E-Book, Deutsch, 260 Seiten
Reihe: Reclams Universal-Bibliothek
Goethe / Jeßing Reinecke Fuchs in zwölf Gesängen. Studienausgabe
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-15-962345-0
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Nach dem Erstdruck von 1794 - Goethe, Johann Wolfgang - Klassiker der deutschen Literatur
E-Book, Deutsch, 260 Seiten
Reihe: Reclams Universal-Bibliothek
ISBN: 978-3-15-962345-0
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Johann Wolfgang Goethe (seit 1782: von; 28.8.1749 Frankfurt a. M. - 22.3.1832 Weimar) hat als Lyriker, Prosa-Autor und Dramatiker Epoche machende Werke des Sturm und Drang und der Klassik mit europaweiter Wirkung verfasst. Von Herzog Karl August von Sachsen-Weimar für den Weimar Hof verpflichtet, wo er u. a. für das Theater zuständig war, prägte er in der Zusammenarbeit mit Schiller besonders die Epoche der Weimarer Klassik. Goethes Interessen erstreckten sich auch auf unterschiedlichste Wissenschaften, zu denen er umfangreiche Schriften beitrug.
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[5][7]Erster Gesang.
[5] Pfingsten, das liebliche Fest, war gekommen; es grünten und blühten
Feld und Wald; auf Hügeln und Höhn, in Büschen und Hecken
Uebten ein fröhliches Lied die neuermunterten Vögel;
Jede Wiese sproßte von Blumen in duftenden Gründen,
Festlich heiter glänzte der Himmel und farbig die Erde.
[6] Nobel, der König, versammelt den Hof; und seine Vasallen
Eilen gerufen herbey mit großem Gepränge; da kommen
[8]Viele stolze Gesellen von allen Seiten und Enden,
Lütke, der Kranich und Markart der Häher und alle die Besten.
Denn der König gedenkt mit allen seinen Baronen
Hof zu halten in Feyer und Pracht; er läßt sie berufen
Alle mit einander, so gut die großen als kleinen.
Niemand sollte fehlen! und dennoch fehlte der eine,
»Isegrim aber, der Wolf, begann die Klage«
Reinecke Fuchs, der Schelm! der viel begangenen Frevels
Halben des Hofs sich enthielt. So scheuet das böse Gewissen
[7] Licht und Tag, es scheute der Fuchs die versammleten Herren.
Alle hatten zu klagen, er hatte sie alle beleidigt,
Und nur Grimbart, den Dachs, den Sohn des Bruders, verschont er.
Isegrim aber, der Wolf, begann die Klage, von allen
Seinen Vettern und Gönnern, von allen Freunden begleitet
Trat er vor den König und sprach die gerichtlichen Worte:
Gnädigster König und Herr! vernehmet meine Beschwerden.
Edel seyd ihr und groß und ehrenvoll, jedem erzeigt ihr
Recht und Gnade: so laßt euch denn auch des Schadens erbarmen,
[8] Den ich von Reinecke Fuchs mit großer Schande gelitten.
Aber vor allen Dingen erbarmt euch, daß er mein Weib so
Freventlich öfters verhönt, und meine Kinder verletzt hat.
Ach! er hat sie mit Unrath besudelt, mit ätzenden Unflath,
Daß mir zu Hause noch drey in bittrer Blindheit sich quälen.
Zwar ist alle der Frevel schon lange zur Sprache gekommen,
Ja ein Tag war gesetzt zu schlichten solche Beschwerden;
Er erbot sich zum Eyde, doch bald besann er sich anders
Und entwischte behende nach seiner Veste. Das wissen
Alle Männer zu wohl, die hier und neben mir stehen.
[9][9] Herr! ich könnte die Drangsal, die mir der Bube bereitet,
Nicht mit eilenden Worten in vielen Wochen erzählen.
Würde die Leinwand von Gent, so viel auch ihrer gemacht wird,
Alle zu Pergament; sie faßte die Streiche nicht alle,
Und ich schweige davon. Doch meines Weibes Entehrung
Frißt mir das Herz, ich räche sie auch, es werde was wolle.
Als nun Isegrim so mit traurigem Muthe gesprochen,
Trat ein Hündchen hervor, hieß Wackerlos, redte französisch
Vor dem König: wie arm es gewesen und nichts ihm geblieben
[10] Als ein Stückchen Wurst in einem Wintergebüsche;
Reinecke hab’ auch das ihm genommen! Jetzt sprang auch der Kater
Hinze zornig hervor und sprach: Erhabner Gebieter,
Niemand beschwere sich mehr, daß ihm der Bösewicht schade,
Denn der König allein! Ich sag’ euch, in dieser Gesellschaft
Ist hier niemand, jung oder alt, er fürchtet den Frevler
Mehr als euch! Doch Wackerlos Klage will wenig bedeuten,
Schon sind Jahre vorbey, seit diese Händel geschehen;
Mir gehörte die Wurst! Ich sollte mich damals beschweren.
