GM oder Toyota beleuchtet der Band die Arbeit und die Struktur Europäischer Betriebsräte und verdeutlicht die Spannbreite ihrer Gestaltungsmöglichkeiten.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Wirtschaftswissenschaften Betriebswirtschaft Bereichsspezifisches Management Personalwesen, Human Resource Management
- Wirtschaftswissenschaften Volkswirtschaftslehre Internationale Wirtschaft Wirtschaftliche Globalisierung
- Wirtschaftswissenschaften Volkswirtschaftslehre Europäische Union, Europa: Wirtschaft
Weitere Infos & Material
Inhalt
Vorwort 7
1 Einleitung 9
2 Stand der Forschung 15
2.1 Forschung zu Europäischen Betriebsräten 15
2.2 Forschung zu transnationalen Organisationen 26
3 Theoretisch-methodischer Rahmen 35
3.1 Typologie von Unternehmen und EBRs 39
3.2 Erklärungsfaktoren für EBR-Typus und -Wirksamkeit 43
3.3 Methodik der empirischen Untersuchung 63
Fallstudien in Automobilkonzernen
4 Daimler 83
4.1 Das Unternehmen Daimler AG 83
4.2 Der Daimler-EBR 93
4.3 Zwischenfazit 114
5 Volkswagen 117
5.1 Der Volkswagen-Konzern 117
5.2 Der Europäische Volkswagen-Konzernbetriebsrat 131
5.3 Zwischenfazit 157
6 PSA Peugeot Citroën 163
6.1 Der PSA-Konzern 163
6.2 Das PSA Comité de Groupe Européen 172
6.3 Zwischenfazit 201
7 Renault 205
7.1 Der Renault-Konzern 205
7.2 Der Renault-EBR 215
7.3 Zwischenfazit 229
8 Honda 233
8.1 Die Honda Motor Co. Ltd. und Honda Europa 233
8.2 Die Honda European Communication and Consultation Group (HECCG) 245
8.3 Zwischenfazit 256
9 Toyota Motor Europe (TME) 261
9.1 Die Toyota Motor Corporation (TMC) und Toyota Motor Europe (TME) 261
9.2 Toyota European Forum (TEF) 277
9.3 Zwischenfazit 297
10 Ford of Europe 301
10.1 Das Unternehmen Ford of Europe 301
10.2 Der Europäische Ford-Betriebsrat (EFB) 316
10.3 Zwischenfazit 337
11 General Motors 341
11.1 Das Unternehmen General Motors (GM) 341
11.2 Der Europäische Betriebsrat bei GM 351
11.3 Zwischenfazit 373
12 Zusammenfassung und Ausblick - Eurobetriebsräte als transnationale europäische Institution? 377
12.1 Organisationsmuster und Typen von EBRs 380
12.2 Der organisational fit zwischen EBR und Unternehmen 383
12.3 Institutionelle und Stammland-Effekte 389
12.4 Entwicklungsverläufe und einschneidende Ereignisse 393
12.5 Akteursstrategien und die Bedeutung von Persönlichkeiten 397
12.6 Regulierungswirksamkeit und Output 400
Literatur 405
Quellen 421
Tabellen 422
Abbildungen 423
Abkürzungsverzeichnis 424
Anhang 425
1 Einleitung
Seit den 1990er Jahren hat sich eine reichhaltige sozialwissenschaftliche Forschung zum Prozess der europäischen Einigung entwickelt. Vor allem aus politikwissenschaftlicher und soziologischer Perspektive wurden viele Studien zur Europäisierung durchgeführt, die diese als multidimensionalen und Mehrebenen-Prozess Grenzen überschreitender Vergesellschaftung betrachten. Ein wichtiger Bestandteil dieses Europäisierungsprozesses ist die Einrichtung der Europäischen Betriebsräte (EBRs). Mit der Verabschiedung der EBR-Richtlinie durch den EU-Ministerrat im Jahre 1994 sollte gezielt die soziale und politische Dimension der europäischen Einigung unterstrichen werden. Nach drei Dekaden mehr oder minder zäher Aushandlungen und variierender Modellentwürfe wurde so eine neue institutionelle Ordnung der Partizipation und Interessenregulierung in Unternehmen geschaffen, die mindestens Tausend Beschäftigte in mindestens zwei EU-Mitgliedsländern bei mindestens 150 Beschäftigten in jedem Land aufweisen.
