E-Book, Deutsch, 205 Seiten
Füssenich / Löffler Schriftspracherwerb
3. aktualisierte Auflage 2018
ISBN: 978-3-497-61042-6
Verlag: Ernst Reinhardt Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Einschulung, erstes und zweites Schuljahr
E-Book, Deutsch, 205 Seiten
ISBN: 978-3-497-61042-6
Verlag: Ernst Reinhardt Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
In jeder Eingangsklasse gibt es Kinder, die den Symbolcharakter von Schrift nicht erkennen, die begrifflich nicht zwischen Zahlen und Buchstaben unterscheiden oder Sprache nicht segmentieren können. Diese Kinder benötigen kein einheitliches Training basaler Fähigkeiten, sondern einen Unterricht, der ihren individuellen Entwicklungsstand berücksichtigt. LehrerInnen der Primarstufe brauchen daher aussagekräftige Aufgaben, die die Fähigkeiten und Schwierigkeiten von Kindern beim Schriftspracherwerb feststellen können.
Das Buch bietet evaluierte Diagnostikaufgaben zur Einschulung und für die erste und zweite Klasse. Das separat erhältliche Materialheft liefert Kopiervorlagen sowie detaillierte Hinweise zur Durchführung und Auswertung der Aufgaben.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
2 Lern- und Lehrprozesse bei der Einschulung 2.1 Schriftspracherwerb aus Sicht der Lernenden Eine Lehrerin fragt ein Kind anhand von Bildern bei welchen Wörtern es einen entsprechenden Laut hört. Statt einer Antwort hält sich das Kind die Bildkarten nacheinander ans Ohr und schüttelt bei jedem Bild verneinend den Kopf (Crämer/Schumann 2002). In einem Alphabetisierungskurs äußern sich erwachsene Nullanfänger über Rechtschreibregeln. Peter (29 Jahre) meint: „Messer schreibt man mit .“ (Crämer/Schumann 1990, 217) Petra (22 Jahre) wundert sich: „Eichhörnchen! So ein langes Wort für so ein kleines Tier.“ (Crämer/Schumann 1990, 217) Sie ist in ihrer sprachlich-kognitiven Entwicklung bereits auf einer fortgeschritteneren Stufe als das Schulkind und der Analphabet. Petra hat schon verstanden, dass die (mündliche) Sprache nicht die Realität selbst ist, sondern sie symbolisiert. Sie hat außerdem erkannt, dass Sprache aus einer inhaltlichen Aussage und einer sprachlichen Form besteht. Über diese Fähigkeiten verfügen die anderen beiden noch nicht, wie man an ihren (sprachlichen) Handlungen erkennen kann. Da sich Petra wundert, ist offensichtlich, dass sie über diese Erkenntnis noch nicht lange verfügt. Der Anfangsunterricht im Lesen und Schreiben vermittelt oft den Eindruck, als würden alle Erstklässlerinnen einheitlich mit dem Erwerb der Schrift beginnen. Doch schon nach kurzer Zeit zeigen sich Unterschiede, die bereits bei Schuleintritt bestehen, denn es gibt Schulanfängerinnen, die schon lesen und schreiben können, während andere noch nicht die Funktion von Schrift erkennen. Die Darstellung der notwendigen Fähigkeiten für den erfolgreichen Erwerb der Schriftsprache hängt von dem Verständnis des Lerngegenstands Schriftsprache ab. Wird der Schriftspracherwerb als Aneignung von Teilleistungen, wie visueller oder motorischer Fähigkeiten, verstanden, so wird als Lernvoraussetzungen auch die Förderung dieser Bereiche für den erfolgreichen Erwerb der Schriftsprache angesehen. Es gibt zahlreiche Materialien, mit denen der Erwerb dieser Teilleistungen geübt werden kann, ohne den Entwicklungsprozess einzelner Kinder zu berücksichtigen. Demgegenüber hat sich die Ansicht durchgesetzt, lesen und schreiben lernen aus dem Blick der Lernerinnen zu betrachten. Kinder eignen sich Schriftsprache nicht nur in der Schule an, sondern unter bestimmten Bedingungen hat sie bereits vor Schuleinritt ihre Bedeutung (Füssenich et al. 2018). Die Aneignung der Schrift ist als Entwicklungsprozess zu sehen, bei dem sich das Kind schrittweise das System unserer Schrift erarbeitet und selbstständig Regeln zur Verschriftung gesprochener Sprache entdeckt. Somit rücken im Unterricht Lernverhalten und -strategien des einzelnen Kindes in den Mittelpunkt. Um lesen und schreiben zu lernen, ist zwar ein gewisser Entwicklungsstand an sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten nötig, doch andererseits erweitert die Beschäftigung mit Schrift schon vorhandene Fähigkeiten. Wie lässt sich nun erklären, dass Kinder bereits zu Beginn der Einschulung gravierende Unterschiede in ihrer Zugriffsweise auf (Schrift-)Sprache zeigen? Kinder lernen nicht nur das System der Aussprache und der Grammatik sowie die Fähigkeiten auf den anderen Sprachebenen, sondern sie lernen auch, über Sprache nachzudenken. Kinder müssen metasprachliche Fähigkeiten erwerben, um (schrift-)sprachlich erfolgreich zu sein. 2.1.1 Wissen über Sprache (Sprachreflexion): Metakommunikation und Extrakommunikation Andresen (1985, 1998, 2002) und Augst (1978) unterscheiden zwischen metasprachlichen Fähigkeiten, die vor allem mit der mündlichen Sprache erworben werden, und solchen, die eher durch die Auseinandersetzung mit der Schriftsprache gelernt werden. Um das unterschiedliche Niveau dieser metasprachlichen Äußerungen zu verdeutlichen, unterscheidet Augst zwischen Metakommunikation und Extrakommunikation. Durch metakommunikative Äußerungen versuchen Kinder schon während des Erwerbs der mündlichen Sprache Kommunikationsschwierigkeiten im Gespräch zu beheben. Wenn ein Kind etwas nicht versteht, wird es nachfragen und den Dialog anschließend fortsetzen, wie in folgendem Beispiel: Mutter: „Das Kind hat Sommersprossen.“ Kind: „Welche Sommersprossen? Es ist doch Winter.“ Zur Extrakommunikation gehören Äußerungen, die explizit sprachliche Phänomene thematisieren, ohne dass Kommunikationsschwierigkeiten vorliegen, wie in folgenden Beispielen: Ein siebenjähriger Junge sieht ein Buch mit der Aufschrift Angst. Er liest den Titel und sagt: „Wenn das am Schluss ein