Jagen war ich gegangen; auf meinem Wege durchsucht’ ich
[11] Eine Mühle zu Nacht; es schlief die Müllerin; sachte
Nahm ich ein Würstchen, ich will es gestehn; doch hatte zu dieser
Wackerlos irgend ein Recht, so dankt’ er’s meiner Bemühung.
Und der Panther begann: was helfen Klagen und Worte!
Wenig richten sie aus, genug das Uebel ist ruchtbar.
[10]Er ist ein Dieb, ein Mörder! Ich darf es kühnlich behaupten,
Ja, es wissens die Herren, er übet jeglichen Frevel.
Möchten doch alle die Edlen, ja selbst der erhabene König
Gut und Ehre verlieren; er lachte, gewänn’ er nur etwa
[12] Einen Bissen dabey von einem fetten Kapaune.
Laßt euch erzählen, wie er so übel an Lampen dem Hasen
Gestern that; hier steht er, der Mann, der keinen verletzte.
Reinecke stellte sich fromm und wollt ihn allerley Weisen
Kürzlich lehren und was zum Kaplan noch weiter gehöret,
Und sie setzten sich gegen einander, begannen das .
Aber Reinecke konnte die alten Tücken nicht lassen;
Innerhalb unsers Königes Fried’ und freyem Geleite
[11]Hielt er Lampen gefaßt mit seinen Klauen und zerrte
Tückisch den redlichen Mann. Ich kam die Straße gegangen,
[13] Hörte beyder Gesang, der, kaum begonnen, schon wieder
Endete. Horchend wundert ich mich, doch als ich hinzukam,
Kannt’ ich Reinecken stracks, er hatte Lampen beym Kragen.
Ja er hätt’ ihm gewiß das Leben genommen, wofern ich
Nicht zum Glücke des Wegs gekommen wäre. Da steht er,
Seht die Wunden an ihm, dem frommen Manne, den keiner
Zu beleidigen denkt. Und will es unser Gebieter,
»Eilig sucht er Isegrim auf und klagt ihm sein Leiden«
Wollt ihr Herren es leiden, daß so des Königes Friede
Sein Geleit und Brief von einem Diebe verhönt wird;
O so wird der König und seine Kinder noch späte
[14] Vorwurf hören von Leuten, die Recht und Gerechtigkeit lieben.
Isegrim sagte darauf: so wird es bleiben, und leider
Wird uns Reinecke nie was gutes erzeigen. O! läg’ er
Lange todt; das wäre das beste für friedliche Leute;
Aber wird ihm dießmal verziehn; so wird er in kurzem
Etliche kühnlich berücken, die nun es am wenigsten glauben.
Reineckens Neffe, der Dachs, nahm jetzt die Rede und muthig
Sprach er zu Reineckens Besten, so falsch auch dieser bekannt war.
[15] Alt und wahr, Herr Isegrim! sagt’ er, beweißt sich das Sprichwort:
Feindes Mund frommt selten. So hat auch wahrlich mein Oheim
Eurer Worte sich nicht zu getrösten. Doch ist es ein Leichtes.
Wär er hier am Hofe so gut als ihr, und erfreut er
Sich des Königes Gnade, so möcht’ es euch sicher gereuen,
[12]Daß ihr so hämisch gesprochen und alte Geschichten erneuert.
Aber was ihr Uebels an Reinecken selber verübet,
Uebergeht ihr; und doch, es wissen es manche der Herren,
Wie ihr zusammen ein Bündniß geschlossen und beyde versprochen
Als zwey gleiche Gesellen zu leben. Das muß ich erzählen;
[16] Denn im Winter einmahl erduldet er große Gefahren
Euretwegen. Ein Fuhrmann, er hatte Fische geladen,
Fuhr die Straße; ihr spürtet ihn aus und hättet um alles
Gern von der Waare gegessen; doch fehlt es euch leider am Gelde,
Da beredetet ihr den Oheim, er legte sich listig
Grade für todt in den Weg. Es war beym Himmel ein kühnes
Abenteuer! Doch merket, was ihm für Fische geworden.
Und der Fuhrmann kam und sah im Gleise den Oheim,
Hastig zog er sein Schwerdt, ihm eins zu versetzen; der Kluge
Rührt’ und regte sich nicht, als wär er gestorben; der Fuhrmann
[17] Wirft ihn auf seinen Karrn, und freut sich des Balges im voraus.
Ja, das wagte mein Oheim für Isegrim; aber der Fuhrmann
Fuhr dahin und Reinecke warf von den Fischen herunter.
Isegrim kam von ferne geschlichen, verzehrte die Fische.
Reinecken mochte nicht länger zu fahren belieben; er hub sich,
Sprang vom Karren und wünschte nun auch von der Beute zu speisen.
Aber Isegrim hatte sie alle verschlungen; er hatte
Ueber Noth sich beladen, er wollte bersten. Die Gräten
Ließ er allein zurück, und bot dem Freunde den Rest an.
[13]Noch ein anderes Stückchen will ich euch wahrhaft erzählen.
[18] Reinecken war es bewußt, bey einem Bauer...