Diese neue Institution der EBRs entwickelte und festigte sich in einem komplexen Prozess der Verabschiedung supranationaler (EU-)Richtlinien, des Erlassens nationaler (Ausführungs-)Gesetze und einer dazu voraus-, parallel- und nachlaufenden Praxis grenzüberschreitender Interessenregulierung (Keller 2001; Lecher u.a. 2001; Pries 2010; Pardi 2006). Im Jahre 2010 existierten etwa 950 EBRs in europaweit tätigen Unternehmen. Das sind mehr als ein Drittel aller Unternehmen, in denen die formalen Voraussetzungen für die Gründung eines EBRs vorliegen (vgl. im Einzelnen Kapitel 2.1 weiter unten). In den Unternehmen mit EBR sind immerhin etwa 17 Millionen Menschen beschäftigt. Angesichts zunehmender grenzüberschreitender Aktivitäten von Unternehmen können EBRs ein wichtiges Instrument sein, um die rein ökonomische durch eine sozialpolitische Europäisierung von Interessenvertretung und Verhandlungsstrukturen zu ergänzen.
Welche Rolle aber spielen EBRs tatsächlich im Europäisierungs- und Internationalisierungsprozess der Unternehmen allgemein und hinsichtlich der Regulierung konzernweiter Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen? Haben sie tatsächlich wichtige Informations- und Konsultationsfunktionen in der Interessenregulierung zwischen Management und Arbeitnehmern? Oder dienen sie eher als Clearingstelle zwischen den Arbeitnehmervertretungen der verschiedenen Länder und Standorte? Sind EBRs aus der Sicht des Managements eher lästige bürokratische und im Zweifelsfalle kostspielige Zusatzeinrichtungen oder wichtige Kommunikationsinstrumente und eventuell sogar ernste Verhandlungspartner? Halten die gewerkschaftlichen Akteure die EBRs für hilfreiche Organe in der Europäisierung von Interessenvertretung oder stehen sie diesen eher skeptisch bis misstrauisch gegenüber, weil sie sich zu (betriebssyndikalistischen) Konkurrenzeinrichtungen der Interessenregulierung entwickeln könnten oder bestenfalls ein Treffpunkt divergierender Standortinteressen sind? Sind sie nur formale Aushängeschilder, deren Arbeit oder gar Existenz von den Beschäftigten der Unternehmen gar nicht wahrgenommen wird?
Die (sozialwissenschaftliche) Forschung über EBRs hat seit der Mitte der 1990er Jahre eine Vielzahl wertvoller Befunde zu den Entstehungsbedingungen, zu den formalen Rechtsgrundlagen sowie zur Praxis und zur Interessenregulierungswirksamkeit von EBRs vorgelegt. Auf einige der oben gestellten Fragen lassen sich demnach zumindest partielle Antworten geben (vgl. Kapitel 2). Während es an empirisch gehaltvollen Untersuchungen in zahlreichen Branchen und Ländern nicht mangelt, wurde indes immer wieder selbstkritisch ein konzeptionelles Defizit konstatiert (s. Müller/Hoffmann 2002: 108, 111). Dieses konzeptionelle Defizit hat in Bezug auf den in Frage stehenden Forschungsgegenstand eine externe und eine interne Seite. Die externen Aspekte dieses ›konzeptionellen Defizits‹ beziehen sich auf die Tatsache, dass zwischen der EBR-Forschung und der sonstigen sozialwissenschaftlichen Europäisierungsforschung nur wenig wechselseitiger Austausch stattfindet. So behandelt zum Beispiel Münch (2001) aus soziologischer Perspektive sehr differenziert die verschiedenen Dimensionen der sozialen Einigung Europas; aber die EBRs werden in ihrer Bedeutung nicht explizit diskutiert. Auch die politikwissenschaftliche Mehrebenenanalyse der europäischen Einigung ist auf die europäischen staatlichen Institutionen, auf die politischen Parteien und auf Interessenverbände fokussiert und nimmt die EBRs (und den Sozialen Dialog) kaum als Forschungsgegenstand wahr. Umgekehrt schenkt aber auch die EBR-Forschung diesen Studien kaum Beachtung.
