Grözinger | Der Ba'al Schem von Michelstadt | Buch | 978-3-593-39282-0 | sack.de

Buch, Deutsch, 375 Seiten, Format (B × H): 148 mm x 218 mm, Gewicht: 558 g

Grözinger

Der Ba'al Schem von Michelstadt

Ein deutsch-jüdisches Heiligenleben zwischen Legende und Wirklichkeit

Buch, Deutsch, 375 Seiten, Format (B × H): 148 mm x 218 mm, Gewicht: 558 g

ISBN: 978-3-593-39282-0
Verlag: Campus


Ein Ba'al Schem ist ein jüdischer Wundermann, der mithilfe von praktischer Kabbala heilt und Wunder wirkt. Über 40 davon gab es seit dem Mittelalter im aschkenasischen Judentum. Der letzte Ba'al Schem in Westeuropa war Seckel Löb Wormser aus Michelstadt. Das Grab des im Jahre 1847 Verstorbenen ist heute ein viel besuchter Wallfahrtsort. Karl E. Grözinger schildert Leben und Wirken dieses europaweit bekannten Mannes und zieht einen einmaligen Vergleich zwischen Legende und Wirklichkeit. Das Buch enthält außerdem einen Neuabdruck der Legendensammlung vom Leben des Ba'al Schem sowie eine Vielzahl deutscher und hebräischer historischer Dokumente.
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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Inhalt

Geleitwort 11
von Stephan Kelbert
Vorwort 13

Teil I
Der Ba‘al Schem von Michelstadt zwischen Legende und Historie 17
Das Grab in Michelstadt, Wallfahrten und Hilfsgesuche 20
Warum Michelstadt – und was ist ein Ba‘al Schem? 27
Biographie oder Legende? – Die Erzählungen von Judaeus, Michael Wormser, Mathilde Maier und Arthur Kahn vom Michelstädter Ba‘al Schem 30
Die Legende 35
Die Michelstädter Ba‘al-Schem-Legende 35
Die Historie 79
Probleme der Chronologie 79
Das Studium 88
Seckel Wormser – der Ba‘al Schem 91
Die rabbinische Gelehrsamkeit von Seckel Wormser 114
Der Kampf um das Rabbinat – religiöse und persönliche Widerstände 118
Seckel Wormsers Einbürgerung: Ein letztes Zeichen der ambivalenten Situation 155
Seckel Wormsers Jeschiwa 158
Die Bibliothek – Leidenschaft eines Lebens 165
Aufklärung, Wissenschaft und Bildung – das geistige Profil des Bildungsbürgers und Lehrers Seckel Wormser 170

Epilog: Die Bestattung – wie die Zeitgenossen Seckel Wormser sahen 202

Anhang zu Teil I 206
Das Responsum Seckel Wormsers zum Schofar- (Widderhorn-)Blasen an Neujahr (Rosch ha-Schana) – Pilpul und Kabbala 206

Teil II
Der Baalschem von Michelstadt. Kulturgeschichtliche Erzählung von Judaeus 219
Neu herausgegeben von Karl Erich Grözinger

Teil III
Ein ungelöstes Räthsel. Nach einer wahren Begebenheit erzählt von Arthur Kahn 335
Neu herausgegeben von Karl Erich Grözinger