Die internen Aspekte des ›konzeptionellen Defizits‹ der EBR-Forschung betreffen vor allem die fehlende theoretische Fundierung vorhandener (empirischer) Forschungsbeiträge. Wenn theoretische Modelle formuliert wurden, so erfolgte die Analyse in der Regel aus einer Industrial-Relations-Perspektive, die sich am Muster der Studien zu nationalen Interessenvertretungsstrukturen orientierte und auf den EBR als Akteur in einer Kapital-Arbeit-Beziehung fokussierte. Im Mittelpunkt stand oft die Typisierung der existierenden EBRs nach dem Charakter der Austausch- und Machtbeziehungen zwischen einem EBR und dem Management, den nationalen Beschäftigtenvertretungen und den Gewerkschaften. Weniger beachtet wurde dabei, dass EBRs mehrdimensionale und Mehrebenen-Plattformen beziehungsweise -Organisationen sind. EBRs setzen sich aus sozial-räumlich auf verschiedene Länder verteilten Elementen zusammen. Die in ihnen integrierten individuellen und kollektiven Akteure (ver)handeln auf der Basis unterschiedlicher national-kultureller Institutionensysteme und Traditionen und müssen sich für zielgerichtetes und gemeinsames Verhalten nach außen koordinieren. Eine einfache konzeptionelle Anlehnung der EBR-Forschung an die traditionelle Industrial-Relations-Forschung, die weitgehend für nationalstaatliche Bezugssysteme entwickelt wurde, reicht deshalb nicht aus. Ebenso wenig können EBRs durch eine einfache Anwendung beziehungsweise Anpassung der theoretisch-analytischen Instrumente untersucht werden, die im und für den Kontext der deutschen Betriebsrats-Forschung entwickelt wurden.
Ein weiterer (und zum Teil durch die fehlende theoretische Durchdringung beförderter) Kritikpunkt betraf die Methodologie vieler EBR-Studien. In empirischen Untersuchungen wurden die Dynamik und Praxis von EBRs oftmals über die Analyse des Interessenhandelns und der Wahrnehmungen einiger weniger für relevant befundener Akteure - häufig der Vertreter von Management und Arbeitnehmern in der Unternehmenszentrale und teilweise noch in einem weiteren ausgewählten Land - erfasst. Diese methodologische Engführung führte letztlich dazu, dass die Interessen und Strategien, die Wahrnehmungen und Deutungen eines Großteils der beteiligten Akteure - nämlich der EBR-Mitglieder aus den verschiedenen Ländern, Gewerkschaftstraditionen und vertretenen sozialen Gruppen (nur Arbeitnehmer oder auch Management) - gar nicht oder nur vermittelt über die Aussagen von EBR-Vorsitzenden, Sprechern oder Beratern erhoben werden konnten.
Vor diesem Hintergrund setzt sich die Studie drei wesentliche Ziele: Ein erstes Ziel besteht darin, einen theoretisch-analytischen Rahmen für das Studium von EBRs sowie ihrer Kontext- und Bedingungsfaktoren zu entwickeln, der zumindest einen Teil des konstatierten konzeptionellen Defizits berücksichtigt. Hierzu werden die bislang in der EBR-Forschung verwendeten Ansätze der Industrial-Relations-Forschung systematisiert (Kapitel 2.1) und um Konzepte der Transnationalisierungs- und Organisationsforschung, vor allem der Forschung zu internationalen beziehungswiese grenzüberschreitend tätigen Unternehmen, ergänzt (Kapitel 2.2), welche für den Untersuchungsgegenstand EBR angemessen erscheinen. Eine konzeptionelle Neuerung des Projektes betrifft dabei die spezifische analytische Perspektive auf EBRs: Aus dem Blickwinkel einer organisationssoziologischen und Transnationalisierungsperspektive lässt sich ein EBR als pluri-lokale Non-Profit-Organisation fassen, die als Interaktionsplattform innerhalb eines grenzüberschreitend tätigen Unternehmens existiert und diesem gegenüber agiert. Für die inhaltliche Charakterisierung der EBR (und auch der EU-weit tätigen Unternehmen) wird dabei eine ex ante-Typologie internationaler Organisationen entwickelt, die sich auf die von Bartlett und Ghoshal (1989) vorgeschlagene Typologie globaler, internationaler, multinationaler und transnationaler Unternehmen stützt.