Die Michelstädter Ba‘al-Schem-Legende

Das Schönste, was man vom Michelstädter Ba‘al Schem kennt, ist natürlich die Legende, die Naftali Herz Ehrman, alias Judaeus, in seinem Der Baal Schem von Michelstadt erzählt. Allerdings ist es zum richtigen Verstehen dieses kleinen Buches wichtig, dass man die Erzählung der Legende von den tatsächlichen historischen Begebenheiten unterscheidet und sich nicht von den im vorigen Kapitel genannten Autoren zu dem Glauben verleiten lässt, die wunderbaren Dinge seien so, wie dort beschrieben, tatsächlich geschehen. Gerade weil in Ehrmanns Michelstädter Ba‘al-Schem-Legende wirklich Historisches und Authentisches mit der Legende vermischt ist, wollen seine Texte glauben machen, alles sei tatsächlich so geschehen wie von ihm erzählt. Hier soll jedoch die Historie von der Legende geschieden werden, nicht um zu zerstören, sondern um zu zeigen, wie die Legende die oft schnöde Realität verschönern kann. Die Legende ist Literatur, schöne Literatur, die den Leser aus den Niederungen der Wirklichkeit in eine Welt der Hoffnung und des Glaubens an das Gute führen will.
Woran, so wird man darum fragen, erkennt man die Legende? Wie kann man sie von der Historie unterscheiden? Die einfachste Antwort wäre natürlich die, dass alles, was mit der Erfahrung und dem wissenschaftlichen Weltbild nicht übereinstimmt, Legende ist. Aber dagegen könnte man mit Mathilde Maier und einem der Helden in Arthur Kahns Erzählung das Hamlet-Zitat anführen: 'Es gibt mehr Ding’ im Himmel und auf Erden, als Eure Schulweisheit sich träumt.' Es wäre in der Tat zu einfach, alles als wirklich geschehen auszuschließen, was nicht unserem eigenen Erfahrungshorizont entspricht. Darum will ich zur Beantwortung der Frage, wie man Legende von der historischen Wirklichkeit scheiden kann, einen etwas anderen Weg beschreiten.
Ein verbreitetes Phänomen der Legende ist es, dass in der Legende Stoffe, Motive, ja auch ganze Erzählungen von einem zum anderen Helden wandern. Das heißt, dass dieselbe Geschichte von verschiedenen Heiligen aus verschiedenen Zeiten und Orten erzählt wird, wobei der Erzähler nur das Personal und die geographischen und kulturellen Realia austauscht. Allerdings ist dabei zu beachten, dass die Erzähler solcher geliehener Geschichten oft unterschiedliche Erzählungsziele verfolgen, eine andere Botschaft vermitteln wollen, weshalb sie natürlich hier und dort in den übernommenen Text eingreifen oder ihn sehr frei umgestalten. Es ist eben dies, das bei einer ganzen Reihe von Erzählungen in der Michelstädter Ba‘al-Schem-Legende geschehen ist. Naftali Herz Ehrmann hat sich in der hebräischen und jiddischen Literatur, genauer in der Ba‘al Schem Literatur des osteuropäischen Hasidismus umgetan, hat von dort Teile seines Erzählmaterials übernommen und auf den Michelstädter übertragen. Die Quelle, aus der Ehrmann bei seiner Arbeit schöpfte, lässt sich ziemlich genau bestimmen, denn es gibt eine große umfassende hebräische Legendensammlung des osteuropäischen Hasidismus, in der sich wenigstens drei der beim Michelstädter wiederkehrenden Erzählungen finden. Die genannte Quelle ist das anonym, ohne Orts- und Datumsangabe erschienene Werk Sefer Kehal Hasidim, 'Das Buch von der Gemeinde der Hasidim'. Dieses Buch, das eine umfassende Sammlung älterer hasidischer Geschichtenbücher darstellt, ist mit größter Wahrscheinlichkeit zwischen 1864–1867 in Warschau erschienen. Und es besteht kein Zweifel, dass Ehrmann, wie Martin Buber zur selben Zeit, aus dieser osteuropäischen Legendenliteratur schöpfte.
Die drei Erzählungen, oder Erzählkomplexe, der Michelstädter Ba‘al-Schem-Legende, deren Ursprung in jenem Kehal Hasidim sich findet, sind erstens die Geschichte von der wunderbar im letzten Augenblick verschafften Mitgift für die Tochter von Rabbi Wolf Muhr, die zweite ist die Geschichte von Gott als Geschäftspartner, und schließlich die abschließende Erzählung von dem jüdischen Bischof, der vom Ba‘al Schem zum Judentum zurückgebracht wurde. Ich werde hier das letzte Beispiel ausführlich und die beiden anderen zusammenfassend vorstellen, damit dem Leser die Übertragung von Erzählungen aus dem osteuropäischen Hasidismus auf den Michelstädter Ba‘al Schem glaubhaft vor Augen tritt. Von da ausgehend kann dann die legendenhafte Umgestaltung einiger historischer Elemente in der Michelstädter Ba‘al-Schem-Legende verfolgt werden, bevor schließlich der Schritt zur harten historischen Realität der Archivalien aus Darmstadt und Michelstadt getan wird.


Karl Erich Grözinger war bis 2007 Professor für Religionswissenschaft und Jüdische Studien an der Universität Potsdam. Er ist Autor des Standardwerks "Jüdisches Denken", dessen vierter und letzter Band in Vorbereitung ist